Robert B. Parker – Der stille Schüler

Privatdetektiv Spenser untersucht ein Schulmassaker, das auffällig eifrig ad acta gelegt werden soll. Einem neugierigen Schnüffler, der unangenehme Fragen stellt, kann deshalb leicht etwas zustoßen … – Der 33te (!) Spenser-Thriller lässt durch seinen Plot aufhorchen, der in dem für den Verfasser typischen knappen und dialoglastigen Stil kompetent entwickelt aber etwas zu routiniert umgesetzt wird: für Spenser-Fans und Freunde des „private eye“-Thrillers im Stil des späten 20. Jahrhunderts.

Das geschieht:

Privatdetektiv Spenser reist aus der Großstadt Boston in den ländlichen Vorort Dowling. Dort haben zwei 17-jährige Schüler ihre Schule überfallen – ein Massaker, das sieben Tote und acht Schwerverletzte forderte. Als die Polizei endlich eingriff, fand sie nur einen der Mörder, Wendell Grant, der im Verhör seinen Freund Jared Clark als Mittäter nannte. Jared wurde nach dieser Aussage verhaftet, gestand seine Beteiligung und erwartet nun wie Wendell eine lebenslängliche Gefängnisstrafe.

Lily Ellsworth, Jareds Großmutter, glaubt nicht an die Schuld ihres Enkels. Spenser soll Beweise für dessen Unschuld finden. Doch niemand wünscht Nachforschungen durch einen neugieriger Privatschnüffler. Dabei gibt es offene Fragen, denen nachzugehen wäre: Was verbirgt beispielsweise Dowlings Polizeichef Cromwell, der auffällig feindselig auf Spensers Fragen reagiert? Warum mauert Rektor Garner und vergattert die Schüler der Dowling School zum Schweigen? Kann man Beth Ann Blair, der Schulpsychologin, glauben, die nachträglich von bedrohlichen Vorzeichen spricht? Wieso haben Jareds Eltern ihren Sohn bereits abgeschrieben? Warum haben sie einen offenkundig untauglichen Verteidiger engagiert? Was ist mit Jared selbst, der Spensers Hilfe nicht begrüßt, sondern den Detektiv verhöhnt? Woher hatten er und Wendell die Waffen? Auch Wendell weigert sich zu reden. Es hat den Anschein, als wollten er und Jared bestraft werden. Frances Cleary, der Ankläger, freut sich schon auf seinen Auftritt vor Gericht.

Die zahlreichen Ungereimtheiten lassen Spenser keine Ruhe. Er macht sich wie üblich höchst unbeliebt durch bohrende Fragen und offensive Respektlosigkeiten. Gibt es womöglich jemanden, der das Duo steuerte? Spenser deckt Verbindungen zu einer brutalen Straßengang auf. Weitere Ermittlungen fallen schwer, weil man dem Detektiv plötzlich nach Gesundheit und Leben trachtet …

Tatort – und Hölle – Schule

Der Kriminalroman lebt seit jeher vom ‚echten‘ Verbrechen, was uns Lesern in der Regel gar nicht mehr auffällt, dreht sich der Plot um Mord aus Leidenschaft, Rache oder Geldgier; dies sind Motive, die sich quasi selbst erklären. Vor allem der politisch korrekte Gutmensch merkt jedoch auf, greift ein Krimiautor auf einen Fall zurück, der nicht klassisch ist, sondern in einer aktuellen Untat wurzelt, welche die Gemüter nachhaltig bewegt.

Massenmorde, die von frustrierten Schülern begangen werden, gehören definitiv in diese Kategorie. Sie sind spektakulär und scheinen stetig zuzunehmen. Hier schwärt eine Wunde, die einen Missstand offenbart, der konservative Politiker und selbsternannte Hüter von Recht, Moral & Ordnung in Erklärungsnöte bringt. Killer-Games, Horrorfilme und Hardrock-Musik geben nicht den Ausschlag für solche Massaker. Stattdessen markieren die Amokläufe ein generelles gesellschaftliches Versagen: Wer in der Schule intellektuell & charakterlich gewogen und für zu leicht befunden wird, landet auf der Schattenseite des „American Dream“. Ein unter dem Druck dieser Erkenntnis zerbrechender und offensiv ausgegrenzter Schüler mag dann zur schon in jungen Jahren vergleichsweise kinderleicht zu erwerbenden Waffe greifen, um sich für reales und eingebildetes Unrecht zu rächen.

Robert B. Parker scheut das heiße Eisen nicht. Er macht deutlich, wie ungern jene, die sich dem System unterwerfen, es unverletzt durchlaufen und als nützlich deklarieren, die unbequeme Wahrheit hören möchten: Das brutale, quasi darwinistische Prinzip, auf dem die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder beruht, produziert die Amokläufer, deren Wüten man üblicherweise rat- und fassungslos registriert, um anschließend härtere Strafen und die Bewaffnung von Lehrern zu fordern sowie abschließend zur Tagesordnung überzugehen.

Irgendwie werden sie schon groß

Wo es hakt, ist denen durchaus bekannt, die etwas ändern könnten. Doch sie haben ihren Platz im System gefunden oder sich mit ihm abgefunden. Verfasser Parker lässt Spenser endlose Fußarbeit leisten, schickt ihn mit bohrenden Fragen zur Schule, zur Polizei, zu den Eltern und anderen ‚Respektspersonen‘. Er stellt fest, dass die Lehrer ihre Schüler, die Polizei ihre Schutzbefohlenen, die Eltern ihre Kinder im Grunde kaum noch kennen. Solange sie funktionieren, belässt man es bei einem lockeren, oberflächlichen Kontakt.

Die Sprachlosigkeit innerhalb der modernen Gesellschaft, die Wert auf arbeitsemsigen, disziplinierten, kantenfreien Nachwuchs legt, der es in der globalisierten Welt ‚schaffen‘ kann, ist ein gewichtiges Thema für einen Kriminalroman. Die „Spenser“-Romane von Robert B. Parker sind ökonomisch geplottete, stilistisch nüchterne Thriller, die durch ihre rasant fortschreitende Handlung, den Hang des Verfassers zu ausschweifenden Dialogen und ihre (angenehme) Kürze auffallen. „Der stille Schüler“ kann und will kein Manifest zu einem kriminalistischen Phänomen der Gegenwart sein. Im Rahmen der selbst gewählten schlichten Form setzt sich Parker damit auseinander, ohne dabei die Regeln des Genres zu vernachlässigen. Sein Buch ist auch bzw. vor allem ein Krimi, der sein Publikum unterhalten soll. Deshalb findet es die üblichen und typischen Szenen, d. h. Schlägereien, Schießereien und eigennützig eingefädelte Intrigen, die für Spannung und Unterhaltung sorgen. Das lässt dieses Buch nicht wie von vielen etwas zu engagierten Kritikern zu einem Thriller-Highlight mutieren, sondern zeigt es als 33ten Band einer Krimi-Serie, die längst ihre eigene Geschichte hat und ihren eigenen Regeln gehorcht. „Der stille Schüler“ ist ein „Spenser“-Roman, der routiniert zu Papier gebracht wird.

Einmal Spenser, immer Spenser

Wieso etwas ändern, das sich bewährt hat und immer noch seinen Zweck erfüllt? Spenser ist im Denken, Handeln und Reden derjenige geblieben, der 1973 auf der Bildfläche erschien. Parker schrieb Krimis für ein Publikum, das allzu große Veränderungen nicht wünscht, sondern sich an der Variation des Bekannten erfreut. Also muss Spenser dreist auftreten, darf allzu freche Zeitgenossen vertrimmen, wird mindestens einmal beschossen und holt, wenn gar nichts mehr geht, sein (in jeder Beziehung) dunkles Spiegelbild Hawk als ultracoolen Ausputzer zu Hilfe. (Der nimmt sich dieses Mal eine Auszeit.)

Als viriler Mann (und dem 21. Jahrhundert oberflächlich angepasster, also milder Macho) gefällt Spenser natürlich den Frauen, und obwohl er weiterhin seiner Susan treu ist, lässt er die Augen wandern und liefert sich anzügliche Wortgeplänkel mit der hübschen Anwältin Rita Fiore. Gern garniert er seine Rede mit literarischen Zitaten – dieser Hund ist also nicht nur knallhart, sondern auch schlau, und das lässt er auch in seinen meist wortknappen Äußerungen durchscheinen, die er mit Provokationen und Unverschämtheiten spickt.

Die Zeit ist inzwischen an Spenser, der wie fast alle seiner seit Jahrzehnten aktiven Kollegen im Kriminaldienst nur langsam und inzwischen gar nicht mehr altert, ein wenig vorübergegangen. Seine modernen Kollegen sind smarter als er. Ein einsamer Wolf war er nie; Spenser hat wenige aber gute Freunde, finanziell kommt er über die Runden. In einem ist er freilich Purist: Hat er einen Fall übernommen, verbeißt er sich darin und folgt den Spuren, bis er die Lösung gefunden hat. Dass seine Klienten ihm dafür womöglich nicht (mehr) dankbar sind, ist ihm gleichgültig. Als Detektiv fühlt sich Spenser der Wahrheit verpflichtet. Daraus macht er nie einen Hehl, was ihn manchmal reichlich snobistisch wirken lässt. Tatsächlich ist er ein Nachfahre der klassischen „private eyes“ wie Philip Marlowe oder Lew Archer (die der studierte Literaturwissenschaftler Parker in seiner Doktorarbeit analysiert hat).

Ein wenig altmodisch aber spannend

Spenser bewegt sich in einer Welt, deren Bewohner mit knappen aber prägnanten Worten gezeichnet werden. Hin und wieder bleibt er zu abstrakt bzw. stützt sich auf Klischees. Dies trifft in „Der stille Schüler“ vor allem auf die üblichen Bösewichter zu, die am Rand des Geschehens ihren Auftritt haben: Straßengang-Strolche und Gefängnis-Gangleader mimen eisenharten Kerls am Rande der Lächerlichkeit, wie sie uns aus 1001 US-Fernsehserien nur zu bekannt sind. Jugendliche Randexistenzen weiblichen Geschlechts geben sich u. a. dadurch zu erkennen, dass sie (Spenser) Fragen wie „Werden Sie Sex mit mir haben?“ (S. 105) stellen; dies soll offenbar erschütternd auf den Leser wirken.

Freilich mag die Gang-Realität womöglich so absurd wie ein schlechter Kinofilm sein; auch die Mafia hat diverse Verhaltenskodizes aus den „Paten“-Filmen übernommen. Vielleicht sollte man eher die Seifenoper-Elemente der Spenser-Romane stärker kritisieren. In „Der stille Schüler“ ist Susan Silverman, die umgangsschwierige Dauergefährtin des Helden, erfreulich abwesend. Pünktlich zum Finale taucht sie jedoch wieder auf, um ihrem Spenser als Psychologin zu deuten, was er dieses Mal erlebt hat.

Das ist binsendidaktisch und formelhaft genug, um dem Leser das Lektürevergnügen zu vergällen. Auf der anderen Seite bringt es ihn (und sie) auf den Boden der Tatsache zurück, die da heißt: Spaß gehabt mit Spenser-Abenteuer Nr. 32; wir sehen uns wieder im nächsten Jahr mit Nr. 33. Solche Ernüchterung tut manchmal gut, denn sie bewahrt uns davor, unsere Lektüre ernster zu nehmen als sie es – den ernsten Worten graubärtiger Kritiker zum Trotz – verdient …

Autor

Robert Brown Parker wurde am 17. September 1932 in Springfield, US-Staat Massachusetts, geboren. Er besuchte das Colby College (Maine), wo er 1954 seinen Abschluss in Englisch machte. Während des Koreakriegs diente Parker als Infanterist. In den späten 1950er Jahren studierte er Englische Literatur an der Boston University. Seinen Abschluss machte er 1957, anschließend arbeitete in diversen Jobs – u. a. in der Werbung – bevor er als Dozent an diverse Universitäten ging. 1968 wechselte er als Assistenzprofessor an die Northeastern University, wo er bis 1978 blieb.

Schon in den 1960er Jahren begann Parker als Schriftsteller zu arbeiten. Unterstützt von seiner Ehefrau, mit der er einige Sachbücher verfasste, arbeitete er vor allem deshalb als Dozent, weil ihm dadurch Zeit zum Schreiben blieb. Sein Durchbruch gelang Parker mit der Serie um den (vornamenlosen) Privatdetektiv Spenser, der wie er in Boston lebt und arbeitet. Fünf Jahre später konnte er von der Schriftstellerei leben und gab seinen Dozentenposten auf. Seit 1979 war Parker hauptberuflicher Autor. Jährlich veröffentlicht er einen „Spenser“-Roman. In den 1980er Jahren versuchte er sich an der Komplettierung eines Romanfragments, das Raymond Chandler hinterlassen hatte („Poodle Springs“, dt. „Einsame Klasse“), und veröffentlichte sogar eine eigene Fortsetzung zu Chandlers Philip-Marlowe-Serie („Perchance to Dream“; dt. „Tote träumen nicht“). 1994 legte Parker die Familiensaga „All Your Yesterdays“ vor, die indes erfolglos blieb. Im Krimigenre war der Autor erfolgreicher, als er 1997 bzw. 1999 zwei neue Serien um den alkoholkranken Polizisten Jesse Stone bzw. die Privatdetektivin Sunny Stone startete.

In den 1980er Jahren wurde „Spenser: For Hire“ (1985-1988) als TV-Serie mit dem seinem literarischen Vorbild wenig ähnelndem Robert Urich verfilmt. Aus „Poodle Springs“ entstand ein (wenig spektakulärer) Spielfilm für US-Bezahlfernsehen, und Tom Selleck mimte Jesse Stone in mehreren TV-Filmen.

Am 18. Januar 2010 starb Robert B. Parker in Cambridge, Massachussetts.

Taschenbuch: 215 Seiten
Originaltitel: School Days (New York : G. P. Putnam’s Sons 2005)
Übersetzung: Frank Böhmert
http://www.pendragon.de

eBook: 496 KB
ISBN-13: 978-3-86532179-4
http://www.pendragon.de

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