Dawkins, Richard – Gotteswahn, Der

Seit Menschengedenken glaubt der Großteil der Weltbevölkerung an ein höheres Wesen, das die Welt erschaffen hat und über uns wacht und unsere Geschicke, unser Leben, unser Schicksal lenkt oder zumindest gelegentlich eingreift.

Die angenommene Existenz eines Gottes hat zumindest immer etwas mit Glauben zu tun, und damit beschreitet man ideologisch den schmalen Grat zwischen Religion und Naturwissenschaft, zwischen Physik mit Raum und Zeit und einem Glauben an eine körperliche oder geistige Gestalt, die Wunder vollbringen kann und allmächtig ist. Im Namen der Religionen wurden Kriege geführt, es wurde gemordet, gefoltert, gestohlen, gelogen, und immer wurde der Mensch durch Kirchenfürsten manipuliert. Es gab Zeiten, da wurde man für seinen Glauben direkt verfolgt und getötet – und im Laufe der Epochen hat sich wirklich nicht allzu viel geändert. Es gibt unzählige Beispiele, die nicht zuletzt zum 11.9.2001 reichen.

„Religion ist irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch“, so lautet eine These von Richard Dawkins, der wohl zu den einflussreichsten intellektuellen Größen unserer Zeit zu rechnen ist. Der Glaube an Gott kann seiner Betrachtungsweise nicht standhalten, und seine Thesen und Theorien werden mit scharfem Verstand. aber auch zynisch begründet.

Das vorliegende Buch beginnt ganz harmlos: |“Stellen wir uns doch mal eine Welt vor, in der es keine Religion gibt – keine Selbstmordattentäter, keinen 11. September, keine Anschläge auf die Londoner U-Bahn, keine Kreuzzüge, keine Hexenverfolgung, keine Aufteilung Indiens, keinen Krieg zwischen Israelis und Palästinensern, kein Blutbad unter Serben/Kroaten/Muslimen, keine Verfolgung von Juden als ‚Christusmörder‘, keine ‚Ehrenmorde‘, keine pomadigen Fernseh-Evangelisten im Glitzeranzug, die leichtgläubigen Menschen das Geld aus der Tasche ziehen. Stellen wir uns vor: keine Zerstörung antiker Statuen durch die Taliban, keine öffentlichen Enthauptungen von Ketzern, keine Prügel für das Verbrechen, zwei Zentimeter nackte Haut zu zeigen …“|

Schon mit dem Vorwort seines jüngsten Werkes „Der Gotteswahn“ treibt Richard Dawkins Fundamentalisten aller Religionen auf die Barrikaden. Der Biologieprofessor aus Oxford hat offenkundig Spaß an der Polemik. Sein 500-Seiten-Opus stand in Großbritannien, Kanada und den USA wochenlang an der Spitze der Bestsellerlisten. Vor 30 Jahren machte der junge Wissenschaftler mit dem Buch „Das egoistische Gen“ zum ersten Mal Furore, als er Charles Darwins Theorie der Evolution auf die Spitze trieb.

Richard Dawkins ist von Beruf Evolutionsbiologe, und nach seinem epochalen Werk „Das egoistische Gen“ bringt er nun mit „Gotteswahn“ ein imponierendes und kritisch-aggressives Buch heraus. Ist Religion nur ein Machtmittel, um Menschen bewusst zu manipulieren und zum eigenen Nutzen einzusetzen? Genau hierin liegt nämlich die Gefahr der Religion, und an diesem Punkt setzt das Verständnis für Religionsgegner und Atheisten an.

Richard Dawkins‘ Plädoyer gegen die Religion ist recht einseitig orientiert und erzürnt so manches Gemüt: Was passiert eigentlich, wenn wir Religionen angreifen und zum Tabu erklären?

_Kritik_

Richard Dawkins verfügt über eine ungemein präzise Art, seinen Standpunkt klarzumachen. Sein bissiger und zynischer Humor ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Dawkins philosophiert nicht lange über die Religiosität oder reitet auf den Irrungen und Wirrungen der verschiedenen Religionen herum. Dies würde auch nichts bringen, sondern wäre nur prosaisches Futter für oder gegen die verschiedenen Glaubensrichtungen – eine Pro/kontra-Affäre.

Dafür erzürnt er seine Fachkollegen gleichermaßen. Der Autor provoziert immer und immer wieder und bewegt sich dabei auf recht einseitigem Terrain. Eigentlich beabsichtigt er eine Konvertierung des Lesers vom Gläubigen zum Atheisten, das allerdings mit einer viel zu aggressiven Methodik.

Die Kirche, so ätzt der Professor, habe den Wechsel vom Polytheismus der griechischen und römischen Götter zum Monotheismus als Fortschritt verkauft. Aber bei den Katholiken sei „der Dauerflirt mit dem Polytheismus in eine galoppierende Inflation gemündet“, und genüsslich zählt er auf: „Die Dreifaltigkeit wird (oder werden sie?) durch Maria erweitert, die „Himmelskönigin“, die in allem außer ihrem Namen eine Göttin ist und als Ziel der Gebete nur ganz knapp hinter Gott an zweiter Stelle steht.“ Weiter aufgeblasen werde das Pantheon durch eine Armee von 5.120 Heiligen, zuständig für Waffenhändler, Schmiede, Bombentechniker, für Bauchschmerzen, Magersucht oder Darmerkrankungen. Schritt für Schritt geht Dawkins weiter, von den verschiedenen Gottesgestalten der Bibel zum allgemeinen Gottesbegriff, der sich in Stoßseufzern und Gebeten manifestiert.

Gern zitiert Dawkins auch Einstein, den großen Physiker unserer Zeit, der Gott aus wissenschaftlicher Sicht ganz eigen interpretiert hat. Trotz bekannter Aussprüche wie „Gott würfelt nicht“ oder „Gott ist raffiniert, aber boshaft ist er nicht“ benutze der große Physiker den Begriff „Gott“ in einem rein metaphorischen Sinn. „Das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich sind“, so Einstein, „dies Wissen und Fühlen macht wahre Religiosität aus“.

Dawkins geht es darum, dass der Fundamentalismus nichts Religiöses oder gar Göttliches, sondern lediglich etwas allzu Menschliches ist, und das im negativen Sinne. Zugleich wirkt dieser Ansatzpunkt aber paradox, denn Dawkins – als Autor, der ja schließlich auch mit seinem Werk eine Verantwortung eingeht – handelt und argumentiert fundamentalistisch, und das sehr radikal.

Seine Botschaft interpretiere ich eher solcherart, dass es in Dawkins‘ Umfeld von Wissenschaft, Physik und dazugehörigen Naturgesetzen eine Gottgestalt einfach nicht geben darf. Wir Menschen wissen potenziell halt alles und sind gotterhaben. Wir sind nur uns selbst verantwortlich und unseren modernen Wertmaßstäben, alles andere wäre ein ideologisches Desaster.

Gilt der Atheismus als fortschrittlich oder möchte er zumindest solchermaßen angesehen sein? Möchte er den Menschen befreien, der sonst als abhängig und gefesselt anzusehen ist? Die religionsgeschichtliche Vergangenheit mag hier der ausschlaggebende Punkt sein. Sicherlich war die Entwicklung und Auswirkung der Religion oftmals negativ, aber es gab auch positive Aspekte der Religionsbestrebungen, und gerade diese kommen überhaupt nicht zur Sprache. Was genau ist denn Religion? Nur der Glaube an ein höheres Wesen oder auch der Glaube an eine Ideologie, an einen Lebenswert?

Dawkins kann nicht beweisen, dass es keinen Gott gibt. Die Religion hat die Menschen wesentlich geprägt, entwickelt und zu dem gemacht, was sie jetzt sind. Menschen sind nicht perfekt, aber kann oder muss es ein Gott sein, der es zulässt, dass wir so viel Leid zu ertragen haben? Zahllose Menschen sind für ihren Glauben gestorben, haben Großes vollbracht. Was ist mit den kirchlichen Einrichtungen, den Krankenhäusern, Heimen, kirchlichen Hilfsorganisationen? Was ist mit den Menschen, die aus ihrem Glauben Kraft gewinnen? Hat das alles nichts zu bedeuten? War das alles nur religiöser Wahn?

_Fazit_

Und die Bibel hat doch Recht? Vielleicht – wir werden es eines Tages begreifen können oder vielleicht nicht. Das letzte und womöglich wichtigste Element menschlicher Erfahrung wird ein jeder für sich selbst vielleicht irgendwann einmal begreifen können. Richard Dawkins hat sein Buch und seine Thesen sehr eindringlich verfasst, doch auf wessen Kosten? Gott ist für jeden Menschen anders fassbar oder gar messbar. Er ist immer da, und er wird es auch weiterhin sein, selbst wenn „Der Gotteswahn“ nicht mehr auf den Bestsellerlisten stehen wird …

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