Robert B. Parker – Raues Wetter. Ein Auftrag für Spenser (Spenser 36)

Feindliches Wiedersehen: Spenser und der Graue Mann

Ein neuer Auftrag für Spenser. Die reiche Heidi Bradshaw engagiert Spenser, als persönlichen Schutz bei der Hochzeit ihrer Tochter Adelaide auf der exklusiven Insel Tashtego. Auf der Hochzeitsfeier wird er Zeuge, wie die Tochter entführt und der frisch vermählte Ehemann ermordet wird. Der Täter: Niemand Geringeres als der Graue Mann, Spensers Widersacher aus vergangenen Zeiten.

Als die Insel von einem heftigen Sturm heimgesucht wird, bricht Chaos aus. Die verbrecher sitzen auf der Insel fest, aber es kann auch keine Hilfe für die Hochzeitsgäste kommen. Am nächsten Tag sind der Graue Mann und die Tochter verschwunden. Spenser glaubt nicht, dass es nur um eine Entführung geht. Gemeinsam mit seinem Kumpel Hawk versucht er, Licht ins Dunkel zu bringen… (Verlagsinfo)

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zum seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 70 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine neun Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird immer wieder vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997)
2) Trouble in Paradise (1998)
3) Death in Paradise
4) Stone Cold (2003)
5) Stranger in Paradise (2008)
6) Sea Change
7) High Profile
Und weitere.

Die Sunny-Randall-Reihe:

1) Family Honor
2) Perish Twice
3) Shrink Rap
4) Melancholy (2004)
5) Blue Screen (2006)
6) Spare Change (2007)

Die Spenser-Reihe (die bei weitem umfangreichste)

1) Widow’s Walk
2) Potshot
3) Hugger Mugger
4) Walking Shadow
Und 35 weitere.

Außerdem schrieb Parker ein Sequel zu Raymond Chandlers verfilmtem Klassiker „The Big Sleep“ (mit Bogart und Bacall) und mit „Poodle Springs“ einen unvollendeten Chandler-Krimi zu Ende. „Gunman’s Rhapsody“ ist seine Nacherzählung der Schießerei am O.K. Corral mit Wyatt Earp und Doc Holliday, ein klassischer Western.

Handlung

Die superreiche Gesellschaftsdame Heidi Bradshaw, rund 40, engagiert Spenser, um auf der Hochzeitsfeier ihrer Tochter Adelaide für mehr Sicherheit zu sorgen – sie „hätte gerne einen starken Mann an ihrer Seite“. Angesichts des fetten Schecks, den sie vorab ausstellt, sagt Spenser nicht nein, wundert sich aber doch: Heidis Privatinsel Tashtego Island verfügt selbst über einen gut bestückten Sicherheitsdienst. Wovor also hat sie Angst?

Um gegen die eventuellen Verführungsversuche der mal wieder geschiedenen Heidi gefeit zu sein, nimmt Spenser seine Lebensgefährtin Dr. Susan Silverman mit auf die Insel. Susan staunt nicht schlecht über die noble Hütte, in der man sie unterbringt. Im Wohnzimmer könnte man locker eine Partie Golf spielen. Und jedes Schlafzimmer verfügt selbstredend über sein eigenes Bad.

Lediglich die Qualität der Gäste lässt zu wünschen übrig. Pikiert bemerken Spenser und Susan, dass Heidi auf höchst subtile Weise sticheln und herabsetzen kann. Dann jedoch wird ihre Aufmerksamkeit von einem Gast der Extraklasse abgelenkt: der Graue Mann ist angekommen, wie stets ganz in Grau gekleidet. Spenser erkennt den Auftragsmörder Rugar sofort wieder, der ihm vor zehn Jahren (1997 in „Small Vices“, dt. bei Pendragon) fast den Garaus gemacht hätte. Spenser glaubt nicht so recht, dass das gleichzeitige Auftauchen von Rugar und seiner selbst ein Zufall ist. Ein Sturm zieht auf. Ein echter.

Die Trauungszeremonie findet in der zur Kapelle umdekorierten Bibliothek statt. Spenser und Susan sitzen auf den von Heidi angewiesen Plätzen. Kaum hat der Reverend die Zeremonie begonnen, stürmen sechs maskierte Bewaffnete herein und halten die Gäste in Schach. Rugar schießt den Reverend in den Kopf und als auch der Bräutigam protestiert, hat auch dessen letztes Stündlein geschlagen. Die Braut sinkt ohnmächtig zu Boden.

Es ist bemerkenswert, dass der Graue Mann sofort weiß, wo Spenser sitzt. Er soll die Braut hinaus zum Helikopter tragen. Obwohl der Privatdetektiv wie stets bewaffnet ist, kann er doch nichts gegen sieben Bewaffnete ausrichten. Schon gar nicht, wenn Susan als Geisel bedroht wird. Er drückt ihr die Hand und folgt den Anweisungen. (Wo sind nur die Wachen geblieben?) Er setzt die Braut in den geöffneten Helikopter. Doch der Pilot weigert sich, bei diesem Sturm zu fliegen: Der Wind würde das Fluggerät zu Boden werfen und zerstören.

Da im Haus der Strom ausgefallen ist, ist es stockfinster, als Spenser von einem der Bewaffneten zum Haus geleitet werden soll, zu den anderen Geiseln. Doch Spenser überlistet den Ortsunkundigen. Nach einem heftigen Fight landet sein Gegner am Fuße der Klippen. Nun muss es Spenser nur noch gelingen, Susan davor zu bewahren, in die Hand des Grauen Mannes zu fallen, sonst hätte Spenser verspielt.

Vorsichtig nähert sich der Privatdetektiv wieder dem Haupthaus…

Mein Eindruck

Ein hammerharter Actionauftakt für diesen Roman! Doch nachdem die ganze Sache überstanden ist, tauchen die ersten Fragen auf. Ein derart aufwendiges Kidnapping ist überhaupt nicht Rugars Stil. Der Graue Mann hält sich viel lieber im Hintergrund und arbeitet alleine. Zweitens hätte es ja gar nicht all des Brimboriums bedurft, um Adelaide zu entführen. Das hätte Rugar ja auch erledigen können, wenn sie gerade vom Shopping kam. Also, was sollte der Scheiß?

Das fragen sich nicht nur Spenser und Susan, sondern Captain Healy von der Staatspolizei und Agent Epstein vom FBI. Und da sie Besseres zu tun haben, als dumme Fragen zu stellen, macht sich Spenser an die Arbeit, um dieses Rätsel aufzuklären. Er hat das Gefühl, dass er diese Scharte auswetzen muss. Hilflos musste er mit ansehen, wie die junge Frau entführt wurde. Ob sie wohl noch am Leben ist?

Seltsamerweise wendet sich Heidi Bradshaw mit keiner Silbe an ihn. Sie fragt nicht nach seinem und Susans Wohlergehen, obwohl sie ihn doch eingeladen hatte. Wozu eigentlich genau, fragt er sich. Hat sie womöglich mit der Organisation der Entführung und den Morden selbst zu tun? Das gilt es herauszufinden. Spenser setzt er sich zusammen mit seinem Kumpel Hawk auf Heidis Fährte und stößt auf einige höchst unerfreuliche Fakten.

Die Spur führt zurück

Es ist nicht das erste Mal, dass die Spur zurück zum Auftraggeber führt. Und nicht das erste Mal, dass der Auftraggeber selbst der schlimmste Finger in diesem ganzen Schlamassel ist. Aber Heidi Bradshaw denkt wohl, sie könne einen kleinen Privatdetektiv, den ihr ein Anwalt empfohlen hat, mit Sex um den Finger wickeln, mit ihrem Geld beeindrucken und mit ihrem Sicherheitsdienst – immerhin sechs Bewaffnete! – einschüchtern. Da gerät sie aber bei Spenser an den Falschen. Er zerlegt ihren neuen Leibwächter zu Kleinholz.

In Gefahr

Zusammen mit Hawk unterläuft er einen weiteren Anschlagsversuch. Vier Volltrottel, die nicht mal die englische Sprache beherrschen, wollen sie erledigen? Lachhaft! Wenig später liegt der Drahtzieher des Anschlags tot auf der Hauptstraße – kein schöner Anblick für die braven Bostoner Bürger. Aber wer steckt hinter diesem Amateur?

Auf der Suche nach Adelaide Van Meer, Heidi Bradshaws Tochter aus ihrer zweiten Ehe – sie ist inzwischen dabei, Ehemann Nummer drei um sein Geld zu bringen – stößt Spenser auch auf den unglückseligen Bräutigam Maurice: Der junge Mann war schwul, während Adelaide lesbisch ist. Na, da haben sich ja zwei Turteltäubchen gefunden, denkt Spenser.

Doch etwas scheint mit der zwanzigjährigen Frau ernsthaft nicht zu stimmen. Ihre Schwester erzählt, sie habe versucht, sich auf dem College mit 20 Schlaftabletten umzubringen. Warum sollte sie so etwas tun? Und welcher Arzt betreut eigentlich diese merkwürdige Familie? Die Antworten sind höchst beunruhigend. Der Arzt ist ein Quacksalber und Adelaide wurde seit Jahren sexuell missbraucht. Rugar ist bestimmt nicht dafür verantwortlich, so gut kennt Spenser den Auftragsmörder jedenfalls. Doch wer dann?

Je mehr Spenser herausfindet, desto gruseliger wird dieser Fall. Und das erinnerte mich an den Jesse-Stone-Krimi „Sea Change“ (2006; siehe meinen Bericht), in dem es ebenfalls um einen wahrhaft grauenerregenden Fall von Kindesmissbrauch geht. Mehr sei nicht verraten.

Unterm Strich

Nach dem actionreichen Auftakt von rund 50 Seiten erfährt der Fall eine unerwartete und erfreuliche Wendung nach der anderen. Die Fülle von Erkenntnissen, unterbrochen von diversen Konfrontationen, wirkt wie ein Sog auf das Bewusstsein des Lesers. Doch wenn man meint, man hätte jetzt endlich alle Antworten, bekommt die Story eine erneute, finstere Wendung. Erst das finale Gespräch Spensers mit Rugar und Adelaide beantwortet alle Fragen. Doch was fängt man nun mit dem Kidnapper und Mehrfachmörder an?

Wieder einmal gewährt Parker einen Blick in den Abgrund, den der amerikanische Traum ermöglicht. Heidi Bradshaws Selbsterfindung beruht auf Sex, Lügen und Erpressung. Nachdem sie einen anderen Namen angenommen hat, gewährt sie Sex und nimmt dann die hörigen Ehemänner systematisch aus. Doch ihr Hunger bleibt ungestillt: Sie hat es auch auf die Familie ihres Schwiegersohns abgesehen. Wenn Spenser sie damit konfrontiert, streitet sie alles ab. Denn Leugnen ist die einfachste Möglichkeit, ihr eigenes Verhalten zu entschuldigen.

Die Struktur der Story gleicht der des Vorgängerbandes „Now & Then“, doch die Aussage ist eine andere. Statt der Sozialkritik an dem Terrorismusunterstützer Perry Alderson lesen wir nun die Kritik an einer ganzen Oberschicht: den Gesellschaftsdamen, die sich wie Vampire von der Lebenskraft ihrer Ehemänner ernähren – und dabei auch zerstörte Kinderleben zurücklassen. Auch dies lässt der American Dream zu, doch der Preis für seine Verwirklichung wird in Leben entrichtet.

„Raues Wetter“ trägt seinen Titel zu Recht, denn der Leser wird nicht nur vom ersten Abschnitt gebeutelt, sondern auch von den Erkenntnissen, die danach folgen. Inhaltlich und stilistisch ist der Roman seinem etwas lahmen Vorgänger „Now & Then“ überlegen, und deshalb vergebe ich gerne vier von fünf Punkten. Für die volle Punktzahl hätte ich jedoch mehr Action erwartet. Wer jedoch stattdessen mit viel Humor und einer Portion Erotik zufrieden ist, dürfte voll auf seine Kosten kommen.

Taschenbuch: 214 Seiten
Originaltitel: Rough Weather, 2008
Aus dem Englischen von Marcel keller
ISBN-13: 9783865326225

www.pendragon.de

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