William Hope Hodgson – Das Haus an der Grenze

hodgson-haus-grenze-cover-festa-kleinEin Einsiedler sieht sein Haus von dämonischen Schweinewesen belagert. Er bekämpft die Kreaturen und gerät dabei auf eine Reise durch Zeit und Raum … – Eigentümlicher Roman und ein Klassiker der angelsächsischen Phantastik; während die Handlungsführung fahrig ist, mischt sich stimmungsvoller Grusel mit reizvoll Rätselhaftem, wobei Metaphysik und Naturwissenschaft eine zumindest literarisch funktionierende Synthese eingehen.

Das geschieht:

In einer abgelegenen Gegend Westirlands steht ein verrufenes Haus, das der Teufel selbst errichtet haben soll. Für diese Theorie der Einheimischen gibt es Gründe, denn der Eigentümer, ein verschrobener Einzelgänger, sieht sich von bösartigen, gänzlich unirdischen Schweinewesen belagert. Als er diese knapp zurückgeschlagen hat, verwandelt sich das Haus selbst in ein Portal, durch das sein Bewohner auf eine fantastische Reise durch Zeit und Raum gerissen wird.

Er erlebt eine sich über Jahrmillionen erstreckende Vision vom allmählichen Ende der Erde und des Sonnensystems, bereist als Geistwesen fremde Dimensionen, trifft seine verstorbene Geliebte wieder und entdeckt dabei immer neue Hinweise darauf, dass am Anfang und Ende allen Seins offenbar das verfluchte Haus steht. Nach seiner Rückkehr in die Gegenwart bieten die rätselhaften Mächte der Finsternis einen weiteren furchtbaren Gegner gegen ihn auf, dem er sich zum aussichtslosen Kampf stellen muss …

Keine einfache Gruselgeschichte

Nur wenige Romane, Novellen und vor allem Kurzgeschichten hat William Hope Hodgson während seiner allzu kurzen Schriftstellerkarriere verfasst. Sie gehören zu den großen Werken der angelsächsischen Phantastik. „Das Haus an der Grenze“ ist eine außergewöhnliche Mischung aus Horror, Abenteuer, Fantasy und Science Fiction, wobei die meisten Genres zum Zeitpunkt der Niederschrift noch nicht einmal so bezeichnet wurden.

Man ist erstaunt, wie viele Elemente der Handlung in späteren Romanen und Erzählungen wiederkehren. Ähnlich wie der ungleich bekanntere H. G. Wells gehört auch Hodgson zu den vielen Vätern der SF. Er hat die astronomische Fachliteratur seiner Zeit offensichtlich genau studiert. Die Reise durch das gegenwärtige und zukünftige Sonnensystem weist aus wissenschaftlicher Sicht freilich gewisse Alterserscheinungen auf, um es vorsichtig auszudrücken, aber das wird mehr als wettgemacht durch die Wortgewalt, mit der sie der Verfasser in Szene setzt.

Seine ‚Außerirdischen‘ lässt Hodgson im Ambiente der viktorianischen Gruselliteratur auftreten. Zwanzig Jahre später hätte er sie möglicherweise schon viel vertrauter im Stil der „Pulp“-Magazine gestaltet, denn er war ein Schriftsteller, dem der Publikumserfolg am Herzen (und an der Geldbörse) lag.

Keine simple, weil komplexe, intensive und buchstäblich mitreißende Lektüre bietet „Das Haus an der Grenze“ auch heute noch. Mit dokumentarischer Präzision und poetischer Eindringlichkeit gleichzeitig entführt Hodgson in Raum und Zeit. Er zeigt sich dabei als Visionär, dessen Bilder kraftvoll und einprägsam sind. Dabei verlangt er viel Aufmerksamkeit vom Leser. Als die Welt in fernster Zukunft buchstäblich untergeht, sich alle bekannten Strukturen auflösen und verändern, gilt es Wort für Wort zu studieren.

Reizvoll unfertige Albtraum-Vision

Seine besondere Anziehungskraft zieht „Das Haus an der Grenze“ aus seiner eigentümlichen Struktur. Die Geschichte des stets namenlos bleibenden Einsiedlers wird uns als Tagebuchaufzeichnung verkauft, die zwei Reisende viele Jahre nach dem Geschehen in den Ruinen des Teufelshauses finden und später an W. H. Hodgson weitergeben, der sie herausgibt (und dabei mit einigen Kommentaren versieht). Sie bleibt Fragment; die Witterung hat Teile der Chronik zerstört. Vor allem aber berichtet der Erzähler nur. Er interpretiert selten, weil er selbst die Zusammenhänge niemals begreift. Wieso gibt es auf einem fremden Planeten ein exaktes Duplikat des Hauses? Wer hat es aus welchen Gründen gebaut? Woher kommen die Schweinewesen wirklich? Frage reiht sich an Frage, aber meist bleibt die Antwort aus.

Erstaunlicherweise stört das ebenso wenig wie die fast völlige Abwesenheit von Action. ‚Logische‘ Erklärungen sind der Tod mancher phantastischen Erzählung. Lässt man dem Leser den Raum für eigene Lösungsversuche, bezieht man ihn ein und steigert die Faszination, zumal man sich nie gänzlich sicher sein kann, ob man richtig liegt. Auf der anderen Seite kann und soll nicht geleugnet werden, dass „Das Haus an der Grenze“ und die längeren Arbeiten Hodgsons generell sämtlich recht episodisch wirken; der Mann wollte oder konnte offensichtlich keine roten Fäden legen. Die Entscheidung obliegt letztlich wieder dem Leser.

W. H. Hodgson wird in seiner englischen Heimat als großer Erzähler in Ehren gehalten. Seine Werke wurden inzwischen fast vollständig ins Netz gestellt und lassen sich auf diese Weise leicht im Originalton lesen. „Das Haus an der Grenze“ ist z. B. unter http://eserver.org/fiction/borderland zu finden. Die Lektüre verrät die Herausforderung, vor welche der deutsche Übersetzer gestellt wurde. Er hat seine Arbeit gut gemacht und balanciert behutsam zwischen dem eigentümlich altmodischen Tonfall, den Hodgson seinem ältlichen, im Stil des späten 18. Jahrhunderts schreibenden Protagonisten unterlegt, und dem Duktus der Gegenwart, der vor allem den jüngeren Lesern dieses nicht einfache aber fesselnde Werk näher bringen kann.

Autor

William Hope Hodgson wurde am 15. November 1877 in Blackmore End, Essex, England, als eines von zwölf Kindern geboren. Sein Elternhaus verließ er früh, um zur Handelsmarine zu gehen. Zwischen 1891 und 1904 fuhr er zur See, konnte sich aber nie an die Brutalitäten und Ungerechtigkeiten an Bord, den Schmutz oder die Gefahren gewöhnen. So musterte er ab und eröffnete in Blackburn nahe Liverpool ein Studio für Bodybuilder. Das Geschäft lief schlecht, aber Hodgson schrieb viele Artikel über seine Arbeit und begann über eine Karriere als Schriftsteller nachzudenken. Seine Jahre auf den Weltmeeren lieferten ihm genug Stoff für phantastische Seespukgeschichten. Mit „A Tropical Horror“ debütierte Hodgson 1905 in „The Grand Magazine“.

1907 folgte der Episoden-Roman „The Boats of the ,Glen Carrig‘“ (dt. in „Stimme in der Nacht“, Suhrkamp Taschenbuch Nr. 749/64, neu aufgelegt als Nr. 2709/340), ein erstes längeres Werk. 1908 erschien „The House on the Borderland“, mit dem Hodgson bewies, dass er auch auf dem trockenen Land Angst & Schrecken zu verbreiten wusste. „Carnacki the Ghost Finder“ betrat die literarische Bühne 1910. Zwei Jahre später erschien Hodgsons episches Hauptwerk: „The Night Land“, eine Geschichte aus fernster Zukunft, die viele brillante Stimmungsbilder aus „The House on the Borderland“ aufgreift und vertieft (sowie leider auch breittritt).

Hodgson heiratete 1913 und zog mit seiner Gattin nach Südfrankreich. Er schrieb nur noch wenig. Bei Kriegsausbruch 1914 ging er nach England zurück und wurde als Offizier der Royal Field Artillery zugeteilt. Eine schwere Kopfverletzung auf dem Schlachtfeld überlebte er knapp und kehrte an die Front zurück. Hier traf ihn am 17. April 1918 ein deutsches Artilleriegeschoss. Er war sofort tot.

Der recht kritische H. P. Lovecraft (1890-1937) rühmte Hodgsons Idee des „kosmischen Schreckens“ und ließ sich für die eigene Cthulhu-Saga inspirieren. Wäre Hodgson ein längeres Leben vergönnt gewesen, hätte er vielleicht wie Lovecraft Bezüge zwischen seinen literarischen Welten hergestellt und einen Kosmos mit eigenen Regeln geschaffen. Ansätze dazu finden wir z. B. in den mysteriösen Schweinewesen, die auch dem „Geisterfinder“ Carnacki, den Hodgson in einer ganzen Serie von Kurzgeschichten auftreten ließ, zu schaffen machen.

Paperback: 174 Seiten
Originaltitel: The House on the Borderland (London : Chapman & Hall 1908)
Übersetzer: Michael Siefener
http://www.festa-verlag.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)