Henry Rider Haggard – König Salomons Diamanten

haggard-salomon-cover-heyne-1985-kleinEnde des 19. Jahrhunderts gerät eine britische Expedition in ein versunkenes Reich, in dem archaische Krieger über die Diamantenminen des sagenhaften Königs Salomon wachen. Die Rückkehr ist schwierig, denn der grausame Herrscher will seine Besucher nicht mehr ziehen lassen … – Einer der ganz großer Klassiker der Abenteuerliteratur mischt Elemente des Reiseromans mit denen der (späteren) Fantasy. Aus heutiger Sicht sicherlich gemächlich, mit ausführlichen Landschaftsbeschreibungen, teils angestaubt, teils unbehaglich chauvinistisch im zeitgenössisch selbstverständlichen Dünkel gegenüber den „schwarzen Wilden“ aber immer noch fesselnd.

Das geschieht:

Vor fünf Jahren hat sich Sir Henry Curtis mit seinem jüngeren Bruder George zerstritten. Dieser nahm den Namen „Neville“ an und verließ England, um im fernen Südafrika sein Glück zu suchen. Seither ward er nicht mehr gesehen. Sir Henry, der sein Handeln längst bereut, fahndet nun – im Jahre 1879 – nach dem Bruder. Begleitet wird er von Captain John Good, einem ehemaligen Marineoffizier.

In Afrika will man einen mit Land und Leuten bekannten Führer engagieren. Der Zufall bringt Sir Henry und Good mit Allan Quatermain zusammen, einem Jäger und Händler, der zudem schon in Transvaal die Bekanntschaft von George Neville gemacht hat und dessen Plan kennt: Der Glücksritter zog in den Norden, um sich auf die Suche nach den Minen des biblischen Königs Salomon zu machen!

Quatermain besitzt eine grobe Karte dieses völlig unerforschten Gebietes. Gegen eine großzügige Entlohnung erklärt er sich bereit, Sir Henry und Good zu führen. Ihnen schließt sich der Zulu-Krieger Umbopa an. Nach vielen gefährlichen Abenteuern in Wildnis und Wüste erreichen sie „Shebas Brüste“, einen Doppelgipfel im Sulimangebirge. Auf einem Hochplateau finden die erschöpften Reisenden eine seit Jahrhunderten von der übrigen Welt abgeschnittene Oase auf: Dies ist der Platz, dem Salomon seinen sagenhaften Reichtum verdankte!

Doch die Minen sind nicht unbewacht. Das Volk der Kukuanas hütet sie. Der grausame König Twala und sein sadistischer Sohn Scragga führen ein Schreckensregime. Es wird gestützt durch die gefürchtete Hexe Gagool, von der es heißt, sie sei unsterblich. Quatermain und seine Gefährten können und wollen das Unrecht nicht dulden. Sie fordern Gerechtigkeit – und stellen entsetzt fest, dass sie einen Bürgerkrieg entfachen, der das ganze Kukuana-Land ins Verderben zu reißen droht …

Abenteuer in einer Welt der weißen Flecken

Wenn es eine Liste klassischer Abenteuerromane aufzustellen gilt, die sich um die Reise in ein von der Geschichte vergessenes, fernes Land ranken, wird „König Salomons Diamanten“ (neben „Die verlorene Welt“ von Arthur Conan Doyle und „Caprona – Das vergessene Land“ von Edgar Rice Burroughs) immer ganz oben zu finden sein. Die Handlungselemente sind gut erprobt und funktionieren eigentlich immer: Eine Gruppe wagemutiger Männer (Damen müssen zu Hause bleiben; wir schreiben das 19. Jahrhundert) unternimmt eine Expedition in ein fernes Land. Das ist an sich aufregend genug, aber die Gefahr wird gesteigert, weil man am Ziel auf eine „verlorene Welt“ stößt, die von einer „lost race“ – Steinzeitmenschen, Wikinger, schwarze Krieger – bewohnt wird.

Haggard verzichtet auf Dinosaurier und siedelt seine Geschichte in der Kulisse gewaltiger Relikte einer großartigen, aber vergessenen Vergangenheit an. König Salomon ist eine bekannte Gestalt des Alten Testaments, die der fromme viktorianische Leser gut einzuordnen wusste. Er vermag aus dieser Vorgabe eine spannende Geschichte zu destillieren. Sie hat ihren Reiz nicht verloren, wenn es dem Leser gelingt, sich auf ihren besonderen Stil einzulassen. „König Salomons Diamanten“ wird nicht direkt, sondern auf gewundenen Wegen erreicht. Im 19. Jahrhundert hatte man Zeit – und kein Fernsehen. Also waren umfangreiche Landschaftsbeschreibungen für einen Schriftsteller wichtig. Nur wenige Zeitgenossen hatten Südafrika selbst bereist.

Folgerichtig unterbricht Haggard die Handlung immer wieder, um auf Sehenswürdigkeiten links und rechts der Strecke hinzuweisen. Sogar Fußnoten kommen zum Einsatz, aber fremdartiger muten heute Einschübe an, die mit der eigentlichen Geschichte gar nichts zu tun zu haben scheinen. Ein ganzes Kapitel beschreibt zum Beispiel eine Elefantenjagd. Bei näherer Sicht dient es jedoch dem Zweck, uns mit gewissen Charakterzügen unserer Helden vertraut zu machen, die später von Bedeutung sein werden.

Afrika als Ort der Bewährung

„König Salomons Diamanten“ ist nach Haggards eigener Auskunft auch oder vor allem ein Roman „für die Jugend“. Die war früher offenkundig aus anderem Holz geschnitzt als heute. Der Mittelteil der Geschichte ist ein einziges Gemetzel, dem Tausende zum Opfer fallen. Auch vorher gibt es mehr als eine Gelegenheit unter Beweis zu stellen, wie ein englischer Gentleman vorbildhaft unter Wilden lebt und stirbt, wenn es sein muss.

Afrika ist für Haggard eine gedeckte Tafel, von der sich der Engländer nimmt was er sich wünscht, während die Einheimischen es ihm zu reichen haben. Es gibt kein schlechtes Gewissen, keine Gleichberechtigung, kein Umweltbewusstsein. Wenn Quatermain und seinen Gefährten nach Ablenkung zu Mute ist, greifen sie zu ihren Gewehren und schießen Großwild rudelweise ab. „Arme“ oder „prächtige“ Geschöpfe nennt Haggard die Opfer. Umgebracht werden sie trotzdem. Niemand denkt sich etwas dabei. In dieser Beziehung ist „König Salomons Diamanten“ eine historische Quelle, die das zeitgenössische Denken dokumentiert.

Versöhnt wird der politisch korrekter denkende Leser der Jetztzeit durch das Finale. Wenn im Kukuana-Land endlich Zucht und Ordnung wiederhergestellt sind, geht es an die Bergung des Schatzes. Hier stellt sich die gruselige Spannung ein, die wir mit dieser Situation verbinden, denn selbstverständlich gibt es böse Fallen und Labyrinthe, ganz zu schweigen von der grässlichen Gagool, der Haggard in Sachen Bosheit ordentlich Zucker gibt.

Männer der Tat aber mit kleinen Schwächen

Allan Quatermain zeigt sich bei seinem ersten literarischen Auftreten als interessanter und durchaus vielschichtiger Charakter. Er gilt als großer Jäger und ist berühmt, aber er selbst bildet sich nichts darauf ein. Dies ist nicht nur britisches Unterstatement, sondern die klare Erkenntnis, dass Quatermain es in seinem Leben in der Tat nicht zu viel gebracht hat. Das Geld ist knapp, allmählich lassen die Kräfte nach. Nur deshalb lässt sich Quatermain überhaupt auf ein Abenteuer ein, das er kaum überleben wird; davon ist er überzeugt. Er selbst hält sich ohnehin für eher vorsichtig, sogar feige. Auch körperlich macht er wenig her. Im offenen Zweikampf bietet er eine klägliche Figur. In Salomons Mine ist er der Einzige, der daran denkt, sich die Taschen mit Diamanten zu füllen. Kurz gesagt: Quatermain ist ein echter Held, weil er sich seiner Schwächen bewusst ist und mit ihnen leben kann.

Sir Henry Curtis und Captain Good entsprechen eher den Klischees des Abenteuerromans: der Adlige und der Soldat, zwei britische Pracht- und Kraftmenschen, die noch in der gefährlichsten Situation eine steife Oberlippe behalten und sich nicht scheuen, mit weißen Kragen in die Wildnis zu reisen, um sich dort jederzeit als Gentlemen zu präsentieren. Ihre Mission ist selbstverständlich eine edle; ein verlorener Bruder muss gefunden werden. Weder Kosten und Mühen werden gescheut, Geld spielt keine Rolle, Sir Henry besitzt es im Überfluss und trägt doch das Herz am rechten Fleck.

Schwarzer Kontinent mit ebensolchen Bewohnern

Umbopa ist eine bemerkenswert ‚emanzipierte‘ Figur. Wir merken es schnell, wenn wir ihn mit den übrigen Bewohnern Afrikas vergleichen, die Quatermain & Co. auf ihrer Reise treffen. Egal ob „Zulus“, „Hottentotten“ oder „Kaffern“ – sie sind alle Menschen zweiter Klasse. Haggard spricht dies nicht aus, das muss er gar nicht, denn es wird stets sehr deutlich. Ihm das zum Vorwurf zu machen wäre nutzlos; er hätte es nicht verstanden, hat er doch Allan Quatermain ausdrücklich anmerken lassen, er werde in dem Bericht seiner Abenteuer das Wort „Nigger“ nicht verwenden, da er schwarze Afrikaner kennen gelernt habe, die er als Gentlemen betrachte – und andererseits niederträchtige Weiße!

Im Vergleich zu vielen zeitgenössischen Autoren hält sich Haggard zurück. Dennoch kann er nicht verbergen, dass er das Kind einer imperialistischen Epoche ist, die sich als natürliche Herren der Welt betrachteten. Dies muss man sich während der Lektüre vor Augen halten. „Kann die Sonne sich mit dem Mond vermählen oder das Weiße mit dem Schwarzen?“ Natürlich nicht, so Haggard, und klar ist auch, wer das Sagen hat.

Allerdings gibt es da einen merkwürdigen Bruch. Der neue König der Kukuanas macht sehr deutlich, dass er in seinem Land keine land- und goldgierigen Weißen zu sehen wünscht. Kommen sie trotzdem, droht er mit offenem Widerstand. Quatermain lässt dies unkommentiert stehen, obwohl er zuvor mehr als einmal ‚frechen Negern‘ über den Mund gefahren ist. Genannter König ist kein Dummkopf, er hat den kolonialen Alltag kennen gelernt, und Quatermain ist ehrlich genug, seinem Urteil zuzustimmen.

Autor

Henry Rider Haggard wurde 1856 in West Bradenham Hall (Norfolk) als achter Sohn eines Juristen geboren. Die Familie hielt Henry für geistig träge, in seine Erziehung wurde nicht viel investiert. Glücklicherweise gab es das britische Kolonialreich. In der Ferne konnte jeder junge Mann sein Glück suchen. Haggard ging 1875 nach Natal (Südafrika), wo er als Sekretär für Sir Henry Bulwer, Gouverneur dieser Kolonie, arbeitete. Zwei Jahre später wechselte er in die Kolonialverwaltung nach Transvaal. In dieser Zeit reiste er viel und lernte Land und Leute kennen.

Haggard erwarb eine Farm in Transvaal, die er mit seiner 1880 in England geheirateten Gattin Mariana bewirtschaftete. Der Burenkrieg vertrieb das Paar aus Afrika. Nur halbherzig schlug Haggard in England eine juristische Laufbahn ein; lieber wollte er Schriftsteller werden. Seine ersten beiden Werke („Dawn“ und „The Witch’s Tale“, beide 1884) konnten freilich kein Aufsehen erregen.

1883 erschien „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson. Haggard hielt nicht viel von diesem Buch, war aber von seinem Erfolg beeindruckt. Mit seinem Bruder wettete er, eine bessere Geschichte zu Stande zu bringen. Binnen sechs Wochen entstand „King Solomon’s Mines“. Haggard war sein erster Bestseller gelungen. Mit „She – A History of Adventure“ (1886, dt. „Sie“) und „Allan Quatermain“ (1887), die den Helden aus „King Solomon’s Mines“ zurückkehren ließen, konnte er seinen Triumph wiederholen.

Der Autor Haggard war ein Vollprofi, der gern auf bewährte Schauplätze und Personen zurückgriff. Zwar ließ er in „Allan Quatermain“ seinen Helden unklugerweise sterben, holte ihn aber später immer wieder für weitere Abenteuer zurück. Haggard brachte mindestens ein neues Abenteuergarn pro Jahr auf den Buchmarkt und bediente alle Genres.

Trotz seines bemerkenswerten Arbeitspensums etablierte sich Haggard als Experte für landwirtschaftliche und soziale Aufgaben in England sowie als Fachmann für koloniale Fragen. Für seine Dienste wurde er 1912 geadelt und 1919 zum „Knight Commander of the British Empire“ erhoben. Am 14. Mai 1925 ist Sir Henry Rider Haggard gestorben.

Taschenbuch: 317 Seiten
Originaltitel: King Solomon’s Mine (London : Cassell, Petter, Galpin & Company 1885)
Übersetzung: Volker H. Schmied
http://www.randomhouse.de/heyne

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