John Grisham – Camino Island / Das Original

Katz-und-Maus-Spiel zwischen Erotik und Buchhandel

In einer spektakulären Aktion werden die handgeschriebenen Manuskripte von F. Scott Fitzgerald aus der Bibliothek der Universität Princeton gestohlen. Eine Beute von unschätzbarem Wert. Das FBI übernimmt die Ermittlungen, und binnen weniger Tage kommt es zu ersten Festnahmen. Ein Täter aber bleibt wie vom Erdboden verschluckt und mit ihm die wertvollen Schriften. Doch endlich gibt es eine heiße Spur. Sie führt nach Florida, in die Buchhandlung von Bruce Cable, der seine Hände allerdings in Unschuld wäscht.

Und so heuert das Ermittlungsteam eine junge Autorin an, die sich gegen eine großzügige Vergütung in das Leben des Buchhändlers einschleichen soll. Doch die Ermittler haben die Rechnung ohne Bruce Cable gemacht, der überaus findig sein ganz eigenes Spiel mit ihnen treibt… (Verlagsinfo)

Der Autor

John Grisham hat bislang 31 Romane, ein Sachbuch, einen Erzählband und sechs Jugendbücher veröffentlicht. Seine Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt und viele davon verfilmt („Das Netz“, „Die Firma“). Er lebt in Virginia.

Handlung

Der Coup

Eine Gruppe von vier Verbrechern und ihrem Hacker gelingt es, in das Archiv der Princeton University in New Jersey einzudringen. Während ein falscher Alarm die Polizei und Feuerwehr nach einem Amokschützen suchen lässt, räumen drei der Gauner das Archiv für Manuskripte und Raritäten, das Mr. Brown leitet, aus. Wie man später, als sich die Lage beruhigt hat und die Cops einen Überblick gewinnen, feststellt, fehlen nur die fünf Kästen, in denen sich die Originalmanuskripte von F. Scott Fitzgeralds fünf Romanen befinden. Für Princeton sind sie von unschätzbarem Wert, aber versichert wurde jedes Original mit 4 Mio. US-Dollar.

Brown erwartet die übliche Lösegeldforderung, doch die Gangster melden sich nicht. Aber sie haben einen winzigen Fehler begangen. Ein einziger Blutstropfen, den eine Spurensicherungsmitarbeiterin auf einer Treppe entdeckt, verrät Geschlecht, Alter und Hautfarbe des Besitzers dieser DNA. Das herbeigerufene FBI spürt die DNA in seiner Datenbank auf, legt sich in Neuengland auf die Lauer und schnappt diesen Mann ebenso wie seinen Komplizen. Die anderen drei tauchen sofort unter, als die Nachricht den Weg in die Zeitungen findet. Der Hacker flüchtet rechtzeitig nach Europa, Nummer vier landet tot in einem See und nur einer hält in Amerika, genauer: Panama, die Stellung, um auf ruhigere Zeiten zu warten.

Der Buchhändler

Bruce Cable ist ein Selfmademan, der seinen Buchladen auf Camino Island von der Pike auf zu einer der führenden Stationen Lesetourneen herausragender Autoren wie Stephen King gemacht hat. Das dreistöckige Gebäude (plus Keller) enthält ein Café, in dem sich Leseratten die Zeit vertreiben können. Und solche Leseratten gibt es auf Camino Island jede Menge. Etliche sind ihrerseits Schriftsteller, aber so mancher interessiert sich auch für die Abteilung für seltene Bücher, die Cable im hinteren Teile des Gebäudes eingerichtet hat. Sie vermuten (zu Recht), dass Cable mit alten Erstausgaben mehr verdient als mit preislich herabgesetzten Neuausgaben.

Was aber alle wissen, ist die Tatsache, dass das Haus seiner „Frau“ Noelle gleich nebenan liegt. Sie hat ein altes Haus renoviert und zu einer doppelstöckigen Ausstellung für alte provenzalische Möbel ausgebaut. Fast jeden Sommer reist sie nach Avignon, um ihren langjährigen Lover Jean-Luc zu treffen, von dem sie Bruce Cable gleich als erstes erzählt hat. Noelle und Bruce führen eine offene Ehe. Bruce hat natürlich auch seine Geliebten, meist Autorinnen auf Lesereise. Ein nettes amouröses Arrangement, von dem alle profitieren.

Die Versicherung

Die Versicherung hat ihre Ermittlungsabteilung in Marsch gesetzt, um nach Gatsby und seinen Freunden, wie die Originale genannt werden, zu fahnden. Elaine Greer ist eine solche Detektivin. Nachdem sie Bruce Cable als möglichen Abnehmer der Originale unter die Lupe genommen hat, setzt sie ihn auf die Liste der Verdächtigen. Um an ihn heranzukommen und herauszufinden, ob er die Originale in einem klimatisierten Tresorraum hortet, braucht Elaine einen Maulwurf. Ihre Wahl fällt auf Mercer Mann.

Der Maulwurf

Mercer befindet sich in einer prekären Lebenslage. Unverheiratet, ohne Kinder, bereits über dreißig Jahre alt, mit zwei erfolglosen Büchern hinter sich, findet sie sich neuerdings auf die Straße gesetzt. Ihr College, wo sie Literatur lehrte, muss sparen. Wie ein Geschenk des Himmels muss es ihr daher scheinen, dass Elaine Greer ihr anbietet, die 61.000 Dollar Schulden, die Mercer noch an Studiengebühren schuldet, zu übernehmen – und einen Bonus für den Rest des Jobs.

Welcher Job? Elaine weist darauf hin, dass Mercer früher stets die Sommerferien bei ihrer Großmutter Tessa auf Camino Island in Florida verbrachte. Das Sommerhaus steht heute noch und regelmäßig kommt die Brut von Connie, Mercers Schwester, dorthin zu Besuch, um den 4. Juli zu feiern. Dort könnte Mercer doch an ihrem nächsten Buch arbeiten, nicht wahr? Und gleichzeitig einem gewissen Bruce Cable auf den Zahn fühlen, der möglicherweise fünf der berühmtesten Buchmanuskripte der Welt versteckt hält.

Camino Island

Nach einer anfänglichen Ablehnung sagt Mercer dann doch zu. Nach einem Besuch bei ihrer dementen Mutter in Memphis zieht sie ins Sommerhaus ihrer Oma Tessa. Schmerzhafte, aber auch selige Erinnerungen prägen ihre Träume. Denn Tessa verschwand vor Jahren von Bord eines Bootes, das gerade einen Sturm abritt. Der Bootsbesitzer lebt immer noch in Santa Rosa, dem Hauptort der Insel. Nachdem sie Sommer, Sonne, Strand genossen hat, stößt sie auf Elaine. Zeit, etwas für ihren Lohn zu arbeiten.

Ein Frontalangriff auf Bruce Cable kommt nicht infrage – viel zu verdächtig. Stattdessen erhält Mercer zwei hilfreiche Dinge hintereinander: erstens einen Kontakt zu den beiden Klatschtanten unter den Camino-Autorinnen; und zweitens drei rare Erstausgaben, die angeblich Oma Tessa der Bücherei von Memphis nie zurückgegeben hat. Drittens fädelt es Elaine ein, dass Noelles Antiquitätenvorrat von einem „neureichen Ehepaar aus Texas“ leergekauft wird und sie nach Frankreich fliegen muss, um Nachschub zu kaufen.

Der Weg ist frei für Mercer. Zu ihrem erstaunten Vergnügen findet sie Bruce Cable, die angeblichen Obergauner, mit jedem Abendessen sympathischer. Was zum Glück auf Gegenseitigkeit beruht, so dass es ihr leichtfällt, in sein Allerheiligstes vorzudringen. Ebenso wenig wie Elaine ahnt sie nicht, dass das Objekt ihrer Begierde den Spieß schon längst umgedreht hat…

Mein Eindruck

Hier treibt sich Grisham weit abseits seiner üblichen Gefilde der Justiz herum. Man muss eine ganze Weile warten, bis endlich mal ein Anwalt auftaucht, von einem Richter ganz zu schweigen. Es ist, als hätte Grisham seine übliche Formel „Suspense + Romantik“ revidiert und sie zu „Romantik plus Suspense“ umgedreht. Im Mittelpunkt steht nun die von romantischen Gefühlen und viel Humor begleitete Beziehung zwischen der Ermittlerin Mercer und dem mutmaßlichen Gauner Bruce Cable. Das sorgt besonders beim weiblichen Publikum für viel Beifall – nicht zum Schaden des Autors, der im Text selbst anmerkt, dass sieben von zehn Buchlesern weiblich seien (und das ist wahrscheinlich seit dem 18. Jahrhundert so, als der „realistische“ Roman in England erfunden wurde).

Ein Maulwurf auf Abwegen

Während die Räuber der Manuskripte sich allmählich ebenfalls an Cable heranpirschen, befindet sich Mercer bereits im innersten Zirkel des Cable-Kreises. Nun findet der Autor viele Gelegenheiten, seine eigenen Erfahrungen als Autor im Literaturbetrieb verdeckt zum besten zu geben, aber auch einige interessante Informationen zum Handel mit lukrativen Erstausgaben weiterzugeben. Viel interessanter für den weiblichen Leser ist die soziale, zwischenmenschliche Seite des Buchhandels.

Mercer kämpft sich von Abendessen zu Abendessen, von Kaffeekränzchen zu Barbesuch – und versucht dennoch krampfhaft, nüchtern zu bleiben – und keusch. Beides gelingt ihr nicht, aber auf eine so humorvoll-ironisch servierte Art und Weise, dass das Katz-und-Maus-Spiel, das Cable mit ihr treibt, keine Leserin verärgern, sondern vielmehr köstlich amüsieren wird. Das Entscheidende steht wieder mal ZWISCHEN den Zeilen Und hoffentlich auch in der Übersetzung): Dass nämlich Mercer in einen Sog der romantisch-sexuellen Anziehungskraft geraten ist, der sich metaphorisch mit ihrem Eindringen ins Allerheiligste von Cables Buchladen und Leben deckt. Wird sie sein Geheimnis entdecken, während er sie endlich ins Bett kriegt? Das soll hier nicht verraten werden.

Buch-Ideen

Dabei ist Cable keineswegs ein Schürzenjäger oder Egoist, ganz im Gegenteil: Er will Mercer zu einer Existenz als Autorin verhelfen (möglichst auf seiner Insel). Dazu liefert er ihr drei exzellente Ideen für ihr neues Buch. F. Scott Fitzgerald war mit seiner Frau Zelda zur gleichen Zeit im Paris der 20er Jahre, als dort auch Ernest Hemingway weilte (und dort Getrude Stein kennenlernte, wie ein Film von Woody Allen erzählt). Haben sie es getan oder haben sie nicht, lautet nun die Frage – Zelda und Ernest? Womöglich sogar mit Wissen Fitzgeralds.

Ernest hatte ja bekanntlich vier Frauen – da müsste es ja mit dem Teufel zugehen, wenn Mercer nicht eine Story für eine historische Romanze fände! Es ist sicher kein Zufall, dass Cable und Noelle eine gleichermaßen offene Ehe leben. Diese Idee dürfte bei bibelfesten Superchristen auf heftigen Widerspruch stoßen. Dass Mercer selbst in so eine wilde Ehe gerät, geht ihr zunächst gegen den Strich, aber sobald sie mit Cable geschlafen hat, kann sie nicht genug Sex bekommen. Der Pfuhl der fleischlichen Sünde, jaja.

Unterm Strich

Der Roman wurde deutlich gestrafft, sehr zu seinem Vorteil. Die anfängliche Action kommt fast ohne eine einzige Dialogzeile aus, ebenso das Finale in Paris – es könnte sich um einen Text von Frederick Forsyth handeln. Der entschlossene Raub und die komplizierte Rückgabe der Manuskripte sind somit wirklich nur der Aufhänger für eine Gaunerkomödie. Die ist aber wiederum der Vorwand für eine romantische Komödie, die am titelgebenden Schauplatz spielt.

Ich habe das Buch in nur wenigen tagen durchgelesen und dabei die übliche Action gar nicht vermisst. Lediglich in der Mitte, nachdem Mercer auf der Insel endlich angekommen, fragte ich mich, wohin das alles führen soll. Aber das dient der Etablierung ihres speziellen Charakters, was dem Leser hilft, ihr einigermaßen zurückhaltendes Verhalten später zu verstehen. Dass nicht sie es ist, die hier die Maus jagt, sondern ihr „Missionsziel“ Bruce vielmehr sie, merkt sie erst zu spät – und kann ihn deshalb nicht böse sein.

Anregung zum Lesen

Ganz nebenbei weckt der Roman wieder Interesse an den klassischen Autoren der amerikanischen Moderne. An Hemingway, Fitzgerald, aber auch an Amy Tan, Cormac McCarthy oder Larry McMurtry, die heute alle arriviert sind, deren erste Romane heutzutage als signierte Erstausgaben mehrere tausend Dollar wert sind. Aber nicht der finanzielle Wert macht ihre Bedeutung aus, sondern was ihrer jeweiligen Zeit zu sagen wussten – oder was die nachgeborenen noch daraus schöpfen können. Vor wenigen Jahren wurde erneut „The Great Gatsby“ verfilmt, mit Leonardo di Caprio in der Titelrolle. Die alten Geschichten scheinen die Gültigkeit ihrer Aussage zumindest für Amerika immer noch zu besitzen. Das ist natürlich eine versteckte Aufforderung an heutige aufstrebende AutorInnen, sich hinzusetzen und etwas Gültiges zu verfassen.

Offene Frage

Die Frage, die dem gewieften Krimi-Leser NICHT beantwortet wird: Wie gelang es Cable bloß, die fünf Manuskriptkästen unbemerkt vom FBI, das seinen Laden ja schon dicht verwanzt hatte, aus seinem Haus zu schmuggeln? Ein bisschen Grips muss man also schon noch mitbringen.

Englisch-Niveau

Der Leser sollte ein gutes Englisch mitbringen, das sich vor allem auf Literatur und Bücher konzentriert. Ansonsten ist der Stil bemerkenswert leichtfüßig gehalten, aber ohne dabei plump zu wirken.

Taschenbuch: 368 Seiten
Sprache: Englisch
Originaltitel: Camino Island, 2017
ISBN-13: 978-0525486176

Dell Ballantine

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