Greg Bear – Jäger. Zukunftsroman

Der Biologe Hal Cousins sucht nach einer Methode, Langlebigkeit mit Hilfe genetischer Veränderung herbeizuführen. Doch er muss feststellen, dass diverse Unbekannte ihm ins Handwerk pfuschen und seine Forschungen unterbinden. Da beginnt eine mysteriöse Serie von Anschlägen gegen ihn, und nur zwei zwielichtige Leute helfen ihm: ein als Antisemit diskreditierter Ex-Professor – und Lisa, die Frau von Hals Zwillingsbruder Rob, der kürzlich in New York City ermordet wurde. Hal ist sich absolut nicht sicher, ob er diesen beiden trauen darf.

Der Autor

Greg Bear wurde 1951 in San Diego, einer wichtigen US-Marinebasis, geboren* und studierte dort englische Literatur. Unter den Top-Hard-SF-Autoren ist er der einzige, der keine naturwissenschaftliche Ausbildung hat. Seit 1975 als freier Schriftsteller tätig, gilt er heute dennoch als einer der ideenreichsten wissenschaftlich orientierten Autoren.

Sein Roman „Das Darwin-Virus“, der hierzulande in einem Wissenschaftsverlag erschien, wurde zu einem preisgekrönten Bestseller. Erst damit konnte sich Bear aus dem Science-Fiction-Ghetto herausschreiben, so dass man ihn heute ohne weiteres mit Michael Crichton vergleicht. Nur dass Bear da anfängt, wo Crichton aufhört. 2004 erschien bei uns „Die Darwin-Kinder“, die Fortsetzung von „Darwin-Virus“, danach wurde der Roman „Stimmen“ bei Heyne veröffentlicht.

* Einer der Hauptakteure in „Jäger“ ist Weltkriegsveteran und Marinehistoriker in der Nähe von San Diego.

Bear hat eine ganze Reihe von Science-Fiction- und Fantasyzyklen verfasst. Die wichtigsten davon sind (HSF = Heyne Science-Fiction):
– Die Thistledown-Trilogie: „Äon“ (HSF 06/4433), „Ewigkeit“ (HSF 06/4916); „Legacy“ (bislang unübersetzt).
– Der Amboss-Zyklus: „Die Schmiede Gottes“ (HSF 06/4617); „Der Amboss der Sterne“ (HSF 06/5510).
– Der Sidhe-Zyklus: „Das Lied der Macht“ (06/4382); „Der Schlangenmagier“ (06/4569).

Weitere wichtige Werke: „Blutmusik“ (06/4480), „Königin der Engel“ (06/4954), „Slant“ (06/6357) und „Heimat Mars“ (06/5922). Er hat zudem Beiträge für die Buchreihen des Foundation-, Star-Trek- und Star-Wars-Universums geschrieben.

Mehr zu Greg Bear unter: http://www.gregbear.com

Greg Bear bei Buchwurm.info:

Tangenten
Das Darwin-Virus
Jäger
Stimmen
Der Schlangenmagier
Dinosaur Summer
Quantico
Mariposa
Die Macht der Steine
Die Schmiede Gottes
Äon
Blutmusik
Der Fall der FOUNDATION
Beyond Heaven’s River

Handlung

Hal Cousins, ein ehrgeiziger junger Molekularbiologe, hat sich zum Ziel gesetzt, was schon Generationen von Wissenschaftlern vor ihm gewollt haben: den Alterungsprozess des Menschen zu verlangsamen, und zwar durch genetische Veränderungen. Um das zu erreichen, macht er sich auf die Jagd nach den ältesten Lebensformen, die es gibt, den Mikroben – insbesondere in ihrer Ausprägung als Mitochondrien, die in jeder menschlichen Zelle vorkommen und ihr die Energiequelle ATP liefern. Mitochondrien waren vor Jahrmilliarden bakterielle Invasoren, sind aber nun unentbehrlich geworden. Um alte Zellformen zu finden, die keine Mitochondrien besitzen, muss er in entlegenen Gegenden suchen.

Seine Forschungen führen ihn in die Tiefe des Pazifischen Ozeans, unweit von Vancouver und Seattle, wo primitive Organismen seit Jahrmillionen überleben – in der Nähe unterseeischer Wärmequellen, der „Schlote“. Doch bei diesem Tauchgang läuft etwas schrecklich schief. Sein Pilot Dave Press rastet unvermittelt aus, will ihn umbringen und das Tauchboot zerstören. Zum Glück kann Hal ihn mit einem Kinnhaken ins Reich der Träume und das Boot an die Oberfläche schicken. Dort steigt Press jedoch unvermittelt aus und stürzt sich in die stürmische See.

Doch an Bord des Mutterschiffs ist die Lage keineswegs beruhigend für Hal. Ein gewisser Dr. Mauritz ist ebenfalls ausgerastet und hat mehrere Besatzungsmitglieder erschossen, so dass man nun seltsamerweise auf Hal sauer ist. Als ob er etwas mit den Vorfällen zu tun hätte. Hat er auf indirekte Weise auch, aber anders, als er sich träumen lassen würde.

Nachdem ihn die Polizei als unverdächtig hat laufen lassen, werden Hals Funde und seine Forschungsarbeit von Unbekannten vernichtet. Jemand hat eindeutig etwas gegen ihn. Ist es jemand, vor dem ihn sein Zwillingsbruder Rob Cousins gewarnt hatte? Da bekommt Hal die Nachricht, dass Rob in New York City in einer Seitengasse erschossen aufgefunden worden sei.

Nach einer ruhigen Phase und einem Umzug taucht ein älterer Typ namens Rudy Banning auf, der sich seiner annimmt. Schon bald hat Banning Gelegenheit, Hal vor einem Angriff durch Dobermänner zu retten, doch währenddessen geht Halls neues Domizil – und Labor – in Flammen auf. Anscheinend beginnt nach der Verschnaufpause der Wahnsinn von Neuem.

Als Robs schöne Witwe Lissa mit einer Pistole in der Handtasche auftaucht, ahnt Hal, dass eine erneute Achterbahnfahrt ansteht. Denn Rob war hinter dem gleichen Geheimnis her wie Hal: Wie man Langlebigkeit durch genetische Veränderung an bestimmten Bakterien erzielt. Und wer auch immer Rob ausschaltete, will auch Hal ans Leben. Hatten die Hintermänner lediglich Rob mit Hal verwechselt?

Mein Eindruck

So sieht also ein Wissenschaftsthriller der Oberliga aus. Man nehme einen packenden Auftakt, lasse den betreffenden „Helden“ sodann in ein tiefes Loch fallen, aus dem ihn andere wieder herausholen müssen und werfe ihn sodann in einen Strudel aus mehr oder weniger undurchsichtigen Machenschaften, wenn er und seine Gefährten einer Krümelspur zur Lösung des Rätsels folgen. Obligatorischer Showdown sollte möglichst folgen.

Kein Schema F

Das wäre natürlich nur das Schema F, doch der Autor ist inzwischen so versiert in seinem Schreiben, dass er dieses abgedroschene Schema nicht mehr für tragfähig hält. Daher schiebt er zwei zeitliche Rückblenden ein, die mindestens ebenso packend sind wie der Anfang des Buches. Das dient zwar sowohl der Lösung des Rätsels und der Unterhaltung des Lesers, kann aber auch unversehens zu mangelndem Überblick und somit Verwirrung führen.

Auf die Handlung übertragen, bedeutet dies konkret, dass auf Seite 229 ein neuer Ich-Erzähler auftritt: Ben Bridger, seines Zeichens Weltkriegs- und Vietnam-Veteran sowie Marinehistoriker, der nach dem Tod seiner Frau Janie kein Land mehr sieht. Da taucht Rob Cousins bei ihm auf und fragt ihn nach russischen Wissenschaftlern von vor dem Zweiten Weltkrieg. Damals herrschte Stalin mit seinem Geheimdienstchef Berija auf blutigste Weise, doch in der Wissenschaft der Molekularbiologie machte ein gewisser Maxim Golochow beträchtliche Fortschritte, die später zur Verhaltens- und Gedankenkontrolle führten. Dieser Besuch, ein grauenerregendes Russen-Video und ein massiver Überfall der Sicherheitsbehörden auf sein Haus bewegen Bridger dazu, sich Rob Cousins und Rudy Banning anzuschließen.

Natürlich kreuzt Bridgers Weg über kurz oder lang (eher lang) auch den von Hal Cousins, doch da ist es für dessen Bruder Rob bereits zu spät. Ob das Zusammentreffen für Hal noch rechtzeitig kommt, kann man nur hoffen. Doch ich darf nichts weiter verraten. Das verhindert auch, dass ich mich hier mit der Thematik des Schreckensszenarios auseinandersetzen kann, das der Autor vor unserem geistigen Auge erstehen lässt. Eines kann ich aber sagen: Es ist der maximale Horror, denn dann ist die Freiheit des Willens wirklich nur eine Illusion.

Das Grauen des 20. Jahrhunderts

Immer wieder hat mich erstaunt, wie kritisch die Figuren das 20. Jahrhundert betrachten. All die Massenvernichtung, die in zwei Weltkriegen und zahllosen Stellvertreterkriegen erfolgt, die so genannten „Säuberungen“ – was für ein Euphemismus! – und Progrome. Gut möglich, dass dabei insgesamt eine halbe Milliarde Menschen umkamen (meine Schätzung).

Zwei Seiten einer Medaille

Doch der Autor führt uns vor Augen, dass das vergangene Jahrhundert nicht nur hinsichtlich der Quantität der Vernichtung ein übles Zeitalter war, sondern auch bezüglich der Qualität des Schreckens, den Menschen anderen Menschen zufügen konnten. Eines der abgefahrensten Szenarien, das ich je gelesen habe, breitet der Autor vor uns aus. Dass dabei genau jene primitiven Bakterien eine Rolle spielen, hinter denen Hal Cousins so verzweifelt her ist, zeigt die andere Seite der Medaille. „Prinz Hal“ will den Menschen, die es sich leisten können, die ewige Jugend schenken. Sein Bruder hat die dunkle Seite genau dieses Mittels bereits entdeckt: totale Manipulation. Zwei Hälften eines Rätsels. Allerdings braucht Hal bis zum Showdown auf einem Ozeanriesen, um das alles auf die Reihe zu bekommen. Und dort erwartet ihn ein heilsamer Schock.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Und das gilt auch für diesen Roman. Mal vom Fachjargon der Biologen und Genetiker ganz abgesehen, der das Verständnis erschwert, trägt auch die Darstellung der Beziehung, die sich zwischen dem guten Hal und der zwielichtigen Lissa, Robs Witwe, anbahnt, nicht gerade zur Glaubwürdigkeit der Story bei. Natürlich kommt es dazu, dass die beiden miteinander im Bett landen, was denn sonst. Aber die Sache geht doch ganz anders aus, als sich Prinz Hal das vorgestellt hatte. Er wird nämlich zu Lissas Schoßhündchen. Da er sich dabei im wahrsten Sinne des Wortes pudel-wohl fühlt, macht ihm das auch gar nichts aus. Die Glückshormone bringen ihn denn auch fast um den Rest seines verbliebenen Verstandes.

Der Leser könnte dies für sehr komisch und sogar originell halten, wäre da nicht der schale Nachgeschmack einer Vergewaltigung. (Zu erklären, wie diese erfolgt, hieße, des Rätsels Lösung zu verraten – sorry!).

Unterm Strich

Gehirnwäsche als Thema ist in den amerikanischen Medien wieder in. In den USA ist der Thriller „The Manchurian Candidate“ mit Denzel Washington angelaufen, das Remake des Films „Botschafter der Angst“ mit Sinatra aus dem Kalten Krieg (ca. 1960). Statt der ursprünglichen Nordkoreaner haben nun nationale Großkonzerne einen „Schläfer“ so präpariert, dass er auf einen bestimmten Befehl hin – etwa Zahlen, übers Telefon durchgegeben – eine Aktion ausführt, beispielsweise die Ermordung des Präsidenten. Dass Al-Kaida über Schläfer innerhalb der USA verfügen soll, ist bekannt.

Der Autor führt nun eine neue – möglicherweise völlig abstruse – Methode ein, die zwar schon unter Stalin und Berija entwickelt wurde, aber offenbar auch woanders binnen Sekunden Wirkung zeitigt. Bis diese Verschwörung aufgedeckt und besiegt ist, vergehen durchaus fesselnde 444 Seiten.

Ähnlich wie in Crichtons Thriller „Beute“ sind die kleinsten Lebewesen die Stars – und geben deshalb leider nicht sonderlich viel her. Daher muss das Ergebnis ihres Treibens umso drastischer ausfallen. Die Effekte sind stets filmreif und mitunter sogar komisch. Die Entwicklungsgeschichte dieser „Kleinen Mütter der Welt“, wie Russen die Bakterien nennen, wird als Hintergrund-Story scheibchenweise enthüllt, doch dabei treten zwangsläufig Überlappungen – Redundanzen – auf, die als Wiederholung nicht so wahnsinnig spannend sind.

Bears Roman ist flott zu lesen, wenn man mit dem Biologen- und Genetikerkauderwelsch mithalten kann. Aber die Lektüre bedeutet keinen größeren Durchbruch in Sachen Erkenntnisse über das grauenerfüllte 20. Jahrhundert. Da auch die Figuren nicht übermäßig sympathisch sind, fiebert man nicht unbedingt mit ihrem Schicksal mit. Insofern könnte auch die ganze Welt den „Kleinen Müttern“ in die Hand fallen – es würde uns nicht kümmern.

Lesetipp

Deshalb empfehle ich stattdessen lieber die Lektüre von Bears erstem Bestseller „Blutmusik“, der mit Preisen überhäuft wurde. Es erstaunt nicht besonders, dass sich die Grundideen in den beiden Romanen ähneln: Mikroben übernehmen die Weltherrschaft und verwandeln sie nach ihrem Gusto, falls der Mensch ihnen nicht Einhalt gebietet. Nur dass in „Blutmusik“ diese Vision grandios und kosmisch (und somit Science-Fiction) ist, während „Jäger“ ganz auf dem Teppich bleibt und in der Liga von Crichton oder Preston & Child spielt.

Taschenbuch: 450 Seiten.
O-Titel: Vitals, 2002.
Aus dem Englischen von Helmut Gerstberger.
ISBN-13: 978-3453869486

www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)