Bishop, Anne – Nacht (Die Schwarzen Juwelen 6)

|Die Schwarzen Juwelen|:

Band I: [„Dunkelheit“ 3375
Band II: [„Dämmerung“ 3437
Band III: [„Schatten“ 3446
Band IV: [„Zwielicht“ 3514
Band V: [„Finsternis“ 3526
Band VI: „Nacht“ (dt. im Oktober 2008)

Surreal hat die Kriminalromane des Landen Jervis Jenkell eigentlich immer gern gelesen. Bis der Autor anfing, Romane über die Angehörigen des Blutes zu schreiben. Seine Vorstellungen vom Leben der Hexen und ihrer Krieger erscheinen ihr ausgesprochen lächerlich, und da ist sie nicht die Einzige. Jaenelle ist deshalb sogar auf die exzentrische Idee verfallen, ein Spukhaus einzurichten, als Spaß für Kinder, was Saetan überhaupt nicht gefällt.

Jervis Jenkell dagegen fühlt sich durch die Angehörigen des Blutes auf den Schlips getreten und sinnt nun auf Rache. Ein perfides Katz-und-Maus-Spiel beginnt …

Jervin Jenkell ist der einzige neue Charakter. Und er ist ein eingebildeter, hinterhältiger, grausamer Kerl. Im Grunde ist er intelligent und findig, doch die Erkenntnis, dass er selbst, obwohl als Landen aufgewachsen, ein Angehöriger des Blutes ist, hat ihn offenbar völlig abheben lassen. So ist er zu eitel und zu hochmütig, einfach seine Bezirkskönigin aufzusuchen, ihr sein Juwel zu zeigen und sie um Rat und Hilfe zu bitten. Stattdessen hat er seine Entdeckung in einen Roman gekleidet und erwartet jetzt, von allen als einer der ihren behandelt, ja sogar regelrecht hofiert zu werden. Die Idee, dass seine versteckte Botschaft womöglich nicht verstanden werden könnte, kommt ihm gar nicht. Und da er keinerlei Vorstellung vom sozialen Gefüge innerhalb der Blutsangehörigkeit hat, ist ihm auch nicht klar, dass er keinesfalls auf derselben Stufe wie Daemon und Jaenelle steht. Er fasst ihre Reaktion schlicht als Beleidigung auf.

Ich muss ehrlich zugeben, dieser Band des Blutjuwelen-Zyklus hat mich schwer überrascht. Ungewöhnlich ist schon mal, dass Jenkell eigentlich recht wenig auftaucht. Er kommentiert nur gelegentlich das Geschehen und offenbart dadurch seine Art zu denken und die Beweggründe für sein Handeln: seinen Hochmut und seine gekränkte Eitelkeit. Das Handeln wiederum offenbart seine hinterhältige Bosheit. Die Intensität dieser Charakterzeichnung kann bei weitem nicht mit der Jaenelles und Daemons aus den ersten Bänden mithalten. Dennoch ist die Figur Jervis Jenkell glaubwürdig und nachvollziehbar ausgefallen.

Außerdem setzt sich das Buch dadurch von seinen Vorgängern ab, dass diesmal nicht Jaenelle und Daemon im Mittelpunkt stehen. Hauptsächlich ist es Surreal, die sich mit Jenkell herumschlagen muss. Da Surreal vor allem praktisch veranlagt ist, spielen Gefühle in diesem Band eine untergeordnete Rolle. Der spürbarste Unterschied zeigt sich jedoch im Grundtenor des Buches. Während die ersten drei Bände vom Niedergang und der Wiedergeburt einer ganzen Welt erzählen, spielt sich der neue Konflikt nur zwischen der Familie SaDiablo und Jenkell ab. Diese beiden Punkte – die Wahl Surreals als Hauptperson und der begrenzte Umfang des Konflikts – haben dafür gesorgt, dass die Wucht, die den ersten drei Bänden innewohnte, hier völlig fehlt. Waren die Bände eins bis drei wie das Ankämpfen gegen einen heftigen Sturm, so ist Band sechs wie die Überquerung eines Nagelbretts. Surreal und ihre Begleiter haben sich in einer Falle verheddert, und alles, was ihnen in dieser Falle an kleinen oder größeren Widrigkeiten begegnet, wirkt wie immer neue Nadelstiche: verwirrend, zermürbend. Und der Gegner beobachtet das Ganze insgeheim.

Die Art der Falle ist wirklich trickreich. Sie ist ein fieses kleines Spiel, das darauf ausgelegt ist, die Beute in der Falle dazu zu bringen, dass sie genau das tut, was sie eigentlich unbedingt vermeiden sollte. Gekonnt spielt sie mit Sein und Schein und ist deshalb ausgesprochen geeignet, um Leute wie Surreal oder Daemon einzufangen und zur Strecke zu bringen. Und diejenigen, die draußen stehen, haben keine Möglichkeit, das Spiel zu beenden, ohne das Leben derjenigen zu gefährden, die in der Falle sitzen. Es scheint, als wäre eine grausame Wahl zu treffen. Und dann taucht auch noch Lucivar am Schauplatz auf, drauf und dran, sich ebenfalls in die Falle zu stürzen!

Was mir dagegen eher negativ aufgefallen ist, war die Veränderung in der Ausdrucksweise, sodass ich mich schon fragte, ob hier ein anderer Übersetzer am Werk war. Das war nicht der Fall, weshalb sich mir als nächstes die Frage stellte, warum die Übersetzerin es auf einmal für nötig befunden haben mag, ein Wort, das in den ersten Bänden noch mit Geschlecht übersetzt wurde, jetzt auf einmal mit Schwanz zu übersetzen. Das macht die eigentliche Aussage keineswegs erotischer, eher ordinärer.

Von diesem sprachlichen Detail abgesehen fand ich „Nacht“ aber recht gelungen. Was diesem Band letzten Endes an Intensität und Dramatik fehlt, macht er locker durch Spannung und Einfallsreichtum wieder wett. Anne Bishop hat sich diesmal tatsächlich fast völlig von allen anderen Bänden des Blutjuwelen-Zyklus gelöst, indem sie nicht nur auf ihre alten Antagonisten Dorothea und Hekatah verzichtet hat, sondern auch eine Neben- zur Hauptfigur gemacht und sie in eine völlig neue Situation gestellt hat. „Nacht“ ist kein Epos mehr, auch nicht der Versuch, ein Epos fortzuführen oder auszubauen. „Nacht“ ist ein Krimi und eigenständig. Das hat dem Buch ausgesprochen gutgetan. Es hat Raum geschaffen für Ideen, die im Kontext dieses Zyklus neu und auch interessant umgesetzt waren, und einen neuen Antagonisten, der wesentlich mehr Biss hat als die beiden kleinen Hexchen Roxie und Lektra. Wer eine Geschichte von der Dimension der ersten drei Bände erwartet hat, wird vielleicht enttäuscht sein, denn die bietet „Nacht“ definitiv nicht. Das Flickwerk aus Band IV aber steckt diese neue Geschichte locker in die Tasche, und mit Band V kann sie durchaus mithalten.

_Anne Bishop_ lebt in New York, liebt Gärtnern und Musik, und hatte bereits einige Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, ehe ihr mit dem Zyklus der |Schwarzen Juwelen| der internationale Durchbruch gelang. Außerdem stammen aus ihrer Feder die Trilogie |Tir Alainn|, die auf Deutsch bisher anscheinend nicht erschienen ist, sowie der Zweiteiler |Ephemera| mit den Bänden „Sebastian“ und „Belladonna“.

|Originaltitel: The Black Jewels Series: Tangled Webs
Deutsche Übersetzung von Ute Brammertz
398 Seiten, kartoniert
Mit Bonusmaterial: „Wenn das Hexenblut blüht“|
http://www.heyne.de
http://www.annebishop.com

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Band I: [„Sebastian“ 3671
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Band II: [„Belladonna“ 4722 (zusätzliche Buchrezension)