Colfer, Eoin – Artemis Fowl

Man kommt nicht umhin. Beinahe jedes Fantasybuch, das nach Harry Potter kam, wird mit dem Helden von Joanne K. Rowling verglichen. Die Engländerin hat die Messlatte hoch gelegt und 2001 schickte sich Eoin Colfer an, diese mit den Fingerspitzen zu berühren.

Sein Buch „Artemis Fowl“ wurde zumeist in einem Atemzug mit Harry Potter genannt, obwohl inhaltlich sehr starke Unterschiede bestehen. Artemis Fowl, der Held der Geschichte, ist nämlich keineswegs ein Zauberlehrling, sondern ein hochintelligenter Zwölfjähriger, der aus einer Familie von Kriminellen abstammt. Auch der jüngste Spross der Fowls hat sich zum Meisterdieb aufgeschwungen, und da er immer noch ein Kind ist, trotz seiner Altklugheit und Gerissenheit, glaubt er fest an das Märchen, dass jede Fee ein Goldtöpfchen in ihrer Behausung hat. Und er glaubt an die unterirdischen Wesen, auch wenn es lange dauert, bis er endlich die Spur einer Fee in Ho-Chi-Minh-Stadt findet. Er reist mit seinem deutlich älteren Bodyguard Butler, der ihm nicht von der Seite weicht, dorthin und schafft es, ihr das Goldene Buch abzupressen, in dem sämtliche Regeln und das Wissen über die Unterirdischen enthalten sind.

Mit dessen Hilfe gelingt es ihm, eine Elfe gefangen zu nehmen, mit deren Hilfe wiederum er die Elfen erpressen will, ihm etwas von ihrem Feengold abzugeben. Doch er hat nicht mit Holly Short, der Geisel und erstem weiblichem Officer der Aufklärungseinheit der Zentralen Untergrund-Polizei, gerechnet, denn diese hat nicht vor, kampflos aufzugeben …

Zentrale Untergrund-Polizei? Richtig gelesen. Elfen und Feen in rosa Rüschenkleidern und mit goldenen Zauberstäben kommen in Colfers Unterirdischen-Welt nicht vor. Stattdessen gibt es Straßen mit dem allmorgendlichen Stau, wenn die Unterirdischen zur Arbeit fliegen. Es gibt Fußgängerzonen im Höhlensystem und technikgewiefte Zentauren, die das gesamte Areal überwachen. Und es gibt die Zentrale Untergrund-Polizei, kurz ZUP, die für Ordnung unter der Erde sorgt und verhindert, dass die Menschen von der Existenz der Unterirdischen erfahren.

Stellenweise erinnert Colfers Welt dezent an die Bank |Gringotts|, aber insgesamt hat der Autor eine sehr eigenständige und sauber gezeichnete Welt ausgetüfftelt, die immer wieder durch ihren Erfindungsreichtum überrascht. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Elfenflügel motorbetrieben sind und es sogar verschiedene Modelle gibt?

Die gleiche Liebe zum Detail wendet Colfer für die Charaktere auf. Sie alle haben eine Hintergrundgeschichte und ihre Eigenheiten. Butler, Artemis‘ Leibwächter, zum Beispiel gehört zur Familie der Butlers, die schon seit Ewigkeiten im Dienst der Familie Fowl steht. Die Behauptung, dass man munkelt, dass das Synonym für Diener auf ebendiese Familie zurückgeht, ist mit einem Augenzwinkern versehen, was man sehr oft in dem Buch findet. Der gute alte englische Humor eben.

Holly Short, um ein weiteres Beispiel zu nennen, ist der erste weibliche Officer der Aufklärungseinheit und somit den sexistischen Angriffen ihres Vorgesetzten Root schutzlos ausgesetzt. Bei Root zeigt sich eine weitere Stärke Colfers. Er weiß zu verhindern, dass seine Charaktere wie lieblose, schwarz-weiße Stereotype wirken, indem er sie mit einem Herz versieht. Natürlich entspricht der Charakter des frauenverachtenden Chefs schon ein wenig dem Klischee, aber Colfer zieht dieses Klischee nicht bis zum Ende durch, sondern erlaubt Root, sich zu verändern. Und so wächst ihm Holly während ihrer Geiselnahme immer mehr ans Herz und letztendlich kommt er nicht umhin, sie zu loben.

Besonderes Augenmerk gilt natürlich dem Helden, Artemis Fowl, der schon aufgrund des Alters Harry Potter zu seiner Konkurrenz zählt. Er wohnt, anders als Harry, jedoch auf der anderen Seite des Gesetzes, und nur weil er noch ein halbes Kind ist, bedeutet das nicht automatisch, dass er nicht gerissen und ziemlich kaltblütig sein könnte. Manchmal beschleicht den Leser natürlich der leise Verdacht, dass der Junge ein wenig zu erwachsen geraten ist, an und für sich hebt sich das aber auf. Zudem hat auch Artemis ein Herz. Er sorgt sich um seine Mutter, die seit dem Verschwinden seines Vaters ein wenig verrückt und einer der Gründe ist, warum er an das Elfengold kommen möchte.

Wenn in einem Buch der Protagonist „der erste artübergreifende Dieb“ (Seite 108) ist, spielt die Geschichte dementsprechend in einem Milieu, in dem mit viel technischem Equipment und Action gehandelt wird. Es ist Colfer gutzuschreiben, dass er es schafft, bei all dem technischen Schnickschnack, den er Artemis zur Verfügung stellt, trotzdem noch auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Das eine oder andere Super-Hightech-aberleiderunrealistische-Handy hat schon so einige Autoren den Kopf gekostet, und auch wenn Colfer es manchmal ein wenig zu viel werden lässt, hält sich diese prekäre Angelegenheit noch im Rahmen.

Die Handlung an und für sich ist spannend gestaltet, hat aber in der Mitte so ihre Längen, während der Leser sehnsüchtig auf den Showdown wartet. Selbiger wird schön ausgestaltet und mit einer überraschenden Wendung versehen, so dass das Buch zu einem gebührenden Abschluss kommt. Allerdings wäre es an einigen Stellen nicht schlecht gewesen, die Action ein wenig zurückzufahren. Sie ist schuld daran, dass der Plot an einigen Stellen auszufransen zu droht.

Trotz dieser wenigen Mängel lässt sich das Buch sehr schön lesen, was dem tollen Schreibstil zu verdanken ist, der ebenfalls einige wenige Parallelen zu Rowling ziehen lässt. Sollte man das überhaupt machen? An und für sich ist der Humor, der „Artemis Fowl“ zugrunde liegt, dieser typisch englische, sehr trockene Humor, und Rowling und Colfer sind nicht die Einzigen, die ihn verwenden. Das lockert das Buch angenehm auf, genau wie der Einsatz von witzigen Metaphern („… genauso aussichtslos wie der [Versuch], eine Kartoffel in einen Fingerhut zu zwängen.“ (Seite 116) und die Hinwendung zum Leser, der humorvoll gesiezt wird.

„Artemis Fowl“ weist sicherlich einige Berührpunkte zu Harry Potter auf, aber Harry Potter weist sicherlich auch einige Berührpunkte zu Büchern auf, die vor ihm geschrieben wurden. Fakt ist, dass Eoin Colfer diese ständigen Vergleiche nicht nötig hat, denn er kann locker mit Rowling mithalten. Sein Schreibstil entfaltet ebenfalls einen mitziehenden Charme, seine Charaktere sind liebevoll ausgearbeitet und seine Geschichte ist mit Hintergründen, Spannung und einer nachvollziehbaren Handlung aufgepolstert. Der eine oder andere Wehmutstropfen lässt sich nicht verhindern, doch ansonsten spielt Colfer in der Oberliga der Kinderfantasybücher, die sich auch Erwachsene zu Gemüte führen können.

http://www.artemis-fowl.de/

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