Lynch, Scott – Sturm über roten Wassern (Locke Lamora 2)

|Locke Lamora / Der Gentleman-Bastard:|

Band 1: [„Die Lügen des Locke Lamora“ 3624
Band 2: _Sturm über roten Wassern_
Band 3: The Republic of Thieves (2009)
(Laut Autor wurde die Serie vertraglich auf sieben Bände festgelegt)

In „Sturm über roten Wassern“ schickt Scott Lynch seinen Gentleman-Ganoven Locke Lamora nicht nur in die nächste Runde seiner Abenteuer, sondern auch in neue Gefilde: Aus dem geplanten Coup in Tal Verrars exklusivstem Spielcasino, dem „Sündenturm“, wird nichts. Die Soldmagier von Karthain verübeln Locke die Verstümmelung des „Falkners“ und versprechen ihm eine bittere Abrechnung. Sie spielen ein perverses Spiel der Rache mit Locke und liefern ihn der Gnade von Stragos, dem Archonten von Tal Verrar, aus.

Dieser sieht in ihm ein nützliches Werkzeug und macht sich Locke und Jean mit einem Gift gefügig; ohne regelmäßige Dosen des Gegengifts müssen sie sterben. Er schickt beide auf das Messingmeer – als vermeintliche Piraten sollen sie die Seeräuber der Geisterwind-Inseln dazu ermutigen, wieder in den Gewässern von Tal Verrar zu räubern. Denn in dem Poker um die Macht streichen die Priori-Handelsherren dem Archonten die Gelder, die er zum Unterhalt seiner gewaltigen Flotte benötigt, und Maxilan Stragos hat weit ehrgeizigere Ziele als nur Archont von Tal Verrar zu sein.

In dieser misslichen Situation voller Intrigen, Tricks und Täuschungen blühen die Gentlemen-Ganoven allerdings erst so richtig auf und beginnen, alle Parteien gegeneinander auszuspielen. Doch auch ihre Gegenspieler schrecken vor nichts zurück, und vor Überraschungen ist man nie gefeit – ebenso kann man sich im Netz der eigenen Intrigen tödlich verfangen …

Mit „Die Lügen des Locke Lamora“ konnte Scott Lynch bereits viele Leser bezaubern, doch der Nachfolger sticht ihn mühelos aus. Lynch hat Routine gewonnen – eine viel detailreichere und sehr raffiniert angelegte Handlung ist das große Plus des Nachfolgers. Ob der gute Kontakt zu dem ebenfalls hervorragenden [Joe Abercrombie 4190 hier erste Früchte zeigt, überlasse ich der Spekulation und zähle lieber auf, was die großen Pluspunkte des Nachfolger sind.

Im Gegensatz zum Vorgänger wird nicht nur von vermeintlich großartigen Coups Lockes geschwärmt, sondern Locke führt jetzt auch tatsächlich einige wirklich ausgeklügelte Tricks und Bluffs vor – und das abwechslungsreich und am laufenden Band; alle Achtung, Mr. Lynch! Die im Vorgänger stets etwas verwirrenden und den Lesefluss eher bremsenden Rückblenden in die Vergangenheit wurden stark reduziert, die Vorgeschichte (Lockes erzwungene Flucht aus Camorr am Ende von Band 1) wird in einigen wenigen Rückblenden erzählt, und gleich zu Beginn schlägt Lynch in einem raffinierten Kniff einen Bogen fast bis zum Ende: Jean verrät anscheinend Locke – während dieser die ganze Zeit gegenüber seinen Auftraggebern einen Verrat an Jean vorspielt. Der Leser wird im Ungewissen gelassen, das Verwirrspiel noch einmal potenziert. Die Handlung spielt diesmal auf höheren Niveau, Locke und Jean haben den Schmutz von Camorr hinter sich gelassen und spielen nun auf höherer Ebene in Adelskreisen und vornehmen Casinos, obwohl es dort genauso hart und oft noch grausamer zur Sache geht. Der Ausflug auf die See ist zwar unglaublich bemüht konstruiert – einer der wenigen wirklichen Kritikpunkte, die ich anbringen kann -, schafft aber eine zusätzliche Handlungsebene und Abwechslung.

Als im Schnellverfahren zu Möchtegern-Seeleuten geschulte Scheinpiraten machen Locke und Jean wie eigentlich – wie nicht anders zu erwarten – keine gute Figur, die Mannschaft meutert schon bald und es dauert nicht lange, bis eine richtige Piratin sich ihres Schiffs „annimmt“. Die Piratenepisode ist nicht so zentral, wie es der Titel andeutet, sondern nur das letzte Drittel des Buches; bei satten 941 Seiten reicht das aber für ein vollwertiges Piratenabenteuer innerhalb der Handlung, bei dem Lynch einige Klischees und Aberglauben des Seemannsgarns Realität werden lässt und einige Dinge unterhaltsam verdreht. Zum Beispiel bringen Frauen und Katzen an Bord Glück, man braucht beides, sonst erzürnt man den Gott des Meeres.

Der Humor kommt auch nicht zu kurz; im Gegensatz zum Vorgänger setzt Lynch auf gehobenere Situationskomik anstelle launischer Sprüche. So finden sich unsere beiden Edel-Ganoven unter anderem in einer Situation wieder, in der sie bei einer Kletterübung ein anderer Dieb bestiehlt und dieser, nachdem sie ihn wüst beschimpfen und bedrohen, zur Sicherheit dann doch lieber die beiden Seile durchtrennen will, an denen sie hängen. Ebenso geht nicht jede Intrige auf, oft bringt die beiden ihr eigenes Lügengespinst nur noch tiefer in die Zwickmühle.

_Fazit:_

Was das Buch jedoch weit über den Vorgänger hinaushebt und – egal ob man ihn gelesen hat oder nicht – zu einer absoluten Empfehlung macht, ist die Mischung aus ausgeklügelter Handlungsführung, spannender Story und sehr exotischen fantastischen Elementen. Den kapitelweisen Leerlauf und die beachtlichen Qualitätsschwankungen des ersten Bandes gibt es nicht mehr, Lynch schreibt durchgehend auf hohem, sogar deutlich höherem Niveau. Meine einzigen Kritikpunkte sind die etwas zu sehr konstruierten Gründe, gerade die Landratte Locke auf See zu schicken, sowie ein gewisser Overkill an schönen, kompetenten und gefährlichen Frauen. Und das stets alles in einem. Die Namen der Damen sind ziemlich austauschbar, sie sind ausnahmslos emanzipierte und taffe Femmes fatales. Interessanterweise rückt Lockes im ersten Band arg penetrantes Schmachten nach seiner verlorenen Liebe, Sabetha, in diesem Band angenehm in den Hintergrund, obwohl der nächste Band der Reihe, „Republic of Thieves“, sich vornehmlich mit dem auch explizit auf dem Titelbild dargestellten Rotschopf befassen wird.

Wer Gefallen an Locke Lamora gefunden hat, wird sicher erfreut darüber sein, dass der Nachschub garantiert ist: Lynch hat die Reihe vertraglich auf sieben Bände fixiert und zudem „zügige“ Belieferung versprochen. Was immer man als erfahrener Fantasy-Leser davon halten mag – wer Interesse an Spoilern und näheren Informationen hat, sollte Scott Lynchs Webseite aufsuchen. Alleine die in der deutschen Fassung fehlenden und unter „Bonus Materials“ zu findenden exzellenten Karten des Messingmeers, Tal Verrars und Camorrs sind bereits den Besuch wert.

Homepage des Autors:
http://www.scottlynch.us

Homepage des Verlages:
http://www.heyne.de

|Originaltitel: Red Seas under Red Skies
Übersetzt von Ingrid Herrmann-Nytko
Paperback, 944 Seiten|

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