Ferris, Joshua – Wir waren unsterblich

Als Debütant ist es nicht immer leicht, mit seinem Werk eine Nische auf dem Buchmarkt zu finden, die noch halbwegs unbesetzt ist. Joshua Ferris‘ Büro-Roman ist ein guter Schritt in diese Richtung. So attraktiv ein gut bezahlter Job in einem Hochhaus im alltäglichen Leben auch ist, glaubt doch niemand, dass sich aus Überstunden und Kaffeepausen eine gute Geschichte spinnen lässt.

„Wir waren unsterblich“ spielt in einer Abteilung einer erfolgreichen Chicagoer Werbeagentur. Die Mitarbeiter zeichnen sich durch lasches Arbeitsverhalten, Hang zum Tratsch und sehr unterschiedliche Charaktere aus. Doch das ändert sich, als die Aufträge weniger und Sparmaßnahmen ergriffen werden. Nun lästert man nicht mehr darüber, wer was mit wem hat, sondern wer als Nächster „spanisch den Flur hinuntergehen“ wird – wie man eine Kündigung in Anlehnung an einen Tom-Waits-Song nennt.

Die Reihen in der Abteilung lichten sich, auch wenn die Fehlenden keine große Lücke hinterlassen. Nicht alle kommen dabei mit der Kündigung gut zurecht. Chris Yop taucht auch danach im Büro auf und kann das Projekt, das er begonnen hatte, nicht unvollendet lassen. Tom dagegen greift zu verheerenderen Maßnahmen. Währenddessen unterhält man sich darüber, ob die Chefin Lynn Mason wohl Brustkrebs hat, warum Janine in der Mittagspause bei McDonalds in einem Ballbad sitzt und ob Amber das Kind abtreiben wird, das einer Büroaffäre mit Larry entsprungen ist.

Zugegebenermaßen stellt man sich ernsthaft die Frage, wie ein Autor für diesen Stoff beinahe 450 Seiten aufbringt. Das ist ja nicht unbedingt spannend, denkt man sich, und trotzdem fällt es schwer, den Roman aus der Hand zu legen. Hauptsächlich in Form von Kollegentratsch, teilweise aber auch aus der Perspektive der Betroffenen verfolgt der Autor die Schicksale der einzelnen Personen. Diese sind von ganz alltäglicher Natur und spiegeln die heutige Gesellschaft und auch die Sitten in Büros wider. Der eine oder andere wird sich sicher wiedererkennen in den ausgefeilten, sehr unterschiedlichen Charakteren (oder zumindest seine Kollegen darin entdecken …). Über allen schwebt dabei eine Wolke aus Tristesse, die mit gut bezahlten Jobs einhergeht, auch wenn Ferris nicht den Fehler macht, dieses Thema auszuschlachten. Die Annehmlichkeiten, die mit einem gefüllten Konto einhergehen, werden häufig nur am Rande erwähnt. Im Mittelpunkt steht der Büroalltag, und diesen weiß er gut zu beschreiben und mit diversen komischen Situationen aufzupeppen.

Komisch ist das Buch sicherlich, aber eher im Sinne einer Tragikomödie. Für alles andere ist das Buch zu authentisch. Außerdem bringt der Autor nicht auf Teufel komm raus einen Kalauer nach dem anderen, sondern lässt den Humor aus dem Zusammenspiel aus Personen und Ereignissen entstehen. Überspitzt dargestellte Szenen sorgen dafür, dass der Leser mit einem Auge lacht und mit dem anderen weint. Auf der einen Seite sind die Geschehnisse amüsant, auf der anderen erinnern sie ziemlich stark an das eigene Verhalten.

Zu den Besonderheiten des Buches gehören der Umgang mit den Personen und die Erzählperspektive. Von einigen Ausnahmen abgesehen, schreibt Ferris aus der Wir-Perspektive, um den Abteilungscharakter aufrechtzuerhalten. Die Personen werden dabei häufig mit Vor- und Nachnamen genannt und es findet nur selten ein Einblick in ihr Gefühlsleben statt. Es wird viel geredet, manchmal berichtet er aus dem kollektiven Gedächtnis der Abteilung. Er wahrt Distanz zu seinen Figuren, so dass dem Leser die Rolle als Beobachter zugewiesen wird. Unweigerlich entwickelt man Sympathien für bestimmte Charaktere, während andere entweder Mitleid erregen oder abstoßend wirken. Der Autor selbst nimmt dabei keine Wertung vor. Alle unsympathischen Figuren haben irgendeine Geschichte oder zumindest Gründe für ihr Verhalten, die nüchtern geschildert werden.

Der Schreibstil ist entsprechend beinahe analytisch, chronistisch, ohne kühl zu wirken. Die Konzentration auf menschliche Schicksale und das Miteinander unter den Kollegen sorgt für eine angenehme, warme Atmosphäre. Diese wird zusätzlich unterstützt durch die Wir-Perspektive und den amüsanten Anstrich. Ferris zielt mit seiner Wortwahl nie auf Schenkelklopfer ab. Vielmehr wird es häufig dann witzig, wenn die Personen in Dialog treten und sich gegenseitig einen Schlagabtausch liefern.

Und so kommt, was kommen muss, wenn im Autorenporträt mit einem weltweiten Verkauf des Manuskripts geworben wird: „Wir waren unsterblich“ gewinnt vor allem dank des einnehmenden Schreibstils und der Quintessenz der Geschichte – die Lebensgeschichten sehr unterschiedlicher Menschen und deren Miteinander in einer Abteilung – an Fahrt. Joshua Ferris‘ Debütroman wird sicherlich nicht jedem zusagen. Wer es spannend und actionreich mag, wird wenig mit dem Roman anfangen können, doch wer gerne in die Leben anderer Menschen schaut, ist hier an der richtigen Adresse.

|Originaltitel: Then we came to the end
Deutsch von Frank Wegner
443 Seiten, Paperback
ISBN-13: 978-3-499-24410-0|
http://www.rowohlt.de

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