Tess Gerritsen – Akte Weiß: Das Geheimlabor (Lesung)

Routiniert: Räuberpistole mit Lovestory

Brisantes Beweismaterial über illegale Forschungen bringt Cathy in Lebensgefahr und weckt bei Dr. Holland Beschützerinstinkte. Er will sie retten. Zumal es ja seine Schuld ist, dass die Hetzjagd auf die Frau, die er liebt, eröffnet wurde. (Verlagsinfo)

Das Buch zu diesem Hörbuch erschien bereits 1986 beim |DuMont|-Verlag, später als |Mira|-Taschenbuch im |Cora|-Verlag. Wie von Testern zu erfahren ist, bewegt sich die literarische Qualität der Mira-Produktionen auf einer recht niederen Ebene.

Die Autorin

Tess Gerritsen war eine erfolgreiche Internistin, bevor sie mit dem Medizinthriller „Kalte Herzen“ einen großen Erfolg errang. Es folgten mehrere mittelmäßige Thriller wie „Roter Engel“, die durchaus spannend zu unterhalten wissen.

Mit dem Bestseller „Die Chirurgin“ ist ihr auch der Durchbruch in Deutschland gelungen, denn dieser Thriller ist noch eine ganze Klasse härter: Der Mörder entfernt seinen weiblichen Opfern die Gebärmutter. Die Fortsetzung trägt den Titel „Der Meister“, und „Todsünde“ ist der dritte Roman mit Detective Jane Rizzoli vom Boston Police Department. „Body Double“ trägt in der Übersetzung den treffenden Titel „Schwesternmord“.

Gerritsen lebt mit ihrem Mann, dem Arzt Jacob Gerritsen, und ihren beiden Söhnen in Camden, im US-Bundesstaat Maine.

Der Sprecher

Gerd Alzen ist Rundfunk- und TV-Sprecher. Er betreut u. a. „voxtours“ und „vox-tierzeit“, auch als Hauptsprecher von „stern tv“ mit Günter Jauch hat er laut Verlag einen gewissen Bekanntheitsgrad errungen. Mir selbst sagt sein Name nichts.

Regie und Produktionsleitung oblagen Werner Fredebold in Köln.

Handlung

Zur Weihnachtszeit fährt Cathy Weaver mit ihrem Auto von San Francisco nach Garbersville, um ihre Freundin Sarah, 39, zu besuchen, die in wenigen Monaten ihr erstes Baby erwartet. Sara hat sich über eine Samenbank befruchten lassen, weshalb die Schwangerschaft ein kleines Abenteuer ist. Sie hat sich von ihrem Mann scheiden lassen – der wollte keine Kinder, die seine Karriere behindert hätten.

In einer unübersichtlichen Kurve muss Cathy plötzlich scharf bremsen, doch zu spät: Der Mann, der da auf der Fahrbahn stand, prallt voll gegen ihren Kühlergrill. Sobald sie ihren Schock überwunden hat, kann sie feststellen, dass der Mann nicht tot ist. Sie schleppt Victor, so nennt er sich, in ihr Auto und fährt mit ihm zum nächsten Krankenhaus. Die Notaufnahme bereitet sofort eine OP vor. Victor kommt durch. Aber was hatte er mitten in der Nacht auf der Straße zu suchen, dazu noch in der Mitte von Nirgendwo?

Cathy ist Maskenbildnerin beim Filmstudio ihres Ex-Mannes Jack Zuckerman. Er produziert Horrorfilme. Wie so ein Film mutet sie das Ganze schon ein wenig an. In Victors Papieren steht, er sei 41 und Biochemiker. Victor Holland hat einen Sicherheitsausweis von ViraTech bei sich, wahrscheinlich irgend so ein Labor. Nachdem sie ihre Daten angegeben hat, darf Cathy weiterfahren zu Sarah. Die freut sich, wundert sich aber über die Verzögerung. Cathy erklärt ihr alles. Zu ihrer Verwunderung findet sie eine Filmdose in ihrem Wagen und steckt sie ein. Wahrscheinlich eines der erotischen Machwerke von Hickman Trapp, einem befreundeten Fotografen.

Als sie am anderen Morgen erwacht, kann sie Sarah nicht finden. Erst nach einer Weile fällt ihr die offene Tür ihres Wagens auf: ausgeraubt. Dahinter liegt Sarah in ihrem Blut. Die Polizei interessiert sich nicht nur für die Leiche, sondern auch für die Kugel, die in Victor Hollands Schulter steckt: Was ist passiert? Er könnte es sagen, zieht es aber vor, sich dünne zu machen, um Cathy zu folgen. Seine wichtigste Frage, die er sich stellt: Wo ist der Film, den er in ihrem Auto gelassen hat?

Vor ihrer Wohnung in San Francisco passt er sie ab und geht mit ihr hinein. Gerade noch rechtzeitig. Wenig später zersplittert die Fensterscheibe, zersiebt von Kugeln. Eine Catherine Weaver wurde in Frisco bereits getötet, nun ist Cathy als Nr. 2 dran. Aber wer ist der Auftraggeber des Killers? Schließlich, so Holland, gehe es um Biowaffen, ein illegales Geheimprojekt bei ViraTech, dem sein Freund Jerry Martinique auf die Schliche kam. Der Beweis sind die Bilder auf der Filmrolle, die Cathy haben muss. Und der Killer will verhindern, dass der Film in falsche Hände gerät, sprich: in die des Justizministeriums.

Schleunigst verlassen Holland und Cathy ihre unter Beschuss genommene Wohnung über die Feuerleiter. Cathy hat mindestens so viel Angst wie dieser Mann, der wirklich attraktiv aussieht. Sie sehnt sich nach Sicherheit und Geborgenheit, und er scheint dies zu versprechen. Er bringt sie in die relative Sicherheit seines Hotelzimmers. Dort kommen sich die beiden in jeder Hinsicht näher.

Unterdessen ist die Jagd auf Holland und Weaver eröffnet. Archibald Black, Projektleiter bei ViraTech, wird unter Druck gesetzt: Matt Tyrone vom Nationalen Sicherheitsrat des Präsidenten Ronald Reagan hat bereits den FBI-Chef Dafoe auf seiner Seite. Tyrone verrät Black, dass er bereits einen Killer namens Nick Savage in Marsch gesetzt habe, der sich um Holland, Weaver und den Film kümmern werde. Und da Savage Weavers Adressbuch gefunden habe, werde es nicht mehr lange dauern, bis er die beiden aufgespürt und zur Strecke gebracht hat.

Doch Tyrone und Black haben nicht mit Cathys Fähigkeiten als Maskenbildnerin gerechnet …

Mein Eindruck

Der Originaltitel des Romans „Whistleblower“ bezeichnet jemanden, der ein Geheimnis verrät. Dass dieser Jemand von den Geheimniskrämern nicht besonders wohlwollend betrachtet wird, dürfte klar sein. Diesmal fällt diese Rolle Victor Holland zu, der die Machenschaften ViraTechs bekannt machen will: Es geht um eine Biowaffe, die modifizierte Pockenviren einsetzt. Holland will die Info am liebsten der Presse übergeben, denn dem FBI traut er nicht (ein Missverständnis, wie sich herausstellt). Doch es ist eine Sache, die Information zu besorgen und eine andere, sie an den richtigen Mann zu bringen.

Bis Holland die Fotos begutachten lassen kann, vergeht die erste Hälfte der nun folgenden Schnitzeljagd. Er und Cathy, die sich wirklich tapfer hält, sind dem Killer immer einen winzigen Schritt voraus. Doch der Film allein reicht nicht, wie ihm sein alter Uni-Freund Olli Wozniak erklärt: Als Beweis könne nur eine Probe der Killerviren selbst genügen. Also muss Holland noch einmal in ViraTech eindringen. Das Finale wird von einem Hollywood-gerechten feurigen Showdown bestritten, bei dem selbstverständlich alle greifbaren Bösewichte den Löffel abgeben.

Doch, ach!, das macht Cathy keineswegs glücklich, denn wo steckt nur ihr Schatz, der Held Victor Holland? Die Anwälte des Justizministeriums haben ihn sich gekrallt, und dann steckt man ihn auch noch ins Zeugenschutzprogramm. Es ist schon eine harte Prüfung für ihre junge Liebe zu ihm. Aber Amor schickt bestimmt noch ein Happy-End, oder?

Dieses Frühwerk Gerritsens steckt voller Klischees, und als Buch würde ich es einfach nur unerträglich finden. Zwar ist das stark gekürzte Hörbuch auch nicht gefeit gegen Liebes-Szenen aus dem Groschenroman, aber wenigstens überwiegt die Action, die den Zuhörer bis zum feurigen Schluss ganz schön auf Trab hält. Auch der Humor kommt nicht zu kurz.

Wahrscheinlich konnte man in den Achtzigern solche Schmachtfetzen noch ohne mit der Wimper zu zucken schreiben, denn die Skandale der Reagan-Ära waren noch weitgehend unaufgedeckt. Dass die Autorin sich seinerzeit des Themas verbotene Forschung annahm, finde ich gut, obwohl es im Grunde nicht besonders originell ist. Was aber der deutsche Titel „Akte Weiß“ zu bedeuten hat, kann man nur vermuten: Er suggeriert wohl, dass die Story etwas mit Ärzten zu tun hat, aber das stimmt nicht, denn Holland ist Biochemiker. Das „Geheimlabor“ existiert zwar, aber so geheim ist nun auch wieder nicht.

Die Namen, die sich die Autorin für ihre Figuren ausgesucht hat, scheinen aus dem Geografieunterricht zu stammen: Holland, Martinique. Oder aus der IT-Geschichte: Wozniak ist bekanntlich der Miterfinder und –gründer von Apple Computers, der zusammen mit dem heutigen CEO Steve Jobs einen der ersten Personal Computer zusammengebaut hat: den Macintosh. (Daher der heutige Name „iMac“.)

Dass das verbotene Projekt „Zerberus“ heißt, ist auch so eine abgedroschene Thrillermasche. Zerberus war in der griechische Sage der Wächterhund der Unterwelt. Aber vielleicht ist diese Denke typisch für militärische Forscher und Projektleiter.

Obendrein gibt es ein paar Ungereimtheiten. Der FBI-Agent Sam Polovski hat zwar wegen Grippe 39° Fieber, schafft es aber locker, Holland zu verfolgen und den Killer Savage aus dem Weg zu räumen. Ich finde es ziemlich ungewöhnlich, dass sich ein FBI-Agent weigert, seinen Fall abzugeben, noch dazu, wenn er krank ist. — In Sachen Filmrolle behauptet Cathy zunächst, sie befinde sich in ihrer Handtasche, doch das stimmt nicht, denn sonst wäre der Film dem Verfolger in die Hände gefallen. Aber das sind Nebensächlichkeiten.

Der Sprecher

Gerd Alzen verfügt über eine sympathische Stimme und die Fähigkeit, Männer und Frauen unterscheidbar zu machen. Für Cathy reserviert er eine höhere Stimmlage, die immerhin nicht gekünstelt wirkt. Der Chinese Milo verrät einen gewissen Akzent, der aber irgendwie nicht ganz stimmig wirkt. Holland spricht am Anfang, als er verletzt ist, hechelnd und keuchend. Das klingt stimmig.

Aber Alzen verlässt sich nicht auf seine Stimme allein, sondern arbeitet mit allerlei Tricks. Dazu gehört der Einsatz von Toneffekten. Kommt irgendwo eine Lautsprecher-Durchsage oder dringt eine Stimme aus einem Telefon, so klingt durch den Filter auch Alzens Stimme verzerrt. Der Filter scheint mir aber eher von Hausmacherart zu sein, denn sonderlich professionell wirkt er nicht.

Desweiteren gibt es improvisierte Geräusche, so etwa Papierseiten, die das Rascheln einer echten Zeitung ersetzen sollen. Ein anderes Mal erklingt Türklopfen.

Der Trailer

Vor dem Beginn der eigentlichen Handlung belästigt uns eine Art Trailer. Darin preist ein Verlagsmitarbeiter die Handlung in höchsten Tönen und liefert zudem eine reißerische Zusammenfassung. All dies ist unnötig wie ein Kropf, weil es nämlich bereits auf der Verpackung steht.

Unterm Strich

Ein „Romantic Thriller“, wie er im Buch steht. Liebe auf der Flucht, Liebesproben, Lebensgefahr – „Getaway“ lässt grüßen. Das Biowaffen-Geheimlabor ließe sich durch alle möglichen anderen illegalen Institute ersetzen. Ein Klischee jagt das andere, und da sind Ungereimtheiten und Unplausibles wohl unvermeidbar. Gerritsens Thriller nach dem meisterlichen „Die Chirurgin“ sind diesbezüglich um Klassen besser. Und ihr vorwiegend weibliches Publikum bedient sie mit Thrillern über spezifisch weibliche Themen, nämlich weibliche Anatomie, Schwangerschaft, Kinder und dergleichen.

Der Vortrag von Gerd Alzen ist flott und angenehm zu hören, aber die Toneffekte und persönlich erzeugten Geräusche gehören nicht gerade zum Stand der Technik. Das erinnert schon mehr ans Do-it-yourself-Verfahren.

Originaltitel: Whistleblower
200 Minuten auf 3 CDs

www.deltamusic.de

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