Tess Gerritsen – Leichenraub. Thriller

Von Schädeln, Schlitzern und geraubten Leichen

Julia Hamill ist schockiert: Stammen doch die menschlichen Gebeine, die sie in ihrem Garten gefunden hat, von einer jungen Frau. Schnell entdeckt die Pathologin Maura Isles, dass sie ermordet wurde – vor fast 200 Jahren. Wer ist die junge Tote, wer hat sie so heimlich verscharrt? Julias Neugier führt sie in die Vergangenheit Bostons zur medizinischen Fakultät der Universität. Und zu dem Medizinstudenten Norris Marshall aus dem Jahr 1830, der hofft, einen gefährlichen Frauenmörder zu stellen – und dabei seine einzige Zeugin in höchste Gefahr bringt …

Die Autorin

Tess Gerritsen war eine erfolgreiche Internistin, bevor sie mit dem Medizinthriller „Kalte Herzen“ einen großen Erfolg errang. Es folgten mehrere mittelmäßige Thriller wie „Roter Engel“, die durchaus spannend zu unterhalten wissen.

Mit dem Bestseller „Die Chirurgin“ ist ihr auch der Durchbruch in Deutschland gelungen, denn dieser Thriller ist noch eine ganze Klasse härter: Der Mörder entfernt seinen weiblichen Opfern die Gebärmutter. Die Fortsetzung trägt den Titel „Der Meister“, und „Todsünde“ ist der dritte Roman mit Detective Jane Rizzoli vom Boston Police Department. „Body Double“ trägt in der Übersetzung den treffenden Titel „Schwesternmord“. „Blutmale“ war der sechste Roman in ihrer Serie um Detective Jane Rizzoli und die Rechtsmedizinerin Dr. Maura Isles.

Gerritsen lebt mit ihrem Mann, dem Arzt Jacob Gerritsen, und ihren beiden Söhnen in Camden, im US-Bundesstaat Maine.

Tess Gerritsen auf |Buchwurm.info|:

[„Todsünde“
[„Die Chirurgin“
[„Der Meister“
[„Roter Engel“
[„Schwesternmord“
[„Akte Weiß: Das Geheimlabor“
[„Scheintot“
[„Blutmale“
[„In der Schwebe“

Handlung

Rahmenhandlung

Gegenwart. Im Bostoner Stadtteil Weston hat die frisch geschiedene Julia Hamill ein heruntergekommenes Haus mit einem riesigen Garten gekauft. Als sie diesen Garten umgräbt, um Rosen zu pflanzen, stößt sie auf die Gebeine eines Menschen. Sie verständigt die Polizei. Die Pathologin Dr. Maura Isles sagt ihr, dass die Gebeine einer jungen Frau gehören, aber nicht aus der jüngsten Vergangenheit, sondern aus der Zeit vor der Erbauung des Hauses stammen müssen. Es wurde 1880 erbaut. Seine letzte Bewohnerin, Hilda, starb mit 92 Jahren eines offenbar natürlichen Todes.

Doch die längst verstorbene junge Frau, die derart unchristlich verscharrt wurde, starb keineswegs so: Man schlug ihr den Schädel ein. Julia bekommt es allmählich mit der Angst zu tun, doch der nette Nachbar, ein Arzt namens Tom Page, hilft ihr, die Nerven zu beruhigen. Er und sein treuer Hund hätten sich auch um Hilda, ihre Vorgängerin, gekümmert.

Als ein gewisser Henry Page, Tom Pages Großonkel, sie anruft und nach Maine einlädt, hört sie erstmals von den tragischen Vorgängen, die mit diesem Grundstück verbunden waren. Die Erbauerin des Hauses, die Ärztin Margaret Tate Page, sei von einem der berühmtesten Söhne der Stadt, dem Arzt und Schriftsteller Oliver Wendell Holmes, im Jahr 1888 angeschrieben worden. Und die gute Hilda, eine Freundin von Henry Page, habe nach ihrem Tod O. W. Holmes‘ Briefe hinterlassen. Diesen Nachlass habe die Umzugsgesellschaft in seinen, Henry Pages, Keller in Maine geschafft. Leider seien die Dokumente derart in Unordnung, dass er Hilfe brauche, um sie zu finden.

Julia, die nach einem unerfreulichen Besuch ihres Ex endlich auf andere Gedanken kommen will, sagt ihren Besuch zu und fährt nach Norden an die Küste. Henry Page erweist sich als eigensinniger, aber mitunter charmanter Gentleman von 89 Jahren. Nach einer Flasche Wein weiß er schon ihre Lebensgeschichte. Er zeigt ihr die Briefe, die Oliver Wendell Holmes an Margaret Tate Page, die erste Ärztin Bostons, schrieb. Sie erweisen sich als aufregende Dokumente, die eine spannende und zugleich tragische Geschichte erzählen …

Binnenhandlung: das Jahr 1830

Die Irin Rose Connolly ist die 17-jährige Schwester von Aurnia, die nun ihre Tochter in der Entbindungsstation der Universitätsklinik von Boston zur Welt bringen will. Doch Aurnia geht es schlecht, sie hat hohes Fieber. Kaum hat sie ihre Tochter Margaret zur Welt gebracht, merkt sie, dass es mit ihr zu Ende geht, und schenkt Rose ein wertvolles goldenes Medaillon. Natürlich nimmt Rose an, dass Aurnias Ehemann, der Schneider Eben Tate, ihr den Schmuck zur Hochzeit geschenkt habe. Das ist ein Irrtum.

Dr. Crouch ist Dozent an der neuen medizinischen Hochschule und untersucht die Wöchnerinnen regelmäßig. Heute ist er mit drei Studenten gekommen. Wendell Holmes, Charles Lackaway und Norris Marshall müssen ihre Meinung kundtun, wie die kranke Aurnia Tate zu behandeln sei. Er selbst bevorzuge den Aderlass. Doch der ungewöhnliche Mr. Marshall rät zu anderen Maßnahmen, denn er habe auf dem Bauernhof, wo er aufgewachsen sei, mit Kühe und Schweinen bessere Erfahrungen mit alternativen Methoden gemacht. Dr. Crouch gibt zornig kund, dass man Kühe und Frauen ja wohl kaum miteinander vergleichen könne. Doch Rose verliebt sich in den patenten Burschen, der überhaupt keinen Standesdünkel an den Tag legt und dessen Kleidung auch wesentlich einfacher aussieht als die seiner gutbetuchten Kommilitonen.

Wenige Stunden später ist Aurnia am Kindbettfieber verstorben. Rose weigert sich, sie einem würdelosen Armenbegränis zu überlassen und lässt ihren Leichnam in einen Sarg legen. Dieser wird im Hinterhof abgestellt. Täglich kommen neue Särge hinzu, denn das Kindbettfieber greift seuchenartig um sich. Seltsamerweise, wundert sich Norris Marshall, ist es in den Armenvierteln der Stadt Boston kaum anzutreffen, sondern vor allem im Umkreis der Krankenhäuser.

Als Rose abends zum Hintereingang der Klinik eilt, stolpert sie über eine blutüberströmte Leiche: Es ist die Leiterin der Entbindungsstation, Agnes Poole. Doch der Mörder ist noch in der Nähe und bedroht auch Rose: Das Gesicht unter einer Kapuze und einer weißen Maske verborgen, hebt er das Messer, um auch Rose den Rest zu geben. Doch die Rufe der Studenten Holmes und Marshall vertreiben ihn. Rose fällt vor Angst in Ohnmacht.

Am Grab von Aurnia wird sie von Mary Robinson, der neuen Stationsleiterin, gewarnt, sie solle das Kind, das Rose nicht aus der Hand geben will, unbedingt verstecken, denn viele Leute fragten nach dem Mädchen. Rose muss sich auch Eben Tate vom Hals halten, der sie als Diebin bezeichnet, weil sie das Medaillon an sich genommen habe. Doch mit dem Schmuck hat sie ja das Grab bezahlt, um seine eigene Pflichtvergessenheit auszugleichen.

Wenige Stunden später findet Norris Marshall die Leiterin Mary Robinson erstochen im Gebüsch des Charles River. Es dauert nicht lange und die übereifrige Nachtwache hält ihn selbst für jenen Mörder, den die Zeitungen bereits den West-End-Reaper, den Schnitter Tod, nennen. Norris droht vom College verwiesen zu werden.

Doch Norris weiß, dass auch Rose den Mörder gesehen hat. Sie kann seine Unschuld beweisen. Inzwischen hat Rose ihre neugeborene Nichte Meggie bei einer geldgierigen Amme versteckt. Denn noch immer fragen Eben Tate und andere Leute nach dem Baby. Ein neuer „Freund“ Tates, ein Engländer, bietet nicht weniger als eintausend Dollar für das Kind! Jemandem muss das Kind also sehr wertvoll erscheinen – oder es für ihn eine große Gefahr halten. Deshalb sagt Rose auch diesmal nein. Ihr kommt der Verdacht, dass Meggie gar nicht Ebens Kind ist, sondern das eines reichen Herrn, der mit dem Bastard nicht in Verbindung gebracht werden will, um einen Skandal zu vermeiden. Damit liegt sie richtig.

Rose und Norris tun sich zusammen und folgen dem mysteriösen 1000-Dollar-Engländer durch die Gassen der Stadt, bis sie zu einem Haus gelangen, in dem sich eine geheime Gesellschaft versammelt. Über dem Türsturz finden sie die Embleme der Rosenkreuzer. Unter den Besuchern entdecken sie auch den Polizeichef Bostons. Kein Wunder, dass die Nachtwache einen großen Bogen um dieses Haus machen muss. Jetzt wird ihnen die Sache ziemlich unheimlich.

Doch dann wird auch Eben Tate ein Opfer des Reapers. Und weil die Nachtwache die Maske des Reapers sowie die Gesichtshaut von Tate in einem Whiskykrug in Norris‘ Zimmer findet, verhaftet sie ihn kurzerhand, trotz Roses Protesten und Beteuerungen seiner Unschuld. Nur ein glücklicher Zufall kann Norris jetzt noch vor dem Galgen und dem elenden Schicksal bewahren, als Anatomieobjekt auf Dr. Crouchs Seziertisch zu landen. Und das Wunder geschieht …

Mein Eindruck

From Hell

Der Schlitzer von Boston erinnert an Jack the Ripper, doch tritt er bereits 58 Jahre vor seinem berühmteren Tatenvetter auf. Wenn man also an den Johnny-Depp-Thriller „From Hell“ denkt, so verwischt man dabei die Zeitabfolge. Auch ist keinerlei Rauschgift im Spiel (nur Kranke bekommen Morphium), und ein Inspektor, der diese Bezeichnung verdient, tritt ebenfalls nicht auf. Mr. Pratt, der Leiter der Nachtwache, ist nur auf seine eigene Ruhmsucht und Publicity bedacht, ignoriert aber sämtliche Indizien, die auf die Unschuld des Verdächtigten hinweisen.

Verbrechen Nr. 2

Zur Aufklärung der Verbrechen trägt das Liebespaar aus Rose und Norris ebenso bei wie die zwei anderen Medizinstudenten. Aber ist diese Mordserie wirklich das eigentliche Thema des Romans, habe ich mich gefragt. Denn es gibt ein wesentlich größeres Verbrechen: das massenhafte Sterben von jungen Müttern im Kindbett. Dieses Massensterben ist keineswegs ein unvermeidbarer Unfall, sondern von Menschen verursacht: von Medizinern wie Dr. Crouch, um genau zu sein.

Wie schon der ungarische Arzt Dr. Ignaz Semmelweis postuliert hatte (und dafür geächtet wurde), rührt das Kindbettfieber von der Übertragung der von Medizinern aufgenommenen Verwesungsbazillen von Leichen auf die jungen Mütter her. Der einzige Grund, so absurd er uns heute erscheinen mag: Die Mediziner wuschen ihre Hände nicht. Dr. Couch vorm geistigen Auge die Patientinnen betatschen und sich an einem schmutzigen Lappen die Hände abwischen zu sehen, könnte dem Leser das kalte Grausen verursachen. Bei mir war das jedenfalls der Fall.

Während die Fahndung nach dem Reaper läuft und Norris sich in Sicherheit zu bringen sucht, muss Wendell Holmes die Wahrheit im Fall des Kindbettfiebers suchen. Dass sich sein enger Freund Charles Lackaway an einer Leiche in den Finger schneidet und dieser Schnitt zum Wundbrand führt, ist ein sehr starkes Indiz auf eine Infektion. Doch für einen Übertragungsmechanismus hatte die damalige Medizin noch keinerlei Begriff, ja, schon der Gedanke an Übertragung war fremd. Wendell Holmes muss 1833 nach Paris gehen und dort fortschrittlichste Medizin kennenlernen, schreibt die Autorin sinngemäß in ihrem Nachwort. 1843 predigte er den Ärzten Amerikas dann: „Wascht euch um Gottes willen die Hände!“

Verbrechen Nr. 3

Kommen wir auf das dritte Verbrechen zu sprechen: dasjenige, dem die junge Frau in Julia Hamills Garten zum Opfer fiel. Es ist der längste Spannungsbogen des Romans, denn die Frage wird schon frühzeitig in der Rahmenhandlung aufgeworfen und in der Binnenhandlung früh angerissen. Man muss nur eins und eins zusammenzählen und erhält die Lösung auf dieses Rätsel.

Die explizite Antwort folgt dann am Ende der Binnenhandlung, als Rose herausfindet, was denn mit Norris‘ Mutter Sophia geschah, die eines Tages, als ihr kleiner Sohn krank war, in die Stadt ging und nie wiederkehrte. Dass dieses Verschwinden mit einem Verbrechen in Zusammenhang steht, das der Täter mit Hilfe eines gefälschten Briefes vertuschte, wird Rose erst spät klar. Erst nachdem sie den Reaper entdeckt hat und ihm fast zum Opfer gefallen ist. Ob Sophia ebenfalls ein Reaper-Opfer ist, soll hier nicht verraten werden.

Verbrechen Nr. 4

Der deutsche Titel des Romans lautet „Leichenraub“, das vierte Verbrechen, auf das die Geschichte ein Schlaglicht wirft. Jeder, der R. L. Stevensons Geschichte „The Bodysnatchers“ einmal gelesen oder im „Gruselkabinett“ als [Hörspiel 5166 gehört hat, wird die grausige Praxis der Jahre um 1820 und 1830 je vergessen. Um die Studienobjekte für ihre Anatomievorlesungen zu bekommen, griffen die aus dem Boden gestampften medizinischen Hochschulen in den USA wie im Vereinigten Königreich (Stevensons Geschichte spielt in Edinburgh) auf illegale „Beschaffer“ zurück.

Leider beließen es diese zwielichtigen Gestalten wie der hier auftretende Mr. Jack Burke nicht beim Ausgraben von frisch Begrabenen, sondern gingen zur aktiven Beschaffung über: Sie ermordeten geeignete Kandidaten, um sie für 20 oder 30 Dollar pro Stück an die Hochschule zu verschachern. Ein höchst lukrativer Handel, wie man an Burkes Vermögen von 2000 Dollar ablesen kann.

In einer Kombination aus Ironie und poetischer Gerechtigkeit widerfährt Burke am Ende das gleiche Schicksal wie seinen Opfern. Denn er weiß ganz genau, was mit seinem hingerichteten Körper passieren wird: Alle Exekutierten landen per Gesetz in den Anatomiesälen und auf dem Seziertisch. Genau dieses Schicksal wollte Burke eigentlich verhindern: Er hat die unrechtmäßig erworbenen 2000 Dollar für die Errichtung eines Stahlkäfigs um seinen Sarg gespart, damit ihm posthum kein Leichenraub widerfahre. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Geheimgesellschaften

Dass eine Geheimgesellschaft wieder mal eine zwielichtige Rolle spielt, darf bei Gerritsen nicht verwundern. Erstens griff sie dieses Motiv bereits in „The Mephisto Club / Blutmale“ auf, zweitens bilden Geheimgesellschaften einen doppelten Boden in der Handlung. Der Leser – und die betroffenen Figuren mit ihm – fragt sich sofort, ob das, was Mitglieder solcher Geheimklubs behaupten, wirklich der Wahrheit entspricht oder nur eine intrigante Falle darstellt. Dadurch trägt dieses Element zur Steigerung der Spannung bei.

Man muss nicht immer gleich an Dan Browns Illuminaten-Gesellschaft denken, die 1776 in Ingolstadt gegründet wurde, sondern auch andere Gruppen assoziieren, seien es die Templer oder, wie hier, die Rosenkreuzer. In jedem Fall verleihen sie der Handlung eine geschichtliche Dimension, die das Geschehen nicht als zufällig, sondern als zwangsläufig erscheinen lässt. Der gesellschaftliche Druck auf den verborgenen Vater der kleinen Meggie ist verständlich und konkret. Ist er mit dem Reaper identisch, fragt sich der Leser, doch die Frage wird mit einer großen Überraschung beantwortet.

Julias Zukunft

Die Rahmenhandlung muss ebenfalls einen zufriedenstellenden Abschluss finden, so verlangt es das Gesetz des Unterhaltungsromans, das keine losen Enden zulässt. Wozu hat denn die Autorin Tom Page und Henry Page eingeführt, wenn nicht, um Julia Hamill aus ihrem Sumpf der Niedergeschlagenheit herauszuführen? Beiden Herren eröffnen ihr eine neue Perspektive. Sie muss sich nur noch trauen, sich auf Tom einzulassen. Wird sie diesen Schritt wagen?

Hier findet der letzte Spannungsbogen seinen Abschluss. Er rechtfertigt in den Augen der Autorin die Tätigkeit des Arztes Tom Page und die lange Tradition der Ärzte Bostons: Sie ermöglichen eine Art Unsterblichkeit. Das klingt zu pathetisch, um glaubhaft zu sein. Deshalb sollte man diese Zeilen möglichst selbst lesen. Es lohnt sich, denn hier spricht die frühere Chirurgin Gerritsen in eigener Sache.

Die Übersetzung

Der Übersetzer hat sich um einen qualitätsvollen und der Zeit von 1830 angemessenen Sprachstil bemüht. Diese Aufgabe hat er mit Bravour erledigt, so dass ich mich passagenweise in Dickens‘ Zeit zurückversetzt wähnte. (1830 ist auch eine wichtige Epoche für die Bostoner Literatur und Philosophie.)

Nur vereinzelt finden sich Druckfehler im Text, so etwa Buchstabendreher, falsche Kasusendungen oder fehlende Buchstaben. Es sind aber so wenige, dass man sie vernachlässigen kann.

Unterm Strich

Ich habe diesen historischen Thriller in nur wenigen Tagen verschlungen, wie mir das schon bei vielen Romanen von Tess Gerritsen ergangen ist. Man darf als Gerritsen-Fan aber nicht erwarten, dass hier das gewohnte Gespann aus Maura Isles, der Pathologin, und der Polizistin Jane Rizzoli (sie macht quasi Mutterschaftsurlaub, was ja sehr gut zum Thema passt) auftritt. Die Pathologin hat nur einen Kurzauftritt, dann gehört die Bühne dem Rest des neuen Ensembles.

Dieser Roman ist nicht für zartbesaitete oder zimperliche Zeitgenossen geeignet. Obwohl sich einige Szenen lesen, als wären sie bei Charles Dickens abgeschrieben, so sind diese doch so grausam realistisch geschildert, wie es sich Dickens nie getraut hätte. Die Armenquartiere sind von unbeschreiblicher Unhygiene gekennzeichnet, das ist bekannt. Doch auch der Sex findet hier wie eh und je statt, und zwar direkt neben dem schlafenden Nebenmann. Mehr als einmal muss Rose Connolly an kopulierende Tiere denken, wenn eine Prostituierte sich ihren Lebensunterhalt direkt neben ihr verdient. Auch die Untersuchungsmethoden des Dr. Crouch – ebenfalls ein Dickensianischer Name – können einer auf Hygiene bedachten Leserin schon mal den Magen umdrehen.

Auch wenn die verschiedenen Verbrechen (siehe oben) mit Absicht zu einer hohen Dosis Spannung zusammengemixt wurden, so verfehlt das verabreichte Gebräu doch seine Wirkung auf den Leser nicht. Jedes Kapitel liefert einen Nervenkitzel, einen Kick. So muss ein Unterhaltungsroman mit Thrill sein. Und wenn die Autorin als Medizinerin am Schluss noch ihre eigentliche Botschaft vermitteln will, so drücken wir gnädig, unterhaltungsgesättigt, ein Auge oder zwei zu.

Gebunden: 442 Seiten
Originaltitel: The Bone Garden, 2007
Übersetzung: Andreas Jäger
ISBN-13: 978-3-8090-2539-9

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