William Hope Hodgson – Carnacki, der Geisterdetektiv

Vollständige Sammlung der neun Kurzgeschichten um den „Geisterdetektiv“ Carnacki, mit dem William Hope Hodgson (1877-1918) einen der ersten der noch heute in der Phantastik beliebten Erforscher übernatürlicher Phänomene bzw. ‚Ghostbuster‘ schuf. Die Storys sind spannend und angemessen gruselig, die Übersetzung ist ausgezeichnet, und als ‚Features‘ gibt es eine alte, weiterhin zutreffende Hodgson-Wertung durch H. P. Lovecraft sowie eine moderne, vorzügliche Einschätzung der Carnacki-Storys: elementarer Horror für die Leser klassischer Gruselgeschichten.

Inhalt:

– Der unsichtbare Wächter (The Thing Invisible), S. 7-42: In der Kapelle eines alten Landhauses sorgt ein verfluchter Dolch für nächtlichen Schrecken und Körperverletzungen. Carnacki wagt sich an den Ort des Grauens und deckt sowohl ein historisches Rätsel als auch eine Familientragödie auf.

– Die Tür nach drüben (The Gateway of the Monster), S. 43-74: Um ein verfluchtes Familienerbstück hat sich aus fremddimensionaler Essenz ein groteskes Ungeheuer geformt, das auf unvorsichtige Besucher lauert; aktuell ist dies Geisterdetektiv Carnacki, dem im entscheidenden Konfrontationsmoment ein lebensgefährlicher Fehler unterläuft.

– Das Haus im Lorbeerdickicht (The House Among the Laurels), S. 75-102: Blut tropft von der Decke und macht deutlich, dass es in diesem Haus umgeht. Mit einigen mutigen Gefährten will Carnacki das Geheimnis lüften, was ihm nach erschreckenden Vorfällen mit unerwartetem Ergebnis gelingt.

– Das pfeifende Zimmer (The Whistling Room), S. 103-130: In einer alten irischen Burg hat sich eine dämonische Macht so fest eingenistet, dass Carnacki das gesamte Instrumentarium seiner Abwehrmittel einsetzen muss, um dem heimtückischen und gemeingefährlichen Spuk ein Ende zu bereiten.

– Unerwünschter Besuch (The Searcher of the End House), S. 131-170: Dieses Mal sucht ein Spuk ausgerechnet das Haus von Carnackis Mutter heim. Der Vermieter gibt ungern preis, dass hier einst ein spurlos verschwundener Schmuggler logierte, und nächtlich entdeckt Carnacki die geisterhaften Gestalten einer Frau und eines Kindes, was den Ereignissen eine neue Richtung gibt.

– Das Geisterpferd (The Horse of the Invisible), S. 171-208: Mary Higgins wird vom Familienfluch heimgesucht. Carnacki eilt zur Hilfe und deckt eine sehr irdische Verschwörung auf, doch dahinter kommt echter Spuk zum Vorschein.

– Der Spuk auf der Jarvee (The Haunted ‚Jarvee‘), S. 209-236: Dieses Schiff ist verflucht. Selbst Carnacki, den Kapitän Thompson, an Bord bittet, kann sein schreckliches Ende nicht verhindern, aber immerhin erklären.

– Der Fund (The Find), S. 237-250: Als Fachmann für historische Geheimnisse weiß Carnacki Rat, als in einem Londoner Museum die mysteriöse Kopie eines berüchtigten Manuskriptes auftaucht, das einst am Hofe der Königin Elizabeth I. für Aufsehen sorgte.

– Der Schweinefürst (The Hog), S. 251-317: Jene Schutzschicht, die unsere Welt von wahrlich fremden Dimensionen trennt, ist um den unglücklichen Mr. Bains zu dünn geworden. Eine finstere Wesenheit, mit der sich Carnacki einen Kampf auf Leben und Tod liefert, hat es auf seine Seele abgesehen.

– H. P. Lovecraft: Das unheimliche Werk von William Hope Hodgson, S. 318-321

– Mark Valentine: Gegen den Abgrund: Carnacki the Ghost-Finder, S. 322-335

– Originaltitel, S. 336

Geisterspuk als ‚naturwissenschaftliches‘ Phänomen

Der „Geisterdetektiv“ Thomas Carnacki geht als ein früher Anhänger von Sigmund Freud und C. G. Jung das Übernatürliche streng wissenschaftlich bzw. deduktiv an. Damit wird er zu einem Sherlock Holmes des Übernatürlichen, verschmäht aber auch die alten Meister der Magie nicht, die er indes als Repräsentanten inzwischen vergessenen Wissens, nicht aber als Zauberer oder Alchimisten betrachtet. Als Mann des 20. Jahrhunderts zieht Carnacki nicht nur mit Bannsprüchen und Amuletten, sondern auch mit Mikrofon und Fotoapparat in die Geisterschlacht. Modernstes Geisterspür- und Abwehrgerät, entwickelt auf der Basis aktueller Erkenntnisse der Physik und anderer Naturwissenschaften, trägt er im Gepäck. Besonders sein elektrisch beleuchtetes Pentagramm bleibt dem Leser im Gedächtnis.

Wobei die Mischung aus Tradition und Moderne keineswegs lächerlich wirkt, denn Carnacki bekommt es nicht mit den Gespenstern bekannter Machart zu tun. Rächende Leichen und andere Untote glänzen durch Abwesenheit, Carnacki jagt größeres Wild. Neben der Gegenwart, wie wir sie kennen, existieren andere Welten. Damit ist nicht zwangsläufig das Jenseits als Reich des Todes gemeint. Carnacki setzt überaus fortschrittlich die Mehrdimensionalität des Universums voraus. Dort, wo die Grenzen manchmal brüchig werden, besuchen uns fremde Wesenheiten, die unter den Menschen partout nichts zu suchen haben und vertrieben werden müssen. Das ist Carnackis Job.

Sein Werdegang bleibt denkbar vage. Carnacki ist ein freundlicher, aber gleichzeitig distanzierter Mensch, der höchstens im Zusammenhang mit seinen Schilderungen spannender Geisterjagden Persönliches einfließen lässt. Seine (auch sonst bemerkenswert lethargischen) Freunde, denen er im Rahmen geselliger Abende Bericht erstattet, akzeptieren widerspruchsfrei Carnackis Zurückhaltung, die ohnehin den zeitgenössischen „Gentleman“ auszeichnet, der für seinen Lebensunterhalt nicht arbeiten muss, sondern wie nebenbei als gebildeter Dilettant brilliert. Ein Honorar für geleistete Dienste erwähnt Carnacki jedenfalls nie.

Das Prinzip des kosmischen Schreckens

Mit seinen Carnacki-Storys wildert Hodgson eigentlich auf dem Feld der Science Fiction. Dies sticht nicht direkt ins Auge, weil er seine ‚Außerirdischen‘ im Ambiente der klassischen englischen Gruselliteratur auftreten lässt. Zwanzig Jahre später hätte Hodgson seine kosmischen Wesen vermutlich zugänglicher im Stil der „Pulp“-Magazine gestaltet; er war ein Schriftsteller, dem der Publikumserfolg am Herzen (und an der Geldbörse) lag.

Der kritische H. P. Lovecraft (1890-1937) rühmte Hodgsons Idee des „kosmischen Schreckens“. Den hatte auch er in einer eigenen Variante – der Cthulhu-Saga – entwickelt. Hodgsons deutlich früher entstandenen Storys lernte Lovecraft erst 1934 kennen und schätzen. Wäre Hodgson ein längeres Leben vergönnt gewesen, hätte er vielleicht wie Lovecraft Bezüge zwischen seinen literarischen Welten hergestellt und einen Kosmos mit eigenen Regeln geschaffen.

Ansätze dazu finden wir z. B. in Gestalt der mysteriösen Schweinewesen, die nicht nur Carnacki zu schaffen machen. In Hodgsons Roman „The House on the Borderland“ (1908; dt. „Das Haus an der Grenze“) treten sie ebenfalls als zwar bösartige, aber vor allem fremde Wesen in die Handlung. Der Idee von der ‚Durchlässigkeit‘ der Realität, die Carnacki in „Spuk auf der Jarvee“ – einer erst postum veröffentlichten Story – entwickelte, bediente sich Hodgson auch 1909 in seinem hervorragenden Werk „Ghost Pirates“ (dt. „Geisterpiraten“).

Die Kunst der unheimlichen Atmosphäre

Manchem heutigen Leser mögen die Carnacki-Storys ereignisarm und umständlich geschrieben erscheinen. Vor mehr als einem Jahrhundert definierte man Spannung anders; sie wurde geweckt und entwickelt, bis sie ihren Höhepunkt erreichte, was aus heutiger Sicht (zu) lange dauert. Spannung stellt sich jedoch weiterhin ein, wenn man dies berücksichtigt und sich auf Zeit und Stil einlässt. Dabei hilft, dass die Stimmung nicht gelitten hat: Hodgson war sicherlich kein Autor, der Action-Szenen schreiben konnte oder wollte. Dafür hatte er einen ausgeprägten Sinn für das Unheimliche bzw. Fremdartige, das er stimmungsvoll heraufbeschwören konnte.

Carnacki ist der „Geisterdetektiv“, doch er ist auch oder vor allem Wissenschaftler und deshalb offen für alle Erklärungsmöglichkeiten. Deshalb geht er nicht zwangsläufig von übernatürlichen Ursachen aus. Diese Objektivität gehört zu seinem Wesen, was sich in dieser Sammlung widerspiegelt: Keineswegs stecken immer Geister hinter dem ‚Spuk‘, gegen den man Carnacki alarmiert hat. Wie sich zeigt, beobachtet man den Detektiv auch dann gern bei der Arbeit, wenn er scheinbar Irreales als menschliches Blendwerk entlarvt und abschließend erklärt, wie die Illusion entstehen konnte.

Obwohl Carnacki gern und ausführlich erläutert, beansprucht er keineswegs, sämtliche Fragen beantworten zu können. Mehrfach gibt er ausdrücklich zu, Antworten schuldig bleiben zu müssen. Hodgson vermeidet hier klug allzu ernüchternde ‚Fakten‘ und fesselt sein Publikum geschickt mit einem nur lückenhaften Bild jenseitiger Sphären, die auf diese Weise gebührend fremd bleiben.

Eine Lücke wird geschlossen

W. H. Hodgson gehört zu den großen Klassikern der Phantastik. Auch in Deutschland erschienen seine wichtigsten Werke zwischen 1970 und 1987 gut (wenn auch recht geschraubt) übersetzt in drei Bänden im Suhrkamp-Verlag, „Das Haus an der Grenze“ wurde schon 2004 vom Festa-Verlag veröffentlicht. Die Carnacki-Storys sollten folgen, doch die Sammlung wurde aus dem Programm gestrichen, weil sie in einem anderen Verlag erschien.

Mehr als ein Jahrzehnt später kommen die Carnacki-Storys doch als Festa-Buch heraus – schön gedruckt, fest gebunden, mit einem Lesebändchen versehen und vor allem ausgezeichnet übersetzt. Zwei hervorragend ausgesuchte Nachwörter ergänzen die Erzählungen und verorten sie (literatur-) geschichtlich. Schon erwähnt wurde H. P. Lovecrafts kurzer aber informativer Überblick, der ergänzt wird durch einen inhaltlich erstklassigen Text des Hodgson-Experten (und Autors) Mark Valentine.

Auf diese Weise dürfte bzw. sollte Carnacki, der Geisterdetektiv, auch im 21. Jahrhundert ein Publikum finden, das generell den atmosphärestarken Grusel dem Stumpf-Splatter vorzieht und mit dieser Sammlung garantiert finden wird, was es schätzt.

Autor

William Hope Hodgson wurde am 15. November 1877 in Blackmore End, Essex, England, als eines von zwölf Kindern geboren. Sein Elternhaus verließ er früh, um zur Handelsmarine zu gehen. Zwischen 1891 und 1904 fuhr er zur See, konnte sich aber nie an die Brutalitäten und Ungerechtigkeiten an Bord, den Schmutz oder die Gefahren gewöhnen. So musterte er ab und eröffnete in Blackburn nahe Liverpool ein Studio für Bodybuilder. Das Geschäft lief schlecht, aber Hodgson schrieb viele Artikel über seine Arbeit und begann über eine Karriere als Schriftsteller nachzudenken. Seine Jahre auf den Weltmeeren lieferten ihm genug Stoff für phantastische Seespukgeschichten. Mit „A Tropical Horror“ debütierte Hodgson 1905 in „The Grand Magazine“.

1907 folgte der Episoden-Roman „The Boats of the ,Glen Carrig‘“, ein erstes längeres Werk. 1908 erschien „The House on the Borderland“, mit dem Hodgson bewies, dass er auch auf dem trockenen Land Angst und Schrecken zu verbreiten wusste. „Carnacki the Ghost Finder“ betrat die literarische Bühne 1910. Zwei Jahre später erschien Hodgsons episches Hauptwerk: „The Night Land“, eine Geschichte aus fernster Zukunft, die viele brillante Stimmungsbilder aus „The House on the Borderland“ aufgreift und vertieft (sowie leider auch breittritt).

Hodgson heiratete 1913 und zog mit seiner Gattin nach Südfrankreich. Er schrieb nur noch wenig. Bei Kriegsausbruch 1914 ging er nach England zurück und wurde als Offizier der Royal Field Artillery zugeteilt. Eine schwere Kopfverletzung auf dem Schlachtfeld überlebte er knapp und kehrte an die Front zurück. Hier traf ihn am 17. (oder 19.) April 1918 ein deutsches Artilleriegeschoss. Er war sofort tot.

Gebunden: 336 Seiten
Originaltitel: Carnacki the Ghost-Finder (Sauk City/Wisconsin : Mycroft & Moran/Arkham House 1947)
Übersetzung: Jürgen Martin (Nachwörter: Michael Siefener)
www.festa-verlag.de

E-Book: 1596 KB
ISBN-13: 978-3-86552-436-2
www.festa-verlag.de

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