G. M. Ford – Erbarmungslos

Kurz vor seiner Hinrichtung mehren sich die Zeichen, dass ein angeblicher Serienmörder unschuldig ist. Einem Journalisten und einer unkonventionellen Fotografin bleiben sechs Tage, die Wahrheit zu ermitteln, während das düpierte Gesetz mauert und die Medienkollegen nach der „Story“ schnappen … – Konventioneller Thriller mit wirklich allen Elementen des modernen Mainstream-Krimis. Mangelnde Originalität wird durch gelungenes Erzählhandwerk, Spannung und trockenen Witz wettgemacht: kein Muss aber ein unterhaltsames Kann.

Das geschieht:

Walter Leroy Himes ist „white trash“ der übelsten Sorte – ein primitiver Hinterwäldler ohne Bildung, kriminell, sexistisch, bösartig, dazu hässlich wie die Sünde: der ideale Sündenbock für die Kriminalpolizei der Stadt Seattle, als vor drei Jahren der gefürchtete „Müllmann“ umging, ein Serienmörder, der seine weiblichen Opfer in den Abfallcontainern der Metropole förmlich aufbahrte. Himes wurde gefasst und gab unter dem Druck der Ermittler die Morde zu. Jetzt sitzt er in der Todeszelle, in sechs Tagen wird man ihn hinrichten.

Der einstige Starreporter Frank Corso, der in New York City aus Job und Stadt gejagt wurde und nun für den „Seattle Sun“ arbeitet, wird auf den Fall Himes ansetzt. Was zunächst wie eine typische „Unhold-unterm-Galgen“-Story aussieht, entpuppt sich als Skandalgeschichte: Himes ist unschuldig, der „Müllmann“ nicht nur frei, sondern nach seit einigen Wochen wieder aktiv. Die Behörden breiteten den Mantel des Schweigens über diese Tatsache. Das Eingeständnis vor drei Jahren den Falschen erwischt zu haben, bedeutet für Politiker, Justizbeamte und Polizisten eine erhebliche Schlappe. Köpfe müssten rollen, um die Öffentlichkeit und die Medien zu besänftigen. Himes soll als Bauernopfer herhalten und sein Ende Zeit schinden, in der man womöglich den echten „Müllmann“ erwischt.

Solches Unrecht mag Corso nicht dulden. Gemeinsam mit der Fotografin Meg Dougherty rollt er den Fall Himes zum Entsetzen der Behörden und zum Entzücken der Pressekollegen in der „Seattle Sun“ wieder auf. Sie alle bedrängen Corso, der wiederum im Wettlauf mit dem Henker Himes‘ Unschuld beweisen will. Das funktioniert am besten, wenn er den „Müllmann“ ertappen kann. Der gedenkt nicht, von seinem Hobby abzulassen. Er mordet weiter und hat sich nach guter amerikanischer Sitte schwer bewaffnet, um sich lästige Spielverderber vom Hals zu schaffen …

Unschuld in der Todeszelle

Die kurze Inhaltsbeschreibung bringt es bereits an den Tag: Hier findet alles andere als die Neudefinition des Genres Thriller statt. Stattdessen werden gnadenlos – der Scherz sei gestattet – bewährte Komponenten an den Start gebracht. Dass unterm Strich spannende Unterhaltung dabei herauskommt, kündet vom Geschick des Verfassers, den alten Wein in neue Schläuche umzufüllen. Journalist kämpft um das Leben eines zu Unrecht zum Tode Verurteilten; die Frist läuft rasend schnell ab, der Mann steht allein.

Hier betritt man ein politisches und moralisches Minenfeld, wie Ford deutlich zu machen weiß. Die Todesstrafe ist ein zweifelhaftes Relikt der Geschichte. Sie schreckt nicht ab und befriedigt primär das menschliche Rachebedürfnis. In den meisten Ländern der Erde, die mit einem demokratischen System gesegnet sind, wurde dies längst erkannt und die Todesstrafe abgeschafft. Ausgerechnet von der angeblich letzten Großmacht wird dies negiert.

Dabei stehen die Repräsentanten von „law & order“ durchaus in der Kritik, zumal Irrtümer vorkommen und naturgemäß nicht wieder gutgemacht werden können. Deshalb sind die Justizbehörden in den US-Staaten, die ihre Gesetzesbrecher töten, notorisch nervös. Nichts hassen sie mehr als die gar nicht kleine Schar der Kritiker, die sich gegen die Todesstrafe ausspricht. Mit Argusaugen werden sie gleichzeitig von der Kopf-ab-Fraktion beobachtet, die jedes kassierte Todesurteil als Schwäche auslegt, die es bei den nächsten Wahlen zu bestrafen gilt.

Zieleinlauf mit Knalleffekt

Vor diesem Hintergrund funktioniert der alte Wettlauf zwischen dem Idealisten, den Opportunisten und dem Henker immer noch prächtig. Nicht die scheußlichen Taten des „Müllmanns“ stehen bei Ford im Vordergrund – glücklicherweise, denn als Krimifreund hat man die Nase voll von den allgegenwärtigen literarischen Serienkillern, die immer mordlustiger und bizarrer wüten müssen, um noch Aufmerksamkeit zu finden. Stattdessen beschreibt Ford routiniert und glaubhaft die Reibereien zwischen denen, die von der Himes-Hinrichtung profitieren bzw. durch deren Ausbleiben Karriereschäden fürchten müssen.

Leider frönt Ford der modernen Unsitte, dem eigentlichen Finale einen zweiten, den eigentlichen Höhepunkt aufzupfropfen (der „Deaver-Effekt“). Siehe da, der „Müllmann“ ist nicht der einzige Bösewicht, sein blutiges Treiben deckt einen zweiten Mörder. Dies hier zu verraten ist kein Bärendienst an den Lesern. Die dürften sowieso irritiert sein, denn der Spannungsbogen ist zu diesem Lektürezeitpunkt zu Ende gebracht und lebt nicht wieder auf. Manchmal ist weniger doch mehr; im alten Sprichwort steckt Weisheit.

Die Guten: angeschlagen

Die Figurenzeichnungen sind gelungen, obwohl Ford erneut auf Bewährtes bzw. auf Klischees setzt. Der rasende Reporter mit dem reinen Herzen unter einer zynisch rauen Schale ist wirklich kein Novum. Unklar bleibt zudem, was den umtriebigen Frank Corso von seinen hechelnden Berufskollegen unterscheidet. Ist es sein missionarischer Drang, „die Wahrheit“ zu finden? Mit seinen Methoden bleibt Corso jedenfalls ebenso tief in der Grauzone wie die Menagerie entfesselter Nachrichtenjäger, aus der besonders fies (und lächerlich überzogen) Corsos Ex-Lebensgefährtin, die charakterlose Cynthia, herausragt.

Selbst der einsame Wolf benötigt seinen „Buddy“: So unbarmherzig sind die Gesetze des Mainstream-Thrillers. Corsos Begleitung ist weiblich, was also später von Hollywood nicht mehr ergänzt oder geändert werden muss. Meg Doughertys Aufgabe ist es, den alten Brummbären aus seiner Höhle zu locken und menschlicher wirken zu lassen. Außerdem kommen sie und Corso sich selbstverständlich bald näher. Als persönliches Charakteristikum fiel Verfasser Ford das Vermächtnis eines eifersüchtigen Ex-Geliebten ein, der die arme Meg betäubte, entführte und von Kopf bis Fuß tätowierte.

Die Bösen: zwiespältig

Dass wir mit „Erbarmungslos“ einen Thriller des 21. Jahrhunderts lesen, verdeutlicht die Figur Walter Leroy Himes. Der ist zwar ein echter Widerling, den man geradezu gern hasst und in der Todeszelle sieht, aber gleichzeitig ein Pechvogel, der unschuldig in die Mühlen des Gesetzes geriet. Deshalb hat er es nicht verdient zu sterben, denn er ist zumindest des Verbrechens unschuldig, dessen man ihn angeklagt hat, so Fords politisch korrekte Meinung. Auf dieser Ebene fiebert der Leser deshalb um das Leben des Eingekerkerten, selbst wenn er oder sie wissen, dass sie einem uraltem Trick zum Opfer fallen.

Der „Müllmann“ ist dieses Mal nicht der un- und übermenschliche Serienkiller aus dem Evangelium nach Hannibal Lecter. Aufgrund unendlich vieler Nachfolger in Geist und Handeln können Psychopathen uns nicht wirklich mehr schocken. Da ist es wie gesagt eine gute Idee, den „Müllmann“ nur als Randfigur auftreten zu lassen.

Schlecht weg kommen notgedrungen die Vertreter von Recht und Gesetz. Sie stellt Ford als Rädchen einer Maschinerie dar, die sich selbst antreibt und keine Energie für ihre eigentliche Funktion entwickelt. Walter Leroy Himes ist unschuldig als Mörder aber schuldig als lästiger Zeuge für das Versagen von Amtspersonen, die dafür bezahlt werden, es besser zu machen. Doch Bürgermeister, Polizeichef, FBI-Bezirksleiter, PR-Referentin oder Stellvertreter – sie alle verschanzen sich hinter Paragrafen. Für sie ertönt zudem die Melodie zur Reise nach Jerusalem. Wenn es nicht Himes ist, der für sie blutet, dann muss es eben das schwächste Mitglied der eigenen Herde sein. In diesen Passagen ist Ford von geradezu erschreckender Glaubhaftigkeit. Das adelt sein Buch nicht zum Ausnahmekrimi, bestätigt jedoch dessen Rang als handwerklich versiert und geschickt gezimmertes Werk spannender Unterhaltung.

Autor

Gerald M. Ford wurde am 9. Juli 1945 in Everett im US-Staat Massachusetts geboren. Er studierte Politik und Englisch an verschiedenen Universitäten und lehrte mehr als zwanzig Jahre an Colleges in Oregon and Washington. Als Schriftsteller ist Ford seit 1995 tätig; in diesem Jahr erschien sein Erstling „Who in Hell Is Wanda Fuca?“, gleichzeitig der Auftakt zu einer Serie um den Privatdetektiv Leo Waterman, die der Autor in den nächsten Jahren fortsetzte. Nach dem sechsten Fall trat Waterman ab und wurde ersetzt vom Journalisten Frank Corso. 2012 kehrte Waterman zurück, während Corso seit 2006 eine Pause einlegt.

Für seine Thriller wurde Ford für den „Anthony Award“, den „Shaumus Award“ und den „Lefty Dilys Award“ nominiert. Als seine Vorbilder nennt der Schriftsteller John D. McDonald, Ross McDonald, Robert B. Parker und Rex Stout. In seine Werke baute er kleine Reminiszenzen an diese großen Meister des Genres ein. Als freier Autor lebt und arbeitet G. M. Ford heute in Seattle im US-Staat Washington.

Taschenbuch: 381 Seiten
Originaltitel: Fury (New York : William Morrow/HarperCollins Publisher Inc. 2001)
Übersetzung: Marie-Luise Bezzenberger
http://www.randomhouse.de/goldmann

eBook: 4165 KB
ISBN-13: 978-3-7325-2707-6
https://www.luebbe.de/bastei-entertainment

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