Wie will man einem Schriftsteller, der über 100 Jahre alt geworden ist und während etwa 80 Jahren viele Bücher, Essays und Aufsätze geschrieben hat, mit einem Text von rund 130 Seiten gerecht werden? Und warum schreibt man so ein Büchlein, nachdem vor wenigen Jahren erst die umfangreichen Jünger-Biographien von Heimo Schwilk und von Helmuth Kiesel erschienen sind?
Thomas Amos, Literaturwissenschaftler offenbar mit eigentlichem Schwerpunkt Romanistik, hat dies mit seiner Monografie „Ernst Jünger“ getan. Dieses Buch kann natürlich keine durchgehende Biografie oder Werkbeschreibung sein. Ziel und Motivation seines Buches tut der Autor nicht explizit kund. Aber da er – quasi als Vorwort – die Verleihung des Goethe-Preises der Stadt Frankfurt am Main an Jünger 1982 sowie die damaligen Proteste der eigentlichen Ausarbeitung voranstellt, scheint er dessen Leben und Werk besonders unter dem Aspekt der Anwürfe seiner Gegner untersucht zu haben; vor allem, inwieweit Ernst Jünger eine literarische und allgemein kulturelle Bedeutung für den bundesrepublikanischen Biedermann haben kann. Jedoch bemüht der Autor sich spürbar um eine ausgewogene Darstellung. Wenn er die Person Ernst Jünger den Vorwürfen seiner Gegner gegenüberstellt, begibt er sich nicht pauschal auf eine Seite, sondern urteilt differenziert.
Wie in der Kürze des Buches nicht anders möglich, beschreibt Amos einzelne Stationen aus der Biografie Jüngers, wobei die lückenhafte und selektive Bearbeitung des Themas mit der Zeit zunimmt. Aus Jüngers Schaffen seit 1949, immerhin fast ein halbes Jahrhundert, werden nur die Tagebuchreihe „Siebzig verweht“ und die „Annäherungen. Drogen und Rausch“ berücksichtigt. Außerdem der Jugendroman „Die Zwille“, allerdings im Kapitel über Jüngers Kindheit, da Amos viel Autobiografisches in dem Roman sieht.
Die Auswahl der Schwerpunkte bleibt den traditionellen Vorlieben verhaftet: Teilnahme und literarische Verarbeitung des 1. Weltkrieges, politische Publikationen in der Weimarer Zeit, Leben im Nationalsozialismus und schließlich die Drogenerfahrungen. Sogar der Besuch von Helmut Kohl und Francois Mitterand (wird gern in jedem hingepfuschten TV-Beitrag verwendet) wird kurz erwähnt, nicht aber der Kontakt zu etlichen – geistesgeschichtlich – bedeutsameren Zeitgenossen.
Dieses häufige Festklammern an etablierten Themenschwerpunkten gerät dem Verfasser teilweise zur Falle: So zitiert auch er jene Stelle aus dem „Zweiten Pariser (Kriegs-)Tagebuch“, in denen Jünger von einem Hotel aus bei einem Glas Burgunder einen Bombenangriff beobachtet und die dank leicht empörbarer Gouvernanten des Gutmenschenfeuilletons als „Burgunderszene“ Bekanntheit erlangt hat. Nur dummerweise ist es Amos entgangen, dass Tobias Wimbauer vor einigen Jahren durch eine kleine Recherche herausbekommen hat, dass zu dieser Zeit an diesem Ort gar keine Bombenangriffe stattgefunden hatten, und die besagte Stelle anschließend durch genaue Textanalyse als verschlüsselte Darstellung privater Dinge ermittelt hat.
Darüber darf aber nicht übersehen werden, dass der Autor die ausgewählten Ausschnitte i. d. R. mit sicherem Wissen behandelt. Gerade für die besprochenen Bücher beweist Amos dabei oft seine Kennerschaft, und besonders beim „Abenteuerlichen Herzen“, dieser Sammlung kleiner verschiedenartiger Texte, bewährt sich seine Methode, einzelne Stellen zu zitieren. Bei den „Annäherungen“ hätte man sich allerdings auch andere Zitate gewünscht als nur solche von grellen Drogengeschichten.
Manchmal wird jedoch schon arg viel in Jüngers frühe Texte hineingeheimnist. So zitiert Amos eine Äußerung Jüngers über die Trauer („Sie reicht tief in die Träume hinein“), aber er belässt es nicht etwa bei der Erfahrungstatsache, dass schwerwiegende Erlebnisse, die einen Menschen umtreiben, auch in seinen Träumen erscheinen können; nein, es muss schon der Name Sigmund Freud fallen. Und wenn in Jüngers Kriegsbüchern das Blut rot und Einschusslöcher rußschwarz sind, entdeckt der Autor darin expressionistische Stilmittel.
Unterm Strich
Wer neu im Thema „Ernst Jünger“ ist, wird für den Einstieg mit dem schmalen und preisgünstigen Bändchen von Thomas Amos nicht viel falsch machen, da es zumindest keine groben Fehler enthält – außer einem Kriegstagebuch, dessen Ende auf 1955 datiert wird! Kundigere Interessierte werden Besseres suchen und auch finden.
Taschenbuch: 157 Seiten (mit Anhang)
ISBN-13: 978-3-499-50715-1
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