Michael Baigent – Das Rätsel der Sphinx

Zusammen mit seinen Co-Autoren Henry Lincoln („Der heilige Gral und seine Erben“ – 1982) und Richard Leigh („Verschlusssache Jesus“ – 1991) landete Michael Baigent mit seinen populärwissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Religion und Altertumsforschung bereits auf den Bestsellerlisten. 1998 folgte mit „Ancient Traces“, welches in der deutschen Fassung ziemlich unpassend mit „Das Rätsel der Sphinx“ betitelt wurde, ein Soloprojekt, bei welchem sich der in England lebende Autor diesmal noch weiter in die Vergangenheit begibt, um die Frage zu klären, ob die verbreitete Lehrmeinung bezüglich der Einordnung signifikanter Daten und archäologischer Funde der Erdgeschichte nicht kolossal danebenliegt.

_Zum Inhalt_

Baigent ist landläufig dafür bekannt, dass er der etablierten Wissenschaft und insbesondere der (katholischen) Kirche mit seinen nicht unumstrittenen Theorien gern nonchalant ans Bein pinkelt. Allerdings kümmert er sich in seinem Soloauftritt mal nicht um seinen erklärten Lieblingsgegner und mischt die christliche Lehre auf, sondern nimmt – unter anderem – niemand Geringeren als den altehrwürdigen Charles Darwin aufs Korn. Baigent kann dessen Evolutionstheorie nämlich nicht sonderlich viel abgewinnen. Sie erklärt zwar einiges, hat aber auch ihre unbestreitbaren Schwächen. Er hält es da eher mit der Chaostheorie. Diese, so ist er überzeugt, passt auch ganz hervorragend auf die Entwicklung des modernen Menschen – des Homo sapiens. Der ist nämlich ein evolutionäres Kuriosum und seine tatsächliche Herkunft alles andere als schlüssig bewiesen.

Dieses Dilemma der Wissenschaft ist als „Missing Link“ heute recht bekannt; selbst außerhalb wissenschaftlicher Kreise können die meisten Menschen mit diesem Begriff etwas anfangen. Er beschreibt das Fehlen eines direkten Bindeglieds zwischen den Primaten und uns, sozusagen die Zwischenstufe zwischen Affe und Mensch. Es scheint tatsächlich so, als wäre der Sapiens sehr plötzlich und körperlich bereits vollkommen entwickelt auf der historischen Bühne aufgetaucht und hätte seine unterentwickelten Konkurrenten dabei rigoros verdrängt; den Neandertaler beispielsweise. Mehr noch: Einige kuriose (jedoch vom wissenschaftlichen Establishment geleugnete oder ignorierte) Fossilien-Funde weisen darauf hin, dass der Mensch in seiner jetzigen Form bereits etliche Millionen Jahre früher, parallel zu den Dinosauriern, auf Erden wandelte.

Starker Tobak, den Baigent uns dort auftischt, und er ist noch lange nicht fertig mit seinen überraschenden Ausführungen. Interessant ist auch, dass der Homo sapiens viel mehr Gemeinsamkeiten mit Meeressäugern aufweist als mit seinen Primaten-Verwandten an Land. Selbstverständlich glaubt er auch nicht an die Savannen-Theorie, welche gern dazu herangezogen wird, wenn es darum geht, den aufrechten Gang zu erklären. Wer bis hierhin meint, das Ganze sei unglaublich, für den hat er noch ein paar weitere schwer verdauliche Happen auf Lager. Zeugenaussagen zufolge soll es – etwa in Zentralafrika, aber auch andernorts – in isolierten Habitaten sowohl überlebende Saurier als auch Höhlenmenschen geben. Stichwort: „Nessie“ und „Sasquatch“. Als Beweis für diese Möglichkeit führt er an, dass heutzutage immer wieder angeblich ausgestorbenen Rassen wiederentdeckt werden.

Hauptsächlich handelt es sich dabei jedoch um Meeresbewohner wie den Quastenflosser oder auch den gut zehn Meter langen Riesenkalmar. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn schon Meeresgeologe und Titanic-Entdecker Robert D. Ballard bemerkte einmal sehr treffend, dass die Menschheit wesentlich mehr über die Mondoberfläche wüsste als über das Meer bzw. den Meeresboden. Da können sich Lebewesen schon einmal dem Zugriff neugieriger Forscheraugen entziehen. Bei Landtieren (speziell bei solchen mit den Körpermaßen eines kleinen Sauriers) sieht es bei unserem mittlerweile von Satelliten umzingelten Planeten schon ganz anders aus. Kaum vorstellbar, dass diesen Eyes-in-the-Sky solcherlei entgehen könnte. Wiewohl erst kürzlich in der Boulevard-Presse ein Aufnahme des schottischen Loch Ness von Google Earth zu Spekulationen Anlass gab, ob das darauf zu sehende, ominös-unscharfe Objekt nicht vielleicht doch Nessie sein könnte. Wie auch immer: 1998, zu Drucklegung des Buches, war flächendeckendes GPS noch kein Thema.

Baigents Argumentation wirkt insgesamt plausibel, was nicht weiter wundert, ist er doch ein studierter Psychologe mit Master-Degree. Er weiß also genau, wie er seine Leserschaft drankriegen kann, seinen unterhaltsamen Theorien zu folgen. Zudem beherrscht er die Kunst, Erklärungen zu präsentieren, aufgrund von Dingen, welche man eben NICHT gefunden hat. Das ist natürlich extrem praktisch, wenn keine entsprechenden Beweise oder seriösen Quellen vorliegen. Ein Umstand, welcher ihn natürlich für seine Gegner immer wieder angreifbar macht, die wiederum aber verkennen, dass die Logik erstaunlich oft – aber nicht immer – auf seiner Seite ist, und dass auch die anerkannte Wissenschaft sich häufig der gleichen Methode bedient, um über argumentativ dünnes Eis zu wandeln. Oder um es mit dem Ruhrpott-Original Jürgen von Manger (alias „Tegtmeier“) zu sagen: „Watte nich‘ selber weiß‘, dat musse dich erklären“.

Was das nun alles mit dem Sphinx (ganz recht, es heißt richtig: |der| Sphinx) aus dem Titel zu tun hat? Nach den prähistorischen Exkursionen landet Baigent im alten Ägypten und illustriert, dass auch dort gern aufgrund mangelnder oder fragwürdiger Beweislage Ereignisse ganz offensichtlich falsch datiert werden. Wobei der Gesichtsvergleich eines renommierten New Yorker Kriminalisten zwischen dem angeblichen Erbauer – Pharao Chefren, dessen Gesicht den Sphinx ja zieren soll – und dem tatsächlichen Antlitz ein recht alter Hut ist. Es zeigt aber deutlich, wie verstockt insbesondere Dr. Zahi Hawass (der verantwortliche, ägyptische Altertumsverwalter) sich gegenüber sachlich vorgebrachten und berechtigten Zweifeln am Alter und Entstehungsgeschichte des gesamten Gizeh-Komplexes verhält. Lange bevor sich Hawass bei einer rundherum getürkten Graböffnung selbst als mediengeiler Scharlatan outete, hatte Baigent den falschen Fuffziger bereits als solchen identifiziert. Zum Leidwesen vieler, nicht nur kritischer Forscher ist er aber immer noch im Amt.

_Fazit_

Während sich eine ganze Reihe seiner Theorien inzwischen als überholte und/oder hochspekulative – aber kreative – Phantastereien erwiesen haben, hielten andere wiederum sogar Einzug in orthodoxere Denkweisen. Die Missing-Link-Problematik in der menschlichen Evolutionsgeschichte beispielsweise diskutiert heute niemand mehr weg; auch wenn der Anstoß dazu nicht von Baigent stammt, so sind es doch gerade auch immer wieder solche Querdenker-Publikationen, welche auch der konservativ eingestellten Lehrmeinung neue Impulse geben können. Letztendlich lässt sich auf beiden Seiten wenig beweisen und vieles zunächst nur mutmaßen. „Das Rätsel der Sphinx“ ist sicherlich nicht Baigents bestes Buch, jedoch trotz seiner sich oft gebetsmühlenartig wiederholenden Thesen interessant und leidlich unterhaltsam.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

OT: „Ancient Traces: Mysteries in Ancient and Early History“
Viking, London – 1998
Deutsche Fassung: Droemer/Knaur, München – 1998
Übersetzung: Bernhard Kleinschmidt
ISBN: 3-4267-7567-0 (Reprint – 2002)
288 Seiten, zahlreiche Illustrationen. Broschur