Andreas Eschbach – Black*Out (Lesung)

Nun ist es endlich soweit. Nach dem „Marsprojekt“ gewährt Andreas Eschbach seinem Geist und seiner Schöpfungskraft einen neuen Ausflug in die Sciencefiction, ein Bereich, den er weitgehend seinen Jugendromanen überlässt. So kündigt sich auch „Black*Out“ als Erster mehrerer Teile an, deren vordergründige Zielgruppe Jugendliche sind. Doch wissen wir nicht alle, dass Eschbachs erwachsene Leser vor seinen vermeintlichen Jugendromanen keinen Halt machen?

Chris, Serenity und ihr Bruder sind in der Wüste Nevadas auf der Flucht. Vor wem, ist den beiden Geschwistern noch nicht richtig klar, doch spätestens, als sie von Militärhubschraubern verfolgt und beschossen werden, nehmen sie Chris‘ Paranoia ernst. Serenitys Vater, der Aussteiger Jeremiah Jones, wird neuerdings ebenfalls von der Regierung verfolgt und für Attentate und Terroranschläge verantwortlich gemacht. Chris behauptet, ihm helfen zu können und bittet die Geschwister deshalb, mit ihm die vagabundierende Gruppe um Jones zu finden. Denn bei Jones, das ist Chris‘ persönlicher Anreiz, befindet sich ein alter Bekannter seiner Familie:

Als Neurologe und Neurochirurg besitzt er die Fähigkeiten, die Christopher braucht, um ein unheimliches Geheimnis und gefährliche Bürde loszuwerden. Ihm wurde ein Chip implantiert, mit dessen Hilfe ihm eine direkte Verbindung ins Internet möglich ist. Der Haken: Alle Träger dieser Chips bilden einen geistigen Verbund, in Folge dessen sie ihre Individualität verlieren und absolut gleichgeschaltet werden – ihre Gedanken sind kohärent wie das Licht eines Lasers, ihr gemeinsames Ziel ist – alles. Und nur Christopher ist durch einen Defekt in der Lage, seinen Chip zu deaktivieren. Er kennt die Kohärenz, wie sich die gleichgeschalteten Menschen nennen. Er ist eine Gefahr für ihr Ziel. Er ist der Sohn eines ihrer Entwickler. Und er soll zurückgeholt werden …

Das Hörbuch ist natürlich eine gekürzte „autorisierte Lesefassung“. Das Manko bei diesen Produkten ist natürlich, dass tiefer gehende Erklärungen und Zusammenhänge oft dem Rotstift zum Opfer fallen und so in manchen Details nach dem Hören weiterer Erklärungsbedarf besteht. Das führte bereits zu Fehlinterpretationen oder auch schlechteren Beurteilungen, als einem Roman angemessen und würdig wäre. Im vorliegenden Fall ist dieser Mangel zu vernachlässigen, denn es wurde eine gute Balance geschaffen zwischen erzählerischem Tempo und nötigen Erklärungen, so dass die Spannung und der innovative Wert der Geschichte erhalten bleiben.

Die letzten Jahre kristallisieren sich immer stärker zu Jahren der medienbezogenen utopischen Literatur, und die Steigerung ist noch nicht abgeschlossen. Denken wir an Autoren wie Cory Doctorow oder Charles Stross, treffen wir auf abgefahrene Abhandlungen – nein, Erzählungen – über Weiterentwicklungen der Medientechnik, des Internets und der Breitbandverbindungen. Gefahren werden aufgezeigt, Möglichkeiten beschworen und dem Trend gefolgt, denn die Apps und Blogs und Plattformen für Handy und Co. bleiben kaum hinter den Utopien zurück.

Griff Eschbach letztens das Thema der computerbasierten Manipulation sehr ernsthaft auf, beschäftigt er sich im vorliegenden Roman zwar noch beängstigender, dennoch aber sehr utopisch, mit den Gefahren, die aus überbordender Vernetzung erwachsen könnten. Direkte Vernetzung von Gehirnen mit dem Internet über implantierte Chips sind doch trotz aller beschworener Schrecken echte Sciencefiction und rufen deshalb neben dem wohligen Schauer das beruhigende Gefühl hervor, davon noch weit entfernt zu sein. Gleichwohl spielt Eschbach auf diese Art kritisch mit dem Problem der Beeinflussung und Gleichschaltung von Gesellschaften. Noch leistet bei uns die Werbeindustrie die Arbeit, die bei Eschbach unumgänglich durch Kohärenz erledigt wird.

Genug der Interpretationen, widmen wir uns lieber den greifbaren Aspekten der Erzählung. Die Charakterentwicklung ist typischerweise bei Eschbach gut nachvollziehbar. So bleibt auch nicht verwunderlich, dass ein junger Mann, der stets allein und mit seinem Genie einsam vor seinen Problemen stand, seinen Plan zwar mit Hilfe von Anderen ausführen will, die wahren Details aber für sich behält. Dass er dabei für seine Helfer eine andere glaubhafte Geschichte inszeniert und sie damit ebenso verkackeiert wie seine Gegner, zeigt nur deutlich, dass er sich weiterhin als Einzelgänger betrachtet.

Die Gefahrenentwicklung für die anderen Beteiligten erleichtert Chris natürlich die Überzeugungsarbeit, um sie für sich zu gewinnen. So bedingen alle Geschehnisse einander und führen zu logischen Konflikten, denen sich die Protagonisten dynamisch nähern und – angewiesen aufeinander – gemeinsam zu Lösen versuchen. Es rennt also nicht ein Teenager durch Amerika und überzeugt ein paar Erwachsene von seinen Ideen, sondern die Ereignisse reißen alle mit in ihren Strudel und sorgen für gegenseitige Abhängigkeit, was die gesamte Geschichte glaubwürdig macht.

Da es sich offenbar um den Start eines Mehrteilers handelt, verbleiben ein paar lose Fäden und offene Fragen in der Geschichte. So das Rätsel um die von der Kohärenz unbemerkt vorgenommene Manipulation an Christophers Chip: Ist er also doch kein Einzelfall? Gibt es noch andere Möglichkeiten, sich von der Masse der Gehirne abzukapseln? Die Gefahr ist alles andere als gebannt, der Überraschungseffekt ist dahin und die Kohärenz wird mit jedem Tag stärker – eine gute Ausgangsbasis für weitere spannende Geschichten.

Ein Wort zum Sprecher: Stefan Kaminski, der seine Fähigkeiten selbst als „Stimmen-Morphing“ bezeichnet, trifft bei jedem Auftritt einer Figur deren Stimme in gleicher Weise, wie er sie einführte. Er liefert eine ausgezeichnete Leistung und ein Hörbuch, bei dem es Spaß macht, zuzuhören.

Ein neuer jugendlicher Eschbach, der weit näher vorstellbar ist als die Vorgänger zum Marsprojekt und neben gefährlichen Visionen auch die Hoffnung für die Zukunft nicht aus den Augen verliert. Und das Wichtigste: Spannende Unterhaltung für Jedermann!

6 Audio-CDs mit ca. 406 Minuten Laufzeit
Gelesen von Stefan Kaminski
ISBN 13 978-3-401-26062-4

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