Justin Somper – Vampiraten 1: Der Fluch des Ozeans

Fastfood-Piraten

Ein heftiges Unwetter bringt das Segelboot der Zwillinge Grace und Connor Tempest zum Kentern. Während Connor von waschechten Piraten aufgefischt wird, landet Grace hingegen an Bord der berüchtigten Vampiraten. Connor glaubt nicht an den Tod seiner Schwester und unternimmt alles, um sie wiederzufinden. Auch Grace bangt um den verlorenen Bruder – und zunehmend um das eigene Leben. Zwar verbürgt sich ihr Retter Lorcan Furey für ihre Sicherheit, doch kann er sie vor den anderen Vampiren schützen – und vor allem: vor dem Kapitän dieses schaurigen Schiffes?

Der Autor

Justin Somper war lange Zeit als Kinderbuchlektor und PR-Manager in diversen englischen Verlagshäusern tätig, bevor er seine eigenen Bücher veröffentlichte. Momentan arbeitet er an seiner Vampiraten-Serie, deren erster Band allein in England über 50.000-mal verkauft wurde. Eines seiner Hobbys ist der Schwertkampf, was, wie er selbst sagt, den Kampfszenen in seinen Büchern zugute kommt. Mehr Infos: http://www.vampirates.co.uk.

1) Der Fluch des Ozeans (November 2006)
2) Die Flut des Schreckens (Juni 2007)
3) Tückische Tiefen (Februar 2008)
4) Kapitän des Grauens (Februar 2008)

Handlung

Die Zwillingsgeschwister Grace und Connor Tempest wachsen bei ihrem Vater in einem Leuchtturm in Neuengland auf. Wer ihre Mutter war, wissen sie nicht, denn ihr Vater hat es ihnen nie verraten. Als wichtigstes Erbstück bringt er ihnen ein Lied über die Vampiraten bei, das sie nach Jahren des Übens im Schlaf singen können. „Ich erzähl euch die Geschichte der Vampiraten, eine Geschichte, so alt wie wahr …“ Auch ein Boot vermacht er ihnen, die „Louisiana Lady“.

Doch am Tag nach Vaters Beerdigung teilt ihnen der Bankbesitzer Lachlan Busby mit, dass ihm inzwischen sowohl der Leuchtturm als auch das Boot gehören würden. Sie sind völlig mittellose Waisen, aber er würde sich freuen, sie als seine Kinder zu adoptieren. Grace und Connor, die inzwischen 14 sind und völlig eigenständig fühlen und denken, graut es bei dem Gedanken, als die Haustiere des Bankiers aufzuwachsen. Und die Leiterin des Waisenhauses, Polly Paget, würde sie nur als billige Arbeitssklaven ausnutzen. Es gibt nur einen Ausweg: Sie müssen abhauen.

Flucht

Sie klauen am Morgen, als sie Übernahme ihres Zuhauses erfolgen soll, die „Louisiana Lady“ und segeln damit in die Bucht hinaus. Doch die Götter des Wetters schicken einen mächtigen Sturm, der ihr kleines Boot zerschlägt und sie beide zu ertränken droht. Während Connor von einem Schiff waschechter Piraten aufgefischt wird, trifft es Grace weit weniger gut: Ein unheimlich leises Schiff mit merkwürdigen Segeln kommt aus dem Nebel, ein Matrose namens Lorcan Furey holt die Schiffbrüchige aus der kalten See und bringt sie in eine Kajüte. Von einer Besatzung ist seltsamerweise nichts zu sehen.

Die Piraten

Connor hat an Bord des Piratenschiffes erstmal nichts zu lachen und muss sich bewähren, so etwa durch seine große Körperkraft, durch seine Fechtkunst und den Mut, den er beim Entern von Schiffen an den Tag legt. Käptn Molucco Wrathe ist kein Unmensch und mag seine Männer, und der Matrose Bart wird Connors bester Freund. In stillen Momenten weiß Connor durch ein geistiges Band, wie es zwischen Zwillingen manchmal besteht, dass Grace lebt.

Die Vampiraten

Doch wie lange noch? Denn Grace erwacht auf einem Schiff voller Vampire, die tagsüber in ihren Kabinen (und in was auch immer) schlafen und nur des Nachts an Deck kommen. Eine besonders dazu abgestellte Frau schlägt die Schiffsglocke, um den Wechsel von Tag und Nacht anzuzeigen – sie ist tagsüber die Galionsfigur. Lorcan Furey hat Grace eingeschärft, niemals aus ihrer Kajüte zu sehen, etwa durch eine Luke, wenn sie nicht selbst gesehen werden wolle, und nie die Kajüte zu verlassen, wenn sie nicht, ähm, also, wenn ihr nichts zustoßen soll.

Doch wie neugierige junge Mädchen nun mal so sind, lugt sie aus ihrem Bullauge, als sich Lorcan lautstark mit einem anderen Vampiraten streitet, und justament in diesem Augenblick erblickt der unbekannte Mann sie. Natürlich zieht sie gleich den Vorhang vor, aber es ist bereits zu spät. Sidorio, der unzufriedene Leutnant des Kapitäns, möchte selbst Kapitän werden – und er hat immer Hunger. Einen Hunger, der über die Befriedigung leiblicher Notwendigkeiten hinausgeht, einen Hunger, der mit seelischer Grausamkeit einhergeht. Und auch wenn Lorcan und der Kapitän es ihm untersagt haben, Graces Kajüte zu betreten, so heißt das noch lange nicht, dass er es nicht kann.

Ob sich der Kapitän wohl endlich zeigt, um Grace vor Sidorio zu retten? Wir sollten nicht darauf wetten …

Mein Eindruck

Das Titelbild des Buches ist sehr schön gestaltet, inklusive einer geprägten Titelei und einem Totenkopfemblem. Etwas merkwürdig sind allerdings die roten Blitze. Das Titelbild soll offensichtlich Kinder ab zehn Jahren ansprechen, also alle, die sich für „Fluch der Karibik Teil 1 und 2“ begeistern konnten (Teil 3 ist ziemlich blutrünstig). Die Titel werden auf vielen weiteren Bänden auftauchen, die zu der Serie gehören, die der cbj-Verlag bereits vorbereitet und angekündigt hat (siehe oben).

Lustiges Volk

Die Geschichte ist so flott erzählt und die Schrift so groß gedruckt, dass ich nur wenige Stunden brauchte, um das Buch fertig zu lesen. Dabei fiel mir einiges auf, das ich so nicht erwartet hätte. Die Piraten beispielsweise sind ein recht nettes und fröhliches Völkchen, ganz anders als die miesepetrige Besatzung der „Black Pearl“. Aber schließlich sind die Matrosen der „Black Pearl“ verflucht, und die Besatzung von Molucco Wrathe ist es keineswegs. Auf diese Weise ist es für Connor nicht sonderlich schwer, sich in die Besatzung einzugliedern – solange er nicht gewisse Eigenheiten seiner Kollegen zu schwer nimmt.

Vampiraten

Grace hat hingegen das weitaus schwerere Los gezogen. Eigentlich ist sie ja nicht auf den Kopf gefallen, aber sie braucht doch eine ganze Weile, um den tödlichen Ernst der Lage, in die sie geraten ist, zu erfassen. Was hat es denn mit der Lichtscheue ihres Vertrauten Lorcan auf sich? Und warum gibt man ihr eine besondere Suppe zu essen, die sie stets so schläfrig macht? Als sie sich einmal mutig auf Erkundungstour ins Schiffsinnere begibt, begegnet ihr ein Mann, der offenbar nicht zur Besatzung gehört. Aber er sieht bleich und schwach aus – hat er denn nicht genug Blut und Tageslicht? Fragen über Fragen! Und sie hat immer noch nichts über ihre Mutter erfahren …

Zähne am Hals

Erst als der Leutnant Sidorio seine Rebellion gegen die Befehle des Kapitäns wagt, erhält sie einige Antworten. Doch diese könnten zu spät kommen, denn Sidorio ist ihr bereits ganz nah auf die Pelle gerückt. Da fällt ihr ein Mittel ein, das bislang immer geholfen hat: Sie lässt Sidorio von seinem Schicksal erzählen. Er stammt aus dem Römischen Imperium, ist also schon mehrere tausend Jahre alt. Inzwischen schreibt man das Jahr 2550, und viele Länder sind bereits unter den steigenden Weltmeeren versunken. Eine neue Piratenära ist angebrochen, aber über den Ursprung der Vampiraten und ihres Schiffes erzählt auch Sidorio nur wenig.

Dieser geschichtliche Hintergrund fehlt weitgehend, und das ist in meinen Augen das gravierende Manko an diesem ersten Band. Hoffentlich wird es noch ausgeglichen. Da das Geschehen um Connor und Grace quasi den Vordergrund bildet und der Hintergrund die Folie, vor der sie agieren, bilden sollte, entsteht der Eindruck, als ob die Zwillinge und ihre Gefährten eine Art zweidimensionales Puppenspiel aufführen. Die dritte Dimension, die geschichtliche Tiefe, fehlt nämlich fast gänzlich.

Die Wirkung ist die eines Fastfood-Häppchens, das zwar ganz gut schmeckt, solange man es im Mund hat, aber sofort wieder vergessen ist, sobald man es geschluckt hat. Es hinterlässt statt eines reichhaltigen Geschmacks einen faden Nachgeschmack, so als ob man einen Batzen Wolle gekaut habe. Hier fehlt es eindeutig an Würze und Perspektive. Ich mache vor allem die fehlende geschichtliche Leinwand dafür verantwortlich. Nur ein langes Lied zu rezitieren, reicht ebenso wenig wie die nebulöse Andeutung von gestiegenen Weltmeeren.

Unterm Strich

Die Vampiratenserie bietet schicke Fastfood-Unterhaltung ohne weiteren Tiefgang, die für Zehnjährige zwar mundgerecht zubereitet wurde, aber ältere Semester erheblich frustrieren dürfte. Die fehlende geschichtliche Tiefe, die dem Jahr 2550 und seinen Bewohnern verliehen wird, führt zu dem Eindruck, einem zweidimensionalen Puppenspiel beizuwohnen, dessen Akteure nie so richtig zum Leben erwachen.

Vielmehr scheinen bunte Schattenschablonen zu agieren, die weder Tiefe noch Innenleben besitzen. Die Piraten gemahnen an die sieben Zwerge, doch das Schiff der Vampiraten an eine Geisterbahn. Dabei sind die Vampiraten noch detaillierter ausgearbeitet als die Piraten und ihr Agieren spannender zu verfolgen. Doch auch auf diesen Bühne kommt es nicht zu ernsthaften Verwandlungen oder Zwischenfällen – ganz im Gegensatz etwa zu der Handlung von „Pirates of the Caribbean“.

Originaltitel: Vampirates – Demons of the Ocean, 2005
Taschenbuch: 319 Seiten
Aus dem Englischen von Katja Theiß
www.randomhouse.de/cbjugendbuch