Robert B. Parker – Spensers Abschied. Ein Spenser Krimi (Spenser 11)

Bis zum Nahtod: Spensers großer Irrtum

Harte Zeiten für Spenser: Seine langjährige Freundin Susan Silverman verlässt ihn. Das macht ihm ganz schön zu schaffen. Zusätzlich muss er sich mit einer militanten Jugendsekte und einem Heroin-Ring herumschlagen. Schlechte Zeiten für die Ganoven in Boston. Denn sein Abschiedsschmerz macht Spenser ziemlich übelgelaunt… (erweiterte Verlagsinfo)

Diese deutsche Erstausgabe ist mit einem Nachwort von Friedel Middelhauve versehen.

Der deutsche Titel ist irreführend: Hier geht nicht um Spensers, sondern um Susan Silvermans Abschied. Im nächsten Band „Spenser auf der Flucht“ (A Catskill Eagle“) muss er hart um sie kämpfen, um sie zurückzugewinnen.

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zum seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 60 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird gerade vom ZDF gezeigt.

Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis. „Der Amerikaner Robert B. Parker promovierte mit einer Arbeit über das Werk Dashiell Hammetts, Raymond Chandlers und Ross Macdonalds.“ (Ullstein-Info)

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997)
2) Trouble in Paradise
3) Death in Paradise
4) Stone Cold (2003)
5) Stranger in Paradise

Die Sunny-Randall-Reihe:
1) Shrink Rap
2) Perish Twice
3) Family Honor

Die Spenser-Reihe (die bei weitem umfangreichste)
1) Widow’s Walk
2) Potshot
3) Hugger Mugger
Und viele weitere.

Außerdem schrieb Parker ein Sequel zu Raymond Chandlers verfilmtem Klassiker „The Big Sleep“ (mit Bogart und Bacall) und mit „Poodle Springs“ einen unvollendeten Chandler-Krimi zu Ende. „Gunman’s Rhapsody“ ist seine Nacherzählung der Schießerei am O.K. Corral mit Wyatt Earp und Doc Holliday, ein klassischer Western.

Handlung

Spensers Freundin Susan Silverman erwirbt ihren Doktorhut in klinischer Psychologie an der Harvard-Universität. Der Privatdetektiv hat herzlich wenig für die zum Teil in LATEIN gehaltenen Ansprachen bei der Urkundenverleihung übrig, bei der alle recht seltsam in Talar und Doktorhut gekleidet sind. Noch ahnt er nicht, was dieser Einschnitt in Susans Leben für ihn bedeutet: Sie zieht nach San Francisco um. Allein. Mit unbekannter Adresse. Es ist ihm, als würde ihm die Lebensenergie entzogen, als Susan verschwindet.

Sein Ziehsohn Paul Giacomin schaut nach ihm. Paul erzählt, dass bei seiner Tanztruppe ein Mitglied verschwunden wäre. Als er mit dem Leiter der Truppe spricht, erfährt Spenser, dass es sich um eine Entführung handle. Sherry Spellman, 20, sei in der Gegenwart von Tommy Banks, dem Leiter der Truppe, von fünf bewaffneten Mitgliedern einer religiösen Sekte, gekidnappt worden. Spenser glaubt Banks kein Wort, warum dieser nicht sofort die Polizei gerufen habe. Nichtsdestotrotz nimmt er die Ermittlung auf.

Die Sekte hat den klingenden Namen „Reorganisierte Kirche der Erlösung“ und ihren Sitz im nahen Middleton. Der Sprecher des Hauptsitzes gewährt Spenser allerdings keinen Zugang zu Sherry, die angeblich in Sicherheit sei. Erst als Spenser herumhängt und von zwei Kirchendienern vertrieben werden soll, bewegt sein Zusammenschlagen selbiger Kirchendiener den Kirchenführer dazu, Spenser zu empfangen. Aber auch von Bullard Winston bekommt Spenser nicht die Erlaubnis, Sherry zu sehen.

Deshalb zieht er andere Saiten auf und schaut sich die Finanzen der Kirche an. Höchst interessant: Winston hat eine halbe Million als Darlehen an die Baufirma eines gewissen Mike Paultz verliehen. Woher hat er so viel Geld? Und es ist nicht die einzige Summe, die er ihm zinsgünstig geliehen hat. Soll dies etwa der Geldwäsche dienen, wenn Paultz Dreck am Stecken hat? Als Spenser mit diesen brisanten Infos aufkreuzt, gewährt ihm Winston Zutritt zu Sherry. Sie sagt, es gehe ihr gut, wolle Tommy Banks nicht sehen und zahle auch kein Geld an die „Bullies“, also an die Kirche. Vielmehr bekomme sie eine Art Stipendium. Das bestärkt Spensers Verdacht, dass Winston ein krummes Ding laufen hat.

Er fragt Vinnie Morris, den Mann für alles Grobe, der für den Gangsterboss Joe Broz arbeitet. Der bestätigt ihm, dass Paultz mit Heroin handelt und es an Junkies verteilt. Nach einem Besuch bei Paultz muss Spenser zwei Schlägertypen aus seinem Büro vertreiben. Das ist ein starkes Motiv, um Winston unter Druck zu setzen. Der legt ein schriftliches Geständnis ab, als Spenser ihm ein Foto vorlegt, das Winston und Paultz im Gespräch zeigt. Spenser setzt damit Paultz unter Druck, Sherry einen Treuhandfonds auszuzahlen und von einem Anwalt verwalten zu lassen, dem Spenser vertraut. Nun hat Sherry ausgesorgt. Und dann lässt er Winston bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft sein Geständnis der Geldwäsche wiederholen.

Nun sollte eigentlich alles in Butter sein, denkt Spenser. Er lässt Winston, den einzigen Belastungszeugen, von Hawk und Vinnie Morris bewachen. Doch jetzt beginnt der Ärger erst richtig. Gerade als Spenser mit seiner neuen Geliebten Linda aus einer Kinovorführung kommt, merkt er, wie zwei Autos voller Killer auf ihn warten…

Mein Eindruck

Die danach folgende Verfolgung und Schießerei gehört zum Besten, was Parker in Sachen Action bislang geschrieben hat. Doch noch wesentlich besser ist das, was danach folgt. Denn Tommy Banks hatte mit seinem Verdacht gegen Sherry Spellman von Anfang an recht: Sie steckt mit ihren sogenannten Entführern unter einer Decke. Und das Verhältnis zwischen ihr, Winston und Paultz entpuppt sich als etwas völlig anderes als Spenser angenommen hat.

Die Ermordung von Paultz mit einer kleinkalibrigen Pistole bringt Spenser ebenso ins Grübeln wie seinen Bekannten Martin Quirk von der Kripo: Paultz wäre zu einem solchen Treffen mit dem unbekannten Schützen nur dann ohne Leibwächter gefahren, wer er sich dabei völlig sicher gefühlt hätte. Also kommt nur ein harmloser Geschäftspartner als Täter infrage…

Sein Irrtum kostet Spenser in einem zweiten Showdown das Leben – buchstäblich. Er ist bereits klinisch tot, als Hawk ihn ins Krankenhaus einliefert. Während dieser Nahtoderfahrung erlebt Spenser das traumatische Ende seines vorhergehenden Auftrags in Los Angeles. Dort schaffte er es nicht, die ihm anvertraute Candy Sloan vor ihren Verfolgern zu beschützen (in „A Savage Place“). Es ist für den Privatdetektiv ebenso ein seelisches Trauma wie der Fortgang Susans, die an der Westküste ein Verhältnis mit einem anderen eingegangen ist.

Überhaupt spielt die Psychologie eine bestimmende Rolle in diesem Spenser-Krimi. Dass Susan ihn vorübergehend verlässt, wirft Spenser aus der Bahn, und er wird nachlässig, wie ihm sein bester Freund Hawk vorwirft. Als er sich in die Grafikdesignerin Linda aus dem Büro gegenüber verliebt, fühlt er sich nach der ersten Liebesnacht völlig desorientiert, quasi wie im falschen Film. Dennoch tut er seinen Job. Vielleicht hätte er seinen großen Irrtum bemerkt, wenn er alle fünf Sinne zusammengehabt hätte, doch dies ist ganz bestimmt nicht der Fall. Erst Tommy Banks muss ihn mit der Nase darauf stoßen. Als man ihn auf ihn zielt, um ihn zu stoppen, sagt er nur: „Na, und?“

Ich habe längst nicht alle Spenser-Krimis gelesen. Aber soweit ich weiß, ist dies der erste von zweien, in denen Spenser um ein Haar den Löffel abgibt. (Der andere ist „Small Vices“.) In beiden spielt er Lazarus, der von den Toten wiederaufersteht. Allerdings tritt keine Jesus-Figur auf, die ihn vom Tod zurückholt. Da sind „nur“ Linda, Hawk, Paul Giacomin, Frank Belson, Martin Quirk – wer hätte das gedacht. Spenser weigert sich aber, Susan Bescheid zu geben. Sie soll aus eigenem Antrieb zu ihm zurückkehren, nicht weil er sie in der Not braucht. Taffer Junge. Vielleicht gibt es ja im nächsten Band – „A Catskill Eagle“ – ein Wiedersehen. Spenser wäre es zu wünschen. Susan auch.

Unterm Strich

Bei Spenser kann man selten voraussagen, wohin ihn ein Fall führt. Dass er nach einer angeblichen entführten Person suchen soll, ist für Spenser täglich Brot, doch dass er auch noch eine ganze Kirche hopsgehen lassen könnte, hätte er sich nicht träumen lassen. Er ist wie sein Vorbild Philip Marlowe ein Romantiker, indem er das Wohl der entführten Sherry Spellman über das Wohl dieser Kirche und das des Gangsters Paultz sowieso stellt. Dummerweise erweist sich genau dieses Verhalten als letzten Endes tödlicher Irrtum. Wäre ihm das passiert, wenn ihm Susan Silverman nicht mit ihrem Weggang das Herz gebrochen hätte? Wer weiß.

Zwei klasse Actionszenen machen diesen Krimi zu einem der Highlights der Serie. In der Mitte nimmt eine Verfolgungsjagd und anschließende Schießerei bei Nacht nicht weniger als drei Kapitel ein. Das Finale wird ebenfalls von einer Schießerei bestritten – in der Spenser keinen einzigen Schuss abgibt…

Mehr als die Action hat mich jedoch die Psychologie überzeugt. Spenser befindet sich seelisch in einem Ausnahmezustand. Er kann zwar noch lieben (zwei schöne Szenen mit Linda), doch danach fühlt er sich wie in seinem eigenen Film: völlig irreal. Seine Nahtoderfahrung ist nur eine konsequent erscheinende Fortsetzung und Steigerung dieses Ausnahmezustandes. Parker, der Literaturprofessor, erzählt dies in einem bemerkenswerten Stück inneren Monologs.

Doch nach seinem Aufwachen weist Spenser bereits wieder seinen charakteristischen schwarzen Humor auf – und seinen Sinn für Erotik, als Rita Fiore – die wir auch aus den Jesse-Stone-Krimis als sexy Anwältin kennen – ihm Avancen macht. Linda hat jedoch genug von Spensers Ritterspielen. Man kann es ihr nicht verdenken. Susan musste sich auch erst daran gewöhnen.

Taschenbuch: 162 Seiten,
O-Titel: Info: Valediction, 1984
Aus dem US-Englischen von Klaus Kamberger.
Mit einem Nachwort von Friedel Middelhauve.
ISBN-13: 9783548103006

https://www.ullstein.de


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