Clifton Adams – Die Stunde des Todes

adams-stunde-des-todes-cover-kleinEx-Marshal Toller hat geheiratet und ist Farmer geworden. Als die Bank- und Eisenbahnräuber-Brüder Brunner das County terrorisieren, zwingt man ihn gegen seinen Willen zurück in den Dienst, obwohl die Chancen denkbar schlecht stehen … – Die nicht nur im Western-Genre beliebte Geschichte vom tapferen Mann, den sein Pflichtbewusstsein wider alle Vernunft zum Handeln zwingt, wird routiniert, ohne Pathos und spannend erzählt, wobei der Verfasser weder ein Heldenlied singt noch sich auf simple Schwarz-Weiß-Zeichnung beschränkt: schmackhaft abgehangene Lektürekost.

Das geschieht:

Reunion ist ein Städtchen in Oklahoma, das erst vor kurzem – im November 1907 – der 46. Bundesstaat der USA ist. Dank der reichen Vorkommen von Erdöl, das zu einem begehrten Bodenschatz wurde, boomt die Wirtschaft. Auch Viehzüchter und Farmer profitieren, denn Industrie und Städte wollen von ihnen versorgt werden. Problematisch sind die gewaltigen Entfernungen. Noch kann nur die Eisenbahn das Hinterland mit den Wirtschaftszentren verbinden.

Eigentlich steht Reunion als Station eines bereits geplanten Schienenstranges fest. Doch die Eisenbahngesellschaft zögert, denn in und um Reunion treiben seit geraumer Zeit die Brüder Brunner ihr Unwesen. Ike und Cal haben eine Bande gegründet, deren Mitglieder wie die berüchtigten Daltons oder Doolins vor keiner Schandtat zurückschrecken und Banken, Züge, zuletzt sogar große Frachtlager angreifen und ausrauben. Der Erfolg hat die Bande ermutigt, weshalb sie immer dreister und brutaler vorgeht.

Eigentlich müsste Sheriff Cushman die Bande verfolgen, doch der verfügt weder über Erfahrung noch Rückgrat für einen solchen Kampf. Ein besserer Kandidat wäre Owen Toller, sein Amtsvorgänger, der jedoch vor fünf Jahren abgewählt wurde. Toller ging ohne Groll, denn er hatte geheiratet, und Gattin Elisabeth ließ ihn schwören, dem gefährlichen Leben als Schurkenjäger abzuschwören. Nun ist Toller Farmer, Vater zweier Kinder und zufrieden mit seinem Dasein.

Dass die Eisenbahngesellschaft Reunion links liegen zu lassen droht, hat dort die Geschäftsleute alarmiert. Mit allen Mitteln versucht man Toller zurück in den Dienst zu zwingen. Der weigert sich lange, gibt aber schließlich nach, obwohl er weiß, dass er diese Jagd wohl nicht überleben wird …

Warum ein Mann tut, was ein Mann (angeblich) tun muss

Ein Held ist jemand, der wider besseres Wissen sein Leben für eine gute Sache riskiert. Furcht ist ihm gestattet, denn sie hemmt ihn nicht, sondern schärft seine Sinne, weshalb es ihm möglich ist, auch in der Unterzahl Strolche auszuschalten, die nicht vom Sinn für das Richtige beseelt werden; einer Kraft, der auch Bos- und Skrupellosigkeit nicht widerstehen können.

So lautet jedenfalls die Theorie. Sie klingt hehr und hoffnungsvoll und wird deshalb gern für Geschichten herangezogen, die nicht nur spannend sind, sondern auch lehrreich sein sollen. Dem jeweiligen Autor bleibt es überlassen, mit welcher Intensität er sein Anliegen vorträgt. Kluge Vertreter ihrer Zunft meiden den erhobenen Zeigefinger und verpacken die genannte Botschaft so, dass sie dem Publikum unauffällig nahegebracht wird.

Gerade im Western-Genre ist dies eine Herausforderung. Dort gelten angeblich Alltagsanforderungen, die fern aller zivilisatorischen Puffer das nackte Leben auf den Prüfstand stellen. Mit dem Pflanzstock in der einen und dem Gewehr in der anderen Hand ringen Pioniere ohne Plan B der Wildnis (inklusive der Indianer) ein Stück Land ab, das ihnen und ihren Familien das Auskommen sichern muss. Dabei sind harte Entscheidungen zu treffen und Sentimentalitäten Luxus. Gleichzeitig werden gewisse Degenerationserscheinungen der Zivilisation getilgt bzw. im täglichen Überlebenskampf ausgebrannt.

Konflikt zwischen Wollen und Müssen

Die moderne Zeit hat ihre Fühler bereits nach Reunion ausgestreckt. Davon künden Zeitgenossen wie Bankier McKeever und Sheriff Cushman. Der eine repräsentiert das Kapital bzw. den abstrakten Handel mit Geld, der keinen handfesten Gegenwert schafft und deshalb eines echten Mannes unwürdig ist, der andere ist ein Stubenhocker, dem seine Karriere über den Amtseid stellt.

Owen Toller ist nicht nur die Hauptfigur dieses Romans, sondern auch ein Symbol. Einst waren es Männer wie er, die den Wilden Westen zähmten. Nachdem dies geschehen ist, treten Geschäftsleute an seine Seite. Toller hat sich damit abgefunden, denn er hat nun ein erfülltes Privatleben. Deshalb ist er wenig geneigt, sich aus der Mottenkiste holen und wieder in den Kampf schicken zu lassen. Er ignoriert die durchsichtigen Schmeicheleien des Bankiers. Auch als der ihm den Kredit streicht, knickt Toller nicht ein. Den Ausschlag zur Meinungsänderung gibt sein eigenes Gewissen, das ihm nicht gestattet zu ignorieren, was die Brunners treiben. Aber erst als sich auch Elisabeth auf seine Seite schlägt, reitet Toller los: Die Ehefrau ist für Clifton Adams nicht klammerndes Alibi oder profilarmes Symbol für die gefährdete Familie, sondern Lebensgefährtin mit Mitspracherecht und Argumentationsspielraum.

„Die Stunde des Todes“ ist kein Heldenepos. Die Verbrecherjagd ist anstrengend, erfolglos und gefährlich, dies ist kein Räuber-&-Gendarm-Spiel. Schlechte Schützen setzen ihre Gegner mit der Schrotflinte außer Gefecht. Hinterhalte sind keineswegs verpönt, geschossen wird, bis das Gegenüber sich nicht mehr rührt. Schwere Verletzungen führen zum Tod, die nächste Arztpraxis ist mehrere Tagesritte entfernt. Eine gewisse Chance hat Toller nur, weil sich die Brunner-Bande nicht aus Gewohnheitsverbrechern zusammensetzt. Verbitterte und verarmte Farmer, deren nie offiziell dokumentierten Besitzansprüche erloschen, als Oklahoma Bundesstaat wurde, mussten ‚ihr‘ Land verlassen. Gemeinsam mit abenteuerlustigen Bauernsöhnen reiten sie mit den Brunners, um auf ihren Raubzügen Pferde, Vieh, Nahrungsmittel und Werkzeuge zu erbeuten. Sie reden sich ein, sich und ihren Familien zu nehmen, was ihnen eine ferne, gleichgültige Regierung und ihre Vertreter zu Unrecht vorenthält. Endlich sind sie keine hilflosen Opfer mehr! Dass die Brunners sie nur benutzen und ihnen hohe Geldbeuten unterschlagen, bemerken die einfach gestrickten Männer nicht, oder sie verdrängen es: Adams richtet nicht, aber er nennt die Dinge beim Namen. Armut und Not entheben nicht jeglicher Verantwortung.

Verbrechen aus Not oder Verbrechen aus Gier

Der Autor zeichnet seine Figuren mit wenigen aber prägnanten Strichen. Simple Schwarz-Weiß-Charakterisierung ist nicht sein Ding. Selbst Ike Brunner, ein Soziopath und Mörder, wird unter Adams‘ Feder kein Ungeheuer. Ike will ursprünglich reich werden, doch dann steigt ihm die Macht als Anführer zu Kopf. In einem Versteck hortet er ein Vermögen, das ihm zunehmend gleichgültiger wird. Ike will herrschen und verliert dabei Maß und Rücksicht, bis er den Bogen überspannt.

Stellvertretend durchlebt Dunc Lester jenen Prozess, der in der Erkenntnis mündet, getäuscht und instrumentalisiert worden zu sein. Der junge Mann wird von Adams als hirnfauler Hinterwäldler eingeführt. An Tollers Seite reift er in Rekordzeit zu einem Menschen heran, der gelernt hat zu denken, zu reflektieren und über den Tellerrand seiner beschränkten Welt hinauszublicken – ein Vorgang, für dessen Schilderung sich Adams Zeit nimmt, wie er überhaupt Gewalt und Tod stets zurückgenommen sowie nie folgenlos darstellt.

Das Ende ist nur bedingt happy. Toller und Dunc zeigen im Finale, dass sie dazugelernt haben: Sie manipulieren den Bankier und den Sheriff nun so geschickt, wie man es sie gelehrt hat. Toller lacht über sich, wenn er daran denkt, wie ihn der verehrte aber ebenfalls nicht selbstlose Richter Lochland mit einem Vortrag über wahres Heldentum in die Schlacht gegen die Brunners locken wollte: „Aber so ist es wohl immer gewesen – einige wenige Männer mit Kraft und Wagemut waren bereit, im kritischen Moment in die Bresche zu springen, obwohl es nur selten ihre Aufgabe war.“ (S. 42/43) Auf solche schönen aber sinnarmen Worte wird er nicht mehr hereinfallen! Anders als Will Kane in „High Noon“ (dt. „12 Uhr mittags“) wirft Toller den Bürgern von Reunion, die ihm nicht seinen Frieden lassen wollten, den Sheriffstern nicht voller Verachtung vor die Füße; er legt ihn „behutsam“ (S. 174) auf Will Cushmans Schreibtisch, bevor er sich empfiehlt. Die Geste ist dennoch deutlich: Owen Toller nimmt unwiderruflich seinen Abschied als Gesetzeshüter bzw. Ausputzer! Große Worte liegen ihm = dem stillen (Anti-) Helden ebenso wenig wie entsprechende Gesten.

Clifton Adams gelingt es mit einfachen, klaren Worten nicht nur eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern auch komplexe Stimmungsbilder und Beschreibungen einer kaum berührten und wunderschönen aber lebensfeindlichen Landschaft zu schafften, die das Geschehen eindrucksvoll und pathosfrei unterstreichen und abrunden.

Autor

Clifton Adams wurde 1919 in Comanche, Oklahoma, geboren. Ein Studienversuch an der University of Oklahoma Business School in Norman folgte bald die Erkenntnis, dass sich Adams lieber als professioneller Schriftsteller versuchen wollte. Der II. Weltkrieg, eine Ehe und die Gründung einer Familie ließen ihn jedoch davon Abstand nehmen, bis er es ab 1950 erneut und ernsthaft mit dem Schreiben versuchte.

Adams verfasste Western, die bei Kritik und Publikum gut ankamen. Außerdem schrieb er als „Jonathan Gant“ in den 1950er Jahren einige Kriminalromane. Ein weiteres Pseudonym – wieder für Western – war „Clay Randall“. Adams verfasste außerdem 125 Artikel für die „Saturday Evening Post“, das „American Legion Magazine“, „Argosy“ u. a. Publikationen.

Gleich in zwei aufeinander folgenden Jahren (1969 und 1970) wurde Adams der „Spur Award“ der „Western Writers of America“ verliehen. Am 7. Oktober 1971 erlitt der Schriftsteller in San Francisco einen Herzanfall und starb im Alter von nur 52 Jahren.

Taschenbuch: 174 Seiten
Originaltitel: Law of the Trigger (New York : Fawcett Publications 1956)
Übersetzung: Otto Kühn

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)