Saul David – Die größten Fehlschläge der Militärgeschichte

Vom Teutoburger Wald bis zur Operation Desert Storm

Von der Schlacht im Teutoburger Wald bis zur Operation Desert Storm gab es zahlreiche militärische Fehlschläge. Vielfach kam es dabei zu schweren Verlusten an Menschenleben, etwa durch die Niederlage in Stalingrad oder durch den Fall der britischen Festung Singapur. „Politiker und militärische Befehlshaber tragen in Kriegszeiten eine hohe Verantwortung – der kleinste Fehler kann fatale Konsequenzen haben.

Der Militärhistoriker Saul David hat 2000 Jahre Kriegsgeschichte untersucht und die Ursachen und Folgen von Fehlentscheidungen analysiert. (…) In diesem Band sind seine 30 Fallstudien versammelt, die Geschichtslektionen der anderen Art bereithalten. Sie zeigen auf eindringliche Weise auf, wie unberechenbar der menschliche Faktor gerade in der Kriegssituation bleibt, wo Inkompetenz, Eitelkeit oder Leichtsinn oft über Leben und Tod entscheiden.“ (bearbeitete Verlagsinfo)

Es ist kein Zufall, dass viele dieser Fehlentscheidungen in Filmen oder Romanen dramatisch verarbeitet wurden: Stalingrad, die Varus-Schlacht, El Alamein, Custers letztes Gefecht, der Angriff der Leichten Brigade und viele mehr.

Der Autor

Saul David (* 1966 in Monmouth, Wales) ist ein britischer Militärhistoriker und Rundfunkjournalist sowie Autor historischer Romane. In Großbritannien ist er einem größeren Publikum durch häufige Auftritte in Fernseh- und Hörfunksendungen bekannt, bei denen er als Moderator oder Experte überwiegend Themen aus der Militär- und Imperialgeschichte Großbritanniens behandelt. (Quelle: Wikipedia.de)

Das Titelbild zeigt den Brand von Moskau, den die Bewohner 1812 selbst entzündeten, um Napoleons Truppen weder Winterquartier noch Lebensmittelvorräte zu überlassen.

INHALTE

1) Unfähige Kommandeure

Elphey Bey und der Rückzug von Kabul 1842
Lord Raglan und der Angriff der Leichten Brigade (Okt. 1854)
McClellan am Antietam Creek (17.9.1862)
General Warren und die Schlacht um den Spion Kop (Südafrika, 24.1.1900)
General Stopfords Scheitern and der Suvla-Bucht (Gallipoli, Dardanellen, August 1915)
General Percival und der Fall von Singapur (Februar 1942)

2) Katastrophale Pläne

Der Jameson Raid in Südafrika (29.1.1896)
Colenso (15.12.1899, Südafrika)
Der erste Tag an der Somme (1.7.1916)
Das Dieppe-Desaster (19.8.1942)
Das Fiasko von Arnheim (September 1944)
Bravo Two Zero (22.1.1991, Irak)

3) Einmischung von Politikern

Die Schlacht am Bannockburn, Schottland (23./24. Juni 1314)
Die Katastrophe von Sedan (bis 1. September 1870)
Saint-Valéry (12. Juni 1940, Kanalküste)
Nordafrika 1940/41 (September 1940 bis April 1941)
Stalingrad (1942/43)
Goose Green, Falkland-Inseln (Mai 1982)

4) Übertriebenes Selbstvertrauen

Teutoburger Wald: Varus-Schlacht (9 n.Chr.)
Der Zweite Kreuzzug (1147)
Custers letztes Gefecht am Little Bighorn (25. Juni 1876)
Isandhlwana, Südafrika (Zulu-Krieg, 22.1.1879)
Am Fluss Yalu, Korea (November 1950)
Dien Bien Phu, Vietnam (1954)

5) Truppenversagen

Crécy (Hundertjähriger Krieg; 26. August 1346)
Caporetto (Istrien, 24. Oktober 1917)
Die Kaiserschlacht, Flandern (21. März 1918)
Anual (Ost-Marokko, 22. Juli 1921)
Kreta (Mai 1941)
Am Kasserine-Pass, Tunesien (14. Februar 1943)

Mein Eindruck

Die Struktur

Der Aufbau jedes Kapitels ist stets gleich. Am Anfang wird die These des Autors aufgestellt, warum es zu diesem oder jenem Fehlschlag kam. Es ist also eine Kurzfassung des Resümees und dient dazu, den Leser neugierig zu machen. Dieses Vorgehen funktioniert überraschend gut, denn selbst so wohlbekannte Schlachten wie Varus-Schlacht oder Stalingrad werden dadurch in einem neuen Blickwinkel gezeigt. Danach folgt die eingehende Schilderung der vorausgehenden, meist verhängnisvollen Entwicklung bis zum Eintreten der Katastrophe.

Die Schilderung der Schlacht selbst zieht sich meist etwas hin, denn man kennt ja schon ihren Ausgang. Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, streut der Autor nicht nur eine Lageskizze samt Schlachtverlauf ein, sondern steuert auch eine Anekdote bei. Diese ist in einen auffälligen Textkasten eingezwängt. Die Anekdote beleuchtet die menschlich-allzumenschlichen Erfahrungen der Beteiligten, seien sie nun Überlebende oder ferne Beobachter. Die Reaktionen reichen von blankem Entsetzen bis zu amüsanten Aspekten wie etwa Feierlichkeiten und unverhofftes Wiedersehen.

Die Auswahl

Unfähige Kommandeure gab es zu allen Zeiten, sicherlich schon vor Varus. Doch mit zunehmender Mechanisierung der Kriegshandlungen wuchs die Zahl der Opfer, die ihre Unfähigkeit forderte. Als auch noch Politiker wie Churchill, Mussolini und Hitler eingriffen, stieg die Zahl der Opfer exponentiell an. In Stalingrad starben auf beiden Seiten Hunderttausende von Soldaten, in den Gefangenenlagern kamen weitere Hunderttausende ums Leben.

Varus zeichnete sich durch übertriebenes Selbstvertrauen aus, für das er einen hohen Preis zahlen musste: Er verlor mindestens zwei Legionen. Auch Custers Untergang am Little Bighorn ist auf seine Arroganz gegenüber den schwach geglaubten Eingeborenen zurückzuführen – aber auch auf seinen Verzicht auf Unterstützung durch eigene Truppen. Custers wollte die Ehre der Schlacht alleine einheimsen.

Die Erwähnung von nicht weniger als vier Auseinandersetzungen in Südafrika, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (inkl. 1900) stattfanden, führt dem Leser nicht nur ein selten beleuchtetes Konfliktgebiet vor Augen, sondern auch das fatale Zusammenwirken von unfähigen Befehlshabern, Politikern, Privatleuten und miesen Schlachtplänen. So besiegten 1879 die Zulus, die kein einziges Gewehr besaßen, die gut bewaffnete britische Armee bei Isandhlwana, indem sie ein ausgeklügeltes Angriffskonzept umsetzten.

Was fehlt

Natürlich fragt sich der Militärexperte augenreibend, was denn mit Waterloo passiert ist. Warum wird die berühmte Niederlage Napoleons hier nicht aufgeführt? Erstens kann man sie nicht gerade als katastrophalen Fehlschlag bezeichnen, denn auf beiden Seiten kämpften alle Waffengattungen nach Plan und meist mit Bravour. Das Glück war mit den Alliierten, so dass Napoleon am Abend nach der Schlacht überhastet abreiste.

Zweitens wäre Waterloo die sechste Erwähnung des Kriegsgebiets Flandern/Nordfrankreich gewesen, was einem Fünftel der 30 Kapitel entsprochen hätte. Dieses Übergewicht wäre durch nichts zu rechtfertigen gewesen, denn woanders tobten ja genauso viele Schlachten. Von einem Proporz kann man indes auch nicht reden, denn es wurden doch sehr ausgefallene Kriegsgebiete wie etwa Istrien oder Ost-Marokko ausgewählt.

Aus dem Altertum wird nur die Varus-Schlacht erwähnt, denn sie ist relativ gut dokumentiert (durch Tacitus & Co.). Über andere berühmte Schlachten wie etwa Gaugamela (Persien), Philippi (Griechenland) und Gergovia (Gallien) liegen nur unzureichende oder einseitige Berichte vor, so dass oft nicht klar ist, wen denn nun die Schuld an Sieg oder Niederlage mit Berechtigung trifft. Soll man sich wirklich nur auf Julius Caesars Bericht verlassen? Wohl nicht, denn nachweislich hat der erfolgreichste Epileptiker aller Zeiten immer wieder geflunkert.

Es ist beruhigend, dass der Autor Saul David sich immer wieder auf verlässliches Material aus Militärarchiven gestützt hat. Überall dort, wo eine Lageskizze beigefügt ist, darf man von einer einwandfreien Faktenlage ausgehen. Wegen des Publikationsdatum 1997 darf man keine Erwähnung des dritten Irakkriegs 2002 erwarten.

Anhänge

Die drei Anhänge umfassen eine Bibliografie zur „Ergänzenden Lektüre“, Bildunterschriften zu den zahlreichen Lageskizzen und Schlachtplänen sowie das wertvolle Stichwortverzeichnis, das hier als „Register“ bezeichnet wird.

Die Lageskizzen und Schlachtpläne sind häufig den meisten Auseinandersetzungen beigefügt, allerdings nicht in jedem Fall. Ich würde schätzen, dass 9 von 10 Schlachten eine Lageskizze aufweisen. Für Stalingrad eine Schlachtskizze anzufertigen wäre sinnlos gewesen, denn die Straßenkämpfe zogen sich monatelang hin. Von Truppenbewegungen kann man in diesem Fall wohl kaum sprechen. Immerhin aber zeigt eine Karte die Vorstöße der Wehrmacht, bis sie schließlich Stalingrad und den Kaukasus erreichte, hinter dem in Baku reiche Ölquellen sprudelten.

Unterm Strich

Immer wieder haben militärische Niederlagen wie etwa der Fall von Singapur 1942 weitreichende Veränderungen der Weltgeschichte zur Folge gehabt. Schon allein aus diesem Grund ist die Kenntnis des Verlaufs einer Schlacht und der Gründe für das Versagen des Angreifers von allgemeinem Interesse. Man muss kein Militär-Fan sein, um solche Schlachten interessant zu finden.

Anders verhält es sich mit Auseinandersetzungen, die fast nie erwähnt werden, wie etwa das geschehen in Ost-Marokko anno 1921. Es führte zur Vertreibung der spanischen Besatzer aus Marokko, wo sie heute nur noch zwei Exklaven halten: Ceuta und Melilla. Um solche Schlachten interessant zu finden, sollte man die fünf Ansätze des Autors unter die Lupe nehmen. Sie sollen erklären, warum es zu den größten Fehlschlägen in der Militärgeschichte kam.

Der Autor hält sich bis zuletzt zurück, bevor er auch die Truppenangehörigen selbst verantwortlich macht. Natürlich wird kein Soldat als „Feigling“ bezeichnet. Deshalb ist die Aufzahlung der Gründe für das Truppenversagen umso aufschlussreicher. Hierfür musste ich allerdings schon viel Geduld aufbringen. Meist sind dann die Lageskizzen außerordentlich komplex. Vielfach ist das Versagen der Kommunikation ein Hauptgrund für die Niederlage.

Da militärische Siege bzw. Niederlagen die Geschichte vieler Völker beeinflusst haben (und nicht immer das Wetter schuld daran war!), sorgt das Untersuchen von militär-INTERNEN Gründen doch für einige Einblicke, die man woanders nicht fände oder mühsam zusammentragen müsste. Die Druckfehler halten sich übrigens sehr in Grenzen, so dass der Lektüre nichts im Wege steht.

Taschenbuch: 400 Seiten
Originaltitel: Military Blunders, 1997
aus dem US-Englischen von Helmut Dierlamm und Karlheinz Dürr
ISBN-13: 9783453861275

www.heyne.de

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