Mary Gentle – Der Untergang Burgunds. Die Legende von Ash 04

Großartiges, aber überlanges Zyklus-Finale

Der Historiker Pierce Ratcliff entdeckt im Jahr 2000 verschollene Dokumente, die ihn erkennen lassen, dass die Geschichte Europas im 15. Jahrhundert nicht so verlaufen ist, wie es die Lehrmeinung vertritt. Fasziniert liest er die Lebensgeschichte der jungen Frau Ash, die als Waise in einem der zahlreichen Söldnerhaufen des Spätmittelalters heranwächst.

Mit vierzehn gründet sie ihre eigene Kompanie, welche sich unter dem Banner des Azurblauen Löwen rasch Ruhm auf den in ganz Europa verstreuten Schlachtfeldern erwirbt. Schließlich werden Ash und ihre Männer in Ereignisse verstrickt, die ihr Schicksal nachhaltig verändern. Europa sieht sich einer unheimlichen Bedrohung aus dem Morgenland gegenüber, einer Armee, in der sich steinerne Riesen bewegen und die die Sonne verlöschen lässt …

Teil 2:

„Nur mit knapper Not ist Ash in „Der blaue Löwe“ dem riesigen Heer entkommen, das sich wie ein Wasserfall von Süden her über das europäische Festland ergießt. Vor Dijon tritt sie mit ihrer Söldnertruppe in die Dienste des Grafen von Oxford. Doch auch er kann nicht verhindern, dass der Herzog von Burgund sie zur Rechenschaft ziehen möchte: Noch vor wenigen Wochen hatte Ash auf der Gegenseite gegen ihn gekämpft und ihm eine empfindliche Niederlage beigebracht.

Unterdessen rückt die Armee unter der Führung jener Frau, die Ash zum Verwechseln ähnlich sieht, unaufhaltsam näher. Als es schließlich zur Schlacht kommt, wird Ashs schlimmster Albtraum Wirklichkeit: Vor ihren Augen werden ihre besten Männer niedergemacht, sie selbst schwer verletzt nach Karthago in Nordafrika verschleppt. Als Sklavin gedemütigt, regt sich jedoch ihr unbändiger Überlebenswille. Während sie versucht, hinter das Geheimnis der Maschine zu kommen, die in ihren Gedanken spricht, schmiedet sie unablässig Fluchtpläne.“ (Amazon.de)

Teil 3:

Ashs Kompanie hat sie aus Karthago befreit und sie nach Dijon gebracht. Die Hauptstadt von Burgund wird von den Westgoten belagert. Deren Generalin ist Ashs Schwester. Sie muss die Faris davon überzeugen, dass der titelgebende Taktikcomputer von den Wilden Maschinen fremdgesteuert ist. Während Ash mit der Faris spricht, stirbt der Herzog von Burgund an einer infizierten Wunde. Ash hat entdeckt, dass der Herzog von Burgund übernatürliche Kräfte besaß, die die Realität aufrechterhalten und gegen Änderungen verteidigen. Die Wilden Maschinen müssen den Herzog töten, um ihr finsteres Wunder zu vollbringen. Wer soll des Herzogs Stelle einnehmen? Glücklicherweise erlauben die Westgoten das Ritual, bei dem der neue Herzog traditionell ermittelt wird: eine Hirschjagd. Mit ein wenig Hilfe von Ash wird es Florian, ihr Feldarzt. Doch Florian ist eine in Wahrheit eine Frau…

Teil 4:

Das Ewige Zwielicht Karthagos hüllt die Länder der Christenheit noch immer in nicht enden wollende Finsternis, und Dijon, Hauptstadt Burgunds und Perle Europas, steht kurz vor dem Fall. Die schöne, tödliche Faris der Westgoten folgt den Befehlen der Wilden Maschinen, die nur eines im Sinn haben: die Vernichtung der Menschheit. Doch nicht nur Faris, sondern auch Ash, ihr Zwilling, hört die Stimmen der Wilden Maschinen, und in Dijon keimt neue Hoffnung auf, als bekannt wird, dass jemand von ihrer Abstammung die Macht besitzt, die furchtbaren Maschinen aufzuhalten. Aber dafür wäre ein Wunder vonnöten … (Verlagsinfo)

Die Autorin

Mary (Rosalyn) Gentle wurde in England im Jahr 1956 geboren. Die Autorin hat einen ungewöhnlichen und vielseitigen Werdegang aufzuweisen; die 1956 in Sussex geborene Mary Gentle arbeite unter anderem in Kinos, für Essen-auf-Rädern und begann erst 1981 mit ihren Studien (kombinierter Bachelor-Studiengang Politik/Englisch/Geographie) – zweifellos gekrönt mit ihren Master-Abschlüssen in Kriegsgeschichte und Geschichte des 17. Jahrhunderts im Jahr 1995. Gentles Lebensgefährte ist passenderweise Lehrer mittelalterlicher Schwertkampftechniken.

Ihr erster Roman, geschrieben im Alter von fünfzehn Jahren, war ein durchschnittliches Jugendabenteuer mit dem Titel „A Hawk in Silver“ (1977, überarbeitet 1985). Bekannt wurde sie mit der Science Fiction-Duologie „Goldenes Hexenvolk“ (1983) und „Altes Licht“ (1987), in der eine Forscherin die Welt Orthe erkundet und auf die verborgene Superwaffe einer uralten, verschwundenen Alien-Rasse stößt.

Wesentlich interessanter sind ihre Fantasy-Romane aus dem White-Crow-Zyklus, in dem eine durch die Zeiten reisende Abenteurerin in alternative Versionen unserer Welt reist: „Rats and Gargoyles“ (1990), „The Architecture of Desire“ (1991) und die Haupterzählung in der Sammlung „Left to his own devices“ (1994), plus zwei der Erzählungen in der Sammlung „Scholars and soldiers“ (1989): „Beggars in Satin“ und „The Knot Garden“.

„Die letzte Schlacht der Orks“ (Grunts!, 1992, dt. bei Heyne) ist eine Parodie auf alle Fantasy-Epen, in denen die finale Schlacht zur Rettung der Welt ausgefochten wird, nur dass diesmal die Helden auf der falschen Seite stehen: die Orks. Vor ihrem Megaroman „Ash“ (1999) veröffentlichte sie drei Sammlung von Erzählungen, die auf einer Shared World namens „The Weerde“ spielen. Diese Spielwiese durften auch andere Autoren benutzen.

Die Legende von Ash

Band 1: „Der blaue Löwe“
Band 2: „Der Aufstieg Karthagos“
Band 3: „Der steinerne Golem“
Band 4: „Der Untergang Burgunds“
The Logistics of Carthage, 2002 (Kurzroman)

2000 British Science Fiction Association Award for Best Novel
2000 Sidewise Award for Alternate History

Chronik von Carrick V der Botschafterin Lynne de Lisle Christie (Orthe-Zyklus)
• 1983 Golden Witchbreed (deutsch: Goldenes Hexenvolk (1985, ISBN 3-453-31267-8)) (Science-Fiction)
• 1983 The Crystal Sunlight, The Bright Air (deutsch: Das kristallene Sonnenlicht, die helle Luft) (Kurzgeschichte)
• 1987 Ancient Light (deutsch: Altes Licht (1991, ISBN 3-453-04993-4)) (Science-Fiction)

Andere Romane

• 1977 A Hawk in Silver (deutsch: Der silberne Falke (1996, ISBN 3-453-02754-X.)) (Jugendbuch, Fantasy)
• 1992 Grunts! (deutsch: Die letzte Schlacht der Orks (2003, ISBN 3-492-28533-3)) (Fantasy)
• 2003 1610: A Sundial in a Grave (deutsch: 1610 – Der letzte Alchimist (2006, ISBN 3-404-20544-8)) (alternative Geschichte/Fantasy)
• 2003 1610: A Sundial in a Grave (deutsch: 1610 – Kinder des Hermes (2006, ISBN 3-404-20537-5)) (alternative Geschichte/Fantasy)
• 2003 1610: A Sundial in a Grave (deutsch: 1610 – Söhne der Zeit (2006, ISBN 3-404-20544-8)) (alternative Geschichte/Fantasy)
• 2004 Under the Penitence

Vorgeschichte

Im Spätmittelalter, das hier die Kulisse abgibt, bestanden andere Königreiche als heute: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte einen Kaiser, Frankreich hatte in Ludwig XI einen intriganten „Spinnenkönig“, und im Herzogtum Burgund, das sich von Brügge bis nach Savoyen erstreckte, herrschte der höchste damals bekannte Stand der Kultiviertheit, von der stärksten und bestausgebildetsten Armee mal ganz abgesehen. Viele Feinde gab es stets im Inneren – die Engländer führten einen Bürgerkrieg (die Rosenkriege) -, doch an äußeren Feinden gab es im Grunde nur einen: die Türken, die 1453 Konstantinopel, das heutige Istanbul, erobert hatten. Ihr Ansturm führte sie zweimal bis vor die Tore von Wien.

Der Aufhänger für Ashs alternative Weltgeschichte ist die Frage, der sich heutige Historiker stellen müssen: Wie kam es dazu, dass dieses großmächtige Herzogtum Burgund mit dem Tode Herzog Karls im Jahr 1477 vollständig von der Landkarte verschwand? Könnte es sein, dass noch andere Mächte gewirkt haben, als die aus anerkannten Dokumenten bekannt sind?

Ashs Vorgeschichte

Der „Vorspann“ fasst die Handlung der zwölf bisherigen Buchteile zusammen und erläutert deren Bedeutung. Diese Bedeutung erschließt sich demjenigen, der zu schnell liest, nämlich nur in Bruchstücken, doch hier wird deutlich, dass die neuen Mächte namens Wilde Maschinen einen Plan haben, in dem Ash und ihre „Schwester“ Faris eine zentrale Rolle spielen…

Handlung

Für Ash, die Anführerin ihrer Söldnerkompanie, sieht die Lage zunächst düster aus. Dijon, Burgunds Hauptstadt, wird ringsum von Kampfmaschinen der Westgoten aus Karthago belagert. Steingolems haben es geschafft, unbemerkt Gräben und Minen zu graben. Die Stadtbewohner und ihre Truppen müssen sich auf eine Belagerung einstellen, unter einem ringsum verfinsterten Himmel, aus dem unablässig Regen fällt. Ash hat keinen geistigen Kontakt zu ihrer Schwester Faris, der Feldherrin der Westgoten, noch zu den Wilden Maschinen, die alles zu steuern scheinen, inklusive der Verfinsterung der Sonne.

Obendrein ist die neue Herzogin zunächst unansprechbar: Sie empfängt keine Besucher. Als sich Herzogin Floria, die zuvor der Arzt Florian gewesen war, endlich dazu bequemt, ihre erhabene Position aufgrund ihres königlichen Geblüts einzunehmen, stabilisiert sich für Ash die Realität. Der Oberbefehlshaber de la Marche bietet Ash den Oberbefehl an, die das Ansinnen erst als absurd zurückweist. Doch ihre Mannen weisen darauf hin, dass erstens Florian keine Ahnung von Kriegsführung hat, zweitens Ash als Kriegsheldin angesehen wird und drittens sie die einzige ist, die die Wilden Maschinen und andere Geister – etwa Pater Godfrey – hören kann. Ash stellt zwar Bedingungen, doch sie akzeptiert den Posten – vorläufig.

Wochen vergehn und der Winter hält Einzug: Hunger und Krankheit breiten sich. Noch dazu kommt die Nachricht, dass die nördliche burgundische Armee in Flandern von den Westgoten, Franzosen und Deutschen vernichtend geschlagen wurde. Dijon ist auf sich allein gestellt. Nur über diesem kleinen Flecken Land scheint noch die Sonne. Aber warum Burgund, fragen sich Ash und Floria/n. Als sie in die Katakomben der Kapelle hinuntersteigen, um die Krönung vorzubereiten, entdecken sie einen uralten Altar. Auf diesem prangt aber nicht das Bildnis des gekreuzigten Christus am Baum, auch nicht das des Ketzers Gundobad, sondern das seines Widersachers St. Heito. Der Bischof erteilt nur widerwillig Auskunft, aber nun glaubt Floria, die Herzogin, umso stärker an ihr Schicksal.

Und das ist auch nötig, denn als der Earl von Oxford umringt von 500 türkischen Janitscharen – und ebenso vielen leckeren Pferden – eintrifft, bringt er die Kunde, dass sich der Kalif Gelimer aus Karthago auf den Weg gemacht habe, um die Belagerung Dijon zu Ende zu bringen: Er will, ja, er muss die Herzogin töten. Fünf Tage später trifft Gelimer mit drei Legionen ein und bittet um Verhandlungen. In einer der Minen, die Burgunder gegraben haben, findet das denkwürdigen Treffen statt. Gelimer hat Abgesandte der Franzosen und der Deutschen mitgebracht, aber auch den alten König Leofric, dem Ash und die Faris ihre Existenz zu „verdanken“ haben. Die Herzogin denkt gar nicht daran, die Stadt zu übergeben, denn sie weiß, dass Gelimers Zusicherungen nur Lügen sind. Ash gelingt es, Zweifel unter den Deutschen und Franzosen zu säen, als diese verblüfft erkennen, dass sich die Faris und Ash gleichen wie ein Ei dem anderen.

Als Gesandten und Unterhändler begleitet Fernando del Guiz die Burgunder. Ausgerechnet ihr Ex-Mann, flucht Ash heimlich, und er ist obendrein ein Priester der arianischen Ketzer. Nicht nur das, er ist auch noch der Halbbruder der Herzogin. Anlässlich des Weihnachtsfestes und am Rande eines Theaterstücks gesteht er Ash, dass er SIE liebe. Das weckt ihre alten Gefühle für ihren ehemaligen Gatten, doch dann korrigiert er sich: Mit SIE meine er die Faris. Enttäuscht und wütend weist Ash ihn zurück und fragt sich, was er wirklich im Schilde führt. Da kommt die Nachricht vom Stadttor, dass die Faris allein gekommen sei: Sie sucht Asyl, und weil die Torwächter sie mit Ash verwechseln, wird sie eingelassen. Begleitet wird sie von einem Mädchen und einer fetten Frau.

Da die Herzogin sich weigert, die drei Frauen zu töten, kann Ash sie befragen. Die Faris wurde von ihrem Kalifen mit dem Tod bedroht, also ist sie geflohen. Das Mädchen Violenta ist ebenso ihre Zuchtschwester wie Ash, allesamt Ergebnisse eines 600 Jahre dauernden Zuchtprogramms. Der Zweck: Sie sollen telepathisch die Stimmen der Wilden Maschinen und des Kampfcomputers „Steingolem“ empfangen können. Die Faris hört die Maschinen nicht mehr und ist sehr froh darüber. Die fette Frau sei ihre und Ashs Mutter. Die gescheckte Ratte, die die Alte streichelt, ist selbst Ergebnis eines Zuchtprogramms.

Immer besser durchschaut Ash die Zusammenhänge. Um den Steingolem endgültig auszuschalten, betet sie zu ihrem alten Freund Godfrey, der in Karthago starb. Godfrey erweist ihr den Gefallen und in einer dramatischen Szene erzeugt er einen Blitz, um den Steingolem zu zerstören. Dieser verstummt für immer, doch Ash sieht sich enttäuscht: Die Stimmen der Wilden Maschinen dringen nun ohne Umweg in ihren Geist ein und offenbaren ihr, das sie selbst das gelungenste Experiment sei, das sie je erzielten. Ash bittet die Herzogin darum, sie selbst hinzurichten. Floria weigert sich.

Die Frist für Verhandlungen läuft ab. Fernando muss zum Kalifen zurückkehren. Dies bringt Ash auf eine riskante Idee: Sie will nicht nur einen Ausfall wagen, sondern zugleich Floria in Sicherheit bringen. Dazu bedarf es eines raffinierten Täuschungsmanövers—

SPOILER!

Der Angriff gelingt, doch Ash erfährt, dass die Wilden Maschinen über einen Ersatzplan verfügen: Sie beabsichtigen, sie selbst, Ash, zu benutzen, um ihr „dunkles Wunder“ zu wirken. Sie erklären ihr, warum dies notwendig sei.

Es geht um “göttliche Gnade“ („grace“), eine Fähigkeit, über die alle Menschen mehr oder weniger stark verfügen. Gnade erlaubt es ihnen, die Realität auf bestimmte Weise zu verbiegen. Für die meisten Menschen ist dies schwierig, aber ungewöhnliche Menschen sind in der Lage, bedeutende Wunder zu wirken. Als Beispiel führen die Wilden Maschinen die Austrocknung eines großen Flusses an.

Die Maschinen haben Simulationen durchgespielt, die ihnen zeigen, dass in wenigen hundert Jahren „Gnade“ in der Menschheit so vorherrschend und mächtig sein werde, dass die Realität wegen der ständigen Änderungen selbst wie ein zerrissenes Gewebe auseinanderfallen werde. Ash versucht, vernünftig mit den Maschinen zu reden, aber sie bestehen auf ihrem Plan. Als die Truppen der Westgoten und Deutsch-Kaiserlichen angreifen, um Herzogin Floria zu töten, beschließt Ash, etwas zu unternehmen, bevor die Wilden Maschinen ihr „dunkles Wunder“ vollziehen können. Schließlich haben sie ja Ash genau zu diesem Zweck gezüchtet. Doch die Wilden Maschinen fordern Ash zur Aufgabe auf, doch sie entscheidet sich dafür, niemals aufzugeben und ihre eigene Version der großen Veränderung herbeizuwünschen. Die Realität beginnt, sich auf unvorhergesehene Weise zu verändern: Burgund verschwindet…

Rahmenhandlung (SPOILER)

Erst die Rahmenhandlung enthüllt, was wirklich passiert ist. Als die Wilden Maschinen anno 1477 ihr Wunder wirkten, zerstörten sie die Menschheit keineswegs. Vielmehr änderten sie den Verlauf der Geschichte. Als Ergebnis gilt der mittlerweile uns bekannte, belegte Geschichtsverlauf. In diesem haben die Menschen die Fähigkeit verloren, Wunder zu wirken. Verschiedene historische Ereignisse, wie die Gründung eines westgotischen Reiches in Karthago, oder Jesu Status als römischer Zenturio, der den Sonnengott Mithras verehrt, weichen vom verbürgten Geschichtsverlauf ab.

Ratcliff besucht Professor Vaughan Davies, den Insassen eines Hospitals, das auch eine Psychiatrie sein könnte. Davies hat es aus den 1930er Jahren ins Jahr 2000 oder 2001 verschlagen, ohne dass er eine Erklärung dafür hätte. Im Dialog finden sie heraus, was mit Ash, Burgund und Davies passiert sein muss. (Wie anspruchsvoll dieser Dialog ist, kann der Leser an den Druckfehlern ablesen, die ich unten aufgeführt habe.) Allerdings werden sie abgehört, und weil das, was sie herausfinden, offenbar brisant ist, werden beide in Gewahrsam genommen, vorerst zumindest.

Zwei Nachwörter

In zwei Nachwörtern berichtet Ratcliff, wie es ihm in den Jahren von 2000 bis 2009 ergangen ist. Erst hat ihm der Geheimdienst alle Dokumente abgenommen, inklusive des oben wiedergegebenen Vorabexemplars. Man wollte ihn jedoch nicht schikanieren, sondern rekrutieren. Das Projekt trägt die Bezeichnung „Die Auferstehung Karthagos“.

2009 weiß Ratcliff endlich, wo er was suchen muss, um das Projekt zum Erfolg zu führen. Dabei stößt er auf einem Truppenübungsplatz auf eine Kompanie Männer, die von einer Frau kommandiert werden. Zu seiner Verblüffung hat er die Reinkarnationen von Ash und ihren Söldnern vor sich. Das ist einerseits tröstlich, andererseits beunruhigend. Burgund bzw. der Blaue Löwe Ashs bestehen fort, aber was ist dann mit Karthago? Sein Motto lautet nach wie vor: „Karthago darf nicht untergehen!“

Mein Eindruck

Ash steht wieder im Mittelpunkt, doch wie sie erkennen muss, verändert sich dieser Mittelpunkt während des Verlaufs der Belagerung. Das liegt an der sich ändernden Bedeutung und Rolle der Leute, die sie umgeben. Die Faris soll eigentlich ihre Zuchtschwester und Erzfeindin sein, doch dann sucht diese bei ihr Asyl. Nun ist Leofric von Karthago ihr Gegner – und durchaus verwundbar.

Einsam

Flexibel muss Ash auch sein, wenn es um die Herzogin geht. Floria ist aber auch der Arzt Florian, der zu ihrer Truppe gehört, um die vielen Verwundeten zu pflegen. Die Stadtwache und ihre Armee haben Ash zur Oberkommandierenden ernannt, so dass die Söldnerführerin keine größere Verantwortung für sich beanspruchen. Sie will sicherlich nicht die Herzogin ersetzen. Und obwohl sie ständig von Leuten umgeben ist, fühlt sie sich einsam; sie kann sich kaum jemandem anvertrauen, aus Furcht, sie könnte schwach wie eine Frau wirken, oder ein Geheimnis an einen Spion verraten. Nur in der Gruppe ihrer getreuen Söldner fühlt sie sich voll anerkannt. Leider sterben sie alle nacheinander weg.

Die Computer

Und schließlich sind da noch die Stimmen in ihrem Kopf. Telepathische Rechenmaschinen – das findet man nicht häufig in phantastischen Romane, aber das sind die Wilden Maschinen nun mal. Und sie haben Ash nicht nur in Karthago züchten, sondern sie auch konditionieren lassen, als wäre sie ein Golem. Nun muss Ash nicht nur den Mut, sondern auch den Willen aufbringen, den Wilden Maschinen, die die Menschheit auslöschen wollen, einen Strich durch die Rechnung zu machen. Das wird ihre größte Tat. Und die Historiker brauchen sehr lange, um zu begreifen, worin ihre heldenhafte Tat eigentlich bestand.

Ein Ritterroman?

Die Frage, warum jemand, der Phantastik in all ihren Spielformen, diesen umfangreichen Roman lesen sollte, ist nicht einfach zu beantworten: Fantasy, Science Fiction, Ritter-Epos – sie alle haben einen Anteil an dieser verwickelten Geschichte, von der Meta-Ebene der Historiker ganz zu schweigen. Es möge genügen zu sagen, dass jeder Fan von Ritter-Epen, von Söldner-Fantasy auf seine Kosten kommen dürfte. Die Action, die es auch zweifachen Finale des vierten Bandes gibt, ist allerdings nie Selbstzweck, sondern dient immer einem höheren Zweck. Dass Dijons Bevölkerung und die Herzogin überleben soll, liegt ebenso auf der Hand wie das Überleben von Ashs Söldnertruppe und der Stadtwache. In der Schlacht vor den Toren der Stadt gelingt ein erster Sieg, doch der zweite Feind folgt auf dem Fuß: Die Ritter des Kaisers und des französischen Königs bedrängen die Überlebenden derart, dass Ash nur noch ein Ausweg bleibt – das Wunder, das sie nicht für möglich gehalten hat und das die Wilden Maschinen um jeden Preis verhindern wollen.

Die Übersetzung

Der deutsche Leser kann froh sein, dass dieser voluminöse Roman in vier Teile von jeweils 550 bis 700 Seiten aufgeteilt wurde. Auf diese Weise kann er nämlich jeden Band in halbwegs vertretbarer Zeit bewältigen. Die Schrift ist groß, so dass die Augen nicht ermüden.

Die E-Mails sind in jeweils eigenen Abschnitten zusammengefasst und in einer anderen, serifenlosen, modernen Schrifttype gedruckt. Sie heben sich so auf den ersten Blick von der „Fiktion“ ab, obwohl sie ja selbst Teil der Fiktion der Autorin sind – die Rahmengeschichte als Metaebene, die so manchen Anlass zum Schmunzeln, aber auch Neuigkeiten bereithält.

Fehler und Zweifelsfälle

Seite 248: „der Rauch stieß kerzengerade aus den grasbedeckten Hütten auf…“: Es müsste wohl besser „stieg“ statt „stieß“ heißen.

S. 272: „…ihnen reicht, dass Ihr (!) eigenes Volk bei Euch Schutz gesucht hat.“ „Ihr“ bezieht sich auf „ihnen“, nämlich die Könige von Frankreich und Deutschland. Daher müsste „Ihr“ kleingeschrieben werden.

S. 367: „nachdem der Luftraum wieder freige[ge]ben worden war…“: Die Silbe „ge“ fehlt.

S. 370: „E pur si muove”: Das soll Galileo Galilei als Entgegnung auf die Anklage der Ketzerei gesagt haben. Nur dass man diesen Satz bislang immer als „Eppur si muove“ lesen konnte. Und der entsprechende Wikipedia-Artikel bestätigt das auch.

S. 420: “zumal es sich ja [um] MEIN Gesicht handelt.“ Das Wörtchen „um“ fehlt.

S. 439: „dass ich die (!) liebe.“ Statt „die“ sollte es hier besser „dich“ heißen, um einen Sinn zu ergeben. Zumal „die“ keinen Bezug hat.

S. 466: “zusammen mit einer Floppy“: gemeint ist eine Floppy Disk, wie sie als Speichermedium Anfang der 1990er Jahre verbreitet war. Die ersten Floppy Disks für PC-Laufwerke waren wirklich groß (8 Zoll) und so biegsam, dass man sie durchaus „floppy“ nennen konnte.

S. 684: An folgendem Satz biss ich mir die Zähne aus. Davies und Ratcligg führen ihren sokratischen Dialog über Ash und Burgund, rätseln dabei über das Universum und Quantenmechanik.

„Das Universum nimmt Vorfälle der ‚Ersten Geschichte‘ in seine Maschen auf, welche sie dort bequem unterbringen kann.“ Möglicherweise fehlt hier ein entscheidendes Wörtchen. „das „sie“ könnte sich auf die Vorfälle erwähnen und das „dort“ auf die Maschen des Universums. Ein ziemlich gewöhnungsbedürftiges Bild.

S. 685: „Das[s] mit dem Versagen des ‚Verlorenen Burgund‘ eine Art historischer ‚Abfall‘ in unsere Realität hinüberschwappte, das hielten wir – zumindest theoretisch – nie für unmöglich.“ Das zweite S fehlt in „dass“.

S. 686: “Als Historiker habe ich das Team geleitet, das[s] für die Dokumentation der Rückkehr der ‚ersten Geschichte‘ verantwortlich war.“ Hier ist das zweite S in „dass“ überflüssig.

Unterm Strich

Dieses Burgund ist ein abenteuerliches Mittelalter, das man so nie bei Umberto Eco oder Dan Brown finden wird! Ash ist eine Feldherrin in männlicher Rüstung, die sich ihrer Haut zu wehren weiß (merke: eine Rüstung dient auch als Waffe) und sich die Treue ihrer Offiziere versichern kann. Ihr „Arzt“ Florian wird zu ihrer lesbischen Geliebten Floria, und die fremde Feldherrin aus Nordafrika zu ihrer geklonten Schwester. Als wäre dies nicht genug, machen Kampfmaschinen und telepathische Taktikcomputer Südeuropa unsicher. Ach ja: Und Floria wird Herzogin, denn ein magisches Ereignis, ein reales Wunder, macht diese Wandlung möglich. Diese Wunder werden im vierten Band zu einem grundlegenden Problem…

Die Rahmenhandlung

Wer weiß, was noch alles an Zumutungen folgt, fragt die Lektorin Anna Longman verunsichert ihren Autor Prof. Pierce Ratcliff, der ihr ein Werk namens „Ash: Die verlorene Geschichte von Burgund“ auftischt. Sind seine Quellen wirklich zuverlässig, ist nur eine ihrer vielen Fragen, die uns aus der Seele sprechen. Auf dieser Metaebene entspinnt sich der häufig ironische Diskurs über die Art und Weise, wie überlieferte Geschichte zustande kommt. „Historische Wahrheit“ entwickelt sich zu einem Begriff, der zunehmend hohler und fragwürdiger wird, je unsicherer und seltsamer die Quellen, die Ratcliff präsentiert, dem Leser erscheinen. Am Schluss wissen: Unsere Geschichte ist das Produkt der Wilden Maschinen. Folglich könnte es noch andere solche „Produkte“ geben…

Meine Lektüre

Ich jedenfalls fand schon den Auftaktband sehr interessant und unterhaltsam. Moralische Scheuklappen darf der Leser indes keine haben: Hier wird gehurt und gesoffen, wenn mal nicht geheiratet oder gekämpft wird. Der zweite Band erweitert den Horizont erheblich und umfasst das westliche Mittelmeer, inklusive Pyramiden und Computer. Der dritte Band ist hinsichtlich des Gehaltes an Action der gelungenste, er endet zudem in der Wandlung Floria/ns zur Herzogin. Doch erst der vierte Band zieht die Schraube der Dramatik gehörig an: Ash trifft die Entscheidung, sich selbst umzubringen, um die Wilden Maschinen von ihrem finalen Wunder abzubringen.

Die „Ash“-Chronik ist jedenfalls in jeder Hinsicht außergewöhnlich in den phantastischen Genres. Dass die Autorin sie als „Legende“ bezeichnet, ist völlig angemessen, denn die vielen ungewöhnlichen Ereignisse strapazieren die Vorstellungskraft Ashs genauso wie die des Lesers. Dieses Burgund ist versunken, und was hier historisch ist oder nicht, spielt letzten Endes keine Rolle. Es kommt jedoch darauf an, welche Bedeutung wir dem verlorenen Burgund zumessen. Und welche Relevanz diese Bedeutung hat, muss jede Generation von lesern für sich entscheiden.

Gebunden: 701 Seiten.
O-Titel: Lost Burgundy A Secret History. The Book of Ash Part 4, 1999
Aus dem Englischen von Rainer Schumacher.
ISBN-13: 9783404283453

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