Aldous Huxley – Schöne neue Welt

„Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit, Beständigkeit“, so der Wahlspruch in Huxleys schöner neuer Welt. Dahinter verbirgt sich eine Gesellschaft, die, in ein strenges Kastenwesen unterteilt, ihren Lebenssinn im staatlich gesteuerten Konsum findet. Horden von in Khaki gekleideten Delta-Klonen – Bokanowskygruppen – finden ihr Glück beim Zentrifugalbrummball, Alphas amüsieren sich in Fühlkinos oder mit Vibrovakuumapparaten, Betas spielen Hindernisgolf. Alle zusammen werden sie schon pränatal in Brutflaschen auf ihre zukünftige Rolle im Gesellschaftsleben vorbereitet. Das Bokanowskyverfahren kennt als Hauptstütze der Gesellschaft keine Mutter und keinen Vater. Epsilon-minus-Halbkretins erhalten bis zu ihrer „Entkorkung“ Chlor, Ätznatron, Blei und Teer zugesetzt, um ihrer Aufgabe als zukünftige Chemiearbeiter gerecht zu werden und diese Arbeit zudem physiologisch zu lieben. Nach der Entkorkung schließt sich die Normung an. In Schlafschulen werden die einzelnen Klone mit jeweils für ihre Kaste spezifischen Schlafschulweisheiten konditioniert. Die Furcht vor dem Tod wird abgenormt, es gibt keine alten Menschen, keine Bücher, keine Ängste, keine Liebe, keine Krankheiten, keine Armut, weder Religion noch Kunst, nur Spiel und Spaß. Soma, eine synthetische Droge, erstickt jeglichen trotz Normung aufkeimenden Kummer, revolutionäre und damit gesellschaftsschädliche Gefühle und tötet jeden Ansatz individuellen Denkens. Regiert wird diese Gesellschaft von zehn Weltaufsichtsräten. Ihnen obliegen die Zensur, die Reglementierung und Bestrafung bei Abweichungen von der Norm. Der Kollektivismus wird durch extrem modern anmutende Motivationstrainings gepflegt.

Sigmund Marx, ein sowohl physiognomisch als auch psychologisch von der Norm abweichender Feigling, bringt aus einer Reservation den „Wilden“ Michel in seine Welt mit. Natürlich geboren, ohne Normung aufgewachsen, ist Michel ein Exot. Die neue Welt ist ihm unverständlich und je mehr er davon sieht, desto mehr fühlt er sich abgestoßen. Eine unglückliche Liebe bringt sein labiles Wesen an den Rand des Wahnsinns. In einer Diskussion mit dem Weltaufsichtsrat Mustafa Mannesmann muss Michel erkennen, dass seine revolutionären Gedanken nicht nur bei der Herrscherriege, sondern auch in der Bevölkerung auf Unverständnis stoßen müssen, dass seine Kritik an diesem Gesellschaftssystem zwar berechtigt sein mag, aber nichts ändern wird, und dass es für ihn in dieser Gesellschaft keinen Platz geben wird. Da ihm auch der Rückweg in seine alte Welt verwehrt ist, bleibt ihm nur noch der Freitod.

Im Gegensatz zu Orwells „1984“, oft in einem Atemzug mit Huxleys Werk genannt, fühlen sich Huxleys Menschen nicht unterdrückt. Sie sind glücklich mit dem, was sie sind und was sie tun. Die Vorstellung, etwas könne sich daran ändern, bereitet ihnen Unbehagen und deshalb ist Huxleys Welt wesentlich glaubhafter. Orwell bedient sich in der Geschichte, Huxley (1894 – 1963) ist innovativ. Ein totalitäres Regime, wie von Orwell beschrieben, hat, und das lehrt die Geschichte, langfristig keinen Bestand. Huxleys Welt ist dauerhaft, ein stabiles System mit Klonierung und „neo-pawlowscher“ Normung als Basis für Beständigkeit, Einheitlichkeit und Gemeinschaftlichkeit, mit Konsum als Selbstzweck und Soma als staatlich verordnetes, magisches, nachwirkungs- und nebenwirkungsfreies Antidepressivum.
„Schöne neue Welt“, in den Dreißigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts als Utopie begonnen, entwickelt sich mittlerweile zu einer beißenden Gesellschaftssatire, da die Ähnlichkeiten unserer Gegenwart zu Huxleys Welt immer frappanter werden. Huxleys Roman zählt sicher zu den besten SF-Werken, die bisher geschrieben worden sind.

Mehr über A. Huxley bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Aldous__Huxley

_Jim Melzig_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

|Unsere hauseigene Rezension von Michael Matzer findet ihr in aller Ausführlichkeit [an dieser Stelle. 2462 |