Matthias Falke – Bran

Auf diesen Roman bin ich durch das eindrucksvolle Titelbild aufmerksam geworden. Überrascht hat mich das umfassende Schweigen im Aether, der sich doch sonst gern deutscher Schriftsteller annimmt. Eine einsame Stellungnahme des Autors selbst zum Ursprung der Geschichte bezeichnet eine Kurzgeschichte von 2010 als Keimzelle für das Romanprojekt, eine Kurzgeschichte, die seitens der Leserschaft kontrovers diskutiert wurde. Kontroversen machen interessant, aber auch misstrauisch: Entweder es gefällt einem, oder nicht.

Bran beginnt wie eine Kriminalgeschichte mit dem Verschwinden einer wohlbekannten Person des öffentlichen Lebens. Das tragende Element dabei ist, dass sich bis auf wenige Ausnahmen auch niemand an den verschwundenen Senator Richards erinnert, weder seine Kollegen aus dem Senat, noch das Informationssystem der hochentwickelten Welt Rangkor. Einzig der Freund und Kollege des Verschwundenen, Senator Brighton, und sein Agent Straner sind der Sache auf den Fersen. Straner wird zu einer befehdeten Wüstenwelt entsandt, wohin Richards als Teil einer Delegation reiste und wo sich seine Spur verläuft.

Diese Welt, Zhid, wird diktatorisch von einem Khan und seiner Familie regiert, und es ist die Tochter des Khans, mit der Straner eine Beinahekollision im Anflug auf Zhid erlebt. Anfangs sammelt Straner Eindrücke der fremden Welt, versickert im Dschungel der glühenden Metropole Zhid-City, spürt die Atmosphäre und sucht nach Anhaltspunkten für Richards Verschwinden. Dabei drängt sich immer stärker seine Begegnung mit der Tochter des Khan ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit, und dies sowie sein auffälliges Schnüffeln ruft die Ordnungshüter des Khan auf den Plan. Als diplomatischer Gast im Palast anerkannt, kommen seine Nachforschungen nun in Bewegung und wandern in überraschende Richtungen. Die Beinahekollision lockt ihn in den näheren Raum um Zhid zurück, wo er auf ein Bran stößt: eine Zeitlinse, eine Membran in das um dreißig Jahre zurückliegende Universum, in das Zhid der Zeit, zu der Richards tatsächlich eine Delegation anführte und zu der eine Palastrevolte die Herrschaftsverhältnisse änderte.


Rücksprachen mit Brighton lassen dessen Motivation für Straner zweifelhaft erscheinen, und sein neuer Auftrag fordert den Mord am Rädelsführer des Umsturzes, in dem Brighton die Triebkraft für das Verschwinden Richards personifiziert. Für Straner gerät die Welt ins Wanken, und nach seiner Rückkehr in die eigene Zeit steht er zwischen den Interessen der mächtigen Gruppen und verfolgt nun auch ganz persönliche Ziele …

Mit »Bran« legt Matthias Falke seinen ersten eigenständigen Roman vor, nachdem er mit seiner Enthymesis-Saga bereits eine großangelegte Geschichte veröffentlicht hat. Bran soll 2014 mit einem Roman des Titels »Zhid« fortgesetzt werden, insgesamt spricht der Autor von einer Trilogie. Trotzdem ist der vorliegende Roman eine abgeschlossene Geschichte, die gut für sich allein gelesen werden kann. Positiv ist hier auch anzumerken, dass das Titelbild einen deutlichen Bezug zum Geschehen hat.

Die Metropole Zhid
ist der hauptsächliche Schauplatz für eine Handlung, deren Entwicklung anfangs etwas ziellos anmutet, da der Agent Straner ohne klar formulierten Auftrag, aber mit immensen Geldmitteln ausgestattet, auf die Reise geschickt wird. Mithilfe seiner Streifzüge durch die Niederungen der Stadt werden das Leben und die Zustände sehr anschaulich charakterisiert, so dass im weiteren Verlauf wenige Striche die Situation klar darstellen können.

Mit der Entdeckung des Bran als Linse in der Zeit nimmt die Handlung Fahrt auf, Straner bekommt einen klaren Auftrag, obwohl dieser über das ursprüngliche Ziel und das Rätsel von Richards spurlosen Verschwinden, sogar aus der Erinnerung der Menschen, wenig Aufschluss gibt und sowohl Straner als auch den Leser gerechtfertigter Weise misstrauisch Brighton gegenüber macht, aber auch den Geisteszustand des Protagonisten in Frage stellt. Immerhin ist das Vorhandensein des Bran ein eindeutiges Indiz, wohin die Reise geht oder, mit anderen Worten, welche Problematik sich hinter allem verbirgt.

Zeitreisen und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart sind einerseits ein typisches Genrethema, andererseits werden sie meist offen dem Roman aufetikettiert, was bei »Bran« nicht der Fall ist und man als Leser bis zu dieser Erkenntnis im Trüben fischt. Bis hierhin scheint es ein Spacekrimi zu sein, doch jetzt wird deutlich, dass es um Intrigen und Macht, um Manipulation geht, und Falke steuert die Geschichte in aufregendes Fahrwasser, als er neben dem fixen Bran auch ein persönliches einführt, das in Ort und Zeit steuerbar ist und dem Protagonisten erlaubt, im näheren Umfeld der Zielzeit variabel auftreten zu können. Das hebt die Gefahr von Logiklöchern und Zeitparadoxe erheblich an, und da der Roman aus Sicht von Straner erzählt, bleibt der Leser über die Zusammenhänge lange im Unklaren, wodurch Falke einen gelungenen Spannungsbogen generiert.

Die Persönlichkeit des Interesses Straners an diesen Verwirrungen verkompliziert die Handlung ein weiteres Mal, und doch versteht es Falke erstaunlicherweise perfekt, alle Klippen auf dieser Route zu umschiffen und eine offenbarende Auflösung zu bieten. Das macht den Roman wirklich empfehlenswert, und auch die Charakterisierung Straners ist gelungen, während die anderen Figuren wenig Tiefe erlangen, was bei der Fokussierung auf Straner aber ohne Belang ist.

Ein ziemlich langer Abschnitt im letzten Drittel beschäftigt sich mit dem orgiastischen Ziel Straners Bemühungen, seiner intimen Zusammentreffen mit der Herrscherstochter, wobei leider weder die Notwendigkeit dieser Ausführlichkeit, noch das Zustandekommen dieser Beziehung, noch ihr plötzliches Ende deutlich genug gemacht werden, so dass dies, gerade der letzte Punkt, für Grübeleien sorgt. Hierfür hätte man etwas mehr Augenmerk verwenden sollen und dafür ein paar Details der weitschweifigen sexuellen Befriedigungen etwas kürzer abhandeln können.

»Bran« bekommt eine klare Leseempfehlung und macht unbedingt Lust auf mehr.

Broschiert: 252 Seiten
Originalausgabe
ISBN: 9783864020629

www.atlantisverlag.de

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