Robert B. Parker – Bleiche Schatten im Schnee. Ein Spenser-Krimi (Spenser 14)

Im Miami des Nordens: Spenser gegen den Drogenbaron

Eric Valdez war ein guter Reporter. Vielleicht zu gut. Kurz nachdem er Recherchen über einen Kokainschmuggelring anstellte, wurde er am Straßenrand gefunden. Tot und kastriert. Doch sein verleger lässt nicht locker. Nun schickt er Privatdetektiv Spenser nach Wheaton, Massachusetts, um den Tod seines Angestellten untersuchen und die Schuldigen zu finden. Kaum in dem Provinznest angekommen, merkt Bostons bester Privatdetektiv: erwünscht ist er hier nicht, zu allerletzt von der örtlichen Polizei… (erweiterte Verlagsinfo)

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zum seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 60 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird gerade vom ZDF gezeigt.

Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis. „Der Amerikaner Robert B. Parker promovierte mit einer Arbeit über das Werk Dashiell Hammetts, Raymond Chandlers und Ross Macdonalds.“ (Ullstein-Info)

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997)
2) Trouble in Paradise
3) Death in Paradise
4) Stone Cold (2003)
5) Stranger in Paradise
Und weitere.

Die Sunny-Randall-Reihe:

1) Shrink Rap
2) Perish Twice
3) Family Honor
Und weitere.

Die Spenser-Reihe (die mit über 50 Titeln bei weitem umfangreichste)

1) Widow’s Walk
2) Potshot
3) Hugger Mugger
Und viele weitere.

Außerdem schrieb Parker ein Sequel zu Raymond Chandlers verfilmtem Klassiker „The Big Sleep“ (mit Bogart und Bacall) und mit „Poodle Springs“ einen unvollendeten Chandler-Krimi zu Ende. „Gunman’s Rhapsody“ ist seine Nacherzählung der Schießerei am O.K. Corral mit Wyatt Earp und Doc Holliday, ein klassischer Western.

Handlung

Der Verleger Garrett Kingsley heuert Spenser an, um in der Ortschaft Wheaton, Massachuesetts – Einwohnerzahl 15.734 – nach den Mördern seines Reporters Eric Valdez zu suchen und sie der Gerichtsbarkeit zuzuführen. Dafür zahlt er dem Privatdetektiv ein anständiges Honorar. Spenser findet es etwas merkwürdig, dass die Polizei von Wheaton nicht in der Lage gewesen soll, den Mörder zu finden. Angeblich soll ein eifersüchtiger Ehemann Valdez erschossen haben. Das glaubt Spenser noch weniger.

Nachdem er seine Freundin Dr. Susan Silverman eingeweiht hat, kontaktiert er die Drogenfahndung. Kann es wirklich zutreffen, dass dieses kleine Kaff namens Wheaton die Drogenhauptstadt des Nordostens ist, will er wissen. Der Mann von der DEA-Behörde bestätigt dies allen Ernstes. Der lokale Drogenbaron Felipe Esteva sei einer der 5000 Kolumbianer, die in Wheaton leben, und dreimal dürfe Spenser raten, wo der sein Kokain herbekomme. Der Schnüffler macht sich auf die Socken.

Tatort

In Wheaton fährt niemand mit einem großen Schlitten herum, keiner protzt mit irgendwelchen Reichtum, und als Spenser mit Sheriff Bailey Rogers redet, weiß der auch von nichts. „Drogen? Hier in Wheaton? Woher denn?“ Doch der Privatdetektiv lässt sich nicht verscheuchen, sondern fragt Hinz und Kunz Löcher in den Bauch, so lange, bis ihn die Cops zu warnen beginnen, er solle keinen Ärger machen. Aha!, denkt Spenser, es gibt hier also doch etwas.

Das merkt er dann spätestens, als er mit seinem Wagen auf einer engen Waldstraße in eine Autofalle gerät und ihm ein paar Hinterwäldler mit Baseballschlägern Manieren beibringen wollen. Da geraten sie aber an den Richtigen! Er schießt einen von ihnen an und warnt sie abzuhauen. Das tun sie auch – nachdem sie sein Auto abgefackelt haben.

Gangsterbraut?

Eric Valdez, der Reporter, soll eine Affäre mit der Frau des lokalen Drogenbarons Esteva gehabt haben, bevor er ins Jenseits befördert wurde. Spenser folgt dem Auslieferer Estevas, dem Sohn (!) von Sheriff Rogers, zu Emmy Estevas Tür und sieht, wie er ihr etwas übergibt. Sie selbst, bewacht von einem scharfen Rottweiler, weist Spenser die Tür.

Wenig später fühlt er sich beschattet, von einer Frau. Es ist die Sozialarbeiterin Juanita Olmo, ebenfalls eine Kolumbianerin. Sie behauptet, Eric Valdez sei aus rassistischen Gründen von der Polizei erschossen worden, nachdem er mit Mrs Esteva eine Affäre hatte. Das ergibt zunächst wenig Sinn, aber Juanita verrät noch mehr. Könnte es sein, dass Sheriff Rogers mit dem Dogenbaron unter einer Decke steckt?

Beim Boss

Um die Entwicklung der Dinge etwas anzuschieben, redet Spenser mit Esteva selbst. Der tut ahnungslos und mauert, auch als Spenser andeutet, dass Estevas Frau ihm untreu war. Am nächsten Morgen findet man Sheriff Rogers tot in seinem Dienstwagen. Er wurde von hinten in den Kopf geschossen und hatte seine Dienstwaffe nicht einmal gezogen. Er kannte und vertraute also dem Schützen und seinem Begleiter. Die Kripo von Boston kreuzt auf und lässt das Projektil untersuchen: Es ist ein sehr ungewöhnliches Kaliber 41, und die Waffe ist nirgendwo im Bundesstaat registriert. Höchst ungewöhnlich, findet auch Spenser.

Als er den Sohn des toten Sheriffs beobachtet, fällt ihm auf, wie Brett Rogers eine Reisetasche in die Zugmaschine eines LKW packt, als wolle er mehrere Tage verreisen. Was will denn ein Auslieferbursche auf großer Fahrt, fragt sich Spenser – und hängt sich an Bretts Hinterräder. Am Ziel dieser Fahrt macht er einen aufschlussreichen Fund und betätigt sich als Straßenräuber…

Mein Eindruck

Dies ist Parkers Drogenthriller. Geschrieben in den wilden achtziger Jahren, als Reagans Geld reichlich in die Wirtschaft und das Militär floss, hätte ich eigentlich einen Verschnitt aus „Miami Vice“ und einer Detektivserie erwartet, aber natürlich weiß Parker diese Erwartung gewitzt zu unterlaufen. Wer also einige wilde Schießereien à la „Bad Boys“ erwartet, wird enttäuscht werden – bis auf das blutige Finale.

Dieser Krimi ist vielmehr auf mehreren Ebenen angelegt. Klar, dass wir zunächst den Drogenbaron Esteva als Bösewicht verdächtigen, der den Reporter auf dem Gewissen hat. Aber dann zeigt Juanita Olmo mit dem Finger auf den Sheriff, der ein Rassist sei und den Reporter, weil Kolumbianer, umgebracht haben könne. Das verwirrt Spenser, und der Fall ergibt fortan wenig Sinn. Nachdem er bestätigt gefunden hat, dass zumindest die Sache mit dem Drogenhandel stimmt, nimmt sich Spenser des Falles auf eine tieferschürfende Weise an: mit Hilfe von Psychologin Susan Silverman, seiner Lebensgefährtin.

Die nächste Schicht

Denn es bleibt nicht beim Mord an Sheriff Rogers. Und so muss sich Spenser eingehender mit dem sozialen Geflecht Wheatons beschäftigen, insbesondere mit Caroline Rogers, der Witwe des Sheriffs. Caroline steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch mit Tendenz zum Selbstmord, konstatiert Susan. Offenbar hält sie an einem Bild von ihrem Mann fest, das ihn zum Helden verklärt. Und sie will nicht wahrhaben, dass ihr eigener Sohn für einen Drogenbaron arbeitet. Aber auch Juanita Olmo scheint etwas zu verbergen zu haben. Möglicherweise steckt doch nicht Esteva hinter dem Mord an dem Reporter…

Als Esteva deutliche Drohungen ausstößt und Sheriff Rogers‘ Nachfolger ihm klarmachen, dass der Privatdetektiv unerwünscht sei, wappnet sich Spenser mit Susan und seinem Kumpel Hawk, einem „Waffenspezialisten“, für einen Showdown. Gut, dass sich diesmal ein Mann von der Bostoner Polizei bereiterklärt, ihnen beiseitezustehen. Denn im dichten Schneetreiben der Wheatoner Berge lässt sich schlecht etwas treffen, das auf einen zielt…

Altlasten

Das Bergnest Wheaton soll also das Miami des Nordens sein? Ja, wenn man berücksichtigt, dass die 5000 Kolumbianer ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Sie wurden einst von den Fabrikbesitzern als preisgünstige Gastarbeiter ins Land geholt. Nachdem die Fabriken in den Süden zogen, strandeten sie hier im Norden, diskriminiert und unterprivilegiert.

Kann man es also einem Selfmademan wie Felipe Esteva verdenken, dass er eine andere Einnahmequelle auftut und für den Nachschub von jenem weißen Pulver sorgt, das jeder von den Gringos haben will? Und bot er nicht Brett, dem ungeliebten Sohn des Sheriffs, eine sichere Arbeitsstelle? Na, bitte! Der amerikanische Traum – Esteva hat ihn in die Wirklichkeit umgesetzt. (Solange man ihn nicht dabei stört – die Polizei, den Freund und Helfer.)

Wenn er nur nicht sein Imperium ausgerechnet mit dem weißen Pulver aufgebaut hätte. Womit wir wieder bei der „Dame ohne Gnade“ und den „bleichen Königen“ sind, auf die der Originaltitel verweist. Und weil es von ethnischen Altlasten wie den Kolumbianern und den „bleichen Königen“ in den USA auch heute noch jede Menge gibt, ist dieser Krimi immer noch aktuell.

Hinweis

Der Originaltitel „Pale Kings and Princes“ ist ein Zitat aus dem romantischen Gedicht „La belle dame sans merci“ von John Keats, einem der berühmtesten Dichter der englischen Romantik. Es schildert einen Traum, in dem ein Mann (Ritter?) die Vision der titelgebenden Lady ohne Gnade hat. Außerdem sieht er „bleiche Könige und Fürsten, bleiche Krieger auch“, die allesamt Sklaven jener schönen Lady ohne Gnade sind. Wenn man will, kann man in jener Herrscherin das Kokain sehen. Es gibt im Roman jedoch eine Frau, das ziemlich genau ebenfalls diese Herrscherin verkörpert…

Die deutsche Erstausgabe enthält im Vorspann genau jene Stelle aus dem Gedicht:

„Sah Herrscher, Edelleute bleich
und Kämpen, todbleich Mann für Mann,
Die schrien: „La Belle Dame sans Merci
Hält dich in Bann!“

(übersetzt von Heinz Piontek, 1968, Reclam)

Hier die englische Vorlage von Keats anno 1819:

„I saw pale kings and princes too,
Pale warriors, death-pale were they all;
They cried—’La Belle Dame sans Merci
Hath thee in thrall!'“

Unterm Strich

Robert Parkers Variante des in den achtziger Jahren so genrebestimmenden Drogenthrillers (man denke an „Miami Vice“ und später „Bad Boys“) entpuppt sich als alles andere als eine Schnitzeljagd mit gelgentlichen Schießereien. Vielmehr ist seine Geschichte so vielschichtig angelegt, dass zugleich ein Eifersuchtsdrama und eine Familientragödie hineinpassen.

In dieser Problematik kommt Spenser ganz entscheidend zugute, dass er in seiner Freundin Susan Silverman eine hervorragende Psychotherapeutin an seiner Seite hat. Sie hilft ihm, das Beziehungsgeflecht zu durchschauen und die Hauptleidtragende Caroline Rogers vor dem Selbstmord zu bewahren.

Natürlich darf in einem Spenser-Krimi auch die Action nicht zu kurz kommen. Die bösen Jungs agieren stets im Hintergrund – und manchmal tragen sie eine Polizeimarke. Schließlich werden sie so bedrohlich, weil Spenser ihren Laster voller Koks geklaut hat, dass er Hawk zu Hilfe bitten muss. Der Showdown ist kurz, aber äußerst blutig.

In seiner Thematik ist der Thriller von anhaltender Aktualität, denn ethnische Altlasten und Drogenbarone gibt es in Amerika immer noch reichlich. „Pale Kings and Princes“ ist ein unterschätzter Drogenthriller und ein wertvoller Beitrag zur Diskussion, welche wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Folgen das Drogengeschäft haben kann, das inzwischen global organisiert ist..

Taschenbuch: 157 Seiten
O-Titel: Pale Kings and Princes, 1987
Aus dem Englischen übertragen von Klaus Kamberger.
ISBN-13: 9783548105413
https://www.ullstein.de


Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)