Jennifer Heck – Bis der letzte Vorhang fällt

Inhalt:
Schulabbrecher, Dieb, Gangmitglied – Tony sieht sehr wenige Perspektiven für seine Zukunft. Er ist gerade mit seiner Gang auf Streifzug, als ihm Scott das erste Mal begegnet – Scott, der so laut lacht, als würde die gesamte Welt mit ihm lachen. Unweigerlich fühlt Tony sich zu dem lebenslustigen Musicaldarsteller hingezogen. Dabei weiß er nur zu genau, dass es nicht lange dauern wird, bis die Theaterwelt und das Gangleben miteinander kollidieren. (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

„Bis der letzte Vorhang fällt“ handelt von zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Tony und Scott kommen aus verschieden situierten Familien, leben völlig unterschiedliche Leben und haben fast schon entgegengesetzte Charaktere. Während Tony eher schüchtern wirkt, wenig redet und viel flucht, ist Scott ein lebensfroher junger Mann, selbstbewusst und immer mit einem Lächeln auf den Lippen unterwegs. Das Leben in einer Gang und das als Musicaldarsteller haben absolut nichts miteinander gemein. Schnell stellt sich dem Leser also die Frage, was für Gemeinsamkeiten Tony und Scott wohl haben und wie sich eine Liebe zwischen ihnen entwickeln soll. Die Antwort ist leicht: mit Kreativität. Denn diese setzt nicht nur die Autorin ein, sondern auch Tony und Scott verbindet sie, wodurch auch die Fantasie des Lesers angeregt wird.

Der Roman behandelt eine eigentlich nicht ungewöhnliche Liebesgeschichte zweier verschiedener Charaktere. Dennoch weiß er mit ein paar Dingen zu überraschen. Zum einen hatte ich nicht damit gerechnet, dass das Buch in der Ich-Perspektive verfasst sein würde. Das kam unerwartet, entpuppte sich aber als äußerst interessant. Indem die Geschichte aus Tonys Sicht geschrieben ist und dieser Mann mit seinem Gang-Leben und seiner Vergangenheit ordentliche Probleme hat, wird sie direkt viel spannender. Auch in emotionaler Hinsicht punktet die Ich-Perspektive, da sich der Leser sofort in Tony hineinversetzt und mit ihm leidet und fühlt. Auch auf Scotts Seite gibt es jedoch eine kleine Überraschung. Für gewöhnlich sind die Hauptcharaktere in Büchern immer besonders gutaussehend. Gerade auch Homosexuelle werden meist als schlank, groß, muskulös und gut gepflegt dargestellt. Scott hingegen wird als dick bezeichnet, wenngleich er dennoch hübsch und sympathisch zu sein scheint. Dass Jennifer Heck nicht zwei perfekte Menschen kreiert hat, sondern beide Charaktere Macken haben – Scott äußerlich, Tony charakterlich -, ist der Autorin hoch anzurechnen und lässt das Lesen direkt interessanter werden.

Dass Tony praktisch sofort von Scott fasziniert ist, kam mir im ersten Moment etwas unglaubwürdig vor. Allerdings ist es ja tatsächlich so, dass eine Person jemanden treffen oder auch nur sehen kann und dieser Begegnung tage- oder wochenlang gedanklich hinterherhängt. Insofern ist es absolut nicht unglaubwürdig, sondern vielmehr nachvollziehbar und menschlich, dass Tony einen Narren an Scott gefressen hat, aber nicht genau versteht, wieso. Da Tony gegenüber Scott etwas Dummes getan hatte, ist es gar nicht so leicht, herauszufinden, was er für Scott übrig hat… und andersherum. Die Gewissensbisse sind groß und dennoch lässt sich Tony auf den Musicaldarsteller ein, was auf echt süße Art geschieht. Aber hat Tony überhaupt einen Berührungspunkt zu Musicals, für die Scott brennt? Und wie wird Scott reagieren, wenn er je die Wahrheit über ihr Kennenlernen herausfinden sollte? Vor allem Letzteres ist ein Thema, das Tony immer wieder in den Sinn kommt. Es bleibt spannend, ob er je den Mut haben wird, Scott über alles aufzuklären.

Ich für meinen Teil liebe Bücher, aus denen der Leser etwas mitnehmen kann. „Bis der letzte Vorhang fällt“ dreht sich um Ehrlichkeit, denn in gewisser Weise ist erst mit ihr der letzte Vorhang gefallen. Darüber hinaus spricht Jennifer Heck aber auch viele Kleinigkeiten an, die sich ein Leser durchaus merken kann. Tony wird zum Beispiel von seinen Freunden manchmal scherzhaft als „Schwuchtel“ bezeichnet, was er überhaupt nicht mag. Selbst wenn Beleidigungen im Spaß verwendet werden, sollte man immer darauf achten, wie der Angesprochene reagiert, denn wenn diese Person das nicht mag, sind es trotz allem nur Beleidigungen. Daneben werden am Rande auch Themen wie „Black Lives Matter“ und der Brexit angesprochen, auch wenn sie nicht näher behandelt wurden, was der Sache keinen Abklang tut.

Neugierde weckt diese Geschichte vor allem, weil die Welt des Musicals auf die des Ganglebens trifft, was an sich nichts miteinander zu tun hat. Es geht um Tricks von Dieben – die sich der Leser durchaus einprägen kann, um nicht leichtsinnig zu werden -, aber zum Beispiel auch um Shakespeare. Gleichzeitig geht es auch um Familie – die leibliche, aber auch die, die man sich in gewisser Weise aussucht. Ob die Familie einem jedoch guttut, ist eine ganz andere Frage. Eine, mit der auch Tony zu kämpfen hat, dessen Eltern schon lange geschieden sind und dessen neue Familie immer mehr in krumme Deals verwickelt wird.

Was mir wirklich gut gefallen hat, ist die Tatsache, dass es keine Dreiecksbeziehung gibt. Es gibt zwar Skinner, zu dem Tony durchaus eine besondere Beziehung hat. Allerdings mischt er sich gefühlsmäßig insoweit nicht groß ein, als dass es um die Beziehung zwischen Tony und Scott geht. Einflüsse von außen sind also nur bedingt vorhanden, wodurch es eher um die Gefühlswelt der Protagonisten, insbesondere um Tonys geht. Dass trotz allem Probleme auftreten, braucht wohl nicht erwähnt zu werden. Etwas Anderes ist auch kaum zu erwarten, da Tony und Scott zwei Freidenker ganz unterschiedlicher Art sind. Und dennoch sind sie so süß, dass der Leser ihnen nur das Beste wünschen kann.

Die Autorin:

Jennifer Heck ist in einer kleinen Stadt bei Karlsruhe aufgewachsen und schon seit ihrer Kindheit haben Bücher sie fasziniert – nicht nur die Geschichten in ihnen, sondern auch wie sie entstehen. Denn das musste ja bedeuten, dass irgendwo ein Mensch an einem Schreibtisch sitzt, Wort an Wort reiht, und den Geschichten auf diese Weise Leben einhaucht. Das wollte sie auch tun. Und so begann sie bereits während ihrer Schulzeit die ersten eigenen Geschichten aufzuschreiben, die schnell zu ganzen Büchern heranwuchsen.

Wenn sie nicht gerade lesend in ihrem Ohrensessel sitzt, malt sie bunte Acrylbilder oder lässt sich bei Spaziergängen in der Natur zu fantasievollen Geschichten inspirieren. Die Sehnsucht treibt sie regelmäßig ans Meer oder in die Stadt London, an die sie ihr Herz verloren hat. Dort liebt sie vor allem das West End mit seinen schillernden Musicals, die sie auch zu dem Roman „Bis der letzte Vorhang fällt“ inspiriert haben. (Verlagsinfo)

Fazit:
„Bis der letzte Vorhang fällt“ ist ein tolles Buch, das wahnsinnig spannend geschrieben ist. Auch wenn manche Dinge vorhersehbar sind, macht es das Buch nicht weniger gut. Jennifer Heck schafft es, positive Ereignisse emotional rüberzubringen, sodass sich auch der Leser gut fühlt… doch genauso gelingt es ihr, das Leid der Charaktere zu transportieren. Der Leser erwartet den großen Krach und weiß, dass er irgendwann kommt, und dennoch bleibt es dramatisch. Ich habe beim Lesen geweint, weil ich so sehr mit den Charakteren mitfühlen konnte. Hier kommt die Ich-Perspektive den Emotionen entsprechend zugute.

Trotz der auch negativen Emotionen konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen. Ich wurde regelrecht in die Geschichte reingesogen und wollte immer weiter lesen. Wenn ich etwas zu bemängeln habe, dann ist es die Kürze des Buches. 260 Seiten sind der Geschichte zwar angemessen, aber ich hätte so gerne noch mehr über Scott und Tony gelesen und erfahren. Trotz der Kürze sind mir die beiden sehr ans Herz gewachsen.

Insgesamt also ein wirklich gutes Buch, das ich nur wärmstens empfehlen kann! Gerade wenn sich der Leser für Musicals und Theater interessiert, wird er sich über „Bis der letzte Vorhang fällt“ freuen. Die Protagonisten sind charakterlich weder total kalt und hart noch weich und ständig am Heulen. Jennifer Heck hat die perfekte Mischung gefunden, die es so spannend und gleichzeitig so real und menschlich macht.

Ein kleiner Tipp oder eher eine Warnung am Rande: Ein Nebencharakter lässt gerne spanische Begriffe einfließen. Für jemanden, der Spanisch versteht, ist das kein Problem und sogar irgendwie sehr erfrischend. Jedoch kann ich mir vorstellen, dass es für Personen, die des Spanischen nicht mächtig sind, an der einen oder anderen Stelle verwirrend sein kann… Andererseits flucht der Spanier meist ohnehin nur in seiner Muttersprache, also benötigt der Leser gar nicht so tiefe Spanisch-Kenntnisse. Selbst ohne ist alles zu verstehen und insbesondere die Gefühle werden trotzdem hervorragend transportiert.

Taschenbuch: 260 Seiten
ISBN-13: 978-3959494007

www.main-verlag.de

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