Friedel Wahren (Hg.) – Isaac Asimov’s Science Fiction 52. Folge. SF-Stories

Das Gesetz des Wandels: Von Mafs, Kindern und Künstlern

Dieser 52. IASFM-Auswahlband bietet drei Geschichten über Kinder im weitesten Sinne sowie über Kunst und Imagination. Den neun angloamerikanischen Erzählungen hat die Herausgeberin eine von einer deutschen Autorin beigefügt. Das ist Tradition in der deutschen Ausgabe von Asimov’s Science Fiction Magazin.

Hier findet man:

– Die Story von zwei Astronautinnen auf dem Jupitermond Io, die eine bemerkenswerte Entdeckung machen.
– Die Story vom überfluteten Los Angeles, wo durch Mutation angepasste Kinder nach Liebe suchen.
– Die Story von der Welt, in der Zweigeschlechtlichkeit die Norm ist, was für Monosex-Musliminnen Probleme bedeutet.
– Die Story vom Blutrache übenden Mädchen in Nordirland, die das gesetz der Serie bricht.
– Die Story vom klug gemachten Schimpansen, der in freier Wildbahn keine Artgenossen mehr findet.
Und fünf weitere Geschichten.

Die Herausgeber

Friedel Wahren war lange Jahre die Mitherausgeberin von Heynes SF- und Fantasyreihe, seit ca. 2001 ist sie bei Piper verantwortlich für die Phantastikreihe, die sowohl SF als auch Fantasy veröffentlicht.

Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte.

Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch 1938 an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Später verknüpfte er die Foundation mit den Robotern – Aliens blieben wie eh und je außen vor, außer sie waren menschliche Mutanten.

Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien. Im Magazine of Fantasy and Science Fiction hatte er jahrelang eine regelmäßige Kolumne, in der er sich mit zahlreichen wissenschaftlichen Fragen befasste.

Die Erzählungen

1) Stephen Dedman: „Transit“

In dieser Story ist die Welt, wie wir sie kennen, auf den Kopf gestellt: Die Hermaphroditen (die „Mafs“) sind die „Normalen“, und als ein „Monosex“-Mädchen in die Schulklasse aufgenommen wird, geht einiges drunter und drüber, vor allem in Sachen Hormone des Ich-Erzählers. Dass das Mädchen, Aisha, auch noch von einer streng muslimischen Welt stammt, macht die sexuellen Angelegenheiten auch nicht gerade leichter. Der Ich-Erzähler, der Aisha liebt, muss sich zwischen einer ungewissen Zukunft mit Aisha und einer Gegenwart mit seiner Maf-Geliebten entscheiden.

2) Michael Swanwick: „Der Puls der Maschine“ (The Very Pulse of the Machine)

Die Story schildert eine Transformation. Zwei Wissenschaftlerinnen haben auf dem vulkanischen Jupitermond Io einen Unfall. Als die eine stirbt, wird sie von der anderen, Martha, zurück zur Landefähre geschleppt. Während der Tage bis dorthin spricht eine mechanische Stimme aus dem Raumanzug der Toten, es ist die Stimme der Intelligenz, die als Mond Io bezeichnet wird. Io rettet Martha vor dem Tod, doch um einen gewissen Preis: Martha muß ihre fleischliche Hülle opfern.

3) Drei der Geschichten drehen sich um Kinder.

a) S.N. Dyer thematisiert in „Wildling“ die Frage, wie man mit jungen ausgesetzten Kindern in einer industriellen Gesellschaft umgeht.

b) Mary Rosenblum: „Ratte“

Diese schöne Story erzählt von einem Los Angeles, das durch die Eisschmelze abgesoffen ist. In Pfahlhütten wohnen die letzten Überlebenden, darunter genmanipulierte Kinder mit Schwimmhäuten oder Nachtsichtaugen, so wie „Ratte“. Eines Tages lernt er auf einem Kahn, von dem er Muttererde klauen will, einen der ältesten Überlebenden kennen. Dieser hat nicht die Erinnerung verloren wie alle anderen. Ratte schließt sich ihm an, in der Hoffnung, dass Liebe trotz eines kurzen Gedächtnisses möglich sein könnte.

c) Ian McLeod: Ellen O’Hara

Die Titelfigur wächst in Nordirland auf. Ihr Vater, ein bekennender Republikaner und Katholik, wird, als sie noch klein ist, von einem Protestanten erschossen. Sie will sich rächen, wird durch einen jungen Protestanten namens Stevie zur Terroristin, die Briten tötet. Als sie nach Stevies Tod herausfindet, dass Stevies Vater einst ihren eigenen Vater tötete, geht sie zu ihm, um ihr Ziel zu erreichen. Doch sie überlässt diesen Mann seinem jämmerlichen Schicksal und durchbricht so den Teufelskreis der Blutrache. Dennoch erscheint die Story an manchen Stellen unglaubwürdig.

4) Mike Resnick: Barnaby im Exil

Ein Kind im weiteren Sinne ist die Hauptfigur in Mike Resnicks Geschichte „Barnaby im Exil“. Der Schimpanse Barnaby hat im Labor Sprechen und menschliches Denken gelernt. Doch als das Forschungsprojekt gestrichen wird und man ihn in die freie Wildbahn entlässt, findet er keine Artgenossen, die sind wie er. Diese Geschichte erinnert in ihrer Melancholie und Naivität stark an den Klassiker „Blumen für Algernon“ von Daniel Keyes.

5.a) Ian Watson: Die „Tragödie der Solveig“

Drei weitere Geschichten haben mehr mit Kunst und Imagination zu tun. Ian Watson benutzt seinen aus seinem „Buch Mana“ bekannten Hintergrund, um dort eine Tragödie in der Tragödie aufzuführen, dargeboten von einer futuristischen Schauspieltruppe. Auch im Banne der Kunst findet sich ein veritabler Mafia-Gangster, der im Haus eines seiner Opfer, das er übernommen hat, einen Apparat zur Erzeugung digitaler Filme findet und nutzt.

5.b) Sehr ironisch wirkt in Walter Jon Williams‚ Story „Das Filmgeschäft“ die Wendung, als der gute Paulie aus begeisterter Liebe zum wahren Detail einen selbstgeschriebenen Gangsterfilm erstellt, der für seine Geschäftspartner ein Problem wird. Und sie kennen nur eine Methode, Probleme zu beseitigen…

6) Michael Flynn: Das Haus der Träume

Traum oder Realität? Das fragt sich auch der junge, etwas weltfremde Ted, der in einem Neuenglandhaus einzieht, um es auf die Ankunft seiner Frau vorzubereiten. Mit Hilfe einer merkwürdig schweren Taschenlampe erhascht er jedoch die Parallelrealität einer Frau und ihrer Familie, die sich mit Armbrust und Knüttel wilder Löwenmenschen erwehren müssen. Was zunächst erotisch beginnt, kippt in ein blutiges Drama um. Und als die Löwenmenschen auch Ted wahrgenommen haben, ist auch seine Realität nicht mehr sicher…

Michael Flynn bietet seine Story „Das Haus der Träume“ mit einer ironischen Kumpelhaftigkeit und direkter Ansprache des Lesers an, dass man die Story mit größtem Vergnügen liest.

7) Kalla Wefel: Markenzeichen: No-Name

Flynns Story wäre die beste Erzählung des Bandes, würde ich sagen, wenn da nicht noch Kalla Wefels satirisch-witziger Beitrag „Markenzeichen: No-Name“ wäre.

Seit vier Monaten ist kein Boot mehr mit Care-Paketen vom Festland zur Insel Helgoland gekommen. Die Anhänger von Marken- und die Anhänger von No-name-Produkten sind zwar heftig zerstritten, aber beide Gruppen finden diese Tatsache besorgniserregend. Eine Expedition eines munteren Häufleins, das reinsten Dialekt spricht, findet in Cuxhaven einige Gründe, sich zu wundern…

Unterm Strich

Die Auswahl für die 52. Folge der Asimov-SF-Anthologien ist eine gelungene Mischung aus mehreren Themenkomplexen und Stilrichtungen, die auch Einsteigern einen gelungen ersten Eindruck vom Stand der Science Fiction am Ende des vorigen Jahrtausends vermittelt, allerdings mit einseitiger Gewichtung auf angloamerikanischen Produktionen. Mehr Vielfalt ist in Wolfgang Jeschkes Anthologien zu finden, doch diese erscheinen weitaus seltener.

Michael Matzer © 1999/2019ff

Taschenbuch: 347 Seiten
Originaltitel: Asimov’s Science Fiction Magazine
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern
ISBN-13: 978-3453149823

www.heyne.de

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