Friedel Wahren (Hg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin 54. Folge

Die Widerlegung Jesu und andere unerwartete Ereignisse

Die aktuelle Auswahl umfasst zwei hochkarätige Preisträger: Sterlings „Taklamakan“ und Egans „Ozeanisch“. Diese mit dem HUGO Award ausgezeichneten Novellen sollte der SF-Freund kennen.

Diese Auswahlband enthält:

– die Story von der Landung der Marsianer in Massachusetts, wo sie eine Dichterin verwirren;
– die Story von den Cyborgs, die in unterirdischen Kuppeln drei Raumschiffe gebaut haben;
– die Story von ozeanbedeckten Welt der menschlichen Siedler, die ihre eigene Form der Sexualität und Religiosität entwickelt haben;
– die Story von einem seltsamen Fernseher, der ein gewaltiges Problem verursacht;
– die Story von zwei japanischen Gespenstern.

Die Herausgeber

Friedel Wahren war lange Jahre die Mitherausgeberin von Heynes SF- und Fantasyreihe, seit ca. 2001 ist sie bei Piper verantwortlich für die Phantastikreihe, die sowohl SF als auch Fantasy veröffentlicht.

Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte.

Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch 1938 an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Später verknüpfte er die Foundation mit den Robotern – Aliens blieben wie eh und je außen vor, außer sie waren menschliche Mutanten.

Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien. Im Magazine of Fantasy and Science Fiction hatte er jahrelang eine regelmäßige Kolumne, in der er sich mit zahlreichen wissenschaftlichen Fragen befasste.

Die Erzählungen

1) Nancy Kress: Ein Dampfschiffsoldat an der Informationsfront

Die mehrfach ausgezeichnete Preisträgerin eröffnet den Geschichtenreigen mit ihrer humorvoll-kritischen Erzählung „Ein Dampfschiffsoldat an der Informationsfront“.

Allan ist ein sogenannter Scout für Risikokapitalinvestoren. Er jettet von Firma zu Firma, falls die irgendetwas Neues entwickelt haben, in das man investieren könnte. Doch ebenso wie die lernenden intelligenten Roboter im Labor verfällt auch sein Sohn Charlie in geradezu unanständige, weil unproduktive Reglosigkeit. Sie haben den Sprung von der Frage „Wie tun wir etwas am effizientesten?“ zum „Warum tun wir das überhaupt, was wir so gut können?“ vollzogen. Allmählich dämmert’s auch Allan. Aber er zieht den falschen Schluss…

2) Connie Willis: Die Seele wählt sich ihre Gesellschaft selbst: Invasion und Aversion (The soul selects her own society: Invasion and repulsion: A chronological reinterpretation of two of Emily Dickinson’s poems: A Wellsian perspective, 1996)

Die erfolgreiche Autorin unterhält den literarisch geschulten Leser mit einer völlig verrückten Idee: Der von H.G. Wells erfundene „Krieg der Welten“ fand wirklich statt, meint der Urheber dieses Abstracts einer Doktorarbeit. Und die Marsianer landeten offensichtlich nicht nur in England, sondern auch in Massachusetts, den die halbverrückte Dichterin Emily Dickinson erwähnt diese „Dämonen“ ausdrücklich in zwei posthum gefundenen Gedichten.

Mein Eindruck

Willis nimmt erst den Dickinson-Kult bzw. Pseudowissenschaft auf die Schippe, dann auch den gesamten Betrieb der Literaturwissenschaft. Die Fußnoten mit frei erfundenen Quellen („N. compos mentis“!) sind eine wahre Delikatesse. Die Kurzgeschichte wurde 1997 mit dem HUGO Award ausgezeichnet.


3) Bruce Sterling: Taklamakan (HUGO)

Um 2040 herum haben sich die drei Wirtschaftsblöcke Europa, NAFTA (Nordamerika) und die asiatische „Sphäre“ gebildet. Der Rest gehört zum „Süden“ und wird unter den drei Blöcken aufgeteilt. China, auf dessen historischem Boden die Wüste Taklamakan, der Schauplatz der Story, liegt, ist nicht mehr kommunistisch. Aber die Roten haben hier ein Erbstück hinterlassen, hier, wo sie ihre Atombombentests durchzuführen pflegten…

Spider Pete kommt auch aus Chattanooga. Er kennt Lyle, den Fahrradmechaniker, gut. Pete mag ein wenig verrückt sein, aber er ist auch Geheimagent für Washington, D.C. Genau wie seine jüngere Kollegin Katrinko. Das heißt, sie ist geschlechtslos, weil sie sich die entsprechenden Organe hat entfernen lassen. Nun stoßen die beiden auf mehrere Kuppeln hinter einer hohen Mauer. Mit ihrer Spezialkletterausrüstung überwinden sie die Mauer, finden drei schon lange tote Asiaten und dringen in eine der Kuppeln ein.

Tief im Untergrund stoßen sie auf drei Raumschiffe und zahllose biomechanische Roboter, die sie angreifen: ein gesellschaftliches Experiment der Kommunisten, bewacht von Robotern. Denn in zweien der drei Schiffe finden Pete und Trink intakte Gesellschaften vor: Bauern im einen, städtische Händler im zweiten. Das dritte ist unheimlich still. Da beschließen Pete und Trink, die Städter rauszulassen…

Die Handlung und das Ausmaß der Implikationen der Erkenntnisse eskaliert in rasender Geschwindigkeit. Am Schluss ist die Erbschaft der Vergangenheit, der Ausbruch der Roboter nicht mehr aufzuhalten. Taklaman erhielt 1999 den HUGO Award. „Taklamakan“ von Sterling ist seiner Collection „A Good Old Fashioned Future“ entnommen, die Heyne offenbar peu à peu komplett veröffentlicht. „Bicycle Repairman“ (HUGO 1996) ist bereits auf deutsch erschienen.

4) David Marusek: Yurek Rutz, Yurek Rutz, Yurek Rutz

Der (damals) relativ unbekannte David Marusek nimmt sich in seinem fiktionalen Brief an IASFM-Herausgeber Dozois Gardner, der den Titel „Yurek Rutz, Yurek Rutz, Yurek Rutz“ trägt, des Themas Unsterblichkeit bzw. unsterblicher Ruhm an. Er sollte, so erzählt er, den Spruch für den Grabstein jenes Yurek Rutz verfassen, um den Namen in die Erinnerung der Nachwelt zu bringen. Nur stößt er dabei auf einige Schwierigkeiten.

5) Terry Bisson: Der Hochzeitstermin

Irving ist eigentlich mit seiner Verlobten nach New York City gekommen, um in seiner alten Heimat Brooklyn die Hochzeitsnacht zu feiern – vor der Hochzeit, die in Alabama stattfinden soll, Candys Heimat. Beim Stadtbummel wird er jedoch an öffentlichen Telefonen, auf Handys von Fremden, in Restaurants angerufen: Sein Trauzeuge, der alte Kumpel William Wu, würde sich verspäten, wenn er nicht ein Problem mit der Berechnung der Orkane gelöst bekomme. Wie sich herausstellt, sitzt der Grund des Problems in Irvings Baumhaus aus seiner Kindheit: ein 1957er-Fernseher, der ein Zeitloch und ein Paralleluniversum erzeugt!

Mein Eindruck

Der humorvolle Autor ist bekannt für einfallsreiche, zuweilen abgefahrene Stories. „Der Hochzeitstermin“ macht da keine Ausnahme. Liebevoll porträtiert Bisson die Einwanderer, die verrückten Erfinder und New York überhaupt. Die verrückten Einfälle lassen zudem den Leser wie einen vergnügt grinsenden Idioten aussehen – also, bitte alleine lesen!

6) Greg Egan: Ozeanisch (Oceanic, 1998, HUGO)

Der australische Autor legt mit der Novelle „Ozeanisch“ eine Vision eines vor Urzeiten von Menschen kolonisierten Wasserplaneten vor, auf dem die nunmehr als „Engel“ angesehenen Ankömmlinge für eine blühende Kultur von Religionen gesorgt hatten. Insbesondere eine Frau namens Beatrice wurde zur Jesus-Figur. Gott ist weiblich, und die Menschen sind eine Art Hermaphroditen.

Martin empfängt als Junge den Glauben an Beatrice, doch nach etlichen Jahren in der wissenschaftlichen Forschung erkennt er, dass diese Glückserfahrung nur durch einheimische Mikroben hervorgerufen worden war. Sein Glaube wird zu Zweifel, Sicherheit zu Verzweiflung; am Ende herrscht scheinbar nur Sinnlosigkeit.

Mein Eindruck

„Ozeanisch“ ist eine Parabel auf eine alternative Entwicklung der Menschheit in achtzig Seiten – keine schlechte Leistung. Bemerkenswert ist wieder einmal die Schilderung einer alternativen Sexualität auf dem Planeten Verheißung.

7) Monika Angerhuber: Mottenflügel – ein japanisches Gespenstermärchen

Die IASFM-Ausgaben von Heyne enthalten stets auch eine Originalstory von einem deutschsprachigen Schriftsteller. Die Münchner Autorin Monika Angerhuber liefert diesmal mit der Erzählung „Mottenflügel – ein japanisches Gespenstermärchen“ eine außergewöhnlich stimmungsvolle Geistergeschichte, die auch sprachlich zu beeindrucken weiß.

Zu Zeiten der Shogune muss Lady Akihimes Gatte Nobutsune in den Krieg. Entgegen seinem Versprechen kehrt er nie zurück, sondern wird, wie sein Fürst ihr sagt, für tot gehalten. Als der skrupellose Fürst Lady Akihime für sich beansprucht, wählt sie den Freitod. Viele Jahre später hat der Mönch, der einst Nobutsune hieß, in seinem alten Haus eine unheimliche und für ihn fatale Begegnung.

Unterm Strich

Allein schon die beiden ausgezeichneten Novellen „Taklamakan“ von „Bruce Sterling sowie „Ozeanisch“ von Greg Egan lohnen den Erwerb dieses Auswahlbandes. Die anderen Erzählungen stammen ebenfalls von bekannten AutorInnen wie Nancy Kress oder Terry Bisson (der den HUGO für „Die Bären entdecken das Feuer“ erhielt).

Dass der später so gefeierte Autor David Marusek hier vertreten ist, bietet dem Leser einen gelungen Einstieg in das Werk Maruseks, das hierzulande seit 2011 lediglich mit dem Erzählband „Wir waren außer uns vor Freude“ (Golkonda) vertreten ist. Von Monika Angerhuber würde ich auch gerne mehr lesen.

Taschenbuch: 316 Seiten
Originaltitel: Asimov’s SF Magazine 1996-99
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern;
ISBN-13: 9783453161955

www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)