Kalla, Daniel – Pandemie

_Ein neues Virus_

Dr. Noah Haldane ist Spezialist für Infektionskrankheiten und neue Krankheitserreger. Als Mitarbeiter eines Expertenteams der Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgt er einem Hilferuf der chinesischen Regierung und versucht die Ausbreitung einer neuen und sehr gefährlichen Grippevariante, die in der abgelegenen Provinz Gansu im Norden Chinas aufgetreten ist, zu verhindern. Die Erkrankung erhält das Akronym ARCS (Acute Respiratory Collapse Syndrome) da ein Viertel der Infizierten an einem Zusammenbruch der Atemfunktionen verstirbt.

Das Virus weckt bei Dr. Haldane Erinnerungen an die letzte große Grippepandemie von 1918, bei der mehr als 30 Millionen Menschen starben. Genau wie damals erkranken auch viele junge Erwachsene, während sich bei einer „normalen“ Grippe vor allem Immunschwache, besonders Alte und Kleinkinder infizieren. Dabei scheint jedoch dieses neue Virus, obwohl es zum Glück nicht ganz so ansteckend ist, um vieles tödlicher zu sein als das Virus vom Typ H1N1, welches damals als „Spanische Grippe“ grassierte. Durch sofortige Quarantänemaßnahmen und Massenschlachtungen von Hühnern und Schweinen in der gesamten Provinz gelingt es schließlich, eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Gefahr einer Pandemie der „Gansu-Grippe“ scheint gebannt.

_In der Hand von Terroristen_

Doch während das Expertenteam um Dr. Haldane aufatmet, wird der Erreger der „Gansu-Grippe“ schon eifrig in einem geheimen Forschungslabor im Norden Somalias in Hühnereiern kultiviert. Noch vor der Ankunft der WHO-Experten in China gelang es zwei Malaien durch Bestechung des Stellvertretenden Klinikdirektors Ping Wu, zu einem der Infizierten vorzudringen und dessen virushaltige Körpersekrete aus China herauszuschmuggeln.

Der Drahtzieher hinter diesem „Diebstahl“ ist der einflussreiche ägyptische Zeitungsmagnat Hazzir Al Kabaal. Obwohl Kabaal in Europa studiert hat und durch sein ganzes Auftreten eine pro-westliche Haltung signalisiert, gehört er insgeheim einer radikalen muslimischen Vereinigung an. Durch den Angriff der westlichen Mächte auf den Irak verbittert und zu seinen islamischen Wurzeln zurückgekehrt, benutzt er schon seit längerem seine Zeitungen und sein Geld, um für den Islam einzutreten und heimlich verschiedene terroristische Bewegungen zu unterstützen.

Angestachelt durch die Reden von Scheich Hassan, des Vorstehers der Al-Futuh-Moschee in Kairo, sieht Kabaal seine Aufgabe darin, die amerikanischen Besatzungsmächte von islamischem Boden zu vertreiben. Dazu kommt ihm das Gansu-Virus gerade recht.

_Ein infernalischer Plan_

Während der Mikrobiologe Dr. Anwar Aziz mit dem Gansu-Virus an Schweinen, Affen und Menschen herumexperimentiert, um eine stärkere Ansteckungsrate zu erreichen, entsendet Kabaal infizierte Selbstmordattentäterinnen nach London, Hongkong und Vancouver, um dort an speziell ausgewählten öffentlichen Orten besonders viele Menschen zu infizieren. Den WHO-Experten wird schnell klar, dass die in diesen Städten auftretenden Grippe-Epidemien keine natürliche Ursache haben können.

Ihre Vermutung wird zur schrecklichen Wahrheit, als Kabaal über den Fernsehsender Al Dschasira im Namen der Bruderschaft der einen Nation ein Ultimatum an die westlichen Staaten sendet. Nur bei einem sofortigen Rückzug aller Koalitionstruppen von islamischem Boden würde die Bruderschaft von der Entsendung einer ganzen Armee von infizierten Selbstmordattentätern absehen. Damit beginnt für Noah Haldane und Gwen Savard, die Direktorin für Bioterrorismus Abwehr, ein Wettlauf gegen die Zeit. Fieberhaft beginnen die beiden mit Hilfe der CIA nach den Drahtziehern zu forschen.

_H5N1 lässt grüßen_

Passend zur derzeitigen Hysterie um eine mögliche Pandemie mit einem von Mensch zu Mensch übertragbaren Vogelgrippevirus vom Typ H5N1, wurde die Veröffentlichung von David Kallas Erstling „Pandemie“ vom April 2006 auf Dezember 2005 vorgezogen.

Es ist zurzeit wohl eine der größten Befürchtungen, dass das Vogelgrippevirus H5N1 im Schmelztiegel Asiens, wo Hühner, Schweine und Menschen auf engstem Raume zusammenleben, den Speziessprung zum humanen Grippevirus schafft. Kalla startet mit diesem äußerst beängstigenden, aber durchaus realistischen Szenario zur Entstehung einer neuen Pandemie. Doch obwohl „Pandemie“ ebenfalls von einem gefährlichen Grippevirus handelt, das den Speziessprung vom Vogel zum Mensch geschafft hat, kann die natürliche Ausbreitung dieses Virus durch schnell durchgeführte Quarantänemaßnahmen relativ früh gestoppt werden. Damit wäre die Gefahr einer Pandemie gebannt, gäbe es da nicht Hazzir Al Kabaal, der unter dem Deckmantel seines islamischen Glaubens das Virus künstlich in den Metropolen der westlichen Welt verbreitet und so hofft, einen Rückzug der Koalitionstruppen von islamischem Boden erzwingen zu können.

Hätte Kalla es mal lieber bei einer natürlichen Ausbreitung der Grippe belassen und sich nicht islamischer Terroristen bedient, um seinem Roman eine künstliche Spannung zu vermitteln. Leider fehlt es Kallas stereotypen Bösewichtern an einem wirklich nachvollziehbaren Beweggrund, neben dem typischen Hass der Extremisten. Zum Freisetzen eines tödlichen Grippevirus, für das es kein Heilmittel gibt, reicht es jedoch nicht aus, einen Hass auf die westliche Welt zu haben. Woher sollte Al Kabaal wissen, dass es den Engländern und Amerikanern wirklich gelingt, die Ausbreitung der Grippe zu verhindern? Die Möglichkeit, dass das Virus durch einen infizierten Touristen auch auf islamischen Boden gebracht werden könnte, ist nicht unbedeutend. Ist Kabaals Hass so groß, dass er eine potenziell tödliche Gefahr für ein Viertel aller Moslems völlig ignoriert?

Ein weiterer grober Fehler in der Handlung ist die Entführung des Virus aus Gansu. Woher hat Kabaal so schnell erfahren, dass es ein neues gefährliches Grippevirus in Gansu gibt? Die Inkubationszeit dieser Grippe beträgt nur vier Tage, also kann nach dem ersten Auftreten der Grippe und der Ankunft des WHO-Teams im besten Fall ein Monat gelegen haben. In diesem Zeitraum hat Kabaal von der neuen Krankheit erfahren, ihr tödliches Potenzial erkannt, einen infernalischen Plan geschmiedet und Leute beauftragt, das Virus zu stehlen. Abgesehen von der Zeit, die es dauert, ein gut ausgestattetes Labor zur Zucht und Veränderung von Viren einzurichten. Sollte sein Plan, ungeachtet aller Risiken, ein tödliches Virus zu benutzen, aber schon vor dem Auftreten der Gansu-Grippe existiert haben, gäbe es jede Menge anderer gut geeigneter Krankheiten, die durch infizierte Selbstmordattentäter unter die Leute gebracht werden könnten.

Doch trotz dieser Ungereimtheiten und flachen Charaktere ist „Pandemie“ spannend zu lesen, wenn auch nicht sonderlich anspruchsvoll. Vor allem die real existierende Bedrohung durch H5N1 trägt wohl dazu bei, dass man „Pandemie“ nicht wieder aus der Hand legen mag.

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