Prospektoren sind unterwegs zu einem Ort, den wohl noch kein Mensch zuvor erreicht hat. Ein fantastischer Tipp bringt die zehnköpfige Crew um Kommandant Butch in diesen abgelegenen Spiralarm der Galaxis. Hier wartet das Eldorado der Raumfahrt, die Höhle Ali Babas auf den Finder: Exonium! Das wertvollste Material der Welt, unabdingbar für die Nutzung des Menger-Raums und mit ihm der überlichtschnellen Technik. Doch von Beginn an steht das Unternehmen unter einem schlechten Stern: Der Navigator Guardes scheint zu versagen, der Kybernetiker offenbart merkwürdige Eigenheiten, der Menger-Raum gibt das Schiff nicht mehr frei und der Chefingenieur Derek geht während einer Außenbordreparaturmaßnahme verschollen. Die Aussicht auf unbegrenzten Reichtum ruft jedoch ungeahnte Kräfte in der Besatzung hervor, so dass sie sich gewillt sieht, alle Probleme zu meistern – auch auf Kosten der Kameraden …
Matthias Falke, geboren 1970 in Karlsruhe, ist Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer. Er studierte Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Philosophie. Seine Erzählung Harey wurde 2009 für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert; beim Deutschen Science-Fiction-Preis belegte sie den 3. Platz. Falkes Erzählung »Boa Esperanca« wurde 2010 für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert und gewann den Deutschen Science Fiction Preis. Sein Roman »Bran« wurde für den Kurd-Laßwitz-Preis 2014 nominiert.
Wir befinden uns im Universum der Hondh, zu dem Dirk van den Boom im Herbst 2013 den Startschuss abfeuerte. Denn obwohl Falke sich lange nicht zu dem Zeitpunkt seiner Romanhandlung auf der Zeitlinie dieses Gemeinschaftsprojekts äußert, ist anzunehmen, dass sich die Erde bereits unter dem Joch der außerirdischen, geheimnisvollen Hondh befindet, als das Raumschiff Scardanelli zu seinem riskanten Flug aufbricht. Die Besatzung setzt sich aus einer bunten Mischung unterschiedlicher Charaktere zusammen, von denen jeder ein Päckchen Vergangenheit mit sich zu tragen hat. Bei einigen der Personen erfahren wir ein paar Details ihres Lebens und ihrer Situation, andere stellen sich nur durch ihr aktuelles Handeln dar. Daraus ergibt sich ein ausreichend ausgearbeitetes Gesamtbild als Grundlage der radikalen Veränderungen, die sich während dieser Reise an Bord vollziehen.
Von Anfang an macht Falke klar, dass es hier ein Problem mit der Hierarchie gibt. Während der Kommandant sich cholerisch und aggressiv gibt und seine sogenannten »Offiziere« einschüchtert, hat die technische Abteilung wenig Respekt vor ihm. Allen voran ist es der Ingenieur Derek, ein grobschlächtiger, als dümmlich-brutal dargestellter Mann, der immer wieder die Konfrontation sucht. Allerdings wird hier noch nicht offenbar, von wem diese Animositäten eigentlich ausgehen. Falke konstruiert in der ersten Hälfte des Romans eine Situation, aus der sich für die zweite Hälfte die Eckpunkte und Grundlagen ergeben, die so für den Leser gar nicht offenbar wurden. Damit rückt Falke zu einem gewissen Teil das im ersten Teil entstehenden Bildes zurecht und zeigt seine konstruktiven und verknüpfenden Erzählfähigkeiten, aus denen sich die Spannung speist.
Leider kennen wir diese Zusammenhänge im Verlauf des ersten Abschnitts noch nicht – eine Tatsache, die eigentlich nicht zu bemängeln wäre, da sich aus ihr noch einiges an Überraschungsmoment erzeugen lässt. Doch verstrickt sich Falke über die Konstruktion seiner Intrige in vielerlei unplausible Kleinigkeiten, die die Lesefreuden über weite Strecken dämpfen. Die militärische Organisation auf diesem Prospektor kommt etwas lächerlich daher: Ein Kommandant, sein Erster Offizier, eine Unterlichtpilotin, ein Navigator und der junge Leutnant als Zweiter Offizier stellen die Brückenbesatzung. Der Kybernetiker wird sofort ausgeknippst, so dass auf der Mannschaftsseite nur der Chefingenieur (dümmlich) und zwei Techniker (einer dick, die andere drahtig und fleißig) bleiben, die sich von den Offizieren abgrenzen. Der Nachrichtenoffizier ist trotz seiner Bezeichnung nicht richtig einzuordnen in dieses System, da er sowohl auf der Brücke erscheint, als auch mit den Technikern arbeitet und eine zentrale Rolle in der recht blutigen Auseinandersetzung spielt.
Die nächste Kleinigkeit ist die Sprache. Falke schreibt aus der Sicht weniger Protagonisten und nutzt demnach ihren Erfahrungsschatz als vokabulare Grundlage. Da wir uns in einer weit entfernten Zukunft befinden, in der noch dazu die Erde unter der unheimlichen Kontrolle einer fremden Macht steht, wirken vergleichende Bezüge zu heutigem Wissen etwas merkwürdig, etwa Ali Babas Höhle, Matterhorn, Mount Everest und ähnliches. Immerhin erfahren wir auf den letzten Seiten, dass zumindest zwei der Protagonisten von der Erde stammen und damit zumindest von der Geografie eine Ahnung haben könnten. Was aber die nächste Frage aufwirft, die im Kontrast zur von Dirk van den Boom entworfenen Geschichte steht, nämlich nach der Motivation von Erdenmenschen, den Einflussbereich der Erde zu verlassen. Zusätzlich hat hier die bei Niklas Peinecke erstmals erwähnte »Den-Haag«-Stiftung ihre Finger im Spiel, was unbedingt voraus setzt, dass die Hondh hier nicht involviert sind.
So gelingt Falke zwar eine durchaus spannend und interessant zu lesende Intrige auf einem einsam operierenden Raumschiff mit Kontakt zu einem geheimnisvollen Artefakt, das hier für den Sense of wonder sorgt, jedoch verlässt er sich zu sehr auf seine technischen Fertigkeiten als vielschreibender Autor und produziert so einige unangenehm auffallende Unstimmigkeiten erstens mit den vorangehenden Romanen und zweitens mit der Plausibilität des Hondh-Universums an sich. Eine gewisse Konzentration auf die Feinheiten, gerade was den Nutzen veranschaulichender Plattitüden angeht, hätte der Geschichte den nötigen Schliff geben können.
Interessant ist aber die Ähnlichkeit der Geschichten von Falke und Peinecke. Wo Peinecke noch mit dem Figurenaufbau zu tun hatte und kreative Lösungen anstrebte, handelt Falke routiniert die Voraussetzungen für die Geschichte ab. Beide Autoren finden Artefakte, die entweder den Hondh zuzuschreiben sind oder jedenfalls für sie von Interesse sein dürften. Jeweils spielt die Den-Haag-Stiftung bei den Forschungen eine nicht unbedeutende Rolle, und jeweils kommt es während der wissensdurstigen Außeneinsätze des Hauptteils der loyalen Protagonisten zu Meutereien an Bord der Mutterschiffe – wobei sich hier die Herangehensweise grundlegend unterscheidet und auch das vergossene Blut Falkes Roman deutlich düsterer gestaltet. Bleibt abzuwarten, ob dieser aufgeweckte »Kristall in fernem Himmel« für die weitere Handlung von Bedeutung sein wird, nachdem er offenbar seine passive Phase gerade beendet.
So bleibt eine wechselhafte Episode im Gedächtnis, aus dessen unbefriedigendem ersten Abschnitt sich glücklicherweise eine recht starke zweite Hälfte entwickelt. Das Hauptproblem des Romans – das fremde Artefakt – wird nicht gelöst; wir werden sehen, ob die Stiftung anhand der spärlichen Mitbringsel wichtige Erkenntnisse über die Hondh gewinnen kann. Und für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass Matthias Falke sich auch auf den Wert der Kleinigkeiten besinnen kann. Dann kann man sich freuen auf weitere Abenteuer aus seiner Tastatur.
Taschenbuch: 304 Seiten
ISBN-13: 9783955560126
ORIGINALAUSGABE
Wurdackverlag.de
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