Über einer US-amerikanischen Kleinstadt fällt ‚Schnee‘ der unheimlichen Art; er ist hungrig und saugt seinen Opfern die Körperflüssigkeiten aus. Ein Reporter, seine Freundin, zwei Wissenschaftler und der skeptische Sheriff versuchen dem Vampir-Schnee den Garaus zu machen … – Was sich liest wie das Drehbuch zu einem typischen SF-B-Movie der 1950er Jahre, hat es nie auf die Leinwand geschafft; schon damals fehlte wohl das erforderliche Quäntchen Originalität. Nichtsdestotrotz ist dieser vergessene Roman erstaunlich unterhaltsam und sorgt für wohlige Trash-Stimmung.
Das geschieht:
Cainsfield ist eine Kleinstadt im neuenglischen US-Staat New Hampshire. Nach einem langen, trockenen Sommer fällt Anfang Oktober nicht etwa der ersehnte Regen. Stattdessen schneit es heftig, was u. a. David Storm, Reporter der örtlichen Zeitung „Westover Leader“, an den Schauplatz des Geschehens lockt.
Als gewissenhafter Journalist befragt er den ortsansässigen Biochemiker Professor Nathan Potter, der sich außerdem für Wetterkunde interessiert. Vor einiger Zeit hatte der Gelehrte versucht, der Dürre ein Ende zu bereiten, indem er den Himmel mit einer selbst erdachten Mischung aus Silberjodid- und Schneekristallen ‚impfte‘.
Was zunächst vor allem das Medieninteresse erregt, wird zu einer Tragödie, als im Schnee die Leiche des alten Farmers Baily entdeckt wird: Sie ist völlig ausgedörrt, als habe man ihr sämtliche Körperflüssigkeiten entzogen. Pflanzen und Tiere zeigen ähnliche Zerfallsspuren, aber auch Leder und Gummi wurden angegriffen.
Als weitere Bürger tot und entstellt aufgefunden werden, schaltet sich Sheriff McEwen ein. Natürlich bleibt auch Reporter Storm am Ball. Er hat inzwischen Karen, die hübsche Tochter des Professors, kennen- und lieben gelernt, was ihm den Weg ins Labor des Vaters ebnet. Potter Senior gibt zwar zu, seltsam stabile Schneekristalle entwickelt und heimlich am Himmel verteilt zu haben, sieht aber keinerlei Zusammenhang mit den Todesfällen.
Darin täuscht er sich. Die ‚Schneekristalle‘ können sich zu einer Art Lebewesen konzentrieren, das in der Lage ist, zielgerichtet nach ‚Nahrung‘ zu suchen – und zu jagen. Nun ist guter Rat teuer, denn die Schneefälle lassen nicht nach, sondern drohen weitere Orte zu erfassen: Der tödliche ‚Schnee‘ breitet sich aus!
Perfekte Vorlage für ein Trash-B-Movie
Sollte diese Überschrift wie eine Warnung klingen, sei sogleich Entwarnung gegeben: „Tödlicher Schnee“ ist ungeachtet der obskuren Story ein erstaunlich unterhaltsames Garn. Gesponnen hat es ein Autor, der anscheinend nur diesen Roman veröffentlichte. Trifft dies zu, hätte Richard Holden ruhig öfter aktiv werden können, denn er bringt seine Story vom verhängnisvollen gescheiterten Experiment routiniert und geschickt über die volle Distanz.
Nostalgie ist der Schlüssel, der „Tödlicher Schnee“ zum bescheidenen, aber soliden Lektüregenuss aufwertet. Sicherlich nicht grundlos läuft vor dem inneren Auge des Lesers ein Film ab. Das SF- und Horror-Kino der 1950er Jahre genießt keineswegs zu Unrecht einen guten Ruf. Kostengünstig, aber sorgfältig und meist schwarz-weiß in Szene gesetzt sowie so kurz, dass sich Langeweile nicht einstellen kann, schaut man sich Streifen wie „It Came from Outer Space („Gefahr aus dem Weltall“, 1953), „Them!“ („Formicula“, 1954), „Tarantula“ (1955) oder „The Incredible Shrinking Man“ („Die unglaubliche Geschichte des Mr. C“, 1957) trotz (bzw. gerade) wegen der überholten Spezialeffekte weiterhin gern an: Hier werden ganz naiv oder besser: ohne jeden Gedanken an ‚Filmkunst‘ spannende Geschichten gut erzählt!
Wie gesagt ist es völlig problemlos, sich „Tödlicher Schnee“ als Film vorzustellen. Tatsächlich wirkt dieser Roman bereits wie eine Drehbuchvorlage. Die Story setzt langsam ein, was dem Verfasser die Möglichkeit gibt, den Ort des Geschehens zu beschreiben und die Hauptfiguren einzuführen. Schon während dies geschieht, schiebt Holden kurze Passagen ein, in denen Unheimliches geschieht, ohne Einzelheiten zu bieten. Es bleibt bei der Andeutung, was das Interesse des Lesers erwartungsgemäß erst recht schürt.
Kleine Gruppe gegen große Gefahr
Kino-Feeling stellt sich erst recht ein, als besagte Hauptfiguren erscheinen. Da haben wir den wissbegierigen, mutigen Reporter, der sich nicht auf das Recherchieren beschränkt, sondern aktiv ins Geschehen eingreift. Dass David Storm außerdem stattlich ist, fällt einer jungen Frau auf, die nicht nur hübsch ist und gerettet werden muss, sondern auch das Töchterlein jenes „mad scientist“, der für den Todesschnee verantwortlich ist.
Nathan Potter ist allerdings nicht ‚böse‘ in dem Sinn, dass er die Büchse der Pandora absichtlich öffnet. Er hat mit hehren Zielen geforscht, dabei jedoch gegen ein in der Trivialunterhaltung ehernes Gebot verstoßen: Rühre nicht an Dingen, die den Menschen überfordern, nur weil du dazu in der Lage bist! Schon Frankenstein musste begreifen, dass zwischen Erfolg und Katastrophe ein schmaler Grat liegt. Das akzeptiert er, und diese Erkenntnis trägt es seinen Zuhörern und damit den Lesern vor. Potter schließt sich dem wortreich an. (Unbeantwortet bleibt dabei die Frage, wieso er seine kostbaren Schneezellen ‚einfach so‘ in den Himmel über Cainsfield ausstreut; wissenschaftlich ist dieses Vorgehen sicher nicht.)
Selbstverständlich finden wir auch das übliche Personal des Trivial-Grusels: den knorrigen Sheriff, der erst sehen (und dabei beinahe draufgehen) muss, bevor er glauben kann; den besten Kumpel des Helden, der ein wenig mitretten darf; den ‚anderen‘ Wissenschaftler, der sich ebenfalls ins Getümmel stürzt. Hinzu kommt allerlei Volk aus den neuenglischen Wäldern, das stark im Glauben, aber schwach im Hirn zwischen Wut und Panik schwankt.
Schnee im Angriff
Panik: Die ist ein Schlüsselwort in Schauergeschichten dieser Art. Offensichtlich laufen brave Bürger umgehend Amok, wenn man sie mit unerfreulichen Situationen konfrontiert. Geschult ist sie in diesen 1950er Jahren nur gegen eine Gefahr, die auch hier zur Sprache kommt: Stecken etwa die roten Sowjet-Teufel hinter den Meuchel-Attacken? Boshaft genug wären sie aus US-Sicht, doch nach intensivem Durchdenken müssen selbst unsere Dörfler zugeben, dass es lohnendere Ziele für den Einsatz einer Geheimwaffe gibt als ihren Winkel der Welt.
Was es ist, das Professor Potter da ebenso unbedacht wie unbeabsichtigt erst in die Laborwelt und dann in die Bergfreiheit entlassen hat, wird genregemäß erläutert, während man sich zur Vernichtung des Übels rüstet. Autor Holden stellt unter Beweis, dass er um die Bedeutung des Begriffs „Technobabble“ weiß; sogar eine chemische Formel wird genannt, um die Glaubwürdigkeit des faktisch Unmöglichen zu unterstreichen.
Es spricht für diesen Roman, dass die Bedrohung trotzdem vermittelt werden kann. Die Kreatur bleibt erfreulich fremdartig. Außerdem ist sie nicht daran interessiert, die Menschheit zu unterjochen oder die Erde zu zerstören. Tatsächlich verfügt die Kreatur nur über einen diffusen Selbsterhaltungstrieb, nicht jedoch über Verstand. Deshalb handelt Holden richtig, wenn er sich auf die Beschreibung ihres Wirkens konzentriert, statt sie buchstäblich bloßzustellen. Bis ins ebenfalls genretypische, d. h. nur scheinbar apokalyptische Finale bleibt diese Katze spannungserhaltend im Sack.
Lang ist’s her
„Tödlicher Schnee“ erschien bereits vier Jahre nach der US-Erstveröffentlichung in deutscher Übersetzung; dies freilich nicht als (Taschen-) Buch, sondern als Heftroman, der hierzulande jahrzehntelang DAS Medium für Trivialliteratur darstellte. Immerhin zählten die Hefte der kurzlebigen Serie „Abenteuer im Weltenraum“, als deren Nr. 11 „Tödlicher Schnee“ erschien, nicht die üblichen 64, sondern 96 Seiten, weshalb die Vorlage nicht gar zu sehr gekürzt werden musste.
Stattdessen stellt man erfreut fest, dass „Tödlicher Schnee“ überraschend gut übersetzt wurde. Natürlich liest sich der Text aus heutiger Sicht altmodisch, doch der Erzählfluss bleibt flüssig. Einziger echter Minuspunkt ist das reizlose, sogar abscheuliche Cover, das nach wie vor erfolgreich verbirgt, welche kleine Perle dahinter steckt. An eine Neuausgabe darf man nicht hoffen, was schade ist, denn selbst im Internet muss man intensiv suchen, bis man auf ein Kaufangebot für diesen Roman stößt.
Autor
Über Richard Cort Holden, geboren am 7. Oktober 1918 in Boston, Massachusetts, gestorben am 16. April 1984 in Wellesley, Massachusetts, gibt es im Internet kaum Informationen; es mag damit zusammenhängen, dass „Tödlicher Schnee“ offenbar seine einzige Buchveröffentlichung war.
Taschenheft: 96 Seiten
Originaltitel: Snow Fury (New York : Dodd, Mead & Company 1955)
Übersetzung: B. Jülkenbeck
Der Autor vergibt: