Conze, Eckart / Frei, Norbert / Hayes Peter – Amt und die Vergangenheit, Das

Eine der langlebigsten Legenden der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts befasst sich mit dem Widerstand des Auswärtigen Amts gegen die offensive Gewaltpolitik des NS-Regims. Obschon die Nürnberger Prozesse vermehrt Verbindungen zwischen den Fragen der Judendeportation und der Beteiligung an der ‚Endlösung‘ entlarvten, schworen viele einflussreiche Diplomaten über Jahre hinweg ihre Unschuld an den Vergehen der Hitler-Diktatur und begründeten ihre Parteimitgliedschaft vorrangig mit dem wachsenden politischen Druck sowie der parallel entstandenen Panik vor persönlichen Konsequenzen im Rahmen der Verfgolgungspolitik des Nationalsozialismus.

Nachdem die Thematik in den letzten Jahrzehnten ständig wie ein kaum greifbarer Schatten über dem Amt und den einstigen Beschäftigten in der Wilhelmstraße schwebte, gelang es einem der kontroversesten Außenminister schließlich, die oftmals angekündigte, aber nie konsequent umgesetzte Vergangenheitsfrage zur Pflichtaufgabe zu erklären. Die 2005 einberufene Kommission sollte die Verbindungen und Verstrickungen des Amtes endgültig aufdecken, das Politische Archiv offenlegen und schließlich auch mit der jahrelang betriebenen Beschönigung befestigter Fakten aufräumen. Fünf Jahre später wurde schließlich das umfangreichste Dokument zu jenem nebenpolitischen Schauplatz fertiggestellt – und es offenbart erwartungsgemäß einige erschreckende Entwicklungen und Wendungen in der deutschen Außenpolitik!

_“Das Amt und die Vergangenheit“_ hat sich jedoch nicht zum Ziel gesetzt, rückwirkend anzuprangern und verschonte Drahtzieher in offenkundig hohen politischen Positionen zu verurteilen. Zwar werden schonungslos Tatsachenberichte auf Basis intensiver Recherchen bereitgestellt, dies jedoch völlig wertfrei und manchmal fast schon erschreckend nüchtern. Stattdessen geht es in der großen Studie darum, bekannte Straftaten im Rahmen der NS-Kriegsverbrechen nachzuvollziehen, die oberflächlich unschuldige Rolle einiger Diplomaten ins rechte Licht zu rücken und nachzuweisen, dass das Auswärtige Amt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf viele Entscheidungen die Judenfrage betreffend gebilligt oder partiell sogar durch Hilfestellungen unterstützt hat. Gerade im zweiten Abschnitt des Buches, der sich mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs beschäftigt und Stück für Stück aufdeckt, an welchen elementaren Deportationsverfahren verschiedene Mitarbeiter der auswärtigen Behörde beteiligt waren, stolpert man über unzählige passive wie aktive Verbrechen, die zwar in ihrer personenbezogenen Komplexität gut verschleiert werden, nach ausführlicher Recherchearbeit jedoch nicht mehr länger verschwiegen werden konnten.

Insofern gerät man in einen regelrechten Schockzustand, wenn man im ausführlichen Kapitel über die Nachkriegszeit erfährt, wie einfach sich die am Massenmord beteiligten Diplomaten reinwaschen konnten und im Rahmen der Entnazifizierung dank der Solidarität der Kollegen als entlastet eingestuft wurden. Als Schein-Oppositionelle aufgetreten konnten sie sich im Rahmen der Prozesslawinen gegenseitig die Bälle zuschieben und eine Lüge über Jahre hinweg, teilweise sogar über ihren Tod aufrechterhalten. Viel brisanter noch: Ein Großteil der einstigen Mitarbeiter, die nachweislich einen aktiven Part in der NS-Politik eingenommen hatten, wurden später wiederbeschäftigt und teils in höhere Ämter berufen, um einen Staat zu vertreten, unter dessen Banner sie Jahre zuvor noch für faschistische Werte gekämpft hatten – prominente Beispiele wie den Präsidentenvater Ernst von Weizsäcker nicht ausgeschlossen.

Die mehr als 800 Seiten mächtige Studie ist trotz ihres Umfangs aber dennoch gewissermaßen begrenzt, da der Fokus in erster Linie auf der Entwicklung des Amtes und vielen fragwürdigen Personalentscheidungen liegt, sodass viele Verbrechen, die auch im Namen des Amtes begangen wurden, lediglich als Randnotiz erwähnt werden können. Weiterhin schwierig ist die Fülle an Namen, die „Das Amt und die Vergangenheit“ stellenweise recht unübersichtlich gestaltet, zumal Personen in späteren Abschnitten wiederkehren und es oftmals schwerfällt, jedwede individuelle politische Einstellung sofort wieder adäquat einzustufen, ohne dabei Fakten zu vermischen. Das Buch verfolgt zwar einen chronologischen Ansatz, wagt aber dennoch sehr viele Sprünge, was vorrangig damit zu begründen ist, dass die Arbeit vor allem in den Jahren 1939-45 an unheimlich vielen Schauplätzen parallel ausgetragen wurde.

_Das Problem der_ mangelnden Übersichtlichkeit ist jedoch eines, welches man im Hinblick auf den Lohn, den dieses Dokument mit sich bringt, gerne in Kauf nimmt. „Das Amt und die Vergangenheit“, so belegen mehr als 100 Seiten Quallenangaben, ist eines der ambitioniertesten Aufklärungswerke der deutschen Nachkriegsgeschichte – und im Hinblick auf die Belege, die einen scheinheiligen Mythos endgültig beenden sollten, sicherlich die Referenz zur Geschichte des Auswärtigen Amts.

|Gebundene Ausgabe: 880 Seiten
ISBN-13: 978-3896674302|
[www.randomhouse.de/blessing]http://www.randomhouse.de/blessing/index.jsp

Schreibe einen Kommentar