Bassham, Gregory / Bronson, Eric (Hgg.) – Der Herr der Ringe und die Philosophie. Schlauer werden mit der berühmtesten Saga der Welt

Überhobbits gegen Mordor. Philosophische Deutungen

Frodo und die Gefährten treffen auf Platon, Aristoteles, Nietzsche … An vielen Beispielen zeigen die Herausgeber, wie sich im „Herr der Ringe“ die großen philosophischen Fragen von Platon bis Nietzsche entdecken lassen. Ihre Absicht war es keinesfalls, im Buch selbst eine philosophische Botschaft zu suchen. Das bedeutet, der Leser kann sich mit grundlegenden Ideen über das beste Leben, das Glück, Macht und Wahl beschäftigen – und zugleich verborgene Aspekte in Tolkiens Roman entdecken. Warum zum Beispiel wurde Tom Bombadil nicht unsichtbar, als er den Ring benutzte?

Die Herausgeber

1) Gregory Bassham ist Leiter des Zentrums für Ethik und Öffentlichkeit sowie Direktor der Philosophischen Abteilung am King’s College in Pennsylvania. Er hielt einen Vortrag vor Jugendlichen mit dem Titel: „2778 Jahre auf den Richtigen warten. Die Geschichte von Arwen Undómiel“.

2) Eric Bronson leitet die Abteilung für Philosophie und Geschichte am Berkeley College in New York City. Er ist Autor des Buchs „Baseball and Philosophy“ (2004). Er schätzt Bilbos Diktum, dass „nicht alle, die umherziehen, verloren sind“. Allerdings bestätigt sein Leben diese These nicht.

Die anderen Beiträger:

Douglas K. Blount schreibt an den Manuskripten „Ecce Hobbit“ und „Also sprach Gandalf“.
Bill Davis benutzt seinen Gürtel gern dazu, seinen Bart und seine breitschneidige Axt darin unterzubringen.

Scott A. Davison verfügt über Kenntnisse des Bösen, die er mitunter durch teilnehmende Beobachtung erworben hat.

Thomas Hibbs war als Student von der Tatsache überrascht, dass Guinness in Einheiten von Pints serviert wird.

Eric Katz vermittelt seinen Studenten eine zentrale Weisheit, nämlich dass Professoren nie zu spät kommen, sondern immer dann, wenn sie es wollen.

Joe Kraus stellte nach einem Blick in Galadriels Spiegel fest, dass er sich dringend rasieren muss.

Andrew Light ist berüchtigt für seinen Ausruf bei Ausschuss-Sitzungen: „Verschwinde, leichenschändendes Scheusal, Fürst der Aasgeier!“

Alison Milbank wurde im Auenland geboren und brach vom Golf von Lhûn auf, um nach Valinor zu kommen, doch landete sie stattdessen in Amerika.

Theodore Schick jr. trägt seine Fußbehaarung in Hobbit-Länge. Aeon J. Skoble hat vor, das reife Alter von einundelfzig zu erreichen und dann zu verschwinden.

J. Lenore Wright fühlt ständig das Auge von Sauron auf sich ruhen und hat immer wieder Alpträume von Ringgeistern und Orks.

Die Beiträge

Teil I: Der Ring

1) Eric Katz: Die Ringe von Tolkien und Platon: Über Macht, Moral und Wahl

In seinem berühmten Dialog „Politeia“ aus dem Jahr 380 v. Chr. behauptet der Sokrates-Schüler Platon, dass der tugendhafte Mensch ein besseres Leben habe als der unmoralische, nur auf eigenen Gewinn bedachte. Das Gleichnis vom Schäfer Gyges und seinem unsichtbar machenden Ring illustriert das Problem. Gyges nutzt seine Fähigkeit schamlos aus und macht sich zum neuen Herrscher, der schalten und walten kann, wie ihm beliebt. Natürlich hat er keinerlei Freund, aber juckt ihn das? Natürlich nicht. Es sei denn, ein Guter hätte ebenfalls einen Ring und könnte ihm Paroli bieten. Gute Moral ist also für die Schwachen.

Was meint Tolkien im „Herrn der Ringe“ dazu? Alle Hauptfiguren werden vor die Wahl gestellt, den Ring anzunehmen und so gottgleiche Macht zu erlangen; ja, sogar Nebenfiguren wie Tom Bombadil (der im Film nicht vorkommt) dürfen das Ding aufsetzen. Während Tom als einzige Gestalt nicht verschwindet, weil er etwas ist, was schon vor dem Bösen existierte, das den Ring erschuf, ist Gollum das krasse Gegenbeispiel: Er trug den Ring der Macht rund 500 Jahre lang, bis er völlig süchtig nach seinem „Schatzzz“ wurde. Er würde absolut alles dafür tun, um ihn zurückzuerlangen. Und das gilt für beide Hälften seiner Persönlichkeit.

Am Schluss lernen wir: Die Wahl, den Ring zu benutzen, bringt zwar große Macht, um ein Leben an einer Krücke zu leben. Aber das ist nicht das eigene Leben, das man aus sich selbst heraus gestaltet hätte, sondern ein entfremdetes. Folglich ist nur der Verzicht auf die Macht die richtige Wahl, weil nur sie die eigene Identität bewahren hilft.

_2) Theodore Schick: Die Schicksalsklüfte. Tolkiens Ringe der Macht und die Bedrohung durch neue Technologien_

Die mächtigste Technologie in Mittelerde sind die Ringe der Macht. Doch nicht alle sind gleich, denn Sauron, der Maia, konnte das Schmieden nicht aller Ringe beeinflussen. Ihm sind die sieben Ringe der Zwerge und die neun der Menschen untertan, doch die drei Ringe der Elben liegen außerhalb seines Einflusses: Vilya, Nenya und Narya, getragen von Elrond, Galadriel und Gandalf (anstelle von Cirdan).

Während es Saurons Bestreben ist, alle Völker und Dinge zu beherrschen (um so seinem Herrn, dem Vala Morgoth, zu dienen), sollen die Elbenringe das Gegenteil bewirken, nämlich zu heilen und zu bewahren. Die Frage lautet, ob es es in unserer Realität Technologien gibt, die ebenso wie die 20 Ringe die Macht haben, die Welt zu beherrschen und zu verändern.

Das scheint nach Ansicht von Zukunftsforschern und Wissenschaftlers der Fall zu sein. Die wichtigsten Technologien mit der größten Tragweite scheinen demnach Nanotechnologie, Gentechnik und Robotik zu sein. (Von EDV und Mobile Computing ist hier keine Rede, was ein Fehler sein könnte.) Alle drei genannten Technologien haben das Potential, nicht nur die Menschheit, sondern die gesamte Schöpfung auszulöschen.

Was ist zu tun? Elrond riet dazu, den Einen Ring der Macht zu vernichten, während Boromir die Argumente anführte, welche Vorteile dessen Einsatz zum Guten böte. Ebenso führt der Autor Argumente für und wider die exemplarisch betrachtete Nanotechnologie an. Sie kann heilen, aber auch zerstören, kann durch Assembling von Bausteinen zerstörte Zellen erneuern und das Altern stoppen, kann aber auch alle Materie zu grauem Schleim korrumpieren. Das Machtpotential dazu läge in den Händen eines einzelnen Besitzers eines Universellen Assemblers.

Es gibt aber einen Präzedenzfall: Vor dem Abwurf der Atombomben waren viele Forscher überzeugt, die Atomenergie würde grenzenlose Vorteile bieten. Spätestens in den siebziger und achtziger Jahren entstand eine Graswurzelbewegung (ähnlich Occupy), die es den Politikern immer schwerer machte, die Nutzung der Atomenergie auszubauen. Dieser Einfluss hält bis heute an. Hoffentlich wird die Reaktion auf die Nanotechnologie gleichartig ausfallen.

_3) Alison Milbank: „Mein Schatz“: Tolkiens Ring als Fetisch_

Die Autorin deutet den Einen Ring als einen Fetisch im Sinne von Sigmund Freud (Aufsatz von 1923). Ein Fetisch bezeichnet demnach einen Gegenstand, etwa einen Schuh oder Strumpf etc., der in den Augen des Besitzers für den davon getrennten Träger und dessen Eigenschaften steht und dadurch begehrenswert und bedeutungsgeladen ist. Das trifft für den Ring voll zu: Er ist nicht nur ein SYMBOL der Macht, sondern die Macht und Herrschaft an sich, auch wenn diese nur von Sauron, seinem Schöpfer, geliehen sind.

Doch es kommt noch dicker: Gollum hat den RING am längsten getragen, über 500 Jahre, und hat den Ring derart mit Bedeutung aufgeladen („Mein Schatzzz!“), dass er einen Teil seiner Persönlichkeit darauf übertragen hat. Folglich existiert er in zwei Versionen, als ursprünglicher Sméagol und als Ringträger Gollum, und befleißigt sich einer kindlichen Sprache.

Nun lässt sich anhand dieses Befundes und dieser Theorie nicht nur untersuchen, wer in Mittelerde fetischistisch veranlagt ist (etwa Boromir), sondern auch, wer in unserer Welt ein Fetischist ist, der nach Objekten giert, die ihm Status, Zufriedenheit, mehr Einfluss, Macht und Herrschaft verschaffen. Es sind jede Menge Leute, so etwa alle, die nur eine Marke, etwa die eines Sportschuhhersteller oder eines Modeschöpfers, kaufen und tragen, weil sie sich davon etwas versprechen.

Mit Hilfe der Schrift „Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie“ von Karl Marx (19. Jh.) gelingt es der Autorin, den Begriff des Fetischs mit dem der Ware zu verknüpfen. Bei der Ware wurde die Beziehung zwischen Hersteller und Produkt gekappt und das Produkt erlangt seinen Wert nicht durch Qualität, sondern aus dem Gesetz von Nachfrage und Angebot heraus, also vom Markt. Entfremdung ist die Folge, und Ware kann zum Fetisch werden.

Mein Eindruck

Diese These ist gar nicht mal an den Haaren herbeigezogen, sondern fand bereits Ende des 19. Jahrhunderts ihre Antwort in der Jugendstilbewegung / Art Nouveau sowie bei den Theoretikern und Praktikern des Kunsthandwerks, nämlich James Ruskin und William Morris (der auch viel Fantasy schrieb). Dieses Gedankengut lebt bis heute fort und ist zu sehen, wenn man auf Jahrmärkte, Flohmärkte und Kunsthandwerkmessen geht. Man schaue sich auch auf Manufactum.de um. Lang lebe der Norwegerpulli!

Die Autorin geht auch auf den Vorwurf ein, bei Tolkien gebe es kaum Frauen und keinerlei Erotik. Sie führt diesen Vorwurf ad absurdum, indem sie Galadriel und Arwen als Musterbeispiele vorstellt, wie diese ihre Macht, ihren Einfluss als Frau dazu benutzen, um die Fetisch-Macht des Rings zu bekämpfen und die Kerle auf den rechten Weg zu führen. Galadriels Schreckensvision als Herrscherin, die „alle lieben und verzweifeln“, dient in diesem Rahmen als Warnung. Sie behält ihre Identität und wird, wie schon lange vorausgesehen, Mittelerde verlassen. Wie auch immer: Das hat mich hinsichtlich der Erotik der Frau nicht überzeugt.

Viel interessanter sind ihre Ausführungen über den Begriff des „Dings“. Die Bedeutung „unbelebtes Objekt“ gibt es dafür erst seit 1689, und Mittelerde existiert sicherlich wesentlich früher. „Thing“ bedeutete einst jede Art von zwischenmenschlicher Angelegenheit, im engeren Sinne eine politische oder juristische Angelegenheit. Siehe auch das Alt-Thing der Norweger und Isländer, das Tolkien als Altnordist garantiert kannte. Der Rat von Elrond ist ja nichts anderes.

Teil II: Die Suche nach Glück

4) Gregory Bassham: Tolkiens sechs Schlüssel zum Glück

Hobbits und Elben scheinen im „Herrn der Ringe“ glückliche Wesen zu sein, aber welche Gründe haben sie dafür? Der Autor geht der Frage nach und findet sechs Gründe, die auch für uns gelten, und das ist sogar wissenschaftlich belegt. Ich führe sie aus Platzgründen nur als Titel an:

1) Die Freude an einfachen Dingen (zur Bedeutung von „Ding“ siehe oben);
2) Verwandeln Sie Ihre Probleme in Licht *** (ein Übersetzungsfehler);
3) Lassen Sie sich auf Beziehungen ein;
4) Bemühen Sie sich um einen guten Charakter;
5) Lieben und erschaffen Sie Schönheit;
6) Lernen Sie wieder zu staunen.

Mein Eindruck

Der Autor bemüht Philosophen von Epikur bis Aristoteles (Nikomachische Ethik), um die Berechtigung dieser Gründe zu belegen und empfiehlt sie zugleich. Folglich ist sein kleiner Exkurs nicht etwa ein Stück Literaturwissenschaft, sondern ein onkelhaft daherkommendes Stück Lebensweisheit mit Ratgebercharakter. Also etwa fast schon das Rezept für glückliches leben, wie es Hobbits und Elben führen. Und dieses Rezept ist auch noch christlich untermauert.

Leider ist der Übersetzerin ein schwerer Fehler unterlaufen. „Verwandeln Sie Ihre Probleme in Licht“ ist die Fehlübersetzung von „Make light of your problems“, was korrekt übersetzt „Nehmen Sie Ihre Probleme auf die leichte Schulter“ bedeutet. Die Berechtigung für meine Deutung? Die Hobbits nehmen ihre Probleme immer auf die leichte Schulter, selbst nach einer Katastrophe wie dem Untergang von Isengard oder bei der Verfolgung durch Orks.

Und zum anderen: Um welches Licht, das man „machen“ soll, soll’s denn bitteschön gehen? Hobbits haben mit Licht außer in praktischer Hinsicht wenig am Hut, Elben aber dafür umso mehr. Dass das Lektorat solch einen Fehler übersah, stimmt mich bedenklich.

5) Eric Bronson: „Lebwohl, Lórien“: Von der Freude und ihren Grenzen bei Existentialisten und Elben

Wann lohnt es sich, an Vergangenem festzuhalten und sich weiter daran zu erinnern, und wann ist es Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen, um dem Wandel der Zeit zu entsprechen und darin sein Glück zu finden? Diese fundamentale Frage zur Existenz lässt sich auf vielfältige Weise beantworten – beim Pokerspiel (weiterspielen oder passen?), in harten Zeiten wie den beiden Weltkriegen, bei der Judenverfolgung oder in anderen Angelegenheiten.

Während der Autor den miesepetrigen Existentialisten wie Kierkegaard (19. Jh.), Sartre oder Camus wenig abgewinnen kann, findet er bei Nietzsche doch gute Ratschläge, vor allem im „Zarathustra“: Mann sollte vergessen können, wenn es angebracht ist, um glücklich sein zu können – so, grob gesagt, Nietzsches Hauptaussage. Die Elben in Mittelerde scheinen dies auf den ersten Blick zu können, und die Hobbits erst recht, doch der Schein trügt.

Besonders Galadriel lebt seit annähernd 10.000 Jahren im Exil, seit sie und ihr Noldor-Volk aus Valinor verbannt und ihnen die Rückkehr seitens der Göttermächte, der Valar, verwehrt wurde. Doch nach all dieser Zeit erinnert sich Galadriel immer noch an jene herrliche Zeit, als sie im Segensreich leben durfte. Ist dieses Leben in der Erinnerung gut oder schlecht? Für den Autor ist klar, dass Galadriels Klammern an die Vergangenheit es ihr verwehrt, sich der neuen Zeit und ihrem Wandel anzupassen. Ihre Zeit in Mittelerde ist abgelaufen, sie muss fort. Nur was sterblich ist, darf bleiben, so etwa auch Arwen an Aragorns Seite.

Mein Eindruck

Die Stringenz der Argumentation scheint mir bei diesem Aufsatz nicht immer gegeben, denn wie können die Elben gleichzeitig so traurig sein wie Galadriel und zugleich so freudvolle Lieder anstimmen wie im „Hobbit“? Hier hätte der Autor zwischen dem stark veränderten Elbenbild in „Hobbit“ und „Herr der Ringe“ unterscheiden und darauf reagieren müssen.

Aber dafür sind seine Bilder wie die vom Pokerspiel einleuchtend, zumindest für Amerikaner. Halten oder passen, das ist stets die Frage, und es ist eine wichtige Frage für jeden Menschen, der sich noch um das Glücklichsein bemüht.

Teil III: Gut und Böse in Mittelerde

6) Douglas K. Blount: Überhobbits? Tolkien, Nietzsche und der Wille zur Macht

Da Tolkien Katholik war, darf es nicht verwundern, wenn sein wichtigstes Werk eine religiöse Bedeutung trägt. Sauron, die böse Macht, strebt nichts Geringeres an, als den Schöpfergott Eru Ilúvatar, dem selbst die Valar untergeordnet sind (und erst recht die Maia und Istari), vom Himmelsthron zu stoßen und sich an dessen Stelle einzusetzen.

Er hat das völlig verdient, findet Nietzsche, denn der Starke strebt danach, das Schwächere auszubeuten und zu beherrschen. Und da Gott eh schon längst tot ist, darf sich jeder nun aufschwingen. Ob das gut oder böse ist, ist eine Frage des Standpunkts, also ob man Ausbeuter/Herrscher oder Ausgebeutetet/Beherrschter ist. Moral ist relativ, da sie stets eine Frage der Ausdeutung ist. Die wichtigste Kategorie für das Leben ist daher nicht Moral, sondern Kunst. Und über deren Qualität entscheidet bekanntlich der Geschmack.

Dumm nur, dass Sauron so ein mieser Künstler ist. Alle seine Kreaturen – und die von Saruman sind nicht viel besser – sehen hässlich wie die Nacht aus, erfüllen aber ihren Zweck. Zweckmäßigkeit ist Sauron wichtiger als Ästhetik, und für das „gute Leben“ ist später, wenn er unumschränkt herrscht, immer noch Zeit.

„Nichts so hastig“, würde Tolkien mit Baumbarts Worten sagen. Der Wille zur Macht mag zwar vorhanden und unleugbar sein, ja, selbst die Geschichte mag sich, wie Nietzsche behauptet, ewig wiederholen, doch das heißt noch lange nicht, dass das Leben sinnlos ist. Um Frodos weltrettende Mission mit Erfolg vollenden zu können, müssen nicht nur Unmengen von Leuten mithelfen, sondern auch drei wichtige Opfer gebracht werden.

Mit Gandalf opfert sich in Moria ein bedeutender Maia/Istari für die Sterblichen, um ihnen überleben zu helfen. Er wird zurückgesandt, um das Schicksal der Welt mitzuentscheiden. (Von wem? Von den Valar.) Frodo wiederum ist in Ithilien bereit, sein Leben für das von Smeagol-Gollum zu geben, um ihn vor den Pfeilen Faramirs zu bewahren. Diese Tat zahlt sich spätestens dann aus, als Gollum ihm im Schicksalsberg den Ring raubt, den Frodo auf einmal für sich beansprucht – und mitsamt dem Ring zerstört wird.

Das dritte Opfer besteht in der Entsagung, die Sam aufbringt, als er die Chance hat, im 3. Teil den Ring für sich selbst zu benutzen und sich zum edlen Ritter aufzuschwingen, der den Armen und Unfreien hilft. Seine Liebe zu Frodo und sein „solider Hobbitverstand“ bewahren ihn vor einem tragischen und folgenreichen Irrtum. Es sind also die Opfer, die Sauron und das Böse überwinden helfen, nicht etwa der Wille zur Macht, wie ihn Sauron, Saruman und Denethor & Boromir verkörpern. Den Sanft- und Demütigen wird also die Welt gehören. Amen.

Mein Eindruck

Bronson hat Nietzsches relevante (nicht alle) Thesen verständlich zusammengefasst und auf den Punkt gebracht. Dann stellt er sie Tolkiens Aussagen gegenüber, vor allem hinsichtlich des Sinns eines Opfers und des Begriffs der Gemeinschaft. Er kommt zum Schluss, dass egal, wie man selbst zu der Aussage des „Herrn der Ringe“ steht, man doch eine Welt vorziehen würde, in der Sauron NICHT über alle Wesen herrscht.

7) Scott A. Davison: Tolkien und die Natur des Bösen

Was ist das Böse, fragt der Autor, und hat zwei Antworten. Einmal die des Manichäismus aus dem 3. Jahrhundert, der besagt, dass Gut und Böse gleich stark wären und das Böse eine ebenso äußerlich Kraft sei wie das Gute. Diese Sicht der Dinge trifft auf die Darstellung des „Herrn der Ringe“ nicht zu, denn sonst müsste der Ring an sich ein Gegenstand des Bösen sein, ist er aber nicht. Vielmehr sind alle Wesen und Dinge, die sich negativ auswirken, von etwas anderem abgeleitet. Aber von was?

Die zweite Erklärung des Bösen stammt vom Kirchenlehrer Augustinus (354-430). Demnach existiert das Gute a priori, denn es benötigt das Böse ebenso wenig, wie das Licht den Schatten benötigt, der umgekehrte Fall gilt aber schon: Schatten kann ohne Licht nicht existieren, und das Böse nicht ohne das Gute, um es zu verderben. Schatten und das Böse entsprechen dem Nichts und der Substanzlosigkeit, und das ist auch die Interpretation von Tolkien. Bestes Beispiel sind die Nazgûl, die Ringgeister, die einst neun Könige der Menschen waren und nun auf Verkleidungen wie Schwarze Reiter angewiesen sind, um in der Welt wirken zu können.

Der schlimmste Geist ist indes Sauron selbst, der sich zum Gottkönig aufschwingen wird. Das Böse wird hier als übermäßige Begierde gemäß augustinischer Ansicht aufgefasst. Selbst der freie Wille wird, wenn von unstatthafter Begierde erfüllt, zu etwas Bösem. Und das maximale Böse besteht darin, wie Gott sein zu wollen. Begierde und freier Wille existieren in jedem menschlichen Wesen. Deshalb kommt es darauf an, beides dergestalt zu formen, dass daraus Gutes und nicht Böses entsteht. Wie dies erfolgen kann, zeigt der anschließende Essay.

Mein Eindruck

Obwohl er einer der kürzesten Aufsätze in diesem Buch ist, bringt der Text die Sache mit der Natur des Bösen doch auf den Punkt. Und das in klarer, verständlicher Sprache. Tolkiens Auffassung vom Bösen wurde bereits 2002 von Tom Shippey herausgearbeitet und musste nur nochmal erwähnt und eingebaut werden. Die Eigenleistung des Autors hält sich also in Grenzen.

8) Aeon K. Skoble: Tugend und Laster im „Herrn der Ringe“

Wie kann man Tugend anstreben und erlangen bzw. Laster zu vermeiden lernen, fragt dieser Essay. Aristoteles hat in seiner Ethik-Abhandlung diese Fragen genauestens erörtert, und der Autor führt uns hindurch. Um ein gutes Leben zu führen bzw. Tugend zu erlangen, gibt es mindestens zwei Voraussetzungen, nämlich praktische Vernunft und Erfahrung. Die Vernunft strebt Ziele an und rät zum angemessensten Weg, diese zu erreichen. Töten gehört im Allgemeinen nicht dazu. Ist es jedoch tugendhaft, einen Mann wie Adolf Hitler zu töten, wenn dadurch der Tod von Millionen Menschen verhindert werden kann? Offenbar schon. Nothilfe und Notwehr sind also zulässige Ausnahmen.

Der Autor rät dazu, genau zu betrachten, was eine Figur im „Herr der Ringe“ IST, nicht so sehr darauf, was sie TUT. Saruman scheint weise Worte im Rat vorzubringen, doch in Wahrheit wirkt er destruktiv, indem er Macht anhäuft und anderen Wesen Rechte entzieht, so etwa Freiheit, Lebensgrundlage und Existenz. Er ist ein Meister der Täuschung, und nur Erfahrung und Vernunft können ihm das Handwerk legen.

Wer aber ist gemäß Aristoteles tugendhaft im „Herr der Ringe“? Was unterscheidet Aragorn von Boromir, zwei Recken, die das Blatt wenden können? Boromir ist ein guter Mensch mit Erfahrung und Charakter, der jedoch zum Handlanger des Bösen wird, als er Frodo den Ring rauben will. Aragorn unterscheidet sich von ihm nur in einer Hinsicht: Er weiß, dass man den Ring nicht zu eigenen Zweck benutzen kann. So wird Boromir zu einer tragisch scheiternden Figur.

Mein Eindruck

Der Autor untersucht, was Gut und Böse hinsichtlich der Folgen unterscheidet und wie sich das im Buch zeigt. Er stellt Aristoteles anderen Moraltheorien gegenüber, nämlich denen von Kant (Kategorischer Imperativ) und John Stuart Mills (Pflicht) sowie Utilitarismus. Kants Moralanspruch können nur Hochelben mit Sehergaben einlösen, und der Utilitarismus fordert den größten Nutzen für die größte Anzahl Menschen. Diesen Anspruch könnte auch Sauron einlösen … Bei Aristoteles bietet sich dem Menschen jedoch die Chance der Vervollkommnung des eigenen Charakters, er fordert keine gottgleichen Fähigkeiten. Das findet sich auch bei Tolkien, so etwa in der Entwicklung von Pippin und Merry, Sam und Frodo.

Teil IV: Zeit und Sterblichkeit

9) Bill Davis: Den Tod wählen: Sterblichkeit als Gabe

Tod ist nicht gleich Tod, und wer früher stirbt, ist länger tot. Aber stimmt das auch in Mittelerde? Der Tod bedeutet hier für Menschen und Elben nicht das Gleiche, und das macht die Liebe zwischen Aragorn und Arwen so kompliziert und wertvoll. Aber müssen uns die Elben um den Tod auch noch beneiden?

Die Elben sind bekanntlich todlos, also potentiell unsterblich. Sollte es sie dennoch mal erwischen, so verlässt ihre Seele nicht „die Kreise der Welt“, will heißen: Sie können wiedergeboren werden, ähnlich wie Gandalf, der als Der Graue stirbt und als Der Weiße zurückkehrt.

Ganz anders sieht das Schicksal der Menschen in Mittelerde aus. Ihre Lebenszeit ist vergleichsweise kurz, und ihre Seelen verlassen nach dem Ableben des Körpers die Kreise der Welt, d. h. eine Wiedergeburt ist ausgeschlossen – eine Wiederauferstehung à la Jesus von Nazareth allerdings nicht. Es sei denn, man ist Anhänger des Hinduismus oder Buddhismus und glaubt an Reinkarnation.

Die Elben haben also eine schier ewige Lebensdauer zu ertragen. Das könnte ziemlich langweilig werden, wenn die Menschen sie nicht auf Trab hielten. Nun aber zu Aragorn: Während er einerseits alle seine Pläne auf Frodos Ring-Mission setzt, hofft er andererseits, Arwen Undómiel, die bereits über 2700 Jahre auf dem Buckel hat, ehelichen zu können. Dazu ist Arwen glücklicherweise bereit, denn eine Liebe, die nur menschliche Jahre dauert, ist ihr tausend Mal lieber als keine Liebe, die ewig dauert.

Die Details sind kompliziert, deshalb geht der Autor auf die Ansichten über das ein, was nach dem Tod kommen könnte. Gibt es überhaupt eine Weiterexistenz der Seele, wie Religionen und Philosophen behaupten? Schlag nach bei Sokrates, Epikur, Aristoteles, Augustinus und vielen anderen, sogar bei Sarte und Camus wird man fündig. Allerdings muss man feststellen, dass die Aktien für das Weiterleben der Seele in den letzten Jahrzehnten stark gefallen sind. Aber das kann sich in einer Hochkonjunktur der Religionen rasch wieder ändern.

Mein Eindruck

Anschaulich und stringent arbeitet der Autor die zentralen Ideen und Darstellungen über den Tod, die Seele und die Unsterblichkeit heraus. Aragorn und Arwen stehen im Mittelpunkt, um ihre besondere Thematik das Thema veranschaulichen zu lassen. Deshalb kann auch der Laie noch einiges über das Thema „Tod als Gabe“ lernen. Dies ist einer der längsten und besten Essays des Bandes.

10) Joe Kraus: Tolkien, die Moderne und die Rolle der Tradition

Tolkien schrieb von 1916 an an seinem Lebenswerk, dem Silmarillion-Stoff, und veröffentlichte 1937 den „Hobbit“, der zum Bestseller wurde. Anders als die meisten zeitgenössischen Autoren verarbeitete er das traumatische Erlebnis der Teilnahme am 1. Weltkrieg nicht durch eine Abkehr von traditionellen Erzählformen, wie etwa James Joyce, sondern durch eine Hinwendung zum Allertraditionellsten, nämlich zu den uralten Sagas des alten, vorchristlichen Island und England. Die beiden Eddas und der „Beowulf“ wurden ihm zum Vorbild. Welche Gründe dies hatte, erörtert der Autor, und zeigt, welche Folgen es für Tolkiens Werke hatte.

Die Moderne bedeutet den Verlust aller Gewissheiten. Dem setzt Tolkien alte Weisheiten, Gewissheiten und Versprechen gegenüber, vor allem die der Bibel. Tolkien glaubt an die neutestamentliche Heilsgeschichte, folglich können Frodo und Aragorn die Übel seiner Welt Mittelerde besiegen. Saruman und Denethor aber lassen sich von Sauron (per Palantíri) täuschen und verzweifeln, weil sie ihre Gewissheiten vergessen.

Pippin ist der umgekehrte Fall: Durch seine Impulsivität ignoriert er sämtliche guten Ratschläge der Elben und Gandalfs und bringt sich so weit in die Bredouille, dass der Feind IHN für den Ringträger hält. Durch seine Erfahrungen in Fangorn, in Gondor und im verwüsteten Auenland entwickelt er sich jedoch so weit, dass er zum wichtigsten Hobbit, besten Bibliothekar und bedeutendsten Chronisten des 4. Zeitalters aufsteigt.

Schließlich setzt sich der Autor mit einer harschen Tolkien-Kritikerin aus dem Jahr 1969 auseinander. Catharine Stimpson nennt Tolkien einen „Schwindler“, der von der Moderne keine Ahnung habe oder sie bewusst ignoriere. Leider hat Stimpson keine Ahnung von dem, was Tolkien will. Dass Tradition und Moderne einander nicht ausschließen, ja, die Moderne nach Tradition geradezu lechzt, beweist der immense Erfolg von „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“.

Mein Eindruck

Der Autor schreibt mehr im Plauderton und wiederholt sich mehrmals. Das ist nicht so beeindruckend. Er hätte sich mehr mit Vertretern der Moderne auseinandersetzen sollen, und zwar so, dass jeder, der diese eben NICHT kennt (und das sind ja immer mehr Generationen), auch weiß, wovon die Rede ist. So setzt er zu viel voraus und greift zu kurz. Schade eigentlich.

11) Andrew Light: „Tolkiens „grüne Zeit“: Umweltthemen im „Herrn der Ringe“

„Dark satanic mills“ – die Metapher von William Blake (aus „Jerusalem“) wird in den letzten Kapiteln des „Herrn der Ringe“ bittere, finstere Wirklichkeit. Die Hobbits kehren in ein schwarzes Land zurück, das von der grünen Idylle des Mittelalter per Zeitmaschine ins Industriezeitalter katapultiert worden zu sein scheint. Und Saruman-Sharkû steckt dahinter!

Tolkien hat diesen Wandel selbst erlebt (siehe die Featurettes zur Special Edition von Jacksons HdR). Er wuchs in Sarehole auf, einem ländlichen Dorf, wie für Hobbits geschaffen, und es wurde zum Kohlerevier von Birmingham degradiert – einem schwarzen, staubigen, trostlosen Mordor, wie er es in seinem Buch ausgemalt hat. Es ähnelt auch Smaugs Verwüstung am Einsamen Berg und der Anfauglith, jener Staubebene, die nach der größten Schlacht um die Silmarils (Die Schlacht der ungezählten Tränen) dort zurückblieb, wo einst grüne Wiesen gediehen.

Es ist deutlich, dass Elben sich in Wäldern am wohlsten fühlen und die Zwerge in Bergen, die Hobbits in Wiesen und Auen. Aber macht sie das schon zu Umweltschützern? Wohl nicht. Deshalb schaut sich der Autor die Vertreter der Natur selbst an: Tom Bombadil ist als Naturgeist eine Verkörperung des Wissens über die Natur (manche halten ihn für einen der Valar), die Ents hingegen sind Teil der Natur. Die Elben erweckten sie und gaben ihnen die Sprache, erzählt Baumbart.

Wie auch immer: Ents und Bombadil relativieren unsere eigene Sicht auf die Natur, denn sie geben der Natur selbst eine Stimme. Sie vertreten zudem die sog. „Grüne Zeit“: sehr lange Zyklen, die über tausende von Jahren reichen, die in Mittelerde nur von den Elben (und Bombadil) verstanden werden.

Mein Eindruck

Wer eine Art Greenpeace-Pamphlet erwartet hatte, sieht sich einer ganz anderen Art von Text gegenüber. Der Essay erkundet tiefschürfend und mit vielen Fremdwörtern die Vertreter der Natur. Dabei widmet er besonders den Ents einen Großteil der Aufmerksamkeit, denn diese sind sowohl vernunftbegabt und sprechfähig, gleichzeitig aber zu einem Gutteil auch wie ihre „Schäfchen“, die Bäume. Außerdem leben sie nach der „Grünen Zeit“, den Langzyklen. Das Verständnis, das die Elben dafür aufbringen, die in Lórien und im Düsterwald (Legolas) leben, sollten auch wir Heutige uns aneignen.

Teil V: Schlüsse und Erlösungen

12) Thomas Hibbs: Vorsehung und dramatische Einheit

An vielen Stellen im „Herr der Ringe“ zeigt sich die Hand der Vorsehung, aber nirgends so sehr wie am Ende von Frodos Mission. Nicht der Hobbit ist es nämlich, der den Ring zerstört, der Saurons Macht beinhaltet, sondern jene Kreatur, deren Leben er auf Gandalfs Bitten mehrfach verschont hat: Gollum. Der ehemalige Sméagol stürzt mit dem Ring in die Kluft. Auf diese Weise scheint das Böse also dazu beizutragen, die Mission des Guten zu vollenden, aber nicht etwa, um ein göttliches oder teuflisches Gebot zu erfüllen, sondern weil freier Wille und freie Entscheidung dazu als Vorbedingung erfüllt waren.

Wie schon oben über die Natur des Bösen bei Tolkien gesagt, zeichnet es sich durch Selbstbezogenheit, seelische Leere und einen Mangel an Kreativität aus, so dass es am Guten, Kreativen schmarotzen muss. Wie kann in einer solchen Umgebung freier Wille entstehen? Überhaupt nicht, denn es gibt keine moralischen Entscheidungen mehr.

Der Autor stellt Kants Begriff der Willensentscheidung und Pflicht denjenigen Entscheidungen gegenüber, die in Tolkiens Roman zu beobachten sind (mit dem Vorbehalt, dass dramatische Form noch lange nicht philosophische Aussage bedeutet). Tolkien setzt auf Gemeinschaft, Toleranz, Geduld und Güte, allesamt christliche Tugenden. Hinzu kommen Achtung vor der Natur, verkörpert in den Elben, und vor den Lehren einer tiefen Vergangenheit, verkörpert in Gandalf.

Mein Eindruck

Mir kam die Philosophie ein wenig zu kurz in diesem Essay. Aber der Autor geht ausreichend auf Kant und Augustinus ein, um die Begriffe des Bösen, des Guten, der Pflicht, des freien Willens und der Vorsehung deutlich machen zu können.

13) J. Lenore Wright: Sams und Frodos Extrem-Abenteuer: Das Motiv der Reise bei Tolkien

Erkenntnisse und charakterlich-seelische Entwicklung haben sich schon immer als Reise darstellen lassen. Man denke nur an Helden wie Odysseus oder Gilgamesch oder an Pilger wie Prinz Siddharta, der zum Buddha wurde. An Helden und Pilgern lässt sich auch erklären, dass eine Reise entweder äußerlich oder innerlich verlaufen kann. Im „Herr der Ringe“ werden beide Möglichkeiten zusammengeführt: Die äußere Reise bedeutet in den Kämpfen, Entscheidungen und der überwundenen Angst immer auch eine innere Weiterentwicklung von Figuren, sei es Frodo, Sam oder Aragorn. Manche Figuren müssen sogar erst sterben, wie Gandalf, um verwandelt weiterwirken zu können: Aus Gandalf dem Grauen wird Gandalf der Weiße.

Aber bevor es losgehen kann, sind ein paar Bedingungen zu erfüllen: Frodo muss sich von seinen Beutlin-Wurzeln befreien, seine Aufgabe als Ringbewahrer annehmen und seine weltlichen Güter an die verhassten Sackheim-Beutlins verkaufen. Samweis kann nicht ohne Zwischenstufen zu Meister Gamdschie werden: Zuerst muss er das Böse in Gestalt von Kankra überwinden und dann entscheiden, ob er selbst Frodos Aufgabe erledigen soll. Wie die anderen Hobbits entdecken Frodo und Sam in sich ungeahnte Qualitäten wie etwa Mut, Kampfbereitschaft und den Willen, alles zu ertragen, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Innere Entscheidung und freier Wille treffen sich dann mit der Vorsehung, die bei Tolkien unabdingbarer Bestandteil des Kosmos ist.

Anhand der Reisen berühmter Philosophen wie Augustinus, dem späteren Bischof von Hippo, und René Descartes, der den Dreißigjährigen Krieg miterlebte, veranschaulicht der Autor, welche Folgen äußere und innere Reise haben können. Sie alle seien auf Platons Höhlengleichnis zurückzuführen: Der Sklave, der in der Höhle der eigenen Illusionen angekettet liegt, muss sich davon befreien, um ans Licht der Ideen zu gelangen und sich zu verwandeln. Die wichtigste Reise ist also die der Selbstbefreiung, die Queste. „Werde, der du bist“, sagt Nietzsche. Und nur wer sich selbst befreit, kann auch die Welt befreien.

Mein Eindruck

Die besten Bücher der Weltliteratur weisen das Grundmotiv der Reise auf, von der Odyssee und dem Gilgamesch-Epos über die Canterbury Tales und die Göttliche Komödie bis hin zu Shakespeares „Sturm“ (Schiffbrüchige entdecken auf einer Insel einen Zauberer und diverse seltsame Gestalten wie Caliban und Ariel). Ich bin völlig mit den Thesen und Befunden der Autorin einverstanden. Die Reisen von Augustinus und Descartes waren mir neu, das Platons Höhlengleichnis natürlich vertraut. Es ist von fundamentaler Bedeutung für das westlichen Denken.

Aber sie bringt nicht nur die Rede auf den Unterschied zwischen Helden und Pilgern, sondern auch auf den zwischen Lehrern und Schülern. Sokrates war der Lehrer Platons, der wiederum Aristoteles zum Schüler hatte. Gadamer war Schüler von Heidegger, der wiederum Husserl viel zu verdanken hat. Und so weiter. Im „Herr der Ringe“ sind es vor allem Gandalf, Elrond und Galadriel, die als Lehrer auftreten, ihre Schüler sind Legion.

Aber es gibt auch Antilehrer wie Saruman und Denethor, die von Sauron verblendet worden sind. Es kommt darauf, den Unterschied zu erkennen. Wahre Lehrer sind demütig und geduldig, Antilehrer unduldsam und ungeduldig. Wahre Lehrer ermuntern zu eigenem Denken, Antilehrer drücken ihre eigene Meinung durch.

ANHÄNGE

1) Die Weisheit der Philosophen

Hier sind die wichtigsten Ideen und Erkenntnisse der im Text erwähnten Philosophen, vom 7. Jh. v. Chr. bis in unser Jahrhundert, aufgelistet. Darunter sind auch ganz witzige, respektlose Einsichten wie die von Cicero: „Es gibt nichts, das so absurd wäre, dass nicht ein Philosoph es bereits gesagt hätte.“ Und auch „Lebe gefährlich“ von Nietzsche gehört wohl dazu.

Drei wichtige Philosophinnen sind ebenfalls berücksichtigt: Simone de Beauvoir, (eine offensichtliche Wahl), Hannah Ahrendt (eine Heidegger-Schülerin) und – Mary Wollstonecraft (1759-1797), die Frau des Philosophen und Sozialreformers William Godwin, nicht zu verwechseln mit ihrer Tochter Mary Shelley, der Autorin des „Frankenstein“ (die erst 1851 starb).

Hier ist der einzige sachliche Fehler des Buches zu finden: Durch die Lebensdaten 1759-1851 wirft der Herausgeber beide Marys in einen Topf! Gemeint ist aber Mary senior, denn ihr Zitat stammt aus ihrem Emanzipations-Buch „A Vindication of the Rights of Woman“ (1792).

2) Die Gemeinschaft der Beiträger

Siehe oben unter „Herausgeber“.

Die Übersetzung

Siehe meine Ausführungen zu Essay Nr. 4 (S. 87ff) und zum Anhang mit den Zitaten. Außerdem verblüffte und ärgerte mich die Schreibweise „Die Unsterblichen / Seligen Gefielde“, als ob die englische Schreibweise „fields“ maßgeblich für die deutschen „Gefilde“ wäre. Das Traurige daran: Dieser Fehler wird erst auf S. 75 gemacht und dann ab S. 178 permanent wiederholt.

Auf S. 77 und S. 80 taucht die Phrase „Dingen verbindet“ auf (und nicht etwa „Dinge verbinden“). Was könnte damit gemeint sein? Es geht um Verknüpfungen und Verbindungen, klar. Aber wenn „Dingen“ kein Substantiv, sondern ein Tunwort ist, dann geht es nicht ums Herstellen von Verbindungen, sondern um die Etablierung eines Dienstverhältnisses: ein Mörder kann etwa „gedungen“ werden. Auf jeden Fall bleibt die Phrase schief und rätselhaft.

S. 46: „Elron“ statt „Elrond“
S. 57: „reduzieren… die Biosphäre auf Staub“. Korrekt müsste es „zu Staub“ heißen.

Alle Fehler wurden eins-zu-eins aus der |Klett-Cotta|-Ausgabe in die |Piper|-Taschenbuchausgabe übernommen. Sogar die Seitenzahlen stimmen überein.

Unterm Strich

Dieser hübsch aufgemachte Band von philosophischen Aufsätzen erfüllt mehrere Aufgaben. Zum einen fühlt sich der Tolkien-Fan angesprochen, sei er nun Leser oder Filmzuschauer. Das setzt die Kenntnis zumindest der Filmtrilogie voraus, besser noch die der Buchvorlage inklusive des „Hobbits“ (denn Jackson nahm zahlreiche Änderungen gegenüber dem Original vor).

Ist nun die Philosophie aus dem Buch abzuleiten oder das Buch aus der Philosophie, fragt sich der Interessent. Zum Glück ist Ersteres der Fall, denn die Herausgeber unterlassen den Versuch, Tolkien auf die Schliche zu kommen, was seine Erzählung an philosophischen Grundlagen birgt. Deshalb macht es viel mehr Spaß, allgemeine Ideen und Probleme wie Gut/Böse, Freiheit/Herrschaft, Macht/Wissen anhand der Phänomene des Buches illustriert und erörtert zu bekommen. Wir erhalten dadurch eine Reihe von hilfreichen Aussagen und können diese mit den Figuren und Ereignissen des Buchs verknüpfen.

Um diese Diskurse in den 13 Essays verstehen zu können, braucht man nicht mal philosophische Grundkurse belegt zu haben. Vielmehr sehen sich die AutorInnen bemüßigt, alle Zitate und deren Urheber zu erklären, ohne etwas vorauszusetzen. Alle Zitate sind mit ihrer Quelle belegt, so dass keiner „Plagiat!“ schreien kann. Der Zitatenschatz in Anhang 1 ist ganz nett, enthält aber einen dicken Fehler (s. o.). Die Beiträger kurz vorzustellen, erfüllt eine Mindestanforderung. Dass sie alle etwas mit Hobbits usw. zu tun haben, ehrt sie. Man könnte das sogar witzig finden.

O-Titel: The Lord of the Rings and Philosophy, 2003
Gebunden: 288 Seiten
Aus dem Englischen von Susanne Held

www.piper.de

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