Ace Atkins – Robert B. Parker’s Angel Eyes. A Spenser Novel (Spenser 48)

Planet Hollywood: ein heißes Pflaster

Der Bostoner Privatdetektiv Spenser wird von seiner Freundin Susan Silverman gebeten, für eine Klientin deren Tochter zu suchen. Gabrielle Leggett ist vor zwei Jahren nach Los Angeles gegangen, um dort Schauspielerin zu werden. Seit zwei Wochen hat ihre Mutter aber nichts mehr von ihr gehört. In L.A. erhält Spenser die Hilfe seines indianischen Lehrlings Zebulon „Z“ Sixkill und seiner alten Freunde Chollo und Bobby Horse. Die braucht er auch, denn eine bewaffnete Truppe von armenischen Gangstern hat etwas dagegen, dass jemand nach Gabby Leggett sucht. Und das ist erst der Anfang…

Die Autoren

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gestorben 2010, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 etwa 700 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine neun Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird regelmäßig vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur, der 1971 über die Schwarze Serie promovierte, lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Ace Atkins ist der Autor von elf Romanen, darunter „White Shadow“, „Wicked City“, „Devil’s Garden“ und „Infamous“, die auf wahren Fällen basieren. Er ist auch der Schöpfer der Quinn-Colson-Serie. Michael Connelly hat Atkins „einen der besten Krimischriftsteller“ genannt, „die heute arbeiten“. Atkins lebt auf einer Farm außerhalb von Oxford, Mississippi. Mehr Info: www.aceatkins.com.

Nick Travers Reihe

Crossroad Blues (1998)
Leavin‘ Trunk Blues (2000)
Dark End of the Street (2002)
Dirty South (2004)

Quinn Colson Reihe

The Ranger (2011)
The Lost Ones (2012)
The Broken Places (2013)
The Forsaken (2014)
The Redeemers (2015)
The Innocents (2016)
The Fallen (2017)
The Sinners (2018)
The Shameless (2019)
The Revelators (2020)

Robert B. Parker’s Spenser (2012-2021)

Robert B. Parker’s Lullaby (2012)
Robert B. Parker’s Wonderland (2013)
Robert B. Parker’s Cheap Shot (2014)
Robert B. Parker’s Kickback (2015)
Robert B. Parker’s Slow Burn (2016)
Robert B. Parker’s Little White Lies (2017)
Robert B. Parker’s Old Black Magic (2018)
Robert B. Parker’s Angel Eyes (2019)
Robert B. Parker’s Someone To Watch Over Me (2020)
Robert B. Parker’s Bye Bye Baby (2021)

Einzelromane

White Shadow (2006)
Wicked City (2008)
Devil’s Garden (2009)
Infamous (2010)

Handlung

Der Bostoner Privatdetektiv Spenser wird von seiner Freundin Susan Silverman gebeten, für eine Klientin deren Tochter zu suchen. Gabrielle Leggett ist vor zwei Jahren nach Los Angeles gegangen, um dort Schauspielerin zu werden. Seit zwei Wochen hat ihre Mutter aber nichts mehr von ihr gehört. In L.A. erhält Spenser die Hilfe seines indianischen Lehrlings Zebulon „Z“ Sixkills und dessen Hackerfreundin Jem Yoon. Das Mädchen mit dem pinkfarbenen Haar erweist sich als Genie im Aufspüren von Personen und Fakten, die verborgen bleiben sollen.

Der Agent

Gabbys erster Freund war ihr Agent Eric Collinson, ein schräger Harvard-Absolvent mit Hitler-Haarschnitt. Eric hält mit einigen Fakten hinterm Berg, aber die Tatsache, dass Gabbys Wohnung verwüstet wurde, ist relativ unübersehbar. Der E-Mail-Verkehr auf dem Laptop, den sie unter dem Bett finden, wurde gelöscht, wahrscheinlich von Collinson. Jem Yoon kann ihn wiederherstellen.

Die Armenier

Kaum verlassen Spenser und Z die Wohnung, werden sie in der Tiefgarage von ein paar finsteren Typen angehalten. Die verlangen, dass sie die Finger von diesem Fall lassen sollen. Nach einer entschiedenen Weigerung holen die Typen ihre Knarren raus, Spenser und Z folgen diesem deutlichen Beispiel, dann fliegen die blauen Bohnen. Die anderen gehen zu Boden, doch Z hat’s an der Schulter erwischt.

Captain Samuelson von der Polizei in L.A. ist alles andere als begeistert darüber, dass in seiner Stadt geballert wird, noch dazu von seinem alten Spezi Spenser. Den und seine Freunde kennt er aus früheren Fällen (z.B. „Potshot“). Da Samuelson selbst im Fall Gabby Leggett ermittelt und bislang keine Ergebnisse vorweisen kann – der Grund, warum Mrs. Leggett Spenser engagiert hat – will er auf dem Laufenden gehalten werden und warnt Spenser vor den Gangstern. Sie seien Armenier und stünden unter dem Kommando eines gewissen Vartan Sarkisov. Der beherrsche die kleine Stadt Furlong. Drogen? Noch nicht, aber Sarkisovs Leute betreiben Hehlerei mit Diebesgut.

Der Produzent

Eric Collinson hat ein gebrochenes Herz. Denn schon nach etwa sechs Monaten fand Gabby, dass ihre Karriere einen Turboschub brauchte, um abzuheben. Sie wurde die Freundin eines japanischen Filmmoguls à la Weinstein, dem sie in allen Dingen willig zu Diensten war. Als Spenser bei James Yamashiro vorgelassen wird, glaubt der Produzent, Spenser wolle ihn im Auftrag von Gabby Leggetts Agenten Collinson erpressen. Anscheinend gibt es ein kleines, heimlich aufgenommenes Video von Yamashiro beim Liebesspiel mit Gabby. Spenser klärt den Irrtum schnellstens auf, aber Yamashiro wird trotzdem paranoid und droht ihm sicherheitshalber. Mit Jem Yoons Hilfe kann Spenser auf Gabbys Laptop das Video aufspüren: Es gibt nicht viel her. Warum sollte sich Yamashiro mit so etwas erpressen lassen?

Weltverbesserer

Während sie mit Eric liiert war, besuchte Gabby einen Schauspielkurs. Den leitete ein abgehalfterter Schauspieler der C-Liga. Spenser bringt ihn bei ein paar Gläsern Whisky dazu, etwas über Gabby zu erzählen. Nun, die Blondine hatte die strahlendsten grünen Augen, die er je gesehen habe. Und ihr Körper, den sie in immer freizügigeren Outfits darbot, war zum Anbeißen – aber in L.A., wo Millionen Schauspielaspirant*innen nach oben wollen, sei auch das nichts Besonderes gewesen. Eine andere Schauspielstudentin gibt Spenser einen Tipp: Gabby habe sich vor kurzem ganz erheblich verändert, und zwar seitdem sie Kontakt mit dieser obskuren Gesellschaft namens HELIOS aufgenommen habe. Die will das unerschlossene und angeblich blockierte Potential von Menschen freisetzen und lässt sich dies fürstlich bezahlen.

Es war Nancy Sharp, Gabbys Vorgängerin bei Yamashiro, die Gabby mit der mysteriösen HELIOS-Gesellschaft und dessen charismatischem Anführer Joseph Haldorn zusammenbrachte. Spenser und Z, der inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen worden ist, besuchen diese Frau, die sich erst einige Tage später als Vorstandsmitglied von HELIOS entpuppt. Sie hat silbernes Haar, macht intensiv Yoga und liebt Hunde. Die liebt Spenser auch, aber Nancy Sharp gefällt ihm weniger, denn auch sie will nicht sagen, wo er Gabby Leggett finden kann. Sie behauptet, HELIOS habe Gabby „gerettet“. Vor wem oder was? Etwa vor dem „verderblichen Einfluss“ ihrer Mutter?

Aber Spensers Gehilfin Jem Yoon findet heraus, dass Haldorn ein gescheiterter Geschäftsmann ist und jeden verklaget der ihm am Zeug flicken will. Haldorn habe HELIOS mit einer Psychologin namens Riese gegründet und deren Tochter in den Vorstand aufgenommen. In einen solchen hermetisch abgeschlossenen Zirkel kommt man nur undercover rein. Ob wohl Jem Yoon so freundlich wäre? Aber sicher doch. Gegen eine Aufnahmegebühr von 5000 Dollar.

Der Blogger und das Playmate

Auch den Blogger Lee Abrams hat HELIOS verklagt. Der daraufhin paranoid gewordene Mann erzählt Spenser von einem Präzedenzfall: Bailee Scott, die Tochter der Schauspielerin Charlotte Scott, vertraute ihr Leben ebenfalls HELIOS an, doch am Schluss landete sie tot in der Gosse. Charlotte Scott, einst ein PLAYBOY-Playmate und B-Sternchen, ist immer noch sehr wütend auf HELIOS und will es Joseph Haldorn heimzahlen. Er soll für den Tod ihrer Tochter büßen. Ein Detail, von dem sie berichtet, ist besonders schwerwiegend: Haldorn lässt seine Haremsmädchen brandmarken. Das Zeichen ist nicht schwer zu erraten: eine strahlende Sonne. Vermutlich hält er sich für einen Gott. Charlotte weiß, welchen Namen er gewählt hat: Phaeton, den griechischen Lenker des Sonnenwagens.

Das Treffen

Jem Yoon hat es geschafft, eine Einladung zu einer Spendengala Haldorns zu erhalten. Sie trete als naive, aber stinkreiche asiatische Prinzessin auf, meint sie. Sie dürfe eine Begleitung mitbringen. Wie wär’s? Spenser sagt sofort zu. Kaum auf der Gala in Haldorns Palast, dauert es keine fünf Minuten, bis die Armenier Sarkisovs, die Haldorns Sicherheitstruppe bilden, Spenser rauswerfen wollen. Doch da tritt der göttliche Haldorn höchstpersönlich auf und lässt Spenser mit der so lange gesuchten Gabby Leggett sprechen. Gabby ist alles anders begeistert, von ihrer Mutter gesucht zu werden und weigert sich, den Olymp des Sonnengottes, den sie erklommen zu haben glaubt, zu verlassen. Sie hat sich stark verändert, ist abgemagert bis auf die Knochen und scheint unter Drogen zu stehen.

Das macht Spenser wütend und lässt ihn, nach einem langen Gespräch mit Susan Silverman, zum Entschluss kommen, Gabby gegen ihren Willen zu befreien. Er trifft sich mit Chollo, Bobby Horse und dessen Arbeitgeber Vincent del Rio, einem Boss der mexikanischen Drogenkartelle. Don Vincent gibt Spenser freie Hand gegen Sarkisov und Haldorn. Damit setzt er mit Spenser eine folgenschwere Kette von Ereignissen in Bewegung, die bis zum Finale zahlreiche Opfer fordern wird…

Mein Eindruck

In zahlreichen Fällen soll Spenser nach verschwundenen Mädchen und Frauen suchen. Doch die Suche ist stets nur der Einstieg in eine Problemzone, die es zunächst aufzuzeigen gilt. Wie der Fall Harvey Weinstein gezeigt hat, beruht das Hollywood-Geschäft vor allem auf der Ausbeutung wehrloser, leichtgläubiger oder genötigter Frauen und Männer, die erwarten, dass die mächtigen Produktionsmogule ihnen auf der Karriereleiter nach oben helfen.

Schergen

Doch wie die MeToo-Bewegung aufgezeigt hat, sind noch viele Leute mehr an diesem Ausbeutungskomplex beteiligt. Die Anwälte sind lediglich die Nutznießer bei den Verleumdungsprozessen und Entschädigungsklagen. Spenser bekommt es bei HELIOS mit wesentlich gewaltbereiteren Typen zu tun. Die Armenier arbeiten für einen selbsternannten Weltverbesserer, der zwar Gabby und Co. zu fördern vorgibt, aber in Wahrheit nur an der Ausbeutung ihres Körpers interessiert ist.

Endstufen

Gabby und ihre Leidensgenossinnen sind lediglich Haldorns Sklavinnen. Der Leser, der schon mal BDSM-Literatur in den Händen gehalten hat, dürfte sich sofort an die goreanische Sklavenkultur erinnern fühlen. Die Gesellschaft des fiktiven Planeten Gor, der Gegenerde, basiert auf den antiken Zivilisationen Roms und Griechenlands. Das Bindeglied zur HELIOS-Gesellschaft ist das Brandzeichen. Es zeigt das Besitzverhältnis zwischen Besitzer und Eigentum an. Die Frau ist das Eigentum und wird entsprechend als rechtlos ausgebeutet.

Das geht also noch einen Schritt über das, was Jimmy Yamashiro gemacht hat, hinaus. Gabbys Werdegang besteht aus mehreren Stufen, und die Existenz als Sklavin – was sie natürlich leugnet – ist das vorletzte Stadium dieser Entwicklung. Wie der Fall Baillie Scott gezeigt hat, ist die Endstufe der Tod in der Gosse.

Moderne Sklaverei

Dem Niedergang der Opfer gegenläufig ist die Zunahme der Gewalt. Je wehrloser Gabby und ihre Leidensgenossinnen werden, desto mehr Gewalt ist nötig, um diesen wertvollen Besitz vor Leuten wie Spenser zu beschützen. Es geht schließlich nicht nur um Besitz und Status, sondern um Millionen: Wie David Baldaccis Thriller „Am Limit“ aufzeigt, lassen sich mit versklavten jungen Frauen Millionen scheffeln: in Porno-Videos, in Sklavenarbeit, im Handel mit Menschen.

Es ist wohl kein Zufall, dass in beiden Thrillern Menschenhandel und Sklaverei behandelt werden. Der Spenser-Krimi geht einen wesentlichen Schritt weiter: Gehirnwäsche, als Selbstverbesserung getarnt, dient zur Konvertierung erfolgversprechender Frauen zu Sklavinnen, die mit ihrem neuen Status aber vollkommen einverstanden sind.

Unterm Strich

Die Goreaner sind gelandet, kein Zweifel. Wem der Planet Hollywood schon immer etwas außerirdisch vorgekommen ist, dürfte darüber nicht im geringsten verwundert sein. Wie zu erwarten, sind die Produzenten der Weinstein-Klasse, vertreten durch Jimmy Yamashiro, ihre willigen Helfer. Dass alle Mächtigen in Hollywood ihre Leibwächter und Schläger haben, scheint inzwischen niemanden mehr zu wundern.

Etwas unerwartet erscheint indes die Mithilfe eines selbsternannten Weltverbesserers namens Joe Haldorn und seines Verwaltungsrates. Dieser besteht ganz aus Frauen. Nancy Sharp und die beiden Riese-Frauen hatten HELIOS mitgegründet, um den Evastöchtern zu mehr Selbstbewusstsein und Einfluss gegenüber den Produzenten zu verhelfen. Ihr Ansatz ließe sich als feministisch auffassen. Doch von dem Pyramidensystem, das Haldorn gleichzeitig im Gebührenbereich aufgebaut hat, will Nancy Sharp nichts gewusst haben. Kann sie wirklich so naiv sein, fragt sich der Leser und zweifelt an der Plausibilität dieses MeToo-Ablegers.

Showdown im Niemandsland

In einem zunehmend spannenderen Finale treffen sich Jimmy Yamashiro, Eric Collinson und Joe Haldorn mit ihrer jeweiligen Nemesis. Spenser und seine Mitstreiter folgen einer Spur der Gewalt, die sie bis an den Rand der Zivilisation führt. Hier draußen im Niemandsland nahe dem Flughafen LAX heben wahrscheinlich die Goreaner mit ihren getarnten Raumschiffen ab, um ihre weibliche Fracht nach Hause zu transportieren. Ganz sicher aber liegt hier Haldorns wahres Hauptquartier – und Gabbys persönliche Endstation…

Zeitreise

Wie fast alle Spenser-Romane der letzten Jahre nimmt auch dieser den Leser mit auf eine zeitreise. Der Privatschnüffler mit der Hammerfaust stammt eben aus einer Ära, in der die Film- und Popstars der vierziger und fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts präsent waren und ihn prägten. Deshalb tauchen immer wieder Verweise zu solchen antik anmutenden Stars auf. Ja, selbst ein Verweis wie auf Hugh Hefners PLAYBOY Mansion West dürfte so manchen heutigen Leser herausfordern. Spenser ist zudem belesen und zitiert Zeilen von mehreren populären Dichtern der USA wie etwa Robert Frost „I have promises to keep / and miles to go before I sleep“, David Henry Thoreau („Walden“) und vielleicht sogar Emily Dickinson – allesamt Bewohner von Neuengland.

Erdung

Aber es gibt zwei Figuren, die Spenser durch all die Jahre hindurch begleiten. Die erste Figur ist seine langjährige Lebensgefährtin Susan Silverman, die nicht nur eine in Harvard promovierte Psychologin ist, sondern Spenser auch in der Liebe zum Verüben „unaussprechlicher Dinge“ veranlasst. Die andere Figur ist Pearl, der Wunderhund, ein deutscher Vorstehhund. Der Privatdetektiv hat einen solchen Wunderhund seit seiner Kindheit an seiner Seite. Beide Figuren – und viele Freunde wie etwa Hawk – bilden für Spenser eine solide geerdete Basis, von der aus er Aufträge in allen möglichen Ecken und Enden der USA ausführen kann, nur um anschließend wieder heimzukehren.

Hinweis

Dieses Taschenbuch enthält eine Leseprobe des nächsten Spenser-Krimis. Er trägt den Titel „Someone to watch over me“. Das Thema ist sogar noch herausfordernder als Sklaverei: Pädophilie.

Taschenbuch: 335 Seiten
ISBN-13: 9780525536833

www.penguinrandomhouse.com

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