Ace Atkins – Robert B. Parker’s Kickback (Spenser 44)

Jugendbetreuung mal anders: Spenser und Hawk räumen auf

Eine Mutter aus Blackburn bittet Spenser, nach ihrem Sohn Dillon zu suchen. Der Junge wurde von Richter Scali, der eine Null-Toleranz-Politik vertritt, in ein Jugendgefängnis auf einer Insel gesteckt. 18 Monate Arbeitslager für einen Twitter-Scherz? Das kommt auch Spenser überzogen vor. In Blackburn scheint indes eine Art Mafia aus Justiz und Polizei am Werk zu sein, und kein Bürger will reden. Aber wo sind all die Jugendlichen hin?

Hinweis

„Kickback“ ist ein Begriff aus dem Korruptionsumfeld: Provision, Schmiergeld, Schutzgeld, Prozente – man kann es aber auch einfach „schmutziges Geld“ nennen.

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 rund 70 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine neun Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird regelmäßig vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur, der 1971 über die Schwarze Serie promovierte, lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

1) Ace Atkins ist der Autor von elf Romanen, darunter „White Shadow“, „Wicked City“, „Devil’s Garden“ und „Infamous“, die auf wahren Fällen basieren. Er ist auch der Schöpfer der Quinn-Colson-Serie. Michael Connelly hat Atkins „einen der besten Krimischriftsteller“ genannt, „die heute arbeiten“. Atkins lebt auf einer Farm außerhalb von Oxford, Mississippi. Mehr Info: www.aceatkins.com.

Die Spenser-Reihe (deutsch bei Pendragon)

1) Trügerisches Bild
2) Die blonde Witwe
3) Der stille Schüler
4) Bitteres Ende
5) Hundert Dollar Baby
6) Der gute Terrorist
7) Alte Wunden
Und viele mehr.

Handlung

Sheila Yates beauftragt Spenser mit der Suche nach ihrem Sohn Dillon, der nach einer harmlosen Verleumdung seines Schuldirektors auf Twitter von Richter Scali in Blackburn zu nicht weniger als neun Monaten Haft verurteilt worden sei. Das kommt dem Bostoner Privatdetektiv reichlich überzogen vor. Und diese neun Monate auf einer einsamen Insel sollen aus einem Jugendlichen einen ehrlichen Bürger machen? Unwahrscheinlich. Spenser lässt sich von Sheila nicht bezahlen und macht sich auf den Weg nach Blackburn.

Kältezone

Es ist noch Winter und auf den Flüssen liegt noch Eis, als Spenser seine erste kühle Begegnung mit Blackburns feiner Polizeitruppe hat. Officer Lorenzo, der Schulpolizist, hat Dillon verhaftet, die Anschuldigung lautete auf Terrorismus (!). Richter Joe Scali ließ offenbar Gnade vor Recht ergehen und verknackte der 17-jährigen Schüler „nur“ zu neun Monaten Jugendknast auf einer Insel. Richter Scali ist ebenso wenig zu sprechen wie die Akten einzusehen. Dafür hat Spenser sofort die Polizei an den Hacken.

Dillons Freundin Beth Golnick, eine Schülerin, wendet sich an ihn und gibt ihm den Tipp mit der Zeitung. In der Tat hat der „Star“ mal eine Story über Richter Scali und dessen Null-Toleranz-Politik gebracht, befeuert von einem verfeindeten Richter namens Price, der inzwischen, wie merkwürdig, das Zeitliche gesegnet hat. Iris Milford war vor vielen Jahren mal eine Bekanntschaft Spensers (genauer gesagt in seinem allerersten Fall „The Godwulf Manuscript“ 1973), als sie noch bei einer Studentenzeitschrift arbeitete. Sie kann ihm einige Tipps geben.

Durchbruch

Als er mit der Witwe des Richters Jim Price spricht, erzielt Spenser einen Durchbruch. Sie nennt Joe Scali einen „seelenlosen Bastard“, der aber von einem hohen Tier in der Staatsverwaltung namens Gavin Callahan protegiert werde. Zusammen hätten die beiden einen großen Deal eingefädelt und ein lukratives System von Privatgefängnissen für Jugendliche errichtet, das vom Steuerzahler finanziert werde. Sie hätten ihren Mann auf dem Gewissen, denn Jims Tod muss Mord gewesen sein: Er war kerngesund.

Sie gibt ihm einen Tipp: Richter Price hatte einen einzigen Freund in der Staatsverwaltung des Jugendamtes. Doch Blakeney, ein klapperdürrer Angsthase, fürchtet die Folgen eines Gesprächs mit dem Privatdetektiv, übergibt ihm nur eine dicke Akte und verdünnisiert sich sofort wieder. Zuvor warnt er Spenser eindringlich vor den hohen Tieren, die Ganoven wie Callahan und Scali deckten. Spenser beruhigt ihn: „Mich mit großen Bastarden anzulegen ist mein Business.“

Begleitschutz

Nachdem die netten Cops von Blackburn Spenser wegen Belästigung einer Minderjährigen eingebuchtet haben, wird der Umgangston rauer, sobald ihn Staranwältin Rita Fiore wieder rausgehauen hat. Er benötigt jetzt Begleitschutz in Gestalt von Hawk, dem Killer mit dem Designer-Outfit. Zusammen lässt es sich auch leichter ausspähen, was Scali und Callahan mit einem Typen namens Bob Talos aushecken.

Kaum ist Spenser zurück in seinem Büro, schlappen drei schräge Visagen herein, die nicht aus gutem Elternhaus zu stammen scheinen. Sie überbringen eine letzte Warnung, doch Spenser schickt sie mit seiner 357er Magnum nach Hause zum Murmelspielen. Von Vinnie, der einstigen rechten Hand des Unterweltbosses Gino Fish, erfährt Spenser, wer die Typen waren: Sie gehören zu Jackie DeMarco. Der Sprecher war Arty LeBlanc, der früher mal für Spenser Intimfeind Joe Broz arbeitete. Die DeMarco-Brüder betreiben einen Abschleppdienst der besonderen Art: Sie verticken auch Drogen wie Meth oder Ecstasy und haben sich nun mit „Investoren“ wie Talos und den Richtern eingelassen.

Die Sonne des Südens

Als ihm eine Unterlassungsdrohung aus Tampa, Florida, von einem Anwalt mit dem seltsamen Namen Ziggy Swatek ins Haus flattert, ahnt Spenser, dass in Florida noch viel mehr abgeht. Und rein zufällig haben die goldigen Gattinnen der zwei Richter dort ein Reisebüro aufgemacht. Welch eine Übereinstimmung. Höchste Zeit, sich in Hawks Begleitung ein paar Tage Sonnenschein zu gönnen…

Mein Eindruck

Diesmal nimmt der Autor, der Parkers Spenser-Serie erfolgreich fortschreibt, die Kaste der Richter aufs Korn, die bislang als unantastbar gilt. Doch das Jugendhilfesystem der USA hat sich offenbar geändert, um mehr „Privatwirtschaft“ zuzulassen. Das Ergebnis ist in Blackburn und auf Fortune Island zu besichtigen. Pro verurteilten Jugendlichen zahlt das Jugendamt 80.000 Dollar in bar – pro Jahr. Das ist ein mehr als ausreichendes Motiv, um immer mehr Jugendliche unter fadenscheinigen -der gar erfundenen Vorwürfen zu verurteilen.

Kinderbetreuung mal anders

Wenn ja wenigstens die Einrichtung, in die sie gebracht werden, den vorgeblichen Standards entspräche. Aber Dillon Yates verrät der Reporterin Iris nach seiner Freilassung die hässliche Wahrheit: Die Unterkünfte sind unbeheizte Gefängnisbaracken, die „Unterhaltung“ besteht in einem Fernseher, der „Unterricht“ findet in Form von 30 Minuten Kringel-Kritzeln statt, und die „psychologische Beratung“ hat eigentlich der Psychotherapeut nötig.

Als wäre das nicht genug, haben Scali und Callahan über ihre Firma Massachusetts Child Care (MCC) Leute aus dem Knast geholt und sie zu Wächtern gemacht. Perverse Schweine machen sich an die Jungs heran, und was sie mit den Mädchen anstellen, wird lieber nicht erwähnt. Sie hantieren mit Schlagstöcken und Elektro-Taser. Doch als ein sturer Ringer eingeliefert wird, wird das System auf die Probe gestellt – und seine Überleben steht in Frage…

Sunshine State

Die lustigsten Kapitel sind die rund 70-80 Seiten, die in Tampa und St. Petersburg spielen. Nach einer allzu herzlichen Wiedersehensfeier mit Arty LeBlanc, bei der die Fäuste fliegen, tauchen die Typen vom FBI auf. Sie würden nämlich gerne das hiesige Geschäft der Gebrüder DeMarco hochnehmen und dabei ein paar Gangster sowie den zwielichtigen Ziggy Swatek gleich mit. Spenser meint, er kenne den hässlichen Swatek doch aus dem „Herrn der Ringe“. Der kundige Leser erkennt eine Anspielung auf Gollum, den schizophrenen Hobbit, wenn er seinen Tolkien kennt.

Die Ladys spielen eine wichtigere Rolle für Hawk, den muskelbepackten schwarzen Giganten an Spensers Seite (siehe dazu den Parker-Krimi „Drei Kugeln für Hawk“). Der lässt die Ladys nicht lange warten, doch Spenser geht leer aus: Er muss sich für seine Dr. Susan Silverman aufsparen, die treu sorgend in Boston auf ihn wartet – und für Pearl, die Wunderhündin.

Unterm Strich

Ich habe diesen leicht zu lesenden Roman in wenigen Tagen verschlungen. 160 Seiten an einem Nachmittag sind überhaupt kein Problem, denn wie stets besteht der Text hauptsächlich aus Dialog. Man sollte die Fähigkeit besitzen, zwischen den Zeilen zu lesen, dann bekommt man auch den witzigen Humor mit. Dass das US-Englisch des Lesers up-to-date sein sollte, versteht sich von selbst.

Raffgierige Richter soll es ja nicht bloß in Amiland geben, wie man inzwischen weiß. Aber dort hat die Privatisierung des Jugendamt-Wesens zu übelsten Missständen geführt, deutet der Autor an, die mafiöse Zustände fördern. Und die Eltern? Möglich wird das Scali-System, weil die Eltern auf ihr verfassungsmäßiges Recht auf einen Anwalt schriftlich verzichten. Und der Pflichtverteidiger in Blackburn würde gerne sein Leben behalten, meint er – bei einem doppelten Whisky…

Ace Atkins führt die Spenser-Tradition, die inzwischen Kultstatus erreicht hat (sie wurde auch mit Robert Urich verfilmt), würdig fort. Er hat das alte Schema um eingeschobene Szenen erweitert, die die gefangenen und gequälten Jugendlichen zeigen. Um diese Altersgruppe scheinen sich viele seiner eigenen Romane, die er als Ace Atkins veröffentlicht, zu kümmern.

In „Kickback“, dem korrupten System (siehe oben), lernt der Leser, dass die von Spenser behaupteten Missstände im Scali-System keineswegs erfunden sind, sondern der ganz reale Horror. Keine Sorge: So schlimm wie bei Stephen King wird es hier nicht. Die Spenser-Krimis sind familienkompatibel. Aber der Biss ist durchaus da – bis zum bleihaltigen Finale.

Taschenbuch: 308 Seiten
Auflage: 2014
Sprache: Englisch

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