Hammesfahr, Petra – Schatten, Der

Einst war Stella Helling eine glückliche Frau: Als Filmproduzentin feierte sie große Erfolge und mit dem Polizeikommissar Heiner heiratete sie ihre große Liebe. Doch wenige Jahre später wendet sich das Schicksal. Stella kommt nicht mit ihrer dominanten Schwiegermutter aus, die mit dem Ehepaar zusammenlebt, die Quoten sinken, ihre Sendungen werden der Reihe nach abgesetzt und Stella verfällt mehr und mehr dem Alkohol. Zu allem Überfluss kommt das ersehnte Kind schwerbehindert auf die Welt. Stella ist völlig überfordert und wird zum menschlichen Wrack. Ihr einziger Halt ist ihr Mann Heiner, dem es jedoch auch immer schwerer fällt, zu seiner Frau zu stehen.

Eines Nachts ist Heiner mal wieder im Dienst und Stella allein zuhause mit Schwiegermutter Therese und der kleinen Tochter Johanna. Im Fernsehen wird Stellas größter Erfolg wiederholt, „Der Schatten mit den Mörderaugen“. Mit viel Mühe versorgt Stella notdürftig ihr Kind und schläft wie so oft betrunken auf der Couch ein. Sie erwacht durch einen lauten Schrei und sieht die Schattengestalt aus dem Film vor sich. Am nächsten Morgen ist das Haus verwüstet, Therese wird erschlagen im Badezimmer aufgefunden und von dem Baby fehlt jede Spur.

Niemand will Stella glauben, dass der Schatten mit den leuchtend grünen Augen leibhaftig vor ihr stand. Stattdessen gerät sie in Verdacht, Therese und ihr Kind ermordet zu haben. Auch ihr Mann Heiner scheint Probleme zu haben, seiner Frau zu glauben. Kommissar Arno Klinkhammer stößt bei seinen Nachforschungen in Stellas Vergangenheit auf einige interessante Details und eine gemeinsame Bekannte. Gabi Lutz ist nicht nur seit Jahren mit Stella verfeindet, sondern lieferte auch die Romanvorlage für den Schatten-Film. Einige Leute sagen ihr übersinnliche Fähigkeiten nach, mit denen sie schon andere Menschen ruiniert haben soll. Hat sie Anteil an der Tragödie? Oder ist Stella tatsächlich die Täterin? Welche Rolle spielt ihr Mann Heiner in dem Drama? Wurde das Baby entführt oder ist es bereits tot? Klinkhammer steht vor einer Reihe von Rätseln, die weit in Stellas Vergangenheit zurückführen …

Eines kann man Petra Hammesfahr gewiss nicht vorwerfen, nämlich Vorhersehbarkeit der Handlung ihrer Romane. Die Autorin, die sich in Interviews gerne als „gemein“ bezeichnet, neigt dazu, fast jede ihrer Figuren als verdächtig erscheinen zu lassen und verschmäht auch keine offenen Enden, die den Leser grübeln lassen. Es gibt keine Garantie, dass die Hauptperson sich als unschuldig entpuppt, und jeder läuft Gefahr, im Verlauf der Handlung ebenfalls zu sterben.

|Verwirrung durch Zeitsprünge|

In diesen Merkmalen, die Hammesfahr von Durchschnittsthrillerautoren abheben, liegt jedoch auch die Schwäche, die auch diesen Roman kennzeichnet. Das Ausgangsszenario ist spannend und wirft viele Fragen auf, doch anstatt ein solides Grundgerüst zu errichten, verwirrend sich die Fäden im weiteren Verlauf immer mehr. Dabei besitzen die zahlreichen Rückblicke einen nicht unerheblichen Anteil. Immer wieder führen Kapitel zurück in Stellas Vergangenheit, zunächst in ihre frühe Kindheit, später in die Zeit ihrer Erfolge, ihres Kennenlernens mit Gaby und ihrer Ehe mit Heiner. Natürlich sind diese Stationen wichtig für die Entwicklung der Geschichte, aber es das Hin- und Herspringen reißt den Leser immer wieder aus dem Lesefluss heraus. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Rückblicke auch intensiv um Gabis Vergangenheit kümmern. Die kleingewachsene Frau mit dem Elvis-Faible und dem Hexenruf wird zu einer der wichtigsten Personen im Buch, die man als Leser recht intensiv kennen lernt. Allerdings ist auch ihre Vergangenheit kompliziert angelegt und es braucht eine gewisse Konzentration, um den notwendigen Überblick über alle Parallelen im Kopf zu behalten. Je weiter man in die Handlung vorstößt, desto tiefer verweben sich die einzelnen Schicksale miteinander. Kommissar Klinkhammer – übrigens in [„Die Mutter“ 1419 als Ermittler tätig -, Therese, Heiner, Gabi, Stella, Stellas Kollegen, sie alle gehören auf die eine oder andere Art zueinander, und dass diese Verhältnisse oft zwiespältiger Natur sind, macht es nicht einfacher.

Schwierigkeiten bringen auch die mitunter zu ausführlichen Schilderungen mit sich. Wenn die Polizeibeamten versuchen, den Tathergang in Stellas Haus zu rekonstruieren, ziehen sich diese Überlegungen schon mal über mehrere Seiten, in denen es fast nur um Fuß- und Fingerabdrücke, Spurensuche und zeitliche Abfolgen geht. Diese Gedankengänge mögen der Autorin authentisch gelungen sein, passen aber eher in einen Polizeibericht als in einen Roman, wo sie auf Dauer ermüden und einen Spannungsabfall verursachen.

|Licht und Schatten bei den Charakteren|

Auf der Habenseite stehen ein interessanter Ausgangspunkt mit der nötigen Dramatik, schließlich kommen genug Verdächtige für den Mord in Frage und lange Zeit ahnt man nicht, was mit dem verschwundenen Baby geschehen ist. Die Zeit drängt, als sich herausstellt, dass entgegen der Theorie, dass Therese das Kind vor ihrem Tod bei jemandem unterbrachte, sich niemand aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis meldet und man über einen weiteren Mord oder eine Entführung spekulieren muss. Zugute halten muss man Petra Hammesfahr die psychologische Tiefe, die sie in den Roman einbringt. Keiner der Charaktere handelt willkürlich, sie alle haben ihre Traumata erlebt, die sie zu ihren Handlungen treiben. Stellas Wandlung von der ehrgeizigen Karrierefrau kommt schleichend, aber nachvollziehbar und ist bereits in ihrem familiären Hintergrund angelegt. Heiner vermittelt ihr Rückhalt und repräsentiert als Polizeikommissar besondere Stärke und Souveränität, gleichzeitig aber wird er von Therese bemuttert und lebt noch als verheirateter Familienvater mit ihr unter einem Dach. Auch die resolute und als Gemeindeschwester sich aufopfernd engagierende Therese ist keine eindimensionale Figur, sondern offenbart eine leichtlebige Einstellung zu Männern, die sie später noch einholen wird. Ebenfalls lange Zeit unklar bleibt, wie man Gabi einzuschätzen hat. Das zierliche Persönchen mit dem frechen Auftreten, dem enormen Arbeitspensum, einem schweren persönlichen Verlust, der zu einem Selbstmordversuch führte, und den angeblich telekinetischen Fähigkeiten ist ebenfalls eine vielschichtige Figur, die man gleichzeitig als unsympathisch und beeindruckend zielstrebig erlebt. Auf der Strecke geblieben ist leider die Sympathie für Stella, für die man zwar gegen Ende ein gewisses Mitleid empfindet, aber zu wenig und zu spät, als dass man intensiv um sie bangen und fiebern würde. Wie üblich entpuppt sich ein scheinbares Dorfidyll als Wespennest. Hammesfahr desillusioniert und das offenbar mit Vergnügen. Nichts ist, wie es scheint, und das wäre gut so, wenn sie es nicht mit den nebulösen Verwirrungstaktiken übertrieben hätte.

Positiv ist dagegen, dass sie sich mit den offenen Fragen diesmal angenehm zurückgehalten hat. Zwar bleibt ein wenig Raum für Spekulationen, aber das Ende befriedigt, wird sogar mehr erläutert als notwendig und das abschließende Grübeln, das man von anderen Werken kennt, bleibt aus.

_Zum Schluss_ kommt man leider zum Fazit, dass „Der Schatten“ kein Highlight unter den Hammesfahr-Romanen ist, trotz des eigentlich Spannung verheißenden Themas. Die Hauptfigur erweckt zu wenig Mitgefühl, die Zeitsprünge und vielen falschen Fährten verwirren und entnerven den Leser, bestimmte Szenen werden unnötig in die Länge gezogen. Erfreulich ist, dass nicht so viele offene Fragen wie bei anderen Werken der Autorin bleiben und sie sich wie üblich um psychologische Tiefe und Vielschichtigkeit bemüht.

_Petra Hammesfahr_ wurde 1951 geboren. Bereits mit 17 Jahren begann sie zu schreiben, doch anstatt zu veröffentlichen, arbeitete sie zunächst als Einzelhandelskauffrau. 1991 erschien ihr erster Roman, weitere Kriminalromane folgten. Ab Mitte der Neunziger schrieb sie u. a. auch Drehbücher fürs Fernsehen. Weitere Werke sind u. a.: „Das Geheimnis der Puppe“ (1991), „Merkels Tochter“ (1993), „Der stille Herr Genardy“ (1993), „Die Sünderin“ (1999), „Der Puppengräber“ (1999), „Die Mutter“ (2000), „Lukkas Erbe“ (2000), „Meineid“ (2001), „Das letzte Opfer“ (2002) und [„Die Lüge“ 2278 (2003).

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