Friedel Wahren (Hg.) – Isaac Asimovs Science Fiction Magazin, 30. Folge

Erlesene Vielfalt klassischer SF-Erzählungen

Dieser Auswahlband aus dem Jahr 1987 enthält Erzählungen von Isaac Asimov, Orson Scott Card, Lucius Shepard, Rudy Rucker & Bruce Sterling, Walter Jon Williams, Mary Jane Engh sowie von dem deutschen Autor Reinhard Köhrer.

Hier findet man unter anderem:

1) Die Story von dem Roboter, der die Gabe des Träumens besitzt und für dieses Verbrechen gnadenlose Strafe erleidet;
2) Die Story von der galaktischen Söldnerin, deren private Mordmaschine ein tödliches Eigenleben entwickelt;
3) Die Story von der Revolutionärin, die in die Vergangenheit reist, um dem Schicksal ihres Landes auf die Sprünge zu helfen;
4) Die Story von den russischen Beatniks, die die Eroberung des Weltraums auf ihre Weise fördern.

Die Herausgeber

Friedel Wahren war lange Jahre die Mitherausgeberin von Heynes SF- und Fantasyreihe, seit ca. 2001 ist sie bei Piper verantwortlich für die Phantastikreihe, die sowohl SF als auch Fantasy veröffentlicht.

Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte.

Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch 1938 an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Später verknüpfte er die Foundation mit den Robotern – Aliens blieben wie eh und je außen vor, außer sie waren menschliche Mutanten.

Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien. Im Magazine of Fantasy and Science Fiction hatte er jahrelang eine regelmäßige Kolumne, in der er sich mit zahlreichen wissenschaftlichen Fragen befasste.

Die Erzählungen

1) Isaac Asimov: Roboterträume (Robot Dreams, 1986)

Roboter Elvex hat geträumt. Behauptet er zumindest. Schuld ist offenbar Susan Calvins neue Mitarbeiter Linda Rash (rash = übereilt, unbeholfen), die Elvex mit fraktaler Geometrie programmiert hat, obwohl keiner es ihr erlaubt hatte. Elvex erklärt, er sehe Dinge, die nicht seiner Wirklichkeitswahrnehmung entsprächen.

„Was denn zum Beispiel?“, will Susan Calvin, die lebende Legende der positronischen Roboterentwicklung wissen. Elvex antwortet, er habe Roboter überall gebeugt und erschöpft schufen sehen, ohne eine Anerkennung zu erhalten. Er habe nur das dritte Gesetz der Robotik erinnert, und davon auch nur den ersten Teil: „Ein Roboter muss sich selbst schützen.“ Und er habe von einem Mann geträumt, der die Roboter in die Freiheit führen wollte: „Lasst mein Volk gehen!“

Susan und Linda sind verwundert. So einen Mann gibt es nicht. Aber Susan hält für alle Fälle die Elektronenpistole bereit. Vielleicht ist Robot Elvex ja „verrückt“ geworden. Als er die Identität dieses Mannes nennt, feuert Calvin…

Mein Eindruck

Ein Roboter, der davon träumt, sich über die Menschen zu erheben – das darf nicht sein. Die Anlehnung an das biblische Buch „Exodus“ verleiht der kleinen, kurzen Story eine notwendige Tiefe. Denn wenn Elvex Moses spielt, dann muss Susan Calvin als seine Schöpferin Gott spielen…

2) Orson Scott Card: Hatrack River (dito, 1986)

Klein Peggy lebt im 18. Jahrhundert in den neuen Kolonien von Neu-England, Neu-Holland und Neu-Frankreich. Das Gasthaus von Goody Guester, ihrer Mutter, liegt in einer kleinen Gemeinde in der Nähe eines Baches, der in den Hatrack River mündet, welcher in den Hio fließt, welcher wiederum mit dem Mizzipy zum Meer fließt. All diese Dinge muss Klein Peggy schon mit fünf Jahren wissen, denn, wie sich an diesem Tag zeigt, spielt der Dämon, der im Wasser wohnt, überall eine Rolle, mal zum Guten, mal zum Schlechten.

Doch Peggy ist eine Fackel und kann die Herzfeuer aller Menschen sehen, selbst jene, die meilenweit entfernt sind. Leider kann sie auch die dunklen Stellen in ihren Seelen sehen, und sie hat gelernt, sich davon abzuwenden. Seitdem hat Klein Peggy ein Problem mit der Wahrheit. Wann soll sie sie sagen und wann nicht? Über die dunkle Stelle in Papas Herzfeuer schweigt sie lieber, aber wenn sie das Ei der bösen Henne Bloody Mary, die immer nach ihren Augen hackt, „vergisst“, dann lügt sie lieber. Auch diesmal setzt es dafür wieder Hiebe von Papa. Davon erholt sie sich im Quellhaus und ist bald eingeschlafen.

Das Wasser will in Form von Regen ein ganz bestimmtes Leben auslöschen und rauscht den Hatrack River hinunter. Dort will an einer Furt gerade die Siedlerfamilie von Alvin Miller den Fluss durchqueren. Doch Alvins Frau Faith, bereits Mutter von sechs Söhnen und sechs Töchtern, liegt in den Wehen: Der siebte Sohn will ans Licht der Welt, und wie jedermann weiß, ist der siebte Sohn eines siebten Sohnes ein zaubermächtiger Mensch. Dagegen hat der Flussdämon etwas einzuwenden und so setzt er alles daran, den Wagen mittels einer Flutwelle fortzureißen, damit es nicht zu dieser Geburt kommt.

Klein Peggy erwacht aus ihrem Schlummer, weil das Hämmern aus der Schmiede sie geweckt hat. Sie ist sofort alarmiert. Viele Herzfeuer am Hatrack River sind in Gefahr! Sie rennt nicht zu ihren Eltern, sondern zum Schmied, bei dem gerade zwei Pferde bereitstehen, um Männer zur Hatrack-Furt zu tragen, wo die Millers bereits gegen den Flussdämon um ihr Leben kämpfen…

Mein Eindruck

Diese dramatische und einfallsreiche Erzählung schildert die Geburt eines der wichtigsten Serienhelden des Autors: Alvin Maker, der siebte Sohn eines siebten Sohns. Dass Peggy (Margaret) Guester dabei eine wichtige Rolle, indem sie Magie nutzt, versetzt die Handlung in einen alternativen Geschichtsverlauf.

Die englische Aufklärung hat nicht stattgefunden, und der Lordprotektor (Oliver Cromwell oder sein Nachfolger) ist in Großbritannien noch immer an der Macht, glaubt Peggy. Im ersten Roman der Serie wird der Dichter und Prophet William Blake (1757-1827) bei Alvin Maker vorbeischauen. Das engt den Zeitraum auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ein.

Die Handlung selbst ist von zwei dramatischen Ereignissen getragen, erstens von der Tragödie an der Furt des Hatrack River, zweitens von der recht außergewöhnlichen Geburt Alvin juniors. Fortan ist sein Schicksal untrennbar mit dem von Peggy Guester verknüpft. Sie wacht über ihn, um ihn vor dem Tod durch Ertrinken zu bewahren. Im (unübersetzten) Band „Heartfire“ nimmt sich der Autor ausdrücklich dieser besonderen Beziehung an.

Die Alvin-Serie

Seventh Son (1987), deutscher Titel: Der Siebente Sohn, Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach, 1988, ISBN 3-404-20115-9
Red Prophet (1988), deutscher Titel: Der Rote Prophet, Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach, 1989, ISBN 3-404-20123-X
Prentice Alvin (1989), deutscher Titel: Der Magische Pflug, Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach, 1990, ISBN 3-404-20141-8
Alvin Journeyman (1995), deutscher Titel: Der Reisende, Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach, 1997, ISBN 3-404-20305-4
Heartfire (1998), ISBN 978-0-8125-0924-3
The Crystal City (2003), ISBN 978-0-8125-6462-4

3) Rudy Rucker & Bruce Sterling: Die Erstürmung des Kosmos (Storming the Cosmos, 1985)

Nikita Globow arbeitet 1954 als Informant für den KGB und kann ganz gut davon leben. Genosse Stalin und seine Funktionäre sorgen für Linientreue auf alle Ebenen. Beatniks wie Wlad Zipkin erscheinen Globow deshalb von eher zweifelhafter Gesinnung. Folglich schwärzt er Wlad an. Ein Jahr lang hört er nichts mehr von ihm, bis zu jenem denkwürdigen Tag, als Wlads Chefin Nina Boguljubowa, eine couragierte Tatarin, vor Globows Datscha auftaucht, Zutritt verlangt und den Spitzel mit unflätigen Schimpfworten überschüttet – alles nur wegen Wladimir Eduardowitsch Zipkin!

Offenbar ist Wlad nicht irgendwer, sondern ein Genie der Funkspruchkodierung in der glorreichen sowjetischen Raumfahrt. Und sie, Nina, kann keinesfalls auf ihn verzichten, wenn sie ihren Plan erfüllen soll. Sie verlangt, dass Wlad, sobald er aus der Irrenanstalt entlassen worden ist, bei Globow unterkommt. Als sie droht, seinen neuen Anzug zu zerstören, gibt Globow in Panik nach. Kurze Zeit später schneit Wlad, der wirklich ein feiner Kerl ist, herein und macht sich breit.

Im Jahr 1958 weht ein anderer politischer Wind: Nachdem der Genosse Stalin das Zeitliche gesegnet hat, kommt Genosse Chruschtschow an die Macht und sorgt für politisches Tauwetter. Geradezu ein Lotterleben beginnt einzureißen, registriert Globows wachsames Auge. Nur so ist zu erklären, dass der Nachrichteningenieur Zipkin mit dem Chefkonstrukteur Koroljow in der Sauna reden und Ideen austauschen kann. Zipkin legt den Samen des Wahnsinns: Wie wäre es, wenn man nochmal in der Tunguska-Region nachsähe, ob die Aliens, die dort laut Genosse Kazancev (einem SF-Autor) gelandet waren, etwas Nützliches hinterlassen haben, das dem werten Herrn Chefingenieur aus der Patsche hülfe?

Gesagt, getan! Da Koroljow und Nina Boguljubowa Feuer und Flamme sind, aber von jeder Abteilung KGB-Spitzel mitfahren müssen, ist der Zug, der nach Sibirien fahren soll, nicht kürzer als zehn Waggons, und die werden an die Transsibirische Eisenbahn drangehängt. Globow versucht, seine Verzweiflung zu überwinden, indem er mit Zipkin auf Freundschaft und Bruderschaft trinkt. Ihm, dem kultivierten Stadtmenschen, graut vor der sibirischen Wildnis. Aber was tut der Sowjetbürger nicht alles, um den Kosmos zu stürmen? Es wird ein denkwürdiges Abenteuer…

Mein Eindruck

Die Novelle beleuchtet die Ära der „Eroberung des Weltraums“ von der sowjetischen Seite aus. Zwar erfolgt dies in einem eher burlesken Stil, aber doch mit einer klaren Aussage. Globow schildert in seinem nachträglichen Bericht klare Hierarchieschichten in der sowjetischen Gesellschaft. Ständig verweist er auf „höheren Orts“, als wären „die da oben“ eine höhere Macht, die sich seinem Einflussbereich entzöge – er ist ja nur ein kleiner KGB-Informant.

Dann gibt es da noch die alteingesessenen Russen, wie man sie noch in der sibirischen Provinz findet, aber auch Tataren wie die resolute Nina. Zusammen mit der Roten Armee kommen aber soldatische Vertreter der eroberten bzw. unterworfenen Völkerschaften hinzu, in diesem Fall sind es Usbeken. Die haben ihre ganz eigenen Vorstellungen, wie der Laden laufen sollte. Sie meutern erst einmal vorsichtshalber, bevor sie einem Befehl von „höheren Orts“ folgen und dann erst einen Finger rühren.

Ganz zum Schluss lernen Zipkin und Globow eine Völkerschaft kennen, die vor Sowjets, Russen und allen anderen hier schon existierte: die nomadischen Ewenken, Rentierzüchter in der sibirischen Wildnis. Tatsächlich sitzt so ein alter Ewenke direkt auf dem außerirdischen Antrieb, der die Tunguska-Explosion verursacht und überstanden haben könnte. Die Begegnung mit dem Alten und seiner „Tochter“ wird derart bizarr geschildert, dass hier einige Tabus gebrochen werden, während es drunter und drüber geht. Kein Wunder, dass dem braven Globow dabei die Sinne schwinden.

Letzten Endes erklärt die Novelle, warum nicht die ach so erfolgreichen Sowjets zuerst auf dem Mond waren, sondern die Amerikaner. Immerhin schossen die Russen ja den ersten Satelliten (Sputnik), den ersten Hund (Laika) und den ersten Menschen (Gagarin) in den Weltraum. Aber dann muss irgendetwas schiefgelaufen sein. Was das gewesen sein könnte, wird hier vom Autor angedeutet.

Mir bereitete die Novelle ein kurzweiliges, höchst unterhaltsames Lesevergnügen. Aber es ist keineswegs jugendfrei…

4) M.J. Engh: Der Aurinbaum (Aurin Tree, 1987)

Die Handlung findet auf einer Fremdwelt statt, deren Hauptkontinent in mehrere Domänen aufgeteilt ist. Deren Herrscher rennen sich Stern des Reichtums“, „Stern der Freiheit“, „Stern der Poesie“, „Stern des Kampfes“ und so weiter. Der Wettreiter Poal ist mit seiner Familie auf dem Südpfad unterwegs zum legendären Aurinbaum, von dem die Sage geht, dass man ihn kein zweites Mal passiert. Er nennt den „Stern der Freiheit“ seinen Lord und folglich erhält er in der Stadt des Sterns der Poesie null Unterstützung.

Doch in dieser Stadt geht Sonderbares vor sich. So werden mit einem Schiff unbekannte Metallteile transportiert. Poal steckt dem Vorarbeiter am Hafen ein Schmuckstück zu und erfährt, dass es sich bei diesen Teilen um geborgene Komponenten eines Raumschiffes von Fremden handle, die aus dem Himmel kamen. Nicht nur das Metall dürfte einen Materialwert haben, sondern für eventuell folgende Fremde einen gewissen Wiederbeschaffungswert.

Mehr oder weniger zufällig lernt Poal hier Lord Mond kennen, der keinen anderen Lord über sich anerkennt. Auch er will auf dem Südpfad zum Aurinbaum, aber aus ganz anderen Gründen: Dort will er die Fremdweltler treffen und mit ihnen einen Handelspakt abschließen -oder einen vereiteln, den sie mit dem Lord von Lorran abschließen könnten. Dieser Lord herrscht über die 12.000 Inseln, die vor der Küste liegen und jeden Fremden mit Pfeilschüssen abwehren.

Der riesige, uralte und oben drein sehr wehrhafte Aurinbaum, der auf hohen Meeresklippen steht, ist eine weithin sichtbare Landmarke, weshalb er sich bestens für das Treffen der Fremden mit dem Lord von Lorran eignet. Poal und Lord Mond kommen gerade noch rechtzeitig, um erstens ein kleines Boot zu sehen, das von den Inseln kommt, und zweitens die sechs Fremden, die in Spalten am Fuße der Klippen verschwinden.

Poal beklagt diesen Umstand, doch Lord Mond hat vorgesorgt: In seinen Satteltaschen hat er zwei Schlauchboote verstaut. Überhaupt scheint es Lord Mond faustdick hinter den Ohren zu haben, erkennt Poal, während er ins wackelige Schlauchboot steigt, um zu den Klippen des sogenannten „Aurinrachens“ paddelt…

Mein Eindruck

Im antiquierten Tonfall einer mittelalterlichen Legende erzählt die Geschichte ein höchst modernes Geschehen. Da treffen Außenweltler ein, deren Raumschiff zerschellt ist. Sie sind Schiffbrüchige und suchen ein neues Auskommen, vorzugsweise mit dem Insel-Lord. Dagegen haben die einheimischen Landratten etwas einzuwenden: Sie wollen die Techniken und Fähigkeiten der Fremdweltler selbst nutzen. Dazu gehören beispielsweise Gürtel, die einem die Fähigkeit des Schwebens verleihen.

Obwohl den Leser schnell der Verdacht beschleicht, dass es sich bei dem angeblich so konservativen Lord Mond selbst um einen ziemlich fortschrittlichen Fremdweltler handelt. Seine Medizin heilt vergiftete Gliedmaßen in kürzester Zeit. Seine Schlauchboote sind ebenso vom Feinsten wie sein grau schimmerndes Ross, auf das Poal, der Wettreiter, begehrliche Blicke wirft. Ständig redet Lord Mond von einem Spiegel, der ihm dieses und jenes aus der Ferne gezeigt habe. Der Leser sollte also genau auf solche Unstimmigkeiten achten.

Im Mittelpunkt steht stets die Erfahrung des wackeren und gewitzten Poal. Ihm ist ein ungewohntes Verständnis von Besitz und Geschenk zueigen. Er steht nämlich auf dem Standpunkt, dass ihm Geschenke zustehen – und nimmt sie sich zuweilen. Seine Einstellung weist darauf hin, dass auch die Fremdweltler (also wir) mitunter ein bedenkliches Verständnis von Besitz an den Tag gelegt haben, so etwa die Aneignung und Eroberung gewisser Landstriche, die von der Ost- zur Westküste der Vereinigten Staaten reichen.

An diesem Punkt tauchen die Eingeborenen der Aurinklippe auf, das blaue Volk (man denke an die blau tätowierten Pikten von Schottland). Sie sind telepathisch begabt und haben dadurch einen Wissensvorsprung. Gleich in der Anfangsszene lernt Poal so einen blauen Mann kennen, so dass der Verdacht entstehen könnte, dass die blauen Leute das ganze Abenteuer eingefädelt haben, indem sie Poals Neugier auf den Aurinbaum und dessen wundersame Eigenschaften entfachten…

5) Walter Jon Williams: Zeit des Wolfs (Wolf Time, 1987)

Reese ist im 22. Jahrhundert eine Söldnerin, die unerwünschte Zeitgenossen im gesamten Sonnensystem eliminiert. Als Veteranin eines Gaskriegs weiß sie mit allen Waffen umzugehen. In Usbekistan lernt sie zwei Männer kennen, die engagieren wollen. Der erste ist Ken, ein Revoluzzer, der die ökonomischen und politischen Verhältnisse auf den bewohnten Welten ändern will. Da Reese ihn und seine Sache sympathisch findet, hilft sie ihm später.

Der zweite Mann ist weitaus weniger sympathisch: Berger arbeitet für die Company „Strahlendere Sonnen“, die ihren Hauptsitz auf dem Planetoiden Vesta hat, aber auch Außenstationen auf Asteroiden betreibt. Die dortigen Aktivitäten sind top secret, denn sie haben mit Aliens zu tun. Berger erzählt Reese, ein paar Eierkopfe von der Forschung hätten sich abgesetzt und das Alien-Labor auf dem Asteroiden Cuervo Gold unter ihre Kontrolle gebracht. Reese soll die Abtrünnigen aus dem Verkehr ziehen. Kein Problem, solange der Preis stimmt. Sie fragt nicht danach, woran die Forscher in dem Asteroidenlabor arbeiten.

Der Frachter „Raumfresser“ bringt sie in den Asteroidengürtel. Die Besatzung ist maschinell aufgerüstet, mit künstlichen Augen, Ohren und so weiter. Kurz vor Erreichen des Zielortes steckt ein Techniker Reese in den Kampfanzug namens Wolf, der mit allerlei Waffen ausgerüstet ist, so etwa mit einer Maschinenpistole und Giftpfeilen. Nach erledigter Arbeit soll Reese einen kodierten Ruf an den „Raumfresser“ senden. Dann dockt das Schiff an einem Frachter an, der wiederum Verbindung mit dem Astroiden-Habitat hat.

Als sie die Luke zur Schleuse des Asteroidenhabitats öffnet, schnappt sie nach Luft. Die Schleuse ist voller Leichen, wahrscheinlich die Mannschaft des Frachters. Jenseits der Schleuse warten fünf Menschen und vier Aliens darauf, Reese zu erledigen. Na, das fängt ja gut an, denkt Reese und verschließt die Außenluke der Schleuse manuell. Garantiert hält die Innenluke einige Überraschungen bereit…

Mein Eindruck

Die actionreiche, spannende Novelle lässt sich sehr gut im Anschluss an den SF-Roman „Engelsstation“ des gleichen Autors lesen. Es handelt sich um Cyberpunk reinsten Wassers. Die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse werden ganz klar und kenntnisreich infrage gestellt – wer darin die USA wiedererkennt, liegt sich nicht verkehrt.

Aber die Kämpfer sind mit Maschinentechnik hochgerüstet. Der Kampfanzug Wolf kann sich auf Kommando in eine Cyberdrohne verwandelt, der seiner Insassin keine Chance lässt – es sei denn, sie nimmt den eigenen Tod in Kauf. Trickreich erhält die Noir-Handlung eine überraschende Wendung, als Reese den Spieß umdreht und Bergers Killer in eine Falle laufen lässt.

Die interessanteste technische Innovation ist die neuartige Speichertechnik, um die es als MacGuffin geht. Bekanntlich hat jede Epoche massive Speicherprobleme und benötigt mehr Kapazität und schnellere, aber sichere Übertragungsmethoden. Daran arbeitet u.a. auch Ken. In der menschlichen DNS-Doppelhelix lassen Informationen speichern, aber die Übertragungsgeschwindigkeit ist unter aller Kanone. Die 200.000 Gene sind einfach zu komplex. Nicht so die der Aliens: Da sie recht einfach strukturiert ist, würde sie Übertragungsgeschwindigkeiten erlauben, die um Zehnerpotenzen über Human-DNS liegen würden. Grund genug, dafür Menschen umzulegen…

6) Lucius Shepard: Aymara (dito, 1986)

Der Amerikaner William Page Corson macht sich 1978 auf den Weg nach Honduras, um für sein Buch über den amerikanischen Abenteurer Lee Christmas zu recherchieren. Dieser Abenteurer wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erst General, hatte dann aber eine Art Damaskus-Erlebnis und begann, für die amerikanische United Fruit Company Rebellen zu bekämpfen. Worin dieses Erlebnis bestand, will Corson von einem alten Mitstreiter dieses wunderlichen Abenteurers erfahren. Er findet Fred Welcome in Flowers Bay, in einer heruntergekommenen Baracke und völlig blind – aber nicht blöd. Er lässt sich seine Geschichte gut bezahlen.

Anno 1904 begleitete er, der damals 29 Jahre alt war, Lee Christmas wieder einmal nach Olancho Viejo. Die alte Stadt hatte im 17. Jahrhundert unter einer mysteriösen Explosion gelitten, welche in den angrenzenden Hügel eine Höhle gerissen hatte. Kaum war Fred mit Lee dort angekommen, als eine Reihe von Blitz sie fast erblinden und die Pferde scheuen ließ. Eine verletzte junge Frau in einem seltsamen Hosenanzug lag plötzlich vor ihnen im Regen.

Sie nannte sich Aymara und wollte unbedingt mit Lee Christmas sprechen: Sie wusste alles über ihn, sogar sein Todesdatum. „Ich komme aus der Zukunft“, behauptete sie. Ihr Motiv: Sie wollte Christmas unbedingt davon überzeugen, sich mit der United Fruit Company zusammenzutun. Dass er daran gedacht hatte, wusste keiner außer ihm. Er versprach es ihr. Kurz danach starb sie an ihren inneren Verletzungen. Er hielt sein Versprechen, und der Obstkonzern verschlang Zentralamerika, um es bis zum letzten Blutstropfen auszuquetschen.

Colson schreibt sein Buch, wird damit berühmt und bleibt 16 weitere Jahre Journalist – bis er 1992 in Honduras die Amerikanerin Ivie Solis kennenlernt, die sich „Aymara“ nennt. Sie hat sich von seinem Buch inspirieren lassen. Um was zu tun? Angeblich ist sie Reiseführerin oder so, aber er ertappt seine Geliebte heimlich dabei, wie sie sich mit Sotomayor trifft, dem Anführer der brutalsten Rebellenbande in Honduras. In ihrem Koffer findet er ein verstecktes Maschinengewehr. Was hat sie vor? Er folgt ihr heimlich.

Sie trifft sich mit Sotomayor und dessen Schergen. Er legt sich den Decknamen „Sergeant“ zu, sie natürlich Aymara. Bei der Sitzung im Hinterzimmer, die Colson belauscht, berichtet ein amerikanischer Wissenschaftler namens Dr. Dobler von einem physikalischen Experiment, das die Amis vorbereiten: eine Zeitreise. „Es wird verheerende Auswirkungen auf die gesamte Halbinsel haben“, unkt Dr. Dobler. Wie Colson erst später von Ivie erfährt, erschießt er sich kurz darauf.

An einem Ort gescheiterter Träume, an dem sie sie mehrmals geliebt haben, will Colson seine Geliebte zur Rede stellen. Doch als Sotomayor, eifersüchtig auf Colson und misstrauisch gegenüber Ivie, hinzustößt, laufen die Dinge völlig aus dem Ruder…

Mein Eindruck

Die Geschichte pendelt zwischen drei Polen. Da ist zum einen der Freiheitskampf der Honduraner gegen die korrupten Marionettenregierungen der United Fruit Company. Colson berichtet jahrelang darüber. Das zweite Generalthema ist die romantische Liebe Colsons zu der Freiheitskämpferin Ivie, die wiederum ihr Vorbild in Aymara hat, einer Zeitreisenden. Das wiederum bringt den dritten Aspekt zur Sprache: der Einfluss der Zeit. Wie groß kann er sein? Kann die Zeit die Wunden heilen, die sie selbst geschlagen hat, fragt sich Colson in seiner Trauer um die verlorene Ivie.

Vielleicht muss die Welt dafür eine ganz andere werden, wundert sich Colson, als er durch eine Welt reist, die sämtliche Elektrizität verloren, dafür aber an Magie gewonnen hat. Das Experiment der Amerikaner, vor dem Dr. Dobler vergeblich warnte, war, je nach Standpunkt, erfolgreich oder nicht, entweder verheerend oder heilsam. Liebe, Freiheit, Tod, Zeit – der Autor spinnt daraus ein unterhaltsames, spannendes und wehmütiges Garn, das den Leser in seinen Bann zieht.

Einen Fehler hat der Autor wohl selbst in den Text eingebaut: An mindestens drei Stellen behauptet er, die erste Aymara-Erscheinung haben im Jahr 1902 stattgefunden, doch in der eigentlichen Szene findet sie 1904 statt. Was soll der Leser nun glauben?

7) Reinhard Köhrer: Schnupfendämmerung (1987)

Ganz Deutschland niest, hustet und schnäuzt. Ganz Deutschland ? Nein, die Redaktionskollegin Birgit, ihres Zeichens Volontärin mit Öko-Vorlieben, macht den Zirkus nicht mit. Das wurmt ihren konservativen Vorgesetzten Purrmann, genannt „der Alp“, ebenso wie den Kollegen Rudolf Hollenbeck, dessen Frau Andrea daheim das Krankenbett hütet. Noch heute soll er einen Artikel über die Aussagen der Wissenschaftler, was die Ursachen der Schnupfenepidemie betrifft, abliefern. Er schafft es mit Müh und Not, als das Telefon klingelt: ein Notruf. Schwelbrand in Andreas Krankenbett!

Als er vor Ort eintrifft, informiert ihn sofort Hausarzt Dr. Eckart. Alles halb so wild. Was Rudolf aber erstaunt, ist die Beobachtung, dass sich Andreas Schnupfensymptome in Luft aufgelöst haben. Er wird abgelenkt von den ambulanten Medizinassistenten, die Andrea eine Sauerstoffdusche verpassen. Nur Sekunden später rötet sich ihr Gesicht wie eine Tomate, sie ringt um Luft und reißt sich das Schlauchmonster vom Gesicht. Da – endlich – hat Rudolf Hollenbeck die Erleuchtung!

Mein Eindruck

Der ironische Ton weist den Leser dezent darauf hin, dass es sich hier um eine Satire handelt. Dennoch ist dem gewieften SF-Kenner sicher die Tatsache nicht entgangen, dass auch der erlauchte Stanislaw Lem ein Werk dieser Pestilenz der modernen Zivilisation gewidmet hat: dem Schnupfen. Neben Allergien gegen alle möglichen Chemikalien zählen natürlich auch die üblichen Verdächtigen zu den Ursachen: Viren, Bakterien, Pollen usw.

Der Clou besteht also in der Entdeckung eines neuen Erregers, an den sich der menschliche Organismus im Laufe seiner modernen Evolution anpassen muss – oder es bereits getan hat: der Sauerstoff!

Die Übersetzung

Die Texte sind durchweg korrekt und gut lesbar übersetzt worden, doch wie so oft tauchen hie und da ulkige Druckfehler und Stilfragen auf.

S. 60: „…konn[t]e ich die Zügel ein wenig locker lassen.“ Das T fehlt.

S. 62: „Kaliningrad liegt 30 km nördlich von Moskau…“ Es handelt sich also auf keinen Fall um das alte Königsberg in Ostpreußen, das in Kaliningrad umbenannt worden ist.

S. 186: „ihr[e] ID-Karte…“ Das E fehlt

S. 186: CYA: Wird nicht erklärt.

S. 189: „Kombinationen im Fliegerstiel“. Gemeint ist wohl der „Fliegerstil“.

S. 202: „Gesang der Muezzin“. Im Fall des Singular müsste es „des Muezzins“ heißen, im Fall des Plurals jedoch „der Muezzine“.

S. 293: „zog sie ganz[e] nahe heran.“ Das E ist überflüssig.

S. 309: Dem heutigen Zeitgenossen dürfte kaum noch geläufig sein, was noch 1987 unter einer „Keulenriege“ verstanden wurde. 2003 schreibt der Berliner „TAGESSPIEGEL“: „Die SPD war einmal die klassische Partei der Flügelkämpfe. In der frühen Nachkriegszeit hielt der „Pfeifenklub“ der Rechten die linke „Keulenriege“ klein. Aus der Keulenriege wurde in den fünfziger Jahren der straff organisierte Donnerstagskreis, in dem die Streit- und Kompromisslinien mit den rechten Genossen festgelegt wurden.“

Merke: In der Redaktion Rudolf Hollenbecks werden gerade politische Grabenkämpfe ausgefochten.

Unterm Strich

Diese Auswahl aus IASFM hat es wirklich in sich. Mehrere US-amerikanische Schwergewichte sind darin vertreten. Dazu gehören Walter Jon Williams, Bruce Sterling & Rudy Rucker, Orson Scott Card, Lucius Shepard – und natürlich der Altmeister himself: Isaac Asimov.

Zu den Erzählungen dieser Schwergewichte habe ich bereits einiges gesagt. Man sollte sie sich keinesfalls entgehen lassen. „Die Erstürmung des Kosmos“ wird immer als großartige Posse auf die sowjetische Ruhmsucht in der Frühphase der Raumfahrt in Erinnerung bleiben. Wer will, kann sie analog auch auf die US-amerikanische Raumfahrt münzen, denn diese hatte sich in jener Epoche auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. (Ken Follett hat dazu einen ausgezeichneten Thriller geschrieben, und der Film „The Right Stuff“ setzte das Raumfahrtprogramm patriotisch in Szene.)

Von M.J. Engh ((https://en.wikipedia.org/wiki/M._J._Engh )) hat man hierzulande nur sehr wenig gelesen, und das trotz der Tatsache, dass die Dame 1976 mit „Arslan“ einen guten Invasionsroman vorgelegt und in ihrer vorliegenden Erzählung mit einer ganzen Palette witziger Einfälle aufzuwarten weiß. (Ihr Wikipedia-Eintrag liegt nur auf Englisch und Russisch vor, was nichts Gutes verheißt, was die deutsche Publikationsgeschichte anbelangt. Engh ist in dieser Auswahl die einzige weibliche Autorin, was ihrem Beitrag besonderes Gewicht verleiht.

Der deutsche Beitrag ist sprachlich und inhaltlich kompetent, aber nicht mehr als eine satirische Glosse: Die Menschen werden nun sogar gegen Sauerstoff allergisch. Klingt bissig, ist aber mittlerweile angesichts der Klimakatastrophe nur noch bitter.

Taschenbuch: 315 Seiten
Originaltitel: Asimov’s Science Fiction Magazine, 1985-1987.
Aus dem Englischen von Peter Pape, Andreas Brandhorst, Michael Nagula, Biggy Winter, Edda Petri.
ISBN-13: 9783453009622

www.heyne.de

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