Friedel Wahren (Hg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin, 50. Folge

Prallvoller Jubiläumsband

„Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin“ erscheint nun schon in der 50. Folge, und dem Anlass gemäß erhielt der über 400 Seiten starke Band einen goldenen Umschlag. Mit der regelmäßigen Herausgabe des Magazins verhilft Friedel Wahren dem deutschen Publikum zu einem guten Einblick in die Trends in der US-amerikanischen SF-Szene. Sie ergänzt den Eindruck, den Wolfgang Jeschkes Storybände zum Teil vermitteln, denn diese sind ja nicht auf die USA beschränkt, sondern international ausgerichtet – eine der selten gewordenen Plattformen für deutsche Story-Autoren.

Wie es sich für die Jubiläumsausgabe geziemt, sind hier etliche bekannte Namen versammelt, so etwa Nancy Kress, Stephen Baxter und Mike Resnick. Aber auch Newcomer wie Sally McBride, William Barton und Malte Sembten aus Deutschland haben hier ein Forum. Mit William Tenn ist zu guter Letzt Asimovs Generation vertreten.

Die Herausgeberin

Friedel Wahren war lange Jahre die Mitherausgeberin von Heynes SF- und Fantasyreihe, seit ca. 2001 ist sie bei Piper verantwortlich für die Phantastikreihe, die sowohl SF als auch Fantasy veröffentlicht.

Die Erzählungen

1) Stephen Baxter eröffnet den Band mit einer Story über Juri Gagarins zweiten Raumflug, der ihn zur Venus führt. Die stellt sich aber als höchst lebensfeindlicher Planet heraus, der allerdings von einer in metallischen verbindungen existierenden Intelligenz bewohnt wird. Das sterbende Bewußtseins Gagarins wird von dieser Intelligenz absorbiert. Als sie sich eines Tages auf Reisen begibt, erhält Gagarin Gelegenheit, seine Landsleute wiederzusehen und die Ära des Raumflugs wiederzubeleben.

2) Nancy Kress ist für Themen über soziokulturellen Umbruch bekannt. In “Evolution” schlagen die besiegt geglaubten Bakterien und Viren zurück. Hospitäler werden als Seuchenherde von selbsternannten Befreiern ausgebombt und Ärzte getötet. Die Ich-Erzählerin überwindet die Enthaltungstaktik ihres Mannes und findet heraus, daß ihr Sohn unter den Terroristen ist. Auf der Suche nach ihm stößt sie auf einen früheren Geliebten, der jetzt als Arzt ein neues Serum gewonnen hat. Der Sterbende impft sie, und durch Mundkontakt gibt sie das Heilmittel an ihre Umwelt weiter. Jahre später hilft sie in den entvölkerten USA beim Wiederaufbau. Die Story funktioniert durch eine glaubwürdig gezeichnete Hauptfigur recht gut.

3) Eine andere sterbende Rasse, die Delphine, sendet den Menschen eine nette Botschaft in Terry Bissons (“Bears discover fire”) lakonisch pointierter Story “Die Botschaft”. Noch mehr Tod in Esther Friesner Erzählung “Der Tod und die Bibliothekarin” – diesmal leibhaftig! Der Sensenmann trifft in dieser “tall story” auf eine reizende alte Dame mit Vergangenheit, die in nächtlichen Sitzungen den Gespenstern von Kindern (darunter ihrem eigenen) die Geschichten von Mark Twain und anderen Jugendautoren. Tod, der eigentlich kam, die Lady abzuholen, sieht sich mit Vorwürfen überschüttet und von Mitgefühl überwältigt. Er bittet die Dame, ihr gutes Werk fortzusetzen und verschwindet.

4) Die beste Erzählung des Bandes stammt von Mike Resnick und Susan Shwartz. Bekanntlich ist Resnick ein Afrikakenner, wie er bereits in dem Roman “Elfenbein” bewies. Und so wirkt seine in Uganda angesiedelte Story “Bibi” sehr realistisch und glaubwürdig. Im Busch arbeitet der junge Amerikaner Jeremy, ein ehemaliger Börsenmakler in einem AIDS-Hilfscamp. Er selbst ist HIV-positiv, wie alle Patienten, hatte sich aber bereits in den USA angesteckt. In einem Dorf trifft er eines Nachts auf die legendäre Bibi, die AIDS-Kranke angeblich durch Magie heilen kann. Während seine wissenschaftlich gebildete Begleiterin nicht an Bibi glaubt, begegnet er diesem Wesen und wird nach einem Biß von ihr wieder gesund. Nach einer Weile geht er in den Busch, um ihr bei ihrem Werk zu helfen. Resnick präsentiert uns mit Bibi die Urahnin aller Menschen, Lucy, jene vor 1 Million Jahren lebende Australopithecus-Frau, als heilenden Mythos. Es ist die Atmosphäre der Sehnsucht und der Heilung (in jeder Hinsicht), durch die Resnicks und Shwartz’ Geschichte den Leser berührt.

5) Heilung von der besonderen Krankheit des Realitätsverlusts wünscht sich der 67jährige Jake in Brian Stablefords Geschichte “Berührungslos”. Er ist ein Opfer des Cyberspace, der virtuellen Realitäten, die Irgendwo alles überall verfügbar machen und durch die Beliebigkeit ihrer Inhalte jede Relevanz verlieren – eine harsche Kritik an der Online-Kultur, in der der Einzelne verschwindet.

6) Sally McBride stellt die Frage, wie sich die Liebe der Menschen untereinander von der eines unter Menschen aufgewachsenen Alien unterscheidet. Die Hauptfigur, eine Psychotherapeutin, versucht zu verstehen, wie die Alienfrau Seule dazu kam, den Mann, den sie – unerwidert – liebte, umzubringen. Ein Rekurs auf ihre eigene unerwiderte Liebe zu ihrem Doktorvater verhilft ihr zum Verständnis Seules, das sie wie “Duft von Orchideen” (ein Gedicht aus dem I Ging) empfindet. Es ist eine klassische Dreiecksgeschichte mit einem neuen Dreh.

7) Hamburger servieren kann selbst in der tiefsten Rrovinz zu ungeahnten Begegnungen führen. Dies erfährt ein 16jähriger Junge in Lawrence Watt-Evans’ amüsant-nachdenklicher Story “Warum ich Harrys nachts durchgehend geöffnetes Hamburger-Lokal verließ” (HUGO Award). In der Friedhofsschicht zwischen 2 und 8 Uhr morgens tauchen Gäste aus parallelen Dimensionen auf, und es fällt dem jungen Helden nicht leicht, mit deren Manieren zurechzukommen. Doch schließlich möchte er sogar mitgenommen werden, leider ohne Rückfahrkarte, wie ihm einer der Gäste wohlwollend mitteilt. Der Junge läßt sich überzeugen, daß er erst einmal seine eigene Welt erkunden sollte.

8) Die Welt ändert sich bis zur Unkenntlichkeit. In M. Shayne Bells bitterer Geschichte “Das Rauschen des Flusses” geht es um einen afrikanischen Musiker, der sechs hervorragende Platten vor Jahren gemacht hatte. Gefragt, warum er denn nur fünf davon auf CD aufgenommen hat, weist er auf das ausgetrocknete Flußbett des Niger – das Rauschen des Flusses, das elementarer Bestandteil der Musik auf seiner ersten Platte gewesen sei, könne nicht mehr zurückgebracht werden…

9) Steven Utley schrieb mit “Wind über der Welt” ebenfalls eine Geschichte über einen Verlust. Beim Durchgang durch ein Zeitloch in das Erdaltertum geht der Buchhalter Ed Morris “verloren”. Die Geologin, die ihm voranging, bewahrt die Erinnerung an ihn. Es entwickelt sich eine Art Geistergeschichte, in der psycholgisch Eds Verschwinden verarbeitet wird. Es könnte genauso gut den im Vietnamkrieg verschwundenen US-Soldaten gelten, suggeriert Utley. Militär zumindest ist genügend präsent.

10) Das Militär mag auch an dem atomaren Holocaust schuld sein, den drei Jungen in William Bartons Novelle “Das Zeitalter des Wassermanns” – ein ironischer Titel – hautnah miterleben. Statt die Kubakrise friedlich beizulegen, findet zwischen Russen und Amerikanern ein Nuklearkrieg statt, der zum nuklearen Winter und dem Untergang der Zivilisation in fast allen Ländern der Welt führt. Bis zur “Wiederauferstehung Amerikas” unter Nixon und Konsorten vergehen sieben Jahre. Als die Hauptfigur die Chance hat, ebenso eine Familie zu gründen wie sein bester Freund, sieht er jedoch keinen Weg mehr zurück. Zu groß sind die inneren Veränderungen. Statt dem Aufkommen der Gegenkultur während des Vietnamkriegs zeigt Barton, wie leicht es anders hätte kommen können. Das “Zeitalter des Wassermanns” findet in der gesetzlosen Zeit statt, als die Hauptfiguren ihren Vorbildern aus Fantasy-SF-Geschichten über die Königreiche auf dem Mars nacheifern können. Ironisch, daß dies nur in der alptraumartigen Zeit zwischen Prä- und Post-Holocaust-Zeit möglich ist.

11) In den letzten beiden Stories wird ein leichterer Ton angeschlagen. William Tenns Hauptfigur George will von der Zeitreisenden Antoinette unbedingt erfahren, wofür er in 100 Jahren, zu der Zeit, aus der sie stammt, berühmt sein wird. Um dies herauszubekommen, verführt er sie. Das Geheimnis seines Ruhms: Er ist im Gegensatz zu seinen Verwandten für nichts bekannt – aber nun weiß sie den Grund!

12) Zeitreisen eröffnen die ausgefallensten Perspektiven. Zum Beispiel sich das Sperma der berühmtesten Männer der Geschichte zu besorgen. Diesen Job übernimmt in Malte Sembtens origineller Story “Blind Date” die Prostituierte und Agentin Valeska Sweet – bis zu jenem verhängnisvollen Auftrag, der Jack the Ripper gilt.

Die Übersetzung

Leider haben sich in ein paar Geschichten sachliche Fehler eingeschlichen, so ist etwa Barsoom bestimmt kein Autor, sondern das Phantasiekönigreich von E.R. Burroughs auf dem Mars. Auch wird das russische Wort für “Erde” nicht “zemyla” geschrieben, sondern “semlja” wie in Nowaja Semlja, einer Insel im Nordmeer.

Taschenbuch: 413 Seiten
Originaltitel: Isaac Asimov’s Science Fiction Magazine
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern
ISBN-13: 9783453133051

www.heyne.de

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