Volker Pesch – Der letzte Grund. Rostock-Krimi

Psychologischer Krimi aus Rostock

Ein versenktes Schiff, ein verschwundenes Gemälde und Spuren in die Vergangenheit. Das gesunkene Traditionsschiff Sansibar ist eigentlich kein Fall für die Mordkommission, doch unter Deck liegt eine Leiche. Handelt es sich dabei um den vermissten Bootsmann? Während die Leiche noch geborgen wird, beginnt Hauptkommissarin Doro Weskamp die Ermittlungen. Zunächst scheint die geplante Teilnahme des Seglers and der „Hanse Sail“ ein Motiv zu sein. Wollte die jemand verhindern?

Der Autor

Volker Pesch wurde 1966 in Kempen am Niederrhein geboren und studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Köln. Mitte der 1990er-Jahre ging er als Mitarbeiter an die Universität Greifswald, wo er promovierte. Nach verschiedenen beruflichen Stationen arbeitet er heute freiberuflich als Texter, Journalist und Schriftsteller. Volker Pesch lebt gemeinsam mit seiner Frau im ländlichen Vorpommern.

„Pesch studierte von 1988 bis 1995 Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der Universität zu Köln, war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Greifswald, wo er 1999 promoviert wurde. Er wechselte als Hochschulassistent an die Universität Erfurt. Nach dem Ausscheiden aus dem Universitätsdienst im Jahr 2001 war er selbständig tätig, unter anderem als (Werbe-)Texter, Drehbuchautor für Web Based Trainings und DTP-Gestalter.

Er schrieb Imagebroschüren und Ratekrimis, wirkte in verschiedenen nationalen und internationalen Projekten des Steinbeis Team Nordost mit und betreute für die Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern ein Projekt der Erwachsenenbildung. Von 2016 bis 2020 leitete er einen Eigenbetrieb der Universitäts- und Hansestadt Greifswald, der u. a. das Segelschulschiff „Greif“ bereedert. 2018 war er vertretungsweise Geschäftsführer der Greifswalder Stadtmarketing GmbH.

Von 2005 bis 2019 war Pesch Vorsitzender des Vorstands des Greifswalder Museumshafen e.V. und von 2009 bis 2013 der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Deutscher Museumshäfen e.V. In diesen Funktionen hat er sich intensiv für den Erhalt der deutschen Traditionsschiffe eingesetzt. Im Jahr 2001 war er Gründungsvorsitzender des Greifswalder Museumswerft e.V. Darüber hinaus war und ist er vielfältig ehrenamtlich engagiert, unter anderem als Geschäftsführer des Nordwind Segeln e.V. und des Kulturfelder e.V.“ (Wikipedia.de)

Werke

Handlungstheorie und Politische Kultur, Fachbuch, Westdeutscher Verlag 2000, ISBN 978-3531135137
Denn wer da hat, dem wird gegeben, Kriminalroman, CMZ Verlag 2017, ISBN 978-3870621995
Dornen und Disteln soll er dir tragen, Kriminalroman, CMZ Verlag 2017, ISBN 978-3870622794
Lockruf der Kulturlandschaft. Geschichten aus dem Jagdrevier, Jagderzählungen, Neumann-Neudamm 2019, ISBN 978-3-7888-1978-1
Der letzte Grund, Kriminalroman, Pendragon Verlag 2021, ISBN 978-3-8653-2748-2 (Quelle: Wikipedia.de)

Handlung

Doro Weskamp ist die 55-jährige Hauptkommissarin der Mordkommission Rostock. Heute wird sie von ihren Kollegen an den Hafen der Segler gerufen. Offenbar ist das Traditionsschiff „Sansibar“ gesunken. Allerdings finden die Taucher bald heraus, dass die Ausstiegsluke und das Seeventil manipuliert wurden: Das Schiff wurde quasi versenkt.

Die Leiche

Dass eine männliche Leiche unter Deck gefunden wird, kompliziert die ganze Geschichte – und wird zu Doros Fall. Aber jemand fehlt, sagt der Schiffseigner: der Bootsmann Clemens Kasten. Der „Klemme“ sagt seine Frau und lässt kein gutes Haar an diesem Psychopathen. Der Veranstalter der „Hanse Sail“ bedauert zwar den Untergang des Seglers, der andere Regatta teilnehmen sollte, doch dieser jährliche Riesen-Event darf natürlich nicht ausfallen, schon wegen der vielen maritimen Teilnehmer und der touristischen Gäste.

Spur in die Vergangenheit

Die Frau des Besitzers erzählt etwas von einem Koffer, ohne den der „Klemme“ nirgendwo hingegangen wäre. Der Koffer taucht am Abend ebenfalls auf. Er enthält einen einäugigen Teddybär, etliche Liebesbriefe, Zeitungsausschnitte bezüglich eines verschwundenen Gemäldes von Max Liebermann und ein Kriegstagebuch mit Bezügen zu Helgoland. Doro agiert praktisch und hängt alles in ihrem Büro an einer Wäscheleine zum Trocknen auf.

Die Klinik

Die Frau des Besitzers nannte den Bootsmann auch einen Patienten, und die einzige Klinik für psychologische Fälle befindet sich in Gehlsdorf. Um dorthin zu gelangen, nimmt Doro die alte Fähre von 1912, die offenbar seetüchtiger ist als die reguläre Fähre. Der Kapitän lässt kein gut Haar an der profitorientierten Entwicklung seiner Hafenstadt. Sie warnt ihn, dass er sich vor „übler Nachrede“ in Acht nehmen solle.

In der Klinik will Doro die leitende Ärztin Dr. Martina Andres sprechen. Die ist die Autorität in Person und lässt den Anlass der Ermittlung des langen und breiten erklären. Dann erst rückt sie damit heraus, dass sich Clemens Kasten seit zwei Tage sediert in ihrer Klinik befinde. Er sei wieder ansprechbar. Sobald Doro ihre Überraschung verdaut hat, besucht sie den Patienten.

Der Patient

Kasten ist in der Tat ansprechbar und erinnert sich an die Nacht des Unglücks. Als er mitten in er Nacht aus unruhigen Träumen – er hat Panikattacken – erwachte, stand ihm das Wasser schon bis zur Koje. Weil die Ausstiegsluke blockiert war, muss er sich zum Vorschiff durchkämpfen – in völliger Dunkelheit. Deshalb gelang es ihm nicht, seinen Koffer zu retten, und auch nicht den jungen Syrer Sami zu alarmieren, den er als Gast an Bord gelassen hatte. Doro wird klar, dass dieser Sami die männliche Leiche sein muss, die die Taucher gefunden haben.

Aber was steckt hinter der Versenkung der „Sansibar“, will Doro wissen. Kasten ist sich sicher: „Der Anschlag galt mir“…

Mein Eindruck

Der Autor hat sich viel vorgenommen, als er diesen Roman konzipierte. Im Mittelpunkt steckt die Geschichte des Clemens Kasten , seines Vaters und seines Großvaters, die dadurch bis ins Jahr 1943 reicht. Davon berichtet das Tagebuch, das Weskamp im Koffer findet. Es ist allerdings zunächst sehr verwirrend, denn der Schlüssel zum Verständnis fehlt.

Verrat

Eng mit den drei Generationen der Kastens ist auch die Sippe der Waschows verbunden, denn Opa Kasten, der Menschenschmuggler, wurde offenbar von seinem Bootsmann Waschow an die Gestapo verraten. Kein Wunder also, dass Clemens Kasten dieser tat auf den Grund gehen viel und sich vor dem Domizil des aktuellen Waschow blicken lässt, wofür es eine Zeugin gibt.

Das Bild

Und das verschwundene Bild von Max Liebermann? Könnte es sich Waschow senior unter den Nagel gerissen haben, als die Gestapo Opa Kasten mitsamt den Flüchtlingen verhaftete? Weskamp will dem allem auf den Grund gehen, denn sie hält Clemens Kasten für unschuldig, insbesondere nach ihrem Gespräch in der psychotherapeutischen Klinik von Dr. Anders. Dass sie dann das Bild unverhofft überreicht bekommt, hätte sie nicht erwartet. Ein Gemälde im Wert von zwei Millionen, mitten auf ihrem Schreibtisch! Leider geht es sogleich wieder auf Wanderschaft…

Die Waschow-Connection

Als wäre dies nicht genug, packt der Autor noch die rechtsextreme Szene in den Plot. Denn was treibt Waschow? Er verhökert Waffen aus Beständen der Polizei und der Bundeswehr an die Rechten. Leider muss Weskamps Chef feststellen, dass es mit Klaus Müller ein Mann aus seinen eigenen Reihen ist, der mit der Waschow-Connection unter einer Decke steckt. Diese Leuten war offenbar auch der frühere Star-Journalist Clemens Kasten auf den Fersen. Haben sie also seinen Kahn versenkt? Wer dachte, die Geschichte würde sich nicht wiederholen, wird nun eines Besseren belehrt.

Das Enkeltrauma

Das Geschichte einen zirkulären Verlauf aufweisen könnte, lässt den Leser entweder an Oswald Spenglers Werk „Der Untergang des Abendlandes“ denken oder an Gorbatschows Wort: „Wer nicht aus der Geschichte lernt, der ist gezwungen, sie zu wiederholen.“ Aber es gibt noch eine dritte Variante: Was, wenn man die eigene Geschichte gar nicht lernt und sich daher wundert, warum man unter ihren Folgen leidet?

Das sei das Los der Kriegsenkel, behauptet ein revisionistischer Professor, der mit Dr. Andres kollegial verbandelt ist. Weskamp lernt ihn auf einem sehr anschaulich und sachkundig geschilderten Segeltörn kennen, den die Psychologen auf einem dem Autor protegierten Traditionsschiffe unternehmen – vor allem um sich dabei zu besaufen.

Die Kriegsenkel, wer ist das überhaupt, wundert sich Weskamp. Sie wird schnell belehrt, dass sie selbst so einer ist: Tochter der Nachkriegsgeneration, die den Gürtel enger schnallen musste, um in einem Deutschland, das deren Eltern zerstörten, über die Runden kommen zu können. „Stell dich nicht so an!“ war Klein-Doros oft gehörte Schelte der Mutter und des Vaters.

Weskamp kann das nachvollziehen, aber die These des Professors, dass auch das Erbgut eine Rolle spiele, geht nicht nur ihr zu weit: Soll die emotionale Disposition, die Minderwertigkeitsgefühle wirklich vererbbar sein? Andererseits würde dies womöglich die Panikattacken von Clemens Kasten erklären, der nicht nur aus der sinkenden „Sansibar“ floh, sondern auch aus Dr. Andres‘ Klinik.

An sich selbst muss Weskamp immer wieder Fehlverhalten feststellen: Wird der Chef sie vor versammelter Mannschaft zur Schnecke machen? Und warum kann sie sich nicht aufraffen, dem schmucken Polizeiseelsorger Tom Schroeder, der mit ihr ein oder auch zwei Gläser Wein trinkt, ein eindeutiges Angebot zu machen, mit ihr die Nacht zu verbringen? Diese psychologischen Einsichten gehören zu den Stärken des Lokalkrimi und verleihen ihm, wie einem schönen Segler, Tiefgang.

Hinweis

Der Titel (sowie ein Hinweis auf S. 179) bildet einen Verweis auf Alfred Anderschs Roman „Sansibar oder Der letzte Grund“: In einer kleinen Stadt an der Ostsee treffen zufällig sechs Gestalten zusammen: Der Junge, Gregor, der KPD Funktionär, Judith, die Jüdin, am Ort selbst befinden sich der Pfarrer Helander, Knudsen , der Fischer und Kutterbesitzer, als Letzter die Holzplastik des lesenden Klosterschüler. Und diese sechs Gestalten haben kein anderes Anliegen, als Deutschland zu verlassen…

Diesem Muster folgt die Handlungslinie des Jahres 1943 im vorliegenden Roman. Der Name „Sansibar“ für das versenkte Schiff, das zuerst „Helgoland“ und anschließend „Marianne“ hieß, ist also keineswegs zufällig gewählt. Kein Wunder also, wenn die Kommissarin anfangs etwas verwirrt ist.

Textschwächen

Obwohl der Verleger Günther Butkus höchstselbst für das Lektorat verantwortlich zeichnet, bin ich mit dem Endergebnis nur eingeschränkt zufrieden.

S. 92, 99, 155 ff.: Der Autor schreibt immer „dürfte“, wenn er eine Vermutung beschreiben möchte, doch „dürfte“ ist eine Präsenzform und passt gar nicht in das Präteritum der erzählenden Vergangenheitsform. Das Wort ließe sich ganz einfach durch „mochte“ ersetzen oder durch eine entsprechende adverbiale Umschreibung wie „vermutlich“ oder „mutmaßlich“.

S. 153: „Die Krimanaltechniker“: ein Freud’scher Vertipper? Das lässt tief blicken.

S. 188: „dass Waschow die ‚Sansibar‘ versenkt hat“: Korrekt wäre die Verbform für die Vergangenheit: „versenkt hatte“.

Unterm Strich

Die einzige Actionszene findet der Leser, der einen spannenden Krimi erwartet, gleich am Anfang. So muss ein richtiger Auftakt aussehen: Lebensgefahr und Todesangst! Mit dem Auftritt der Kommissarin Doro Weskamp von der Kripo hält dann aber ein ganz anderer Themenstrang Einzug. Sie versucht zwar das Rätsel um Clemens Kasten zu lösen, doch sie verstrickt zunehmend in psychologischen Fallstricken, die sie selbst miteinbeziehen. Das Auftauchen einer weiteren Leiche ist da nicht gerade hilfreich.

Zwei Lichtblicke sind das Auftauchen des verschwundenen Bildes in den Armen eines Zeugen, den Doro schon unter den Gaffern vor der „Sansibar“ erspäht hatte – und natürlich dieser Zeuge selbst. Er kannte Waschow… Aber auch er weiß nicht, wo Clemens Kasten abgeblieben ist. Vielleicht weiß es ja Dr. Ahrens, die für Clemens Kasten offenkundig mehr als nur freundschaftliche Gefühle hegt?

Was Doro Weskamp immer wieder ablenkt, sind die Rechtsextremisten, die irgendwo im Hintergrund agieren und vielleicht die „Sansibar“ versenkt haben, vielleicht aber auch nicht. Der Polizist Klaus Müller tritt nie selbst auf, und Waschow, sein Waffendealer, ist leider nicht mehr befragbar… Dieser Faden wird offengelassen, ebenso wie einige andere. Auf manchen Leser könnte dies unbefriedigend wirken.

Obwohl dies Peschs dritter Krimi ist, hinterlassen die „unebene“ Konstruktionsweise, die losen Fäden und einige Szenen den Eindruck, es mit einem Debüt zu tun haben. Neben diesen Schwächen kann der Roman mit einigen Aspekten punkten, so etwa mit der gründlich recherchierten Psychobelastung der Kriegsenkel – und natürlich mit allem, was mit Traditionsschiffen zu tun hat, denn für diese hat sich der Autor seit langem eingesetzt.

Die „Hanse Sail“ entspricht der Kieler Regatta gleicher Ausrichtung. Wenn der Leser eh schon entsprechend gepolt ist, wird er sich in „Der letzte Grund“ gleich wie zu Hause fühlen. Die Jagd nach Clemens Kasten könnte weitergehen, wenn der Autor dazu bereit ist.

Taschenbuch: 284 Seiten
ISBN-13: 9783865327482

www.pendragon.de

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