Nancy Springer – Ich, Morgan le Fay

Nancy Springer ist den älteren Lesern sicherlich noch durch ihre in den Achtzigerjahren bei |Goldmann| erschienenen Romane wie „Fabeltier“ und „Schwanengold“ bekannt. Schon damals verband sie alte Sagen mit der keltischen Mythenwelt und entführte in eine Welt zwischen Mittelalter und Märchen.

Mit ihrem Roman „Ich, Morgan le Fay“ bleibt sie ihrer Linie treu. Wie Marion Zimmer-Bradley nimmt sie sich Morgan le Fays an, die einer der großen Gegenspieler des Königs im Sagenkreis ist. Diesmal erzählt sie die Geschichte der jugendlichen Morgan bis hin zu ihrem Einzug am Hof des Halbbruders. Schon als Kind ist das Mädchen anders als ihre Schwester Morgause, neugierig und forsch, misstrauisch und klug, so dass es ihr leicht fällt, mit jeder neuen Situation zurechtzukommen und das Beste daraus zu machen – angefangen beim Tod ihres Vaters über die Jahre fern von der Mutter bis hin zu der überstürzten Flucht aus Tintangel, als Uther Pendragon stirbt und das Land im Chaos versinkt. Die einzigen Menschen, denen sie vertraut, sind ihre Kinderfrau Ongwynn, die sich nun als Weise Frau und Heilerin entpuppt, und der Botenreiter Thomas, den sie schon als junges Mädchen lieben lernte, weil ihre Wege sich immer wieder kreuzen.
Morgan spürt, dass sie ein anderes Schicksal erwartet als ihre Schwester. Schon als Kind hat sie einem magischen Stein gefunden, und ihre Kinderfrau weiht sie später ein, dass dieses kleine Juwel das Zeichen der Feen und alten Götter ist. In der geheimen Zuflucht lernt Morgan von ihrer Kinderfrau so viel sie kann und folgt schließlich dem Ruf ihres Herzens nach Avalon, dem mythischen Ort, an den sich die Götter und Helden der Vergangenheit zurückgezogen haben. Dort wird sie zu der Zauberin, der Fee, die das Schicksal selbst in die Hand nimmt, und gibt ihre Menschlichkeit auf, nachdem sie einen hohen Preis gezahlt hat.

Auch mit diesem Roman beweist Nancy Springer wieder, wie sicher sie sich in den keltischen Mythen bewegt, ohne den mittelalterlichen Flair der Artus-Sage zu verfremden. Morgan wächst in einer frühmittelalterlichen Welt heran, die nicht näher beschrieben wird und daher etwas nebelhaft wirkt; um so klarer und deutlicher werden die Bilder der Anderswelt, in der alte keltische Götter wie Rhiannon und Cernunnos zu Morgans Beschützern und Lehrern werden. Die junge Heldin taucht ein in die mythische Welt der Feen, aber sie bleibt in ihrer Liebe zu Thomas auch ganz Mensch. Der Roman führt junge Leser auf stille und faszinierende Weise in die Glaubenswelt der Kelten ein, ohne aufdringlich zu wirken, und reitet nicht auf den üblichen Themen und Klischees herum. Das macht das Buch vielleicht auch für erwachsene Leser interessant, die noch nicht genug von Artus-Erzählungen haben.

Taschenbuch: 304 Seiten

Christel Scheja
Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins X-Zine veröffentlicht.