Robert B. Parker – Miese Geschäfte (Spenser-Krimi 31)

Abgründe tun sich auf: Spenser, der Sex-Guru und das Kapital

Als die Gattin eines Managers Spenser darum bittet, ihren Mann wegen Untreue zu beschatten, ahnt der Privatdetektiv noch nicht, auf welches Schlangennest aus Betrug, Sex und Mord er stoßen wird. Er braucht jede Hilfe seiner Freunde, um diesen Fall zu bewältigen …

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 60 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der „Spenser“-Reihe wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wurde vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Die Spenser-Reihe (bei Pendragon)

1) Trügerisches Bild
2) Die blonde Witwe
3) Der stille Schüler
4) Bitteres Ende
5) Hundert Dollar Baby
6) Der gute Terrorist
7) Alte Wunden

Außerdem schrieb Parker ein Sequel zu Raymond Chandlers verfilmtem Klassiker „The Big Sleep“ (mit Bogart und Bacall) und mit „Poodle Springs“ einen unvollendeten Chandler-Krimi zu Ende. „Gunman’s Rhapsody“ ist seine Nacherzählung der Schießerei am O.K. Corral mit Wyatt Earp und Doc Holliday, ein klassischer Western.

Handlung

Eine Frau tritt in Spensers Büro und beauftragt ihn damit, ihren Mann zu beschatten, weil sie glaubt, er sei ihr untreu. Spenser bittet sie, mal ihren Namen zu verraten, damit er weiß, wen er überhaupt beschatten soll. Widerwillig gibt sie dieses Staatsgeheimnis preis: Marlene Rowley. Er soll Trenton Rowley beschatten, den Finanzchef der Firma Kinergy in Waltham. Das Unternehmen handle mit Energiekapazitäten und sei sehr aufstrebend. Ach ja, noch eine Kleinigkeit: Die Bezahlung erfolge nur über ihren Anwalt. Spenser nimmt auch dies gelassen hin.

Dem Manager Trenton Rowley zu folgen, erweist sich als einfach. Nach Büroschluss um 19:00 Uhr düst der Manager nicht etwa nach Hause zu Heim und Herd, sondern in das Nobelhotel Hyatt, um dort eine Frau zu treffen, die bereits auf ihn wartet. Nach drei Stunden erscheint er wieder, diesmal mit einer Blondine am Arm. Gerade als Spenser den beiden folgen will, wird er von einem Mann angesprochen: „Folgen Sie dem Mann? Ich folge der Blondine.“

Der Typ ist ebenfalls Privatdetektiv. Elmer O’Neill wurde angeblich von Ellen Eisens Mann engagiert. Na, fein: Spenser und Elmer teilen sich die Arbeit und die Erkenntnisse. Doch das ist noch nicht alles: Als Spenser mal Marlene folgt, stößt er auf einen weiteren Detektiv. Jerry Francis wurde ebenfalls von einem Mann engagiert. Das ist ja der reinste „Ringelpiez mit Anfassen“, findet Susan Silverman, Spenser Geliebte. Was steckt dahinter?

Regel Nr. 1: Wenn man im Zweifel ist, sollte man alle Beteiligten befragen. Ellen Eisen ist die Eerste. Ellen ist (noch?) mit Bernie Eisen verheiratet, einem Kollegen von Trenton Rowley, der ebenfalls im Vorstand arbeitet. Sie hat einen „Berater in Herzensangelegenheiten“ namens Darrin O’Mara dabei, den Spenser als TV- und Rundfunkratgeber kennt. Wie sich herausstellt, propagiert O’Mara die „höfische Liebe“ des Mittelalters, die nichts weiter besagt, als dass die Ehe ein Gefängnis sei, aus dem es durch andere Liebschaften auszubrechen gelte. Nur so könne man der Herzensdame seine Zuneigung zeigen. Zwar hält Spenser dies für ausgemachten Blödsinn, doch Ellen weist ihm die Tür, als er sie dafür kritisiert, daran zu glauben.

Spenser wartet abends vor dem Firmengebäude von Kinergy darauf, dass Rowley endlich Feierabend macht. Es wird später und später. Schließlich reißt ihm der Geduldsfaden und er wendet sich an den Wachmann am Eingang: Er sei Johnny Weismüller (der einstige Tarzandarsteller) und wollte Trenton Rowley sprechen. Nach einer Weile tauchen jedoch statt des erhofften Mannes zwei Streifenwagen auf und halten Spenser erst einmal fest. Eine Ambulanz trifft ein – kein gutes Zeichen. Schließlich taucht sogar Captain Healy von der Staatspolizei von Massachusetts auf. Der alte Bekannte Spensers klärt ihn auf, was dieser Auflauf soll: Rowley wurde mit drei Einschüssen tot aufgefunden. Ein Verbrechen aus Leidenschaft?, sinnieren die beiden. Oder steckt mehr dahinter?

Als Spenser Bernie Eisen erstmals kennenlernen will, um ihn über Rowley zu befragen, begrüßt ihn erst einmal der Sicherheitschef von Kinergy, Gavin. Der führt ihn in ein karges Büro. Als sich auch Eisen dazugesellt, ist Spenser sehr vorsichtig. Allein schon die Frage, ob Rowley ein Verhältnis mit Eisens Frau habe, führt zum Abbruch des Gesprächs. Spenser muss unverrichteter Dinge zurück. Doch er kann zumindest die anderen beiden Detektive nach ihren Erkenntnissen fragen. Dabei stellt sich heraus, dass sie nicht wie angenommen, von den Ehemännern beauftragt wurden, sondern der Beschreibung nach von Sicherheitschef Gavin. Warum sollte Gavin seinen eigenen Managern nachspionieren?

Um allem die Krone aufzusetzen, macht Gavin Spenser ein fürstliches Angebot: eine Sinekure in der tiefsten Provinz – viel Geld fürs Nichtstun. Spenser lehnt dankend ab. Dann taucht schließlich sogar der Vorstandschef Bob Cooper – „nenn mich Coop“ – auf und macht ihm ein lukratives Angebot: Sicherheitsberater bei Kinergy. Spenser lehnt wieder ab, denn er hat ja schon einen Klienten (Mrs Rowley).

Aber als auch Gavin tot aufgefunden wird – Suizid? – , ahnt Spenser, dass das nächste Opfer bei Kinergy nicht lange auf sich warten lassen wird. Es sei denn, er unternimmt schnellstens etwas dagegen. Zusammen mit Hawk, seinem besten Freund, beginnt er, den unsichtbaren Gegner aufzuscheuchen, wer auch immer es sein mag …

Mein Eindruck

Selten habe ich in der Reihe der „Spenser“-Krimis einen so spannenden, erotischen und lustigen Roman gelesen. Vordergründig scheint es um Liebeshändel zu gehen, doch in Wahrheit geht es um eine Firmenübernahme. Dreiecksgeschichten sind Standardware in Krimis, und Ermittlungen in Scheidungsfällen sind das Brot-und-Butter-Geschäft der Privatschnüffler. Allerdings entpuppen sich die Schäferstündchen als etwas anderes: Sie wurden vom Sex-Guru höchstpersönlich arrangiert! Also ist der Seitensprung gar nicht so schlimm, oder?

Minne und dergleichen

Als ehemaliger Literaturprofessor kennt sich der Autor natürlich auch mit den provenzalischen Troubadouren und deutschen Minnesängern aus. Die höfische Liebe, auch „Minne“ genannt, wurde im 14. Jahrhundert in Aquitanien erfunden (vgl. dazu A. Ballhaus: „Liebe und Sex im Mittelalter“, dt. bei Lübbe, 2009). Manche ihrer Vorstellungen wirken seltsamerweise bis heute nach, so etwa die Idee, dass romantische Liebe zur „edlen Dame“ bzw. „Gentleman“ genügen würde, um eine glückliche Ehe zu begründen. Über Minne und dergleichen kann Spenser nur lachen, denn seine Beziehung zu Susan ist auf etwas ganz anderes gegründet: auf sexuelle Anziehung. Ellen Eisen und Marlene Rowley scheint es an sexueller Erfüllung jedoch eindeutig zu mangeln.

Der Liebesguru

Immer wieder stolpert der Schnüffler über den Sex-Guru Darrin O’Mara. Dieser Scharlatan hält mit großem Erfolg Liebesseminare (und mehr) ab, und Spenser lässt seinen Kumpel Hawk seine Freundin Cecile in eines dieser Seminare einschleusen. Das Ergebnis ist ganz erstaunlich und hat reichlich wenig mit höfischer Liebe zu tun. Der Herzensberater könnte sich genauso gut Zuhälter für Kinergy nennen. Und er hat einen zwielichtigen Helfer mit unbekannten Aufgaben.

Firma mit doppeltem Boden

Kinergy ist eine aufstrebende Firma, wie es heißt. Der Vorstandschef Bob Cooper ist ein jovialer Bursche, der sich bei jedem anbiedert. Aber Spenser lässt sich nicht einwickeln: Das ist einfach nur Geschäftsstrategie, wie sie in jeder amerikanischen Firma zum guten Ton gehört. Spenser beginnt nach dem zweiten Mord hinter die Fassade zu blicken, als sich ihm eine junge „Geschäftsentwicklerin“ anvertraut: Mit den Finanzen der Firma könnte es nicht zum Besten stehen. In wenigen Tagen könnte sie pleite sein.

Spenser ist nun aber der Letzte, der sich mit Buchhaltung auskennt. Er kennt aber wie jeder gute Amateur Leute, die die besten auf ihrem Gebiet sind. Marty Siegel ist so einer, und er findet mit Hilfe der jungen Managerin und Einwilligung von Bob Cooper heraus, was mit den Bilanzen von Kinergy nicht stimmt: Finanzchef Rowley und sein Kumpel Bernie Eisen haben einen großen Finanztrick namens Special Purpose Entity (SPE) abgezogen, der zwar ihre Börsennotierung schönte, aber dafür sorgte, dass sie sich ihre Taschen füllen konnten: Es war eine gigantische Luftblase, denn das Vermögen der Firma stand nur auf dem Papier. Von Cash keine Spur.

Showtime!

Soweit, so schön. Aber woher kommen denn nun die Leichen, fragt sich Spenser. SPEs bringen keine Leute um, schon gar keine Finanzchefs. Spenser greift mit seinem Kumpel Hawk auf die beste Tugend des Schnüfflers zurück: geduldig beobachten. In welchem Zusammenhang der Liebesguru Darrin O’Mara zu Bob Cooper steht, wissen sie bereits, aber was soll Darrins Heimlichtuerei mit den Damen? In klassischer Manier entdecken die beiden Beschatter die naheliegende Wahrheit und führen eine Gegenüberstellung der wichtigsten Figuren im verzwickten Spiel herbei. Denn wo es an Beweisen mangelt, müssen Geständnisse die Wahrheit ans Licht bringen.

Die Wahrheit ist jedoch derart hässlich, dass schon bald der Adrenalinpegel ins Unerträgliche steigt und es zu emotionalen Explosionen kommen muss…

Continuity-Fehler

Darrin O’Mara hat einen „Helfer“ namens Lance Devaney, den Mann fürs Grobe. Als dieser auf S. 127 erstmals erwähnt wird, kann aber zu diesem Zeitpunkt Spenser noch gar nicht seinen Namen kennen – wenn ich richtig aufgepasst habe. Und später forscht Spenser immer noch nach Lances Namen.

Unterm Strich

Ich habe diesen Krimi an nur einem Abend gelesen. Er ist nicht nur spannend und actionreich, sondern auch äußerst lustig. Die Sache mit der höfischen Liebe ist von Anfang ein so verdächtiges Konstrukt, dass wir sofort einen Vorwand für sexuelle Aktivitäten vermuten. Wunderbar, wie Spenser und Hawk die Wahrheit ans Licht bringen – mit einem unwahrscheinlichen Kandidaten im Rampenlicht.

Und dann noch die Sache mit den drei Detektiven, die sich gegenseitig auf die Füße treten. Herrlich! Wunderbar die Szene, wie sich Marlene Rowley im Rekordtempo besäuft und in den Geisteszustand eines Kleinkindes zurückverfällt: „Hab Pipi macht“, meldet sie schließlich stolz ihre erfolgreiche Verrichtung. Spenser weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. (In dem Jesse-Stone-Krimi „Death in Paradise“, der längst nicht so lustig ist, gibt es eine ähnliche Szene mit einem Schriftsteller: Sein Kopf fällt ins Essen. Unterschwellig warnt der Autor seine Leser mehrfach vor den Gefahren der Alkoholsucht.)

Von großem Sachverstand zeugen die Kapitel, die der Autor dem Finanztrick der Special Purpose Entitys (SPEs) widmet. Spenser bedingt sich aus, was auch wir wünschen würden: Übervereinfachung. Tatsächlich erklärt der „weltbeste Wirtschaftsprüfer“ Marty Siegel diese komplexe Sache mit Worten, die jeder verstehen kann. Und wie schon in „Widow’s Walk“ wird aus einer unscheinbaren Finanzinstitution bzw. -abteilung ein Monster, das ohne Weiteres sein Scherflein zum Börsencrash von 2008 beigetragen haben könnte. Und zwar völlig legal.

Natürlich darf in einem Spenser-Krimi die Action nicht zu kurz kommen. Doch darüber darf hier nichts verraten werden. Alles in allem ein perfekter Beitrag zur Spenser-Reihe. Wenn da nicht die auffälligen Schnitzer in der Interpunktion und Rechtschreibung wären. Aber auch der Meister himself erlaubt sich einen Ausrutscher, also alles halb so wild.

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Taschenbuch: 240 Seiten
ISBN-13: 978-3865323682
www.pendragon.de