Isaac Asimov & Martin Greenberg (Hg.) – Science Fiction aus den goldenen Jahren

Classic SF aus dem Golden Age

Dieser Auswahlband von „Great SF Stories“, die im Jahr 1944 veröffentlicht wurden, enthält 12 Erzählungen und einen Kurzroman. Sie stammen von einigen der bekanntesten SF-Klassiker, darunter A.E van Vogt, Fritz Leiber, Theodore Sturgeon, Leigh Brackett (Drehbuchautorin von „Das Imperium schlägt zurück“) und Catherine L. Moore, aber auch von etlichen Autoren, die heute völlig (zu Unrecht!) vergessen sind, darunter ein gewisser John R. Pierce und der einst berüchtigte Cleve Cartmill.

Jede Erzählung wird mit einer Anmerkung von Herausgeber Martin Greenberg zum Autor und seinem Werk eingeleitet. Isaac Asimov steuert lediglich eine persönliche Anekdote bei, wie er den Autor kennengelernt hat – oder auch nicht.

Die Herausgeber

1) Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte. Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell.

Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien.

2) Martin H. Greenberg

Martin Harry Greenberg, 1941 geborener Politologe, ist ein bekannter amerikanischer Anthologist, der viele Sammlungen zusammen mit Isaac Asimov herausgab. Inzwischen müssen es mehr als 100 sein. Viele davon erschienen auf deutsch, so etwa bei Moewig. Neben politologischen Sachbüchern veröffentlichte er in der SF Indizes und Bibliografien. Anthologien, siehe „Encyclopedia of Science Fiction“ pp. 523 bis 524 (1995).

Die Erzählungen

1) A.E. van Vogt: Ferner Centaurus (1944)

Renfrew, Blake, Pelham und Endicott starten im 22. Jahrhundert mit dem ersten Langstreckenraumschiff zur nächstgelegenen Sonne: dem System von Alpha Centauri. Um die 500 Jahre, die die Reise dauert, zu überstehen, verbringen die Raumfahrer die meiste Zeit in einem Zustand reduzierten Stoffwechsels, die Pelhams Ewigkeitsdroge ermöglicht.

Bill Endicott wacht nach 53 Jahren erstmals auf und sendet eine Meldung an die Erde, dass pelham gestorben sei. Als er 150 Jahre später erneut erwacht, findet er eine Warnung von Blake vor: Renfrew sei labil geworden. Sofort vernichtet er die Notiz. Als er wieder erwacht, bemerkt er ein riesiges Raumschiff vor ihnen, das zu brennen scheint: in sieben Meilen Entfernung! Aliens? Zum Glück kommt es nicht zur Kollision.

Zur Ankunftszeit weckt ihn Blake: Renfrew sei durchgedreht. Denn die Welten des Centaurus-System seien allesamt von Menschen bewohnt! Von Milliarden Siedlern! Als Endicott endlich diesen Schock verdaut hat, geht ein Schiff längsseits, und ein Historiker namens Cassellahat heißt sie willkommen. Er sei speziell für die Begrüßung und Betreuung der drei berühmten Gäste ausgebildet worden. Endicott begreift, dass in einem Universum, in dem die Strecke zwischen Erde und Centaurus in drei STUNDEN überwunden wird, alle Bewohner natürlich schon seit Jahrhunderten auf die berühmten Raumfahrer warten müssen, nach denen die vier Welten des Centaurus-Systems benannt wurden.

Allerdings ist es ebenfalls schwer verdaulich, von Sternen mit einer Art Elektronenpsychologie zu hören, von Junggesellensonnen und dergleichen. Während Renfrew sich gleich in ein Labor bringen lässt, gedenken Blake und Endicott das Regierungsgeschenk von Millionen Credits beim Pokern zu verzocken. Aber das stellt sich als nicht so lustig heraus: Jeder direkte Kontakt zur Bevölkerung ist streng verboten. Keine Hochzeiten, keine Partys. Wehmütig denkt Endicott an das Mädel auf der Abschiedsparty zurück, das ihn küsste.

Da kehrt Renfrew putzmunter und unternehmungslustig zurück, um die beiden Trübsal blasenden Kollegen mit auf eine Spritztour durchs Universum zu nehmen. Aber sie ahnen nicht, wie verrückt er wirklich ist…

Mein Eindruck

Wie Fritz Leibers Erzählung „Geistige Gesundheit / Sanity“ hat auch diese nette und spannende Story die Unterscheidung zwischen geistiger Gesundheit und Wahnsinn zum Thema. Die Antwort darauf ist recht witzig: Es ist nämlich egal. (Für den Autor sowieso, denn seine Maxime bestand darin, alle zehn Seiten einen Actionhöhepunkt zu liefern, egal wie.)

Wichtiger ist jedoch der Umstand, dass hier wieder mal eine Jahrhunderte dauernde Weltraumreise geschildert wird, wie sie bereits Heinlein 1941 in „Universe“ darstellte. Allerdings findet bei ihm die Reise im Innern eines Generationenraumschiffes statt, bei van Vogt handelt es aber um ein Beispiel für eine Art Kälteschlaf mit Hilfe eines speziellen Serums. Es erinnert an die ersten Szenen in „Alien 1“ und an den 3. Teil von Kubricks „2001“ an Bord der „Discovery“.

Das Universum, das van Vogt, präsentiert, ist aber wesentlich einfallsreicher als die beiden Filme. Denkende, fühlende Sterne? Raumschiffe, die sofort abbremsen können? Eine mysteriöse Energie mit der Bezeichnung „Adeledicnar“ macht’s möglich. Es gibt kaum seltsamere Universen als die von van Vogt erfundenen.

2) Cleve Cartmill: In letzter Sekunde (1944)

Auf der Welt Cathor herrscht Krieg zwischen den Seillanern und den Sixa. Die überlegenen Seillaner hätten die Hauptstadt des Feindes bombardieren können, atten es aber nicht. Der Grund ist ein Ablenkungsmanöver, um die Landung des Geheimagenten Ybor zu tarnen. Er soll ins das Forschungslabor von Professor Sitruc eindringen und dort dessen gefährlichste Entwicklung, die Atombombe, unschädlich machen. Wie, ist seine Sache.

Doch Yobor übersieht eine Kleinigkeit, als er vordringt. Eine sixanische Untergrundkämpferin überlistet ihn und zwingt ihn, die Wahrheit über seinen Auftrag auszuspucken. Er drängt sie, es sei keine Zeit für lange Erklärungen, bevor die Atombombe Sitrucs hochginge und die ganze Welt vernichte. Zum Glück findet ihn eine Patrouille der sixanischen Armee und nimmt ihn als Spion gefangen.

Er wird auch prompt zu Sitruc gebracht, denn Ybor behauptet, die Methode zu kennen, wie man die Explosion der A-Bombe kontrollieren können. Das ist natürlich eine Finte, denn er kennt diese Methode nicht, aber es reicht, Sitruc abzulenken und die Bombe in Augenschein zu nehmen. Kaum ist Sitruc abgelenkt, schlägt Ybor ihn nieder und schnappt sich die Bombe. Alle weichen furchtsam vor ihm zurück, so dass er entkommen kann. Jetzt muss er es bloß noch schaffen, den Zünder unschädlich zu machen. Hoffentlich passiert kein Missgeschick…

Mein Eindruck

Die Story selbst ist ziemlich schlecht geschrieben und voller Unwahrscheinlichkeiten, die für die unerwarteten Wendungen im handlungsverlauf sorgen sollen. Typische Groschenromankost also, die es nicht einmal mit A.E. van Vogts Weltraummärchen aufnehmen kann und mehr den Landserromanen verdankt als der SF.

Wie aber schon die bedien Einleitungen von Greenberg und Asimov sowie der Klappentext andeuten, ist „In letzter Sekunde“ diejenige Story, die immer wieder als Beleg für die Vorhersagekraft der Science Fiction herangezogen wird. Als ob Cartmill die Atombombe von Hiroshima korrekt vorausgesagt hätte. Immerhin wusste er die Vernichtungskraft einer solchen Vorrichtung – glaub man den Flunkereien des Agenten Yrob – halbwegs richtig einzuschätzen: Eine Stadt würde komplett vernichtet. Yrob schwindelt seiner Kerkerherrin sogar etwas vom Weltenbrand vor.

Viel bedeutender als diese Aussagen sind inzwischen die Folgen der Veröffentlichung im Bewusstsein des SF-Ghettos geworden. Denn kaum war die Story auf dem Markt, erschient der militärische Abschirmdienst oder das FBI oder der CIA (der damals noch OSS hieß) auf der Bildfläche. Asimov erzählte die Begebenheit offenbar herzlich gerne, besonders an Hochschulen vor Studenten.

Die Agenten, die sich nicht vorstellten, marschierten also in das Büro des Herausgebers von „Astounding“, den ehrenwerten Mr. John W. Campbell jr., und verlangten, die Ausgabe mit der Story, die dem Feind zuviel über das geheime Manhattan-Projekt verrate, einzustampfen. Campbell entgegnete, das plötzliche Verschwinden der Ausgabe würde dem Feind erst recht verraten, dass es sich hier um hochbrisante WAHRE Fakten handle. Die Agenten kamen ins Grübeln.

Die piesackten natürlich auch den Autor, der in der Folge wohl heftige Repressalien seitens des MAD/CIA/FBI hinzunehmen hatte. Dabei hatte er lediglich die neuesten wissenschaftlichen Artikel gelesen, wie das jeder andere SF-Autor ebenfalls tun würde, und zwei und zwei zusammengezählt. Die Folgen einer Publikation können deren Anlass also durchaus überschatten.

3) Leigh Brackett: Der Schleier von Astellar (1944)

Es beginnt auf dem Mars. Ein Wesen, das aussieht wie ein Mensch, aber telepathische Kräfte hat und möglicherweise ein Vampir ist, beschließt, das Passagierschiff „Queen of Jupiter“ ins Verderben zu steuern. Der Mann mit dem unheilvollen Namen Judas Goat (= Judasbock) ist Raumfahrer Erster Klasse.

Zwei Begegnungen vor dem Abflug deuten auf seinen Charakter hin. Über die Leiche eines Marsianers gebeugt, fängt er die Gedanken eines rothaarigen Mädchen namens Virgie auf. Sie erinnert ihn an eine Geliebte namens Missy. Und sie trägt auch ein Medaillon wie Missy. Sie geht mit ihrem Gatten an Bord der „Queen“. Wenig später tötet Judas einen Iren namens Gallry, der ihn unbedingt von seinem Weg abbringen will – und dafür mit dem Leben zahlt. Das Schicksal der „Queen“ scheint unausweichlich.

Schon seit Jahren macht ein Phänomen, das die Sternenfahrer als „Schleier“ bezeichnen, die Gegend zwischen Asteroidengürtel und Jupiter unsicher. Immer wieder verschwinden Schiffe spurlos darin – wohin, weiß niemand zu sagen (außer Judas). Judas fühlt, wie seine Körperaura sich zunehmend erhitzt, als die „Queen“ sich dem Schleier nähert. Er ist ins Unterdeck gegangen, wo die Siedler zusammengepfercht sind. Hier findet er Virgie und ihren Mann. Sie erzählt ihm endlich, wer sie ist und warum er sie an jemanden erinnert.

Virgie stammt aus einer Linie ab, die vor 300 Jahren von einer Frau namens Missy gegründet wurde, die sich in einen Raumfahrer namens Stephen Vance verliebte. Als er wieder in den Raum musste, schenkte sie ihm ein Medaillon mit ihrem Konterfei darin, während sie ein Medaillon mit seinem Porträt trug. Auf diese Weise sollten sie stets aneinander denken. Doch Stephen kehrte nie zurück. Und so erfuhr er nicht, dass er ein Kind mit ihr hatte.

Judas ist schwer betroffen, denn er ist kein anderer als dieser Stephen Vance. Doch inzwischen ist er kein Mensch mehr, sondern vom Schleier in etwas anderes verwandelt worden. Und seine Aufgabe ist stets die gleiche wie jetzt: Als Judasbock führt er die Lämmer zur Schlachtbank. Der Schleier braucht ihn als Ortungspunkt, um sodann das Schiff zu umfangen und alle Passagiere in Trance zu versetzen. So ist es auch diesmal wieder mit der „Queen“. Sein Lohn ist die Unsterblichkeit.

Doch Steve hat sich verändert. Etwas in ihm drängt ihn, sich gegen das Schicksal, das für die Passagiere der „Queen“ vorgesehen ist. Ein Mann namens Flack erkennt, dass etwas mit Steve nicht stimmt, und Shirina, Steves mütterliche Herzensdame aus dem System Astellar, erkennt besorgt, was mit ihm los ist. Doch er weiß selbst nicht, was ihn dazu drängt, alles, was er an Unsterblichkeit erworben hat, fortzuwerfen und den Schleier von Astellar zu zerstören…

Mein Eindruck

Blut ist dicker als Sternenstaub, das muss auch Stephen Vance alias Judas Goat erfahren. Sein Schicksal passt eher in die romantischen Spätdreißiger des 20. Jahrhunderts als in die rauhen Vierziger, und die Autorin führt uns das in Aufruhr geratene Gefühlsleben ihres Helden in allen Einzelheiten vor Augen. Das macht ihn zu einem feminineren Charakter als alle anderen männlichen Figuren in dieser Sammlung, bildet aber gerade deshalb einen reizvollen Kontrast. Ich frage mich, ob auch weibliche Leser die SF-Magazine jener Zeit lasen.

Einige Elemente haben mich an C.L. Moores Figur Northwest Smith erinnert, so etwa der Schauplatz des Mars, wo der erste Mord geschieht. Dort spielt auch Moores legendäre Story „Shambleau“. Andere Elemente ähneln verblüffend Szenen aus „Raumschiff Enterprise“ alias „Star Trek“. Dazu gehört der energetische Schleier, der Vernichtung bringt. Er taucht nicht nur in einem der Star-Trek-Kinofilme auf, sondern auch in einer Episode der klassischen Staffeln, die ich als Kind sah. (Leider bin ich nicht Fan genug, um beides genau bezeichnen zu können. Sorry!)

Interessant ist das Konzept des Judasbocks, der die Schafe zur Schlachtbank führt. Würde man diese Haltung einem politischen Führer, etwa dem US-Präsidenten, unterstellen, so wären die Folgen wohl verheerend. Aber was wäre, wenn man Adolf Hitler so charakterisieren würde? Im Jahr 1943/44 zeichnete sich die Niederlage des Deutschen Reiches bereits ab, denn nach Stalingrad und der Landung der Allierten in Nordafrika und Sizilien war klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor auch die Hauptinvasion in Nordfrankreich folgen würde.

Dennoch verführte die Nazi-Propaganda die Deutschen weiterhin, um sie wie ein Judasbock zur Schlachtbank zu führen. An der Front opferten sie sich tatsächlich, aber nicht fürs Vaterland, sondern für eine Führerclique, die sämtliche Macht an sich gerissen hatte. Mit dem Judasbock kann aber auch Chamberlain gemeint sein, der sich von Hitler täuschen ließ und seine Briten in falscher Sicherheit wiegte. Auch eine fünfte Kolonne lässt sich vorstellen, die, wie im 1. und 2. Weltkrieg, in den USA gegen den Krieg in Europa opponierte.

Über weite Strecken ist die Story von einer romantischen Faszination über den rätselhaften Mr. Goat erfüllt, doch schließlich muss jede SF-Story der damaligen Zeit auch mindestens eine Actionszene vorweisen können. Wir bekommen sie denn auch zwischen Stephen und Flack geboten. Und das Finale ist wie stets von Gewalt und Zerstörung gekennzeichnet, führt doch nur durch Abwerfen des Alten und Überholten der Weg in die Freiheit. Das ist der uramerikanische Mythos, um den auch diese intelligente Autorin nicht herumkommt.

4) Fritz Leiber: Geistige Gesundheit (Sanity, 1944)

Der Welt-Manager Carrsbury und der Welt-Sekretär Phy unterhalten sich über den Zustand der Welt, die Carrsbury geschaffen hat. Phy gibt zunächst zu, dass er fürchte, selbst geisteskrank zu sein, und lockt auf diese Weise Carrsbury aus der Reserve. Der Welt-Manager hat mit seinem Geheimdienst eine Terrorherrschaft errichtet und mit einem Institut für Führerschaft eine Denkfabrik geleitet. Tatsächlich steht einer dieser Geheimpolizisten, ein hagerer Typ namens Hartmann, hinter der Typ und wartet nur darauf, von Carrsbury gerufen zu werden. Doch Phy scheint harmlos zu sein.

Als Carrsbury über seine Erfolge frohlockt, legt ihm Phy dar, dass alle diese Projekte unterlaufen wurden. Draußen auf der Straße herrscht vielmehr Chaos. Als Carrsbury zu der Konferenz im 100. Stock seines Weltmanagergebäudes fahren will, geschieht etwas Seltsames: Der Lift hält nicht im 100. Geschoss, sondern erst im 150. Die Kabine steckt in einem gläsernen Turm, von dem aus man einen großartigen Blick über die Welthauptstadt hat.

Phy erklärt Carrsbury, dass er lange in einer Art geistigem Elfenbeinturm leben durfte, damit eine Gruppe von Psychologen und Politikern um Phy ihn und seinen Wahnsinn studieren konnte. Das sei sehr hilfreich gewesen, um Projekte zu entwickeln. Doch jetzt habe Carrsbury ausgedient. Ein Helikopter holt ihn ab…

Mein Eindruck

Obwohl dies nur eine Art Zwei-Personen-Stück (mit Hartmann als Nebenfigur) ist und der Text fast nur aus Dialog besteht, verkehrt sich die Welt, deren Zeuge wir werden, um 180° Grad. Wir lernen: „Geistige Gesundheit“ ist eine sehr relative Angelegenheit und stets Ansichtssache – oder wird durch Definition von Leuten als Norm festgelegt, die die Macht besitzen, die Norm durchzusetzen. Konsens über die Norm ist eine gefährliche Sache. Philip K. Dick hätte sich über diese Story sehr gefreut. Wahrscheinlich kannte er sie sogar.

5) John R. Pierce: Unveränderlich (Invariant, 1944)

Man schreibt den August 2170. Ein Student des Instituts für historische Studien über die Politik des 20. Jahrhunderts besucht Homer Green, den berühmtesten Mann der Welt. Denn Homer Green glaubt immer noch, am 11. September des Jahres 1943 zu leben. Er wohnt in einem Haus, das wie noch an jenem Tag eingerichtet ist, und sein Hund ist ihm ein treuer Gefährte.

Das Besondere an Homer Green ist die Tatsache, dass er weder ein Zeitreisender noch eine Projektion ist, sondern wirklich über 200 Jahre alt: Sein Körpergewebe ist seit einem Selbstversuch (der nicht beschrieben wird) unveränderlich. Ebenso das Gewebe seines Gehirns. Folglich kann es auch nichts speichern, was man ihm sagt. Homer Green weiß nur, was er bis zu jenem 11. September 1943 erlebt hat und sonst nichts.

Unser Student erzählt ihm nun, weshalb Green so wichtig ist: Ohne ihn wüssten die Menschen des Jahres 2170 nicht, wie es Politikern des Jahres 1943 gelang, ihre Wähler zu belügen, und könnte zahlreiche andere geistige Phänomene nicht erklären. Green ist eine Art Lackmustest für Psychologen: Alles was sie versuchen, findet eine Reaktion, die dem 20. Jahrhundert entspricht. Green ist ein geistiger Kompass, dessen Nadel stets nach Norden zeigt.

Als der Student geht, hat Green ihn bereits vergessen.

Mein Eindruck

Der Autor, geboren 1910 und ein veritabler Professor für Technik, erfand das Wort „Transistor“ und entwickelte die ersten Kommunikationssatelliten. Man kann ihm die technische Kompetenz als Wissenschaftler als nicht absprechen. Asimov und Greenberg sorgen dafür, dass wir Pierce bewundern. Seine Story erfordert und verdient in der Tat ein wenig Nachdenken.

Ganz davon abgesehen, dass wir hier Prosa der Hochliteratur vorfinden (erstaunlich in den Groschenheften), geht es auch um ein geistiges Phänomen der Politik des 20. Jahrhunderts: Wie kommt, dass Politiker ständig ihre eigenen Aussagen so hinstellen können, als wären sie bei deren Äußerung nicht ganz zurechnungsfähig gewesen (Nach dem Motto: „Was geht mich mein blödes Geschwätz von gestern an?“).

Obwohl das Phänomen der biologischen Unveränderlichkeit nicht erklärt wird, so doch dessen Folgen. Es ist erstaunlich, was ein langlebiger Mensch, ja, ein Unsterblicher, für eine Kultur bedeuten kann. Ähnliche Aussagen finden sich in George R. Stewarts SF-Klassiker „Leben ohne Ende“.

6) Clifford Simak: Die Stadt (1944)

Das Jahr 1990 sieht Großvater Stevens gestrandet in einer seltsamen Welt voller Automaten, aber ohne Menschen. Die Menschen haben die Stadt verlassen, um aufs Land hinauszuziehen. Dort, wo einst Farmer lebten, finden sie billiges Bauland, von dem aus sie in die Stadt pendeln können. Die Farmer sind durch hydroponischen Anbau von Gemüse und Getreide arbeitslos geworden. Sie sind in die Stadt gezogen, um die leeren Häuser zu besetzen und in der um sich greifenden Wildnis Kaninchen zu jagen.

Der Handelskammersekretär John J. Webster muss mit ansehen, wie die Stadtverwaltung beschließt, die unerwünschten Hausbesetzer zu verjagen. Nicht gemnug damit, sie wollen sie auch noch ausräuchern und die angeblich leeren Häuser niederbrennen. Zum Glück ist ein junger Mann, der zu Geld gekommen ist, auf den Spuren seines Großvaters zurück in die Stadt gekommen – und hat nach einem Plausch mit Granpa Stevens die besetzen Häuser gekauft, kurz bevor die Bürgerkrieg ausgebrochen wäre.

Mein Eindruck

Greenberg und Asimov behaupten in ihren Vorbemerkungen, Simaks „City“-Erzählungen würden eine pastorale Idylle ländlichen Lebens schildern. Nun, in „Die Stadt“ ist der Schauplatz alles andere als friedlich, sondern von Aggressionen erfüllt. Die Stadtumgebung befindet sich im Umbruch, weil die Einrichtung der Stadt als Handels- und Arbeitsplatz kaum noch gebraucht wird. Technischer Fortschritt hat das ermöglicht. Doch die Inhaber der Pfründe sehen sich bedroht und wollen den Wandel verhindern, was zu einem heftigen Konflikt führt. Wie man sieht, ist der Anfang des City-Zyklus zwar dem Thema entsprechend, aber keineswegs die Idylle, die uns die Herausgeber weismachen wollen.

7) Fredric Brown: Arena (1944)

Während die finale Schlacht gegen die Invasionsflotte der feindlichen Outsider bevorsteht und sich schon die Späher Gefechte liefern, sieht sich Späherpilot Bob Carson plötzlich auf die Oberfläche eines heißen Planeten versetzt. Nackt und ohne Schutz, auf blauem Sand, von blauen Büschen umgeben. Während er sich noch wundert, erblickt er eine rote Kugel, die sich ihm voller Hass – er kann empathisch ihre Gefühle wahrnehmen – auf sich zurasen, nur um plötzlich an einer unsichtbaren Barriere abzuprallen.

Auf einmal hallen die schrecklichen Worte eines übermenschlichen Wesens in seinem Kopf. Dies ist die Arena, und der Kampf zwischen Mensch und Outsider, die hier eingesperrt sind, solle endgültig über den Fortbestand einer der beiden Rassen entscheiden. Denn wenn die Raumschlacht auch für die Menschen mit einem Sieg enden könnte, so ist es doch ein Pyrrhussieg, der sie um Jahrhunderte zurückwerfen würde. Und die Outsider würden wiederkommen. Daher der Entscheidungskampf in der Arena, ganz in der alten Tradition der Champions. Eins noch: Bob Carson hat nur diese eine Chance, die Menschheit zu vor der totalen Vernichtung zu bewahren. Nur Einfallsreichtum und Wagemut würden über den Sieg entscheiden.

Wie Carson schnell herausfindet, hat die Barriere besondere Eigenschaften. Tote Gegenstände können sie durchdringen, lebende aber nicht. Durch einen Steinwurf des Outsiders wird er übel am Bein verletzt, aber er selbst kann die Kugel durch Steinwürfe bis an den Rand der anderen Halbkugel zurückdrängen. Der Zweikampf geht so lange, dass Carson vor Durst zu sterben droht und zu halluzinieren beginnt. Er stellt sich vor, wie eine der Eidechsen, die unter den Büschen lebt, zu ihm spricht. Wie sich herausstellt, bringt ihn dies auf die rettende Idee…

Mein Eindruck

Diese berühmte Geschichte wurde zu einer Folge der Star-Trek-Serie („Gorn“) verarbeitet, allerdings wurde dabei der gewalttätige Schluss moderneren Vorstellungen angepasst. Ich werde die rettende Idee, die Carson im Delirium kommt, nicht verraten, um nicht die Spannung zu verderben. Selber lesen – es lohnt sich! James T. Kirk sei gegrüßt.

8) Clifford Simak: Zuflucht (1944)

Die Sippe der Websters hat wieder einen der Ihren verloren. Nelson ist im Jahr 2117 in hohem Alter gestorben, nun ist Jerome A., selbst schon über sechzig, Oberhaupt der Familie. Sein Sohn Thomas will Ingenieur werden und fliegt zum Mars. Dort lebte Jerome A. selbst einmal 30 Jahre lang als Chirurg und lernte dabei nicht nur die Eigenarten des marsianischen Gehirns kennen (das er in einem Buch beschrieb), sondern auch einen lieben Freund, Juwain.

Die moderne Kommunikationstechnik erlaubt es Jerome, sich an jeden Ort holografisch zu transferieren, als sei er selbst vor Ort. Es bsteht daher keine Notwendigkeit mehr zu verreisen. Doch was noch mehr ist: Jerome stellt bei seinem Besuch auf dem Raumflughafen fest, dass er Heimweh nach seinem Familiensitz hat, und zwar so schmerzhaft und eindeutig, dass es nichts anderes als ein Krankheitsbild ist: Agoraphobie, die Angst vor öffentlichen Plätzen.

Das wäre nicht weiter schlimm, wenn nicht ein Notfall eintreten würde. Juwain, sein philosophischer Freund vom Mars, ist krank geworden und muss am Gehirn operiert werden. Der zuständige Arzt bittet Jerome inständig, diese Operation selbst vorzunehmen. Wegen seiner Phobie drückt sich Jerome darum herum. Wenig später ruft ihn der Weltpräsident auf einer agesicherten Leitung an. Jerome müsse zum Mars, um die Operation vorzunehmen. Es sei für die gesamte Menschheit wichtig, denn Juwain habe eine wichtige philosophische Entdeckung gemacht, die er im Falle seines Todes mit ins Grab nehmen würde.

Jerome ist nun von der Notwendigkeit, zum Mars zu fliegen, überzeugt und zwingt sich selbst, seine Phobie zu unterdrücken. Doch ein Umstand, den er nicht bedacht hat, macht ihm einen Streich durch die Rechnung: die Programmierung seiner Roboter…

Mein Eindruck

Simak ist ein Meister der elegischen Stimmung, der in Storysammlungen wie „City“ und Romanen wie „Way Station“ ein besonders Händchen für Stimmungen und psychologische Bedingungen an den Tag legte. Hier befasst er sich mit einem psychologischen Krankheitsbild, das sehr selten in der amerikanischen SF auftaucht: Agoraphobie. Nach einem idyllisch-elegischen Stimmungsbild bekommt die Geschichte doch noch die Kurve hin zu einer dramatischen Zuspitzung, die bis zur letzten Zeile zwei Möglichkeiten zulässt: Jerome A. Webster fliegt zum Mars oder seine Krankheit verhindert dies. Die Ironie ist superb, dass weder das eine noch das andere eintritt, sondern ein dritter Faktor interveniert. Nämlich dass die Roboter der Websters die gleiche Krankheit haben könnten!


9) Lester Del Rey: Güte (Kindness, 1944)

Danny ist der letzte der Rasse, die man einst als homo sapiens bezeichnete. Nach einem verheerenden Krieg hat der geistig überlegene homo intelligens die Herrschaft über die Erde und das Sonnensystem übernommen und den homo sap ausgerottet – bis auf Danny. Warum lassen sie ihn überhaupt noch am Leben, fragt er sich. Sie bemitleiden ihn doch bloß. Aber sie bemühen sich wenigstens, ihne ihr Mitleid nicht spüren zu lassen. Das wäre zu herablassend, und Herablassung ist unter ihrer Würde.

Danny träumt von einer Reise zu den Sternen und neuen Welten, die er erobern könnte. Deshalb liest er regelmäßig die alten SF-Magazine und geht regelmäßig in die Stadtbücherei und das Museum für Sapiens-Geschichte. Dort steht das größte Wunder für ihn: ein Sternenschiff der Alten. Professor Kirk erzählt ihm, wie es kam, dass es sich hier befindet. Erstaunlich, nicht wahr, dass es Proviant für tausend Jahre an Bord hat, alle Systeme automatisch zu steuern sind und die Treibstofftanks gefüllt sind?

Danny weiß, was er zu tun hat. Kaum ist der Professor gegangen und das Museum geschlossen, startet er die Rakete und fliegt zu den Asteroiden. Dort hofft er, auf Spuren seines Volkes zu stoßen. Und tatsächlich findet er in einem alten Buch einen Brief von einem jungen Mann, der von einem Mädchen auf dem Asteroiden Nr. 13 erzählt…

Mein Eindruck

Dies wäre keine Story von Lester del Rey, wenn es am Schluss nicht noch eine ironische Pointe gäbe. Diese soll nicht verraten werden. Bemerkenswert an der Geschichte ist die Schilderung der Andersartigkeit aus dem Blickwinkel des Unterlegenen. Dies nimmt bereits Philip K. Dick und Robert Sheckley vorweg. Viele Soldaten der USA machten im Krieg erstmals die Erfahrung, auf andersartige Völker und Kulturen zu stoßen, so etwa auf die Japaner. Die Besiegten könnten sich ein wenig so wie Danny gefühlt haben.

10) Clifford Simak: Flucht (Desertion, 1944)

Da die direkte Erkundung der Jupiteroberfläche wegen des immensen Atmosphärendrucks dort für den Menschen unmöglich ist, werden die Forscher mit einer Maschine in die lokale Spezies der Loper umgewandelt. Die Loper sind natürlich optimal an ihre Umgebung angepasst, also sollte ihnen nichts passieren. Daher findet es der lokale Forschungsleiter Kent Fowler umso bedauerlicher, dass die zwei bisherigen Zwei-Mann-Teams verschwunden sind.

Als er den fünften Kandidaten, Harold Allen, losschickt, weil es keine Alternative gibt (Roboter werden nicht eingesetzt), schimpft ihn die Umwandlungstechnikerin Miss Stanley einen Mörder. Betroffen geht Fowler in sich, als Allen ebenfalls verschwindet. Alle Techniker und Wissenschaftler bestätigen ihm, dass es in ihrem System keine Fehler gebe. Also beschließt er, sich selbst der Umwandlungsprozedur zu unterziehen und zusammen mit seinem Hund Towser die Probe aufs Exempel zu machen.

Das Ergebnis überrascht ihn sehr. Die Umgebung auf dem Jupiter ist nicht nur schön, sie ist entzückend. Und der alt gewordene Towser kann mit ihm endlich auf intelligente Weise mit ihm kommunizieren: per Telepathie, und in einem jugendlichen Körper obendrein! Wie armselig kommen ihnen jetzt ihre Menschen- und Hundskörper vor. So armselig, dass sie gar nicht mehr zurückwollen und sich auf den Weg machen, um gemeinsam die Wunder des Riesenplaneten kennenzulernen.

Mein Eindruck

Die Story liest sich wie ein naives Märchen und bildete wohl die Vorlage für Poul Andersons Novelle „Nenn mich Joe“ (1957, in „Titan-8“). Die Umwandlungsmaschine wird ebenso wenig beschrieben wie der Einsatz von Robotern, die doch Asimov schon längst erfunden hatte. Nein, dem Autor ging es keineswegs um Wissenschaftlichkeit, sondern um die Änderung der menschlichen Existenz. Und mit seinem Schluss bildet das Märchen einen ironischen Kommentar auf den Konservatismus der Raumfahrtbehörde: „Auf zu neuen Grenzen!“, scheint sie zu rufen.

Laut Greenbergs Bemerkung sollte die Story die „Geschehnisse in den Todeslagern der Nazis“ kommentieren. Das ist natürlich kein leichtes Unterfangen, will man nicht in platte Propaganda oder weinerliche Rührseligkeit verfallen. Vielmehr versucht der Autor wohl aufzuzeigen, dass das Potential des Menschen unendlich ist, insbesondere dann, wenn er seine eigenen Grenzen überschreitet. Dieses Potential haben auch die in den KZs vergasten Juden gehabt, weshalb ihre Vernichtung umso schlimmer war.

Der Gedanke liegt nahe, dass Simak den Jupiter als eine Art Himmel und Jenseits vorstellt, aber das glaube ich nicht. Diese Analogie wäre viel zu platt, und sie wird auch nirgends von der Kritik aufgegriffen.

11) Lewis Padgett: Wenn der Zweig bricht (1944)

Joe und Myra Calderon sind mit ihrem Baby Alexander gerade in eine neue Wohnung eingezogen, als sie wenige Tage später seltsamen Besuch erhalten: vier Zwerge mit Helmen auf dem Kopf. Sie sagen, sie kommen aus dem Jahr 2450, weil ihr Sohn Alexander sie geschickt hätte, um sein geistiges Potential als erster Supermann der neuen Rasse homo superior zu entwickeln. Als die Calderons protestieren, lähmt der Anführer der Zwerge sie mit einer entsprechenden Pistole, so dass sie bewegungsunfähig werden. Dann beginnen sie mit dem Unterricht.

Wenige Wochen später ist aus dem kleinen Baby Alexander eine kleiner Diktator Alexander geworden, und die Duldsamkeit der Eltern wird auf eine harte Probe gestellt. Er beherrscht die Teleportation ebenso wie die Telepathie und kann seine Eltern an alle möglichen Orte versetzen sowie ihre Gedanken lesen. Zudem sieht er sich veranlasst, seine Lungen zu trainieren und brüllt die ganze Nacht hindurch. Das bringt der Familie die Kündigung ein. An diesem tag schafft es das kleine Ungeheuer jedoch, die weggesperrten Spielsachen der Zwerge zu ergattern und zu testen. In einem Blitz verschwindet Alexander auf Nimmerwiedersehen. Seine Eltern fragen sich, ob es eine grenze für Elternliebe gibt und ob sie wohl die ersten Eltern sind, denen so etwas wiederfahren ist.

Mein Eindruck

Wie schon bei ihrer Story „Gar elump war der Pluckerwank“ (dt. in „Titan-9“) ist es auch hier ein Kind, das zu einer höheren Entwicklungsstufe entwickelt wird. Doch statt zu einem Wunder an Intelligenz entwickelt sich Klein-Alexander zu einer Intelligenzbestie von Diktator und quält seine Eltern. Wenn er so etwas wie ein Supermann, pardon: Superbaby sein sollte, dann bedanken sich seine Eltern, die man in 500 Jahren als Halbgötter verehren wird, schon mal herzlich für die Ehre und sagte: nein, danke, nie wieder!

Vielelcht war die Geschichte bei ihrer Entstehung ganz lustig und Babys hatte eine andere Stellung als heute, jedenfalls fand ich die Geschichte keineswegs lustig. Ich hatte lediglich Mitleid mit den Eltern, fand aber die Kapriolen ihres Sohnemanns alles andere als lustig. Wenn man einen duschenden mann auf den Times Square teleportiert, dann mögen gewisse Leute das witzig finden, aber ich tue das nicht. Man sieht also, dass die geschichte nicht nur den Aspekt von Superintelligenz, Supermann, Mutanten usw. auslotet, sondern auch die Eigenschaften Elternliebe, Duldsamkeit und Humor. Alles scheint relativ zu sein, neu ist dies aber auch bei Elternliebe.

12) Theodore Sturgeon: Killdozer! (1944)

Während des Pazifikkrieges soll auf einer abgelegenen Insel ein Flugplatz angelegt werden. Tom Jaeger ist der Leiter der Bauarbeitergruppe, die nach Ablegen des Transport- und Versorgungsschiffes für die Ausführung dieser Aufgabe zu sorgen hat. Er ein vernünftiger, umsichtiger Typ. Aber nicht jeder ist auf seiner Seite. Sicher, Rivera und Peebles sind okay, aber was ist mit diesem Dennis? Dieser ehemalige Bürohengst stänkert die ganze Zeit gegen Toms „autoritäres Auftreten“ und zettelt einen Aufstand an. Al, der etwas unterbelichtet ist, hat er bereits auf seiner Seite.

Aber es gibt noch einen Bewohner der einsamen Insel, und zwar schon seit Jahrmillionen. Der mutierte Angehörige einer Rasse von Elektronenwesen hat sich in einer Art Tempel versteckt, um auf die Rückkehr seiner Artgenossen zu warten. Die Elektronenwesen verstehen sich darauf, Metall zu manipulieren. Als Tom und der Puertoricaner Rivera auf den Hügel gehen, um das Gelände zu inspizieren, stoßen sie dort auf härtesten Stein. Der bildet auf der sandigen Insel einen merkwürdigen Fremdkörper. Auch scheint ein viereckiger Stein aus diesem Material künstlich geformt worden zu sein, aber von wem?

Plötzlich scheint Rivera einen Anfall zu erleiden. Er ist zwar ein gläubiger Katholik, aber er sagt nichts von einer Erscheinung. Dennoch ist er danach irgendwie verändert, und Tom nimmt sich vor ihm in Acht. Was darauf jedoch folgt, hat Tom noch nie erlebt. Eine der schweren Erdbewegungsmaschinen beginnt, sich von alleine zu bewegen, und zwar auf tödliche Weise…

Mein Eindruck

Dieser Kurzroman wurde 1974 für das Fernsehen verfilmt, aber der Film verschwand offenbar in der Versenkung. Kein Wunder, denn wer will schon furchtsame Ingenieure und wildgewordene Baumaschinen sehen? Es genau dieser Kontrast von Mensch und Technik, der jedoch den Reiz der Geschichte ausmacht. Die Technik wendet sich gegen den Menschen, nicht etwa die Natur. Doch die Technik wurde vom Menschen geschaffenm und solange der Mensch sich einig ist, sie bezwingen und beherrschen zu wollen, kann er die wildgewordene Technik auch wieder besiegen.

Doch genau dies ist das Problem: Die Menschen sind sich eben nicht einig in ihrem Kampf. Vielmehr können Dennis und seine Parteigänger gar nicht glauben, dass etwas anderes als Tom Jaeger selbst sowohl Rivera als auch Peebles getötet haben soll. Und selbst als auch Dennis ins Gras gebissen hat, wird noch Tom verdächtigt – er wird kurzerhand gefangengenommen und gefesselt. Eher verdächtigen die Menschen sich gegenseitig als auch nur für eine Sekunde anzunehmen, die bislang so botmäßige Technik könnte sich gegen sie verschworen haben. Diese Möglichkeit liegt jenseits des Denk- und Vorstellbaren des homo technicus.

Doch es gibt eine Steigerung. Nachdem offensichtlich geworden ist, dass die fragliche Baumaschine, es ist die Sieben, von einer fremden Macht beherrscht wird, die es auf Menschen abgesehen hat, dreht einer der Arbeiter, Al Knowles, durch. Er ist zwar sowieso unterbelichtet, aber Tom hätte nicht erwartet, dass Al wahnsinnig wird und zur anderen Seite überläuft. O ja, Al kniet sich vor der Sieben in den Sand und fleht sie an, ihn zu verschonen, denn er werde ihr die anderen Männer, die Bösen, zum Opfer darbringen und die Sieben, seine Königin, zu ihnen führen. Er ist zum Kollaborateur geworden.

Kelly dreht bei diesem Anblick vor Wut fast durch, er nennt Al einen „dreckigen kleinen feigen Verräter“ (zumindest sinngemäß). Doch Tom kommt die rettende Idee. Die Macht in der Sieben ist mit Gefühlen ausgestattet, sonst hätte sie Al längst über den Haufen gefahren. Und sie kann diese Maschine nicht verlassen. Also kann man sie darin auch zur Strecke bringen bzw. ihr Angst einjagen. Wie genau Tom und Kelly dies anstellen, soll hier nicht verraten werden.

Um seiner Story noch mehr den Anstrich von Realismus zu verleihen, zitiert der Autor am Schluss einen Kamikazeangriff auf diese Insel. Angeblich wurde dieser sinnlose Angriff von japanischen Bombern eines Flugzeugträgers damals (1943/44) dokumentiert. Jedenfalls konnte der Angriff und die darauffolgende zerstörung Tom und Kelly nicht gelegener kommen, um als Erklärung für die Spur der Zerstörung zu dienen. Und dem bekloppten Al würde eh keiner was glauben.

WARNUNG

Für Leser, die sich nicht mit den Innereien von Maschinen auskennen, hält der text etliche Stolperfallen bereit. Was ein „Treibstofftankdeckel“, ist, kann man sich noch anhand des eigenen Wagens vorstellen. Doch dann geht es mit Steuerungshebeln, Unterbrecherschaltern, Gleiskettenantrieb und dergleichen schönen Dingen mehr los. Wer das nicht erträgt, sollte die Finger von der Story lassen.

13) Catherine L. Moore: Nie wurde eine solche Frau geboren (12/1944)

Deirdre ist das Opfer eines Theaterbrandes geworden. Davor war sie eine berühmte und bewunderte, auch geliebte Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin gewesen. Doch beim Brand verbrannte nur ihr Körper, nicht aber ihr Gehirn. Ihr Freund und Agent John Harris betritt jetzt erstmals die Büros von Professor Maltzer, der für dieses Gehirn einen künstlichen Körper geschaffen hat. Beklommen fragt sich John, was er vorfinden wird – ein Monstrum, oder gar eine Karikatur der einstigen Diva?

Nichts von beidem: Deirdre steckt jetzt in einem goldenen, von einem Kettenhemd verhüllten Metallkörper, den der Professor so geschmeidig und gelenkig gestaltet hat, dass sich die katzenhafte Bewegungsweise Deirdres darin unverkennbar zeigt. Doch der behelmte Kopf, der Kopf – hat kein Gesicht. Nur ein silbern schimmerndes Oval erhebt sich auf dem goldenen Hals, bedeckt von einem Helm, und wo das Gesicht sein sollte, erblickt John nur Glas. Sie wirkt wie ein mittelalterlicher, etwas elfisch anmutender Ritter auf ihn. Er betrachtet sie voller Zweifel, bis er endlich ihre Stimme hört – und ihren Gesang. Beides ist original Deidre. Und auch ihr Lachen ist noch gleich. Nur ein leiser metallischer Nachhall stört den positiven Gesamteindruck.

Aber werden die Menschen, das Publikum sie ebenso akzeptieren wie er? John, so überlegt sie, wird von ihrem Geist und den Gefühlen, die diese Begegnung auslöst, fasziniert, Prof. Maltzer fast nur von ihrem Körper, den er ja selbst schuf. Für was werden sich die Menschen entscheiden? Sie will schon an diesem Abend bei einem Auftritt in einer Fernsehshow herausfinden, ob sich ein Jahr Mühen und Anpassung gelohnt haben – oder ob alles vergebens war.

Aber warum, fragt sich John entsetzt, verfällt Professor Maltzer auf die Idee, sie abschalten zu wollen?

Mein Eindruck

Dies ist laut Greenberg nicht die erste Geschichte über einen Kyborg, die je geschrieben wurde. Vielleicht könnte man ja auch schon die künstliche Maria aus Fritz Langs „Metropolis“ (1928) als kybernetischen Organismus ansehen. Robotergeschichten gab es jedenfalls schon bevor Asimov seinen positronischen Robbie (in der Story „Ein seltsamer Spielgefährte“) und den „Zweihundert-Jahre-Mann“ erfand.

Maltzer spielt die Rolle des Dr. Frankenstein fast bis zum Ende durch. Er hadert mit der Kreatur, die er geschaffen hat. Aber nicht etwa, weil er sie hasst, sondern weil er sie liebt und um sie fürchtet. Was werden die Menschen da draußen, sobald die erste Faszination am Neuen verflogen ist, ihr alles antun? Sie ist das gefürchtete Andere, mag auch noch so menschlich auftreten. Und wenn sie sich nicht wehren kann, so wird man sie demütigen, wie es die Art des Pöbels von jeher gewesen ist. Und dann wird man sie kreuzigen.

Doch Deirdre beruhigt ihren Schöpfer. Er mag zwar auf eine gewisse Weise ein Dr. Frankenstein sein, aber ihr Gehirn ist original Natur, wenn es auch nicht danach aussieht. Und es macht sie sterblich. Deirdre demonstriert den beiden verblüfften Zuschauern, über welche Fähigkeiten sie verfügt. Sie ist ein Übermensch, ja, aber sie ist auch einsam. Denn es gibt niemanden, der so ist wie sie, auf der ganzen Welt nicht. So wie ihr mythisches Vorbild, die legendär schöne Prinzessin Deirdre aus Irland, ist auch diesmal niemand so wie sie: weder so schön noch so vielseitig. Und nicht geboren, sondern geschaffen.

Und was John Harris schon die ganze Zeit argwöhnte, kündigt sich bereits an. Er hört es in dem metallischen Wispern ihrer Stimme. Die Maschine beginnt ihren menschlichen Gast zu formen…

Wie man sieht, bildet „Nie wurde eine solche Frau geboren“ quasi die Antithese zu der Terminator-Saga, die voller Action ist. In Moores Erzählung geht es vielmehr um Kunst, Menschlichkeit vs. Künstlichkeit, Schöpfung und Verantwortung, aber auch die Möglichkeit, Neues zu wagen – mit allen Risiken. Es ist eine sehr menschliche Geschichte, voller psychologischer Einsichten, die für ihre Zeit und ihr Medium erstaunlich wirken, und überraschend modern. Darum wird diese Geschicht bis heute immer wieder in Anthologien der Klassiker aufgenommen.

Die Übersetzung

Weißt du, was ein „Squatter“ ist? Auf Seite 187ff ist ständig davon die Rede. Du müsstest wahrscheinlich im Englisch-Wörterbuch nachschlagen, und doch benutzt der Übersetzer dieses englische Wort in einem deutschen Text. Ein unsinniges Ansinnen, wie mir scheint. Squatter bedeutet in diesem Fall übrigens Hausbesetzer.

„Diese dreckige kleine gelbe Ratte!“ heißt es auf Seite 417 in der Story „Killdozer“. Gemeint ist natürlich kein Nagetier, sondern ein Mensch. Gesprochen wird amerikanischer Jargon. Was eine „Ratte“ ist, kann man sich noch vorstellen: ein Verräter. Aber warum ausgerechnet eine gelbe und nicht eine rote oder grüne? Weil im amerikanischen Slang das Wort „yellow“ auch „feige“ bedeutet. Daher auch die Bob-Dylan-Zeile „The sun’s not yellow, it’s chicken“ – denn „chicken“ bedeutet ebenfalls „feige“.

Auf Seite 436 steht der rätselhafte Satz: „Sie stiegen in den Dumptor (eine Baumaschine), und Tom nahm eine offene Konservendose entgegen.“ Was diese Konservendose, die nie wieder erwähnt wird, hier soll, erschließt sich mir nicht, auch nicht in der Rückübersetzung zu „open can“. Hier hat mal wieder der Slang zugeschlagen, und der Übersetzer hat ihn nicht erkannt, genau wie bei der Ratte.

Unterm Strich

Diese Auswahl überschneidet sich leider mit den literaturhistorischen Bänden, die James Gunn in der „Heyne Bibliothek der Science Fiction Literatur“ veröffentlicht hat (siehe meine Berichte), besonders mit „Von Heinlein bis Farmer“. Aber Asimov und Greenberg liefert einen umfassenden Querschnitt in die Publikationen des Jahres 1944, dass ganz andere Kriterien angelegt werden müssen. Wer dachte, diese Jahresbände von 1939 bis 1944 seien jeweils nur 300 Seiten dick, wird nun eines Besseren belehrt. Die Moewig-Ausgaben müssen vielmehr stark gekürzt worden sein, wenn ein Gesamtband wie der zu 1944 zwei- bis dreimal so viele Stories enthält wie ein Moewig-Band.

Es fällt mir äußerst schwer, irgendwelche Favoriten hervorzuheben, aber die beiden letzten Erzählungen haben mich trotz ihrer übermäßigen Länge stark beeindruckt. „Killdozer“ ist Action pur, wie man sie in einem TV-Trash erwarten würde, und doch äußerst realistisch dargestellt. „Nie wurde eine solche Frau geboren“ ist dazu das genaue Gegenteil: gefühlvoll, psychologisch, ohne jede Action, aber dennoch über einen Übermenschen.

Bei den übrigen Stories macht sich Clifford Simak dreimal selbst Konkurrenz, denn „Zuflucht“ ist ebenso gut wie „City“ – beide handeln von Veränderung und ihren Folgen. Sie könnten durchaus noch Wirklichkeit werden, denn die Roboter sind auf dem Vormarsch, zumindest in Japan. Besonders gefiel mir „Arena“ von Fredric Brown, eine Story, die wie „Killdozer“ ebenfalls fürs Fernsehen („Star Trek“) verfilmt wurde.

Dieser Band schließt die Reihe der Best-of-Jahresbände von Asimov und Greenberg (1939-1944) ab. Die ersten fünf Bände erschienen im Moewig-Verlag.

Taschenbuch: 524 Seiten
Originaltitel: Isaac Asimov presents the Great SF Stories 6 (1944), 1981
Aus dem US-Englischen von diversen Übersetzern.
ISBN-13: 9783453034525

www.heyne.de

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