Arthur Conan Doyle – Im Zeichen der Vier (Lesung)

Unterhaltsamer Nostalgie-Krimi in zeitgenössischer Übersetzung

Vier Jahre nach dem rätselhaften Verschwinden ihres Vaters hat Mary Morstan von einem Unbekannten ein Geschenk erhalten: eine sehr große, prächtige Perle. Jahr für Jahr hat sich das wiederholt. Doch nun, im Jahr 1888, ist sie aufgefordert worden, sich noch am selben Abend mit dem unbekannten Spender zu treffen. Sie bittet Sherlock Holmes um Hilfe. Holmes und Dr. Watson begleiten sie zum Rendezvous mit dem Unbekannten. Damit beginnt die Suche nach dem riesigen, fluchbeladenen Agra-Schatz. Eine Suche, die mit einer nächtlichen Verfolgungsjagd auf der Themse ihren gefährlichen Höhepunkt erreicht. (abgewandelte Verlagsinfo)

Dies ist der zweite Teil der Gesamtausgabe der Sherlock-Holmes-Serie, die Prof. Volker Beuhaus bei |Delta Music| herausgibt. Auf dem Titel ist als Autor ein gewisser „C. Doyle“ angegeben, nicht Arthur Conan Doyle. Das spricht nicht gerade für editorische Sorgfalt.

Der Autor

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um sein Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: [„The Lost World“ 1780 erwies sich als enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt. Schon 1913 ließ Doyle eine Fortsetzung unter dem Titel „The Poison Belt“ (dt. als „Im Giftstrom“, 1924) folgen.

_Der Sprecher_

Der Schauspieler Peter Lieck hatte an verschiedenen Theaterbühnen Deutschlands Engagements. Seit vielen Jahren ist er für den Rundfunk tätig: mit Romanlesungen, Gedichten, Hörspielen wie etwa Goethes „Dichtung und Wahrheit“, Flauberts „Erziehung des Herzens“ und Romanen von Saul Bellow. Er tritt in Köln auf der Bühne auf, macht noch szenische Lesungen von Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“. Auf der Rückseite des Hörbuchalbums ist sein Foto abgedruckt.

Zu Regie und Tonmeister liefert das Hörbuch keine Angaben.

Handlung

Die Chronologie der Ereignisse wird in der berühmten Erzählung bzw. im Hörbuch ziemlich verschachtelt und häppchenweise vorgelegt. Daher versuche ich, ein wenig Licht in diesen Dschungel zu bringen, ohne das Meiste zu verraten.

Es waren einmal zwei dicke Freunde, die als Gefängnisaufseher auf den anglo-indischen Andamanen-Inseln arbeiteten: Sholto und Morstan. Durch glückliche Umstände gelangten sie in den Besitz eines großen Schatzes, den sie sich brüderlich teilen wollten. Doch es kam alles ganz anders …

Am 18. April 1882 kehrt Bartholomew Sholto vom Studium in sein Elternhaus Pondycherry Lodge in der Nähe von London zurück. Sein Zwillingsbruder Thaddeus ist froh, ihn wiederzusehen, denn in letzter Zeit leidet ihr Vater an einem beunruhigenden Verfolgungswahn. Er hat zwei Preisboxer als Leibwächter eingestellt, nachdem er Eindringlinge am Fenster gesehen habe. Insbesondere Einbeinige lasse er verfolgen. Da bringt der Butler einen Brief aus Indien, der Major Sholto in Angst und Schrecken versetzt: Eine Gruppe, die sich „Das Zeichen der Vier“ nennt, hat darin gedroht, sich das, was er geraubt habe, zurückzuholen und ihn für seinen Verrat zu bestrafen. Er erleidet einen Schwächeanfall, flüstert noch ein paar letzte Worte von einem „Schatz“ und einer Mary Morstan – und gibt den Löffel ab.

1888, sechs Jahre später.

Eben jene Mary Morstan besucht Sherlock Holmes und Dr. John Watson, einen jungen mittellosen Militärarzt, in Holmes‘ Büro in London, Baker Street 221B. Holmes hat sich mal wieder eine seiner, wie Watson sagen würde, „entsetzlichen“ Kokainspritzen gesetzt und ist folglich bester Laune. Diese hebt sich noch viel mehr angesichts des wunderschönen Geschöpfes, das durch seine Tür tritt. Denn im Gegensatz zu manchen Darstellungen in gewissen Filmen ist Holmes kein Griesgram, sondern ein weltzugewandter Genießer, dem nichts lieber ist als eine Herausforderung seiner formidablen geisten Fähigkeiten. Nach Zeiten mentalen Hungers bietet Mary Morstan ihm nun eine leckere Geistes-Mahlzeit: ein Rätsel!

Die Ärmste schlägt sich seit dem Verschwinden ihres Vaters im Jahre 1878 als Gesellschafterin bei Mrs. Cecil Forrester durch, doch seit 1882 erhält sie von einem unbekannten Gönner alljährlich eine wunderschöne Perle geschickt, so dass sich ihr Lebensstandard ein wenig gehoben hat.

Watson und Holmes, die ihre daraus gefertigte Halskette in Augenschein nehmen dürfen, sind völlig von den Socken: edelste Ware, no doubt! Aber deswegen ist Miss Mary nicht hier. Sie hat eine Einladung zu einem geheimen Treffen erhalten. Sie dürfe zwei Freunde, aber keinerlei Polizeibeamte mitbringen. Ob die beiden Herren wohl so nett wären?

Und ob sie wären! Vorsichtshalber nimmt Holmes aber seinen zuverlässigen Revolver mit. Ein Kutscher sammelt sie am Treffpunkt auf und fährt sie in die schlechteren Viertel Süd-Londons. Als ein Inder sie in das Haus einlässt, staunen alle Bauklötze: ein veritabler Palast wie aus dem Orient. Wem gehört die noble Hütte? Es ist Thaddeus Sholto und er hat eine lange Geschichte zu erzählen.

Doch als sie in Pondicherry Lodge eintreffen, um Mary den ihr rechtmäßig zustehenden Schatz zu zeigen, kommen sie zu spät. Jemand ist ihnen zuvorgekommen, was dem armen Bartholomew gar nicht gut bekommen ist: In seinem Hals steckt ein Dorn mit einem tödlichen Gift …

Doch wie konnte der Täter in einen komplett abgeschlossenen Raum eindringen und – vor allem – wieder entkommen? Holmes stellt sich endlich das ersehnte Rätsel: ein klassisches |locked room mystery|!

Mein Eindruck

Natürlich ist es von diesem bis zur Ergreifung der Täter noch ein weiter Weg. Und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass sich auch das Anhören der restlichen Handlung lohnt. Die Gehörgänge kommen voll auf ihre Kosten – siehe meine Abschnitte „Musik“ und „Geräusche“. Endlich erfahren wir am Schluss auch, wie alles begann, irgendwo am anderen Ende des Empires, als ein unvorsichtiger Kaufmann seinem Kollegen etwas von einem Schatz zuflüsterte.

Natürlich ist eine Schatzjagd immer ein netter Aufhänger für eine flotte Story, und umso mehr für das viktorianische Publikum, das das angesehene „Strand Magazine“ las, in dem Doyle seine Storys veröffentlichen konnte. Abenteuer, Gefahr, ein waschechter Kannibale – beim Jupiter! Es gibt genügend Unterhaltsames in der Story, um einen Roman daraus zu spinnen.

Doch Doyle lässt auch eine gewisse Kritik an den erschreckenden Zuständen auf den Gefängnisinseln eben dieses British Empires einfließen. Die Schlussrede des Täters ist voller Anklagen, die offenbar allesamt gerechtfertigt sind. Er stellt sich natürlich selbst als Opfer hin, aber es war sicher nicht ungewöhnlich, dass britische Aufseher wie Sholto und Morstan den ihnen ausgelieferten Häftlingen sämtliche Habseligkeiten abnahmen, die sie besaßen. Und dazu gehörte eben auch die Information über den Schatz in der Stadt Agra, wo das Tadsch Mahal steht.

Die Gier nach dem Gold ist das ausschlaggebende Thema hinter der ganzen Schatzsuche. Und bevor die Truhe geöffnet wird, fragt sich vielleicht der eine oder andere Zuhörer, ob der Schatz nicht besser drin bleiben sollte als noch mehr Menschen ins Unglück zu stürzen, beispielsweise die liebliche Miss Morstan …

Der Sprecher

Man merkt es dem Sprecher Peter Lieck deutlich an, dass er sowohl Bühnen- als auch Rundfunkerfahrung hat: Er spricht sehr deutlich, macht Pausen zwischen und in den Sätzen, so dass Bedeutungseinheiten klar hervorgehoben werden. Über weniger wichtigen Text wie etwa einen Zeitungsartikel fliegt er schnell hinweg, eben genau so, wie man den Text selber lesen würde.

Dies ist aber nur die eine Seite seiner Kunst. Natürlich sind auch die zahlreich auftretenden Figuren auf eine Weise zu charakterisieren, dass sie der Hörer unterscheiden kann, und zwar jederzeit. Das geht am besten anhand ihrer Stimmhöhe und Sprechweise. Dr. Watson, der Ich-Erzähler, nimmt die Stelle des zweifelnden gesunden Menschenverstandes gegenüber Holmes ein, welcher ein getriebener Junkie der Vernunftarbeit zu sein scheint. Watson, der Gemütsmensch, entwickelt aufgrund seiner Menschlichkeit rasch Beschützergefühle für die liebliche und furchtsam und sanft sprechende Mary Marston.

Während diese beiden Männer einen solides Fundament der zweigeteilten Erkenntnis – reiner Geist (Holmes) und verständiges Gefühl (Watson) – bilden, so stehen ihnen durchweg relativ labile Figuren gegenüber. Da wäre zum einen natürlich der arme Thaddäus Sholto, dessen Bruder sich erhängt. Sholto wird mit einer recht hohen Stimme gesprochen und befleißigt sich einer fast schon greinenden Sprechweise, so wie eben ein alter, hilf- und ratloser Mann angesichts schrecklicher Ereignisse zu sprechen geneigt ist.

Sholtos genaues Gegenteil, aber ebenso wenig verlässlich, ist der brave Scotland-Yard-Inspektor Ethelney Jones. Er kommt brummig und kurzatmig daher, wischt alle anderen Meinungen kurzerhand beiseite und führt sich ganz allgemein auf wie der Elefant im Porzellanladen. Erst als ihm der ratzfatz festgenommene Th. Sholto ein hieb- und stichfestes Alibi vorlegen kann, kommt Jones ins Schwimmen und Schwitzen. Er bittet ein wenig kleinlaut und verlegen den „beratenden“ Detektiv Holmes um Mithilfe in diesem „überaus kniffligen“ Fall. Man kann ihn sich lebhaft als kauzigen Eigenbrötler vorstellen.

Natürlich gibt es nicht nur hilflose Frauen und unausgeglichene Männer, sondern auch robuste Kerle von echtem Schrot und Korn in dieser Geschichte. Da wäre zunächst McMurdo, der Hausdiener von B. Sholto, der zunächst niemandem Einlass gewähren will, doch beim Anblick von Sherlock Holmes sofort auftaut: Er hat Holmes beim Boxen kennen gelernt!

Zudem ist auch der Besitzer des formidablen Spürhundes Toby, ein gewisser Taxidermist namens Sherman, ebenfalls ein Bursche aus dem Volk, der weiß, was ein abgerichteter Hund anrichten kann. Auch hier wirkt der Name „Sherlock Holmes“ ein Wunder. Ganz anders hingegen Jonathan Small. Obwohl ein Mann aus dem Volk und ein rechter Kerl, ist mit ihm nicht gut Kirschen essen: Er ist der Drahtzieher der Attacken „im Zeichen der Vier“. Seine Stimme ist ebenfalls männlich tief, doch seine Ausdrucksweise lässt sehr an Kultiviertheit zu wünschen übrig.

Unterm Strich

„Das Zeichen der Vier“ ist eine recht gelungene Umsetzung der klassischen Holmes-Erzählung. Die Story ist, wie nicht anders zu erwarten, einigermaßen spannend, witzig und bis zum Schluss straff inszeniert. Aber es gibt doch einige Längen, die darauf zurückzuführen sind, dass diese Fassung den ungekürzten Text bietet. Und dies auch noch in der Erstübersetzung aus dem 19. Jahrhundert!

Hinzu kommen ein Schuss Romantik (Watson & Morstan – ob das wohl klappt?) und eine Menge erfrischende Ironie an den richtigen Stellen. Holmes‘ Auftritt in Verkleidung, die sowohl Dr. Watson als auch Inspektor Jones täuscht, ist sicher ein Highlight der verblüffenden Effekte, und humorvolle Szenen halten das Zwerchfell auf Trab.

Aber um ehrlich zu sein, hat mir bislang die dramatisch-humorvolle Hörspiel-Inszenierung von |Titania Medien| am besten von allen Hörbuch-Ausgaben dieser Erzählung gefallen.

CD: 300 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3865381156

www.deltamusic.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)