Murray Leinster – Projekt Raumstation

Ständig wird der Bauplatz der ersten Raumstation von Spionen und Saboteuren heimgesucht. Bomben, Gift, Überfälle: Die mutigen Verteidiger werden auf harte Proben gestellt, aber da sich hier wackere US-„Jungens“ (und ein „Mädchen“) zusammentun, haben die Strolche letztlich keine Chance … – Trash-SF vom gar nicht Feinsten; hier gibt es weder Logik noch Verstand, sondern ausschließlich Action und Pathos, was sich viele Jahre später selbstentlarvend lustig liest: DIESE Zukunft ist ein Witz (mit zwei Fortsetzungen).

Das geschieht:

Selbstverständlich in den USA entsteht die erste Raumstation. Nach ihrer Fertigstellung soll sie in den Erdorbit gehievt werden und den Heimatplaneten umkreisen. Außerdem wird die Station als wichtiges Relais dienen, wenn es weiter hinaus ins All geht – erst zum Mond, dann zu den Nachbarplaneten.

Die Station wird – wie ein Schiff – vollständig auf der Erde gebaut. Inzwischen ist sie fast fertig und auf die stolze Höhe von 165 Metern gewachsen. Gleich nebenan wurde eine Retortenstadt für die Arbeiter und ihre Familien errichtet. In Bootstrap geht es rau zu, was aber ein vergleichsweise unbedeutendes Problem darstellt: Feindliche Mächte wollen die Raumstation noch am Boden vernichten!

Zwar spricht es der Autor nicht offen aus, doch die USA planen die Station nicht nur, um ins Weltall vorzustoßen. Das Militär leitet den Bau und wird wohl diverse Waffen installieren, mit denen die Station potenziellen Gegnern buchstäblich von oben einheizen kann. Dies wollen einige Schurkenstaaten unbedingt verhindern. Schon seit Monaten sickern Saboteure und Spione auf die Baustelle ein. Sie legen Bomben, vergiften Arbeiter, zetteln Meutereien und Aufstände an.

Auch die Lieferungen von Nachschub und Teilen werden attackiert. Ingenieur Joe Kenmore wollte eine Ladung Präzisionsinstrumente nach Bootstrap bringen, doch die Transportmaschine wird abgeschossen. Um zu retten, was noch zu retten ist, bleibt Joe auf der ‚Werft‘. Dort trifft er außerdem die hübsche Sally wieder, die als Tochter des Stationsleiters Major Holt den verwitweten Vater umsorgt. Im Bund mit einigen Arbeitern bemüht man sich den Strolchen auf die Schliche zu kommen. Der Tag des Starts ist nahe, und es steht fest, dass der verzweifelte Feind dann sämtliche Hemmungen fallenlassen wird …

‚Ernsthafte‘ Science-Fiction und abenteuerliche Inkontinenz

Nostalgische Leser erinnern (sich) gern an die Vergangenheit der Science Fiction, die demnach eine wahre Fundgrube hochwertiger, die großen Fragen der menschlichen Existenz aufgreifender und faktenreich mögliche Zukünfte voraussagender Romane und Erzählungen darstellt. Bei näherer Betrachtung wird dies durch die nüchterne Erkenntnis ersetzt, dass der (ohnehin fälschlich als Negativ-Schmähung interpretierte) Begriff „Trivialliteratur“ das Genre in seiner Gesamtheit zutreffender beschreibt.

Der gute Ruf der Science Fiction stützt sich auch darauf, dass die meisten Werke, die jenseits zumindest heute üblicher Qualitätsstandards entstanden, in Vergessenheit geraten sind. Das ist kein Verlust, denn viele – vielleicht sogar die Mehrzahl – dieser Geschichten entstanden als Verbrauchsware. Sie erschienen zunächst in billigen Magazinen oder Heften, später in Taschenbüchern, die man las und anschließend entsorgte.

Zwar verbarg sich in dem gewaltigen Schuttberg, zu dem sich diese (Mach-) Werke auftürmten, manche Goldader in Gestalt talentierter Autoren, die das Genre sogar als schlecht und nach Wörterzahl honorierter Lohnschreiber voranbrachten, es entwickelten und seine Möglichkeiten ausloteten. Auf einen Stanley G. Weinbaum oder Robert A. Heinlein kamen freilich 99 Murray Leinsters: Profis und Vielschreiber, die von ihrem Handwerk lebten. Um dies zu gewährleisten, mussten diese Autoren wissen, was ein möglichst großes Publikum lesen wollte, und dessen Wünsche umsetzen.

Der Mensch ist mehrheitlich (denk-) faul, was auch sein Freizeitverhalten prägt. Wer – womöglich nach einem langen Arbeitstag – zu etwas Gedruckten (oder inzwischen auch Digitalen) greift, will vor allem unterhalten werden. Tiefgründige Seelenspiegelungen oder gar pädagogisch Relevantes sind weniger gewünscht. Auch solche Leser – zu denen wir alle ausschließlich bzw. oft bzw. hin und wieder zählen – haben das Recht, mit einschlägiger Ware beliefert zu werden. Hier kommen die erwähnten Murray Leinsters ins Spiel.

Raumstation als Raum-Schiff

„Projekt Raumstation“ ist der erste Band einer Trilogie, die den Aufbruch des Menschen ins Weltall beschreibt (oder besser: beschreiben soll). Wie dieser aussah, stand Anfang der 1950er Jahre zumindest in den USA quasi fest. Vordenker wie Wernher von Braun (der seine nazideutsche Vergangenheit problemlos abgeschüttelt hatte) sorgten mit Vorträgen, Zeitschriftenartikeln und in TV-Sendungen dafür, dass der Gedanke, möglichst als erster ‚nach oben‘ und dann immer weiter zu reisen, sich im kollektiven Gedankengut verankerte – und dies, bevor die Sowjet-Teufel den braven Menschen des Westens zuvorkamen!

Nichtsdestotrotz wählte der noch im 19. Jahrhundert geborene Leinster eingängigere Bilder. Von Braun war beispielsweise klar, dass eine Raumstation auch im Weltraum gebaut werden musste. Leinster ließ sein Modell auf der Erde entstehen. Mitten in die Wüste fabulierte er eine Art Werft, in der Arbeiter die Station wie ein Fracht- oder Schlachtschiff zusammendengelten. Für schwindelerregende Höhen heuerte man „Indianer“ an, für enge Ecken „Zwerge“ (die damals noch so genannt werden durften). Das Endprodukt konnte man allerdings nicht einfach ins nahe Wasser gleiten lassen. Es musste irgendwie in den Erdorbit gehievt werden. Dafür postulierte Leinster mit der Nonchalance des SF-Autors gigantische „Raketenflugzeuge“, denen ein fiktiver Supertreibstoff die nötige Kraft verlieh. Sie mussten die fertige Station an langen Stahlseilen und im Konvoi nach oben ziehen – eine mehr als krude Vorgabe, die gleich einem ganzen Bündel feindseliger Naturgesetze Hohn spricht.

Überhaupt ist die Raumstation nur Vorwand für ein Garn, das mit dem Weltraum herzlich wenig zu tun hat. Seite um Seite füllt Leinster stattdessen mit obskuren Aktionen, die das Projekt Raumstation zum Scheitern zwingen sollen. ‚Saboteure‘ und „Spione‘, die realiter nicht einmal für die Sesamstraße arbeiten dürften, reiten naive und dümmliche Attacken auf besagte Station, die Leinster als Symbol für einen Fortschritt einsetzt, der die alte = veraltete Weltordnung außer Kraft setzt – dies jedoch unter US-‚Leitung‘, die Leinster ohne jede Ironie als Idealzustand betrachtet: Dafür steht grimmig entschlossen und absolut humorlos Major Holt, der weder sich noch seine Leute – den potenziellen Schwiegersohn eingeschlossen – schont!

Idealisten mit lockeren Fäusten

„Projekt Raumstation“ erschien in einem kleinen Buchverlag, der sich auf SF für Jugendliche spezialisiert hatte. Vor der „Young-Adult“-Literatur des 21. Jahrhunderts ging dies einher mit einer Holzhammer-Pädagogik, deren Inhalte der jungen = dummen Leserschaft unter indoktrinierender Wahrung konservativer Wertvorstellungen literarisch eingeprügelt wurde.

Normalerweise stand in solchen Romanen stellvertretend für das (männliche) Publikum ein Jugendlicher im Mittelpunkt, der die raue Wirklichkeit auf abenteuerliche Weise kennenlernte und dabei systemkonform eingenordet wurde. Leinster stellt uns dagegen einen erwachsenen und beruflich etablierten Mann vor, der schon weiß, was ‚richtig‘ ist: Joe Kenmore hält problemlos in der einen Hand den Rechenschieber, während er mit der anderen auf Schurken einprügelt oder sie niederschießt. „Nerds“ waren in den 1950er Jahren keine Schwächlinge, sondern potenzielle Helden, die weder Furcht noch Korruption kannten, sondern idealistisch für die Wissenschaft und stellvertretend für den ‚guten‘ Teil der Menschheit fochten.

Das Lumpenpack bleibt anonym, doch die zeitgenössischen Leser wussten, wer da tückte, oder konnte US-offiziell angeprangerte Übelmächte einsetzen. Selbstverständlich siegt der Fortschritt; im Finale wird die Station unter kräftiger Rauch- und Lärmentwicklung in den Orbit gezerrt. Joe Kenmore hat sich entschieden: Er wird mit seinen Haudrauf-Kumpelfreunden mit an Bord gehen. Zurück bleibt Sally, die ihren Joe bisher liebevoll & schreckensbleich verbunden hat, wenn er wieder einmal Unholde züchtigte, oder ihm am Hightech-Herd der noch geerdeten Raumstation etwas brutzelte. Doch auch ihr winkt die Zukunft: „Wir werden uns gemeinsam nach oben begeben …“, sprach Joe ruhig. „Wir gehören doch zusammen.“
„Ich auch, Joe?“ fragte Sally.
„Eines Tages werden wir auch dich mitnehmen“, nickte er.

Das lässt sich nachprüfen, denn Leinster schrieb zwei weitere Joe-Kenmore-Abenteuer, die ihn bis auf den Mond führten, wo ebenfalls eisige Dunkelheit und kaltherzige Finsterbolde für Zwischenfälle sorgten, die hirn- und handfixe Helden erforderten.

Autor

Als William Fitzgerald Jenkins wurde er am 16. Juni 1896 in Norfolk, US-Staat Virginia, geboren; die Familie zog im neuen Jahrhundert nach New York City um. Ab 1916 war er regelmäßig in den zeitgenössischen „Pulp“-Magazinen vertreten. Jenkins schrieb Western-, aber auch Kriminal- und Horrorstorys, die unter Pseudonymen wie William Fitzgerald oder Will (F.) Jenkins erschienen. Als „Murray Leinster” debütierte er 1919 mit der SF-Story „The Runaway Skyscraper“. Ein erster Roman – der mit SF-Elementen angereicherte Thriller „Murder Madness“ – kam 1930 heraus.

Leinsters wichtigste Arbeiten in der Science Fiction erschienen vor und in dem Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwar mit leichter Hand, jedoch mit Einfallsreichtum und Schwung deklinierte er durch, was das Genre beliebt machte. Farbenfrohe Weltraumabenteuer, Paralleluniversen („Sidewise in Time“, 1934), der Erstkontakt zwischen Menschen und Außerirdischen („First Contact“, 1945) oder spannende Expeditionen auf fremden Planeten („Exploration Team“, 1956; Gewinner des „Hugo Award“ für die beste Novelle des Jahres): Leinster sorgte dafür, dass er nicht nur aufgrund seiner Publikationsfrequenz – er veröffentlichte mehr als 1500 Storys – in die Geschichte der Trivialliteratur einging.

Später begann Leinster ältere Erzählungen für sog. „Fixup-Novels“ auszuschlachten, die echte Stringenz und innere Logik oft vermissen ließen. Allgemein ließ das Qualitätsniveau oft zu wünschen übrig. In den 1960er Jahren schrieb Leinster Romane zu TV-Serien wie „Time Tunnel“ – hier stammte auch die Grundidee von ihm – und „Land of the Giants“; reine Lohnarbeiten, die ihm als Profi glatt, aber inspirationsarm aus der Feder flossen. Ungeachtet dessen genoss Leinster hohes Ansehen in der SF-Szene, die er entscheidend mitgeprägt hatte; man nannte ihn den „Dean of SF“.

Privat war Jenkins ein begabter Techniker und Erfinder. Er hielt mehrere Patente in den Bereichen Film und Fotografie. Nur acht Tage vor seinem 79. Geburtstag ist William Fitzgerald Jenkins am 8. Juni 1975 in Gloucester (Virginia) gestorben.

Joe-Kenmore-/To-the-Stars!-Trilogie

(1953) Projekt Raumstation (Space Platform) – Utopia-Kriminal 16 (Pabel)/Terra Extra 96 (Moewig)
(1953) Zwischen Erde und Mond (Space Tug) – Utopia-Großband 49 (Pabel)/Terra Extra 97 (Moewig)
(1957) Die Mondstadt (City on the Moon) – Utopia-Kriminal 23 (Pabel)/Terra Extra 126 (Moewig)/Ullstein 2000 Nr. 3251 (Ullstein)

Heftroman: 93 Seiten
Originaltitel: Space Platform (Chicago : Shasta Publishers 1953)
Übersetzung: Fritzheinz van Doornick
Cover: Sol Dember

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