Friedel Wahren (Hg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction Magazin 53. Folge

Classic SF: Denk wie ein Dino!

Dieser 53. IASFM-Auswahlband bietet drei Geschichten über Kinder im weitesten Sinne sowie über Kunst und Imagination. Den neun angloamerikanischen Erzählungen hat die Herausgeberin eine von einer deutschen Autorin beigefügt. Das ist Tradition in der deutschen Ausgabe von Asimov’s Science Fiction Magazin.

Hier findet man unter anderem:

– Die Story von Saurier-Aliens, die ihre menschlichen Mitarbeiter vor eine knallharte Wahl stellen.
– Die Story vom Training für den Mars, das in der Antarktis zu einer ungewöhnlichen Begegnung führt.
– Die Story von den Schauspielern, die als Tiere eine letzte Auftrittschance ergattern.
– Die Story des Mädchens vom Mond, das auf der Erde schwere Alpträume bekommt.

Die Herausgeber

Friedel Wahren war lange Jahre die Mitherausgeberin von Heynes SF- und Fantasyreihe, seit ca. 2001 ist sie bei Piper verantwortlich für die Phantastikreihe, die sowohl SF als auch Fantasy veröffentlicht.

Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte.

Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch 1938 an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Später verknüpfte er die Foundation mit den Robotern – Aliens blieben wie eh und je außen vor, außer sie waren menschliche Mutanten.

Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien. Im Magazine of Fantasy and Science Fiction hatte er jahrelang eine regelmäßige Kolumne, in der er sich mit zahlreichen wissenschaftlichen Fragen befasste.

Die Erzählungen

1) Mary Rosenblum: Eine zweite Chance (Second Chance)

Die Antarktis ist kalt und öde wie der Mars. Deshalb ist sie ein optimales Trainingslager für Mars-Raumfahrer. Mary Rosenblum erzählt in ihrer Story „Eine zweite Chance“, wie die Leute in der Trainingsstation unter einem Eisbruch begraben werden und auf ein außerirdisches Artefakt stoßen.

In der verunglückten Sara manifestiert sich ein Alien-Bewusstsein, das darum bittet, freigelassen zu werden. Die behandelnde Ärztin gibt ihm eine zweite Chance.

Mit einem Kniff erzählt Rosenblum eine Marsgeschichte, die auf der Erde spielt, und kann die Begegnung mit Alienwesen unter realistischen Bedingungen schildern. Clever und stimmungsvoll.

2) Michael Swanwick: Strahlentore (Radiant Doors)

Michael Swanwick hat in den letzten Jahren durch engagierte Stories von sich reden gemacht, so etwa mit „Die Toten“. „Strahlentore“ ist ebenfalls eine solche Story: Er greift das Thema Flüchtlinge und den Umgang mit ihnen auf.

Diesmal kommen die Insassen des Flüchtlingslagers aus einer kriegerischen Zukunft. Eine der Verwalterinnen findet heraus, dass auch Agenten darunter sind.

Kaltschnäuzig und geradlinig erzählt, fasst die Story ein heißes Eisen an: Könnten sich unter den Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und Irak nicht auch Spione befinden? Und welches Licht wirft das auf die übrigen, die wirklich Asyl suchen?

3) Leslie What: Sag wauwau!

Mit dem Schauspielberuf geht es wirklich abwärts. Die Aktricen müssen sich bereits mit der Rolle eines Haustiers zufriedengeben! Natürlich gibt es dafür ein passendes Kostüm.

In Leslie Whats satirischem Märchen „Sag wauwau!“ verdingt sich die junge Olivia erst als Schoßhündchen einer alten Oma, wird dann aber zugunsten eines weniger renitenten Hündchens entlassen. Bei einem älteren Professor findet sie Unterschlupf, verliebt sich aber in dessen Papagei-Schauspieler Paulo. Wegen unzüchtigen Treibens abermals rausgeworfen, heiraten die beiden und machen ihren eigenen Flohzirkus auf.

Augenscheinlich witzig, aber anrührend, wirft diese Geschichte ein Licht auf das harte Los nicht nur von Haustieren, sondern – offenbar ebenso wertlosen – Schauspielern.

4) James Patrick Kelly: Denken wie ein Dinosaurier (Think Like a Dinosaur, 1996)

Die Dinos sind die Hanen-Aliens, die den Menschen den überlichtschnellen Materietransport gebracht haben. Michael arbeitet auf ihrer Station, um Menschen, die auf entfernten Welten forschen wollen, für den Transmitter vorzubereiten. Doch bei Kamala Shastri läuft alles schief. Erst muss er die Übernervöse beruhigen, dann findet auch noch ein Übertragungsfehler statt: Es gibt sie jetzt zweimal! Um die kosmische Harmonie wiederherzustellen, lassen ihm die Hanen-Dinos keine Wahl: Entweder er tötet die hiesige Kopie Kamalas oder er kann seinen Job vergessen…

Selten wurde knallhartes, un-menschliches Verhalten in seinen Konsequenzen so deutlich geschildert. Merke: Wer die Vorteile, die die Aliens bringen, nutzen will, muss auch bereit sein, den Preis dafür zu zahlen.

Kelly ist zweifellos einer der besten Story-Schreiber in den USA überhaupt. Auch für „Denken wie ein Dinosaurier“ wurde er für einen Nebula nominiert und gewann 1996 einen HUGO Award. Nur ein Viertel seiner Werke wurde bislang übersetzt, schreibt Hardy Kettlitz in seinen drei HUGO-Awards-Überblicken.

5) R. Garcia y Robertson: Sternentod

Mit ihrer Novelle „Sternentod “ versetzt die Autorin den Leser in die guten (?) alten Zeiten von Edgar Rice Burroughs und A. E. van Vogt. Die romantischen Kulissen sind derart überzogen, dass es schon wieder ans Parodistische grenzt.

Die Diplomatin Tiffany hat den Auftrag, ein todgeweihtes Sternsystem durch die Reaktivierung eines totgeglaubten Zylinderraumschiffs à la Rama (siehe Arthur C. Clarkes HUGO-prämiierten Roman ca. 1973) zu retten. Vor den Erfolg hat aber der Autor einige Hindernisse gesetzt. Für einen gehörigen Schuss Erotik sorgt ihre Affäre mit der hübschen Pilotin ihres Gefährts, Miko. Dieses lesbische Detail wiederum hätte die genannten Klassiker im Grabe rotieren lassen.

Eine nette, flotte Story, die man an keiner Stelle ernst nehmen sollte.

6) Lois Tilton: Drachenzähne

Aus gesäten „Drachenzähnen“ erwuchsen der griechischen Sage nach immer wieder neue Krieger. In Lois Tiltons Story haben die Drachenzähne die Form von intelligenten Minen angenommen. Sie wurden auf der Mondoberfläche während des Krieges mit der Erde abgeworfen und müssen nun, nach dem gewonnenen Krieg, von den Lunariern beseitigt werden.

In diesen Hintergrund ist eine harmlose Story um Minenopfer und –sucher eingebettet. Nett gemacht, mit Happy-end, aber nichts Besonderes.

7) Kristine Kathryn Rusch: Echea

Die Autorin erzählt von einem kleinen Mädchen namens Echea, das in einer Mondkolonie des 21. Jahrhunderts aufwuchs, geistig manipuliert und dann nach der Vernichtung der Mondkolonien zur Erde gebracht wurde. In den USA wird Echea von einer wohlhabenden Familie mit drei Töchtern adoptiert.

Böse Träume stellen sich ein, und man lässt Echea untersuchen. Eigentlich soll sie wie alle Menschen ein Implantat zur Nutzung des Internets bekommen. Doch der Arzt, ein früherer Freund der Adoptivmutter, stellt diese vor eine schwere Entscheidung: entweder das Implantat oder keine Erinnerungen. Echeas Vergangenheit würde ausgelöscht.-

Rusch erzählt in sehr einfachen Worten sehr schwierige Dinge: die Furcht des jungen Mädchens, die Erschütterung in der Adoptivfamilie, der Rückblick auf die Verbrechen an kleinen Kindern in verbotenen Experimenten. Die Grundzüge der Story erinnern an Heinleins Roman „Fremder in einem fremden Land“. Dieser wiederum wandelte ca. 1960 die bekannte Geschichte von Mowgli, dem Dschungelkind, ab.

Meisterhaft! Die Erzählung war 1998/99 für den Nebula Award nominiert.

8) Tom Purdom: Forschungsprojekt

Noch ein kleines Mädchen, vielleicht drei Jahre alt: Jinny. Jinny soll ein Referat über den Erstkontakt mit den Ifli-Aliens abliefern – das ist ihr „Forschungsprojekt“ für die Schule. In Rückblenden, die Jinny im Internet nachschlägt, erzählt der Autor, wie es dazu kam, dass die täuschend friedliebenden Aliens die Erde nicht vernichteten. Nämlich nur durch den Verrat, den deren Exobiologe an seinem Volk beging. Und den dieses auf dem Mars zurückließ, als es wieder abzog. Arme Jinny: Sie bekommt trotz ihres Eifers eine schlechte Zensur. Oder gerade wegen ihres Eifers…

Eine ironische, aber sehr einfühlsame Story.

9+10) Holger Eckhardt nimmt in seinen zwei Kurzgeschichten „Gottesbeweis Nummer sechzehn“ und „Das elfte Halali“ zwei urbayerische Berufsstände auf die Schippe: den katholischen Klerus, der seinen Gottesbeweis findet – und den edlen Jäger, der seinen Bezwinger gefunden hat. Beide Storys sind sehr ironisch.

Unterm Strich

Eine ausgezeichnete Auswahl aus Isaac Asimovs Science Fiction Magazin, das wahrscheinlich die höchsten Zeilenpreise im SF-Genre zahlt – und dafür auch entsprechend hohe Qualität erhält. In dieser Ausgabe sind zwei prämiierte Erzählungen von Kelly und Rusch zu finden, die nicht nur innovativ und anrührend sind, sondern auch ein paar unbequeme Fragen aufwerfen. Das tut auch wieder M. Swanwick in „Strahlentore“, der sich des Migrationsthemas annimmt.

Glücklicherweise kommt auch der Humor nicht zu kurz. In den Geschichten von Holger Eckhardt, Tom Purdom, Leslie What und R. Garcia y Robertson darf gelacht werden, selbst wenn das eigentliche Thema eher bitter ist. Der einzige schwächere Beitrag ist m.E. die Story „Drachenzähne“ von Lois Tilton. Immerhin verweist die Autorin auf die Möglichkeit, dass auch auf dem Mond nach dem Krieg Minen im Mondstaub zu beseitigen sind. Wo ist Prinzessin Diana, wenn man sie braucht?

Alles in allem ist dies eine sehr lohnenswerte Ausgabe von IASFM. Leider wurde die deutsche Ausgabe des Magazins mit Nr. 55 Anfang des neuen Jahrtausends eingestellt.

Taschenbuch: 347 Seiten
Originaltitel: Asimov’s Science Fiction Magazine 1996-1999
Aus dem Englischen von übertragen von diversen Übersetzern.
ISBN-13: 9783453156463

www.heyne.de

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