Rübenstrunk, Gerd – Wörterbuch des Viktor Vau, Das

_Vor der afrikanischen Küste_ fällt ein unbekanntes Objekt vom Himmel. Zunächst geht die Überwachung davon aus, dass es sich nur um Weltraumschrott handelt. Schon bei der Bergung stellt sich allerdings heraus, dass dieses Objekt etwas anderes sein muss. Der Sprachwissenschaftler Viktor Vau hat davon zwar gehört, interessiert sich aber eigentlich nicht die Bohne dafür. Nur widerwillig reist er nach Afrika, um den Fetzen Papier mit den geheimnisvollen Schriftzeichen in Augenschein zu nehmen, der im Innern des Objektes gefunden wurde …

_Die Kurzbeschreibung_ des Verlages ist ein wenig irreführend. Denn obwohl dieses Buch sehr wohl Sciencefiction ist, geht es weder um Raumschiffe noch um außerirdisches Leben. Tatsächlich geht es um Sprache. Vordergründig zumindest.

Im Zentrum der Geschichte steht der Linguist Viktor Vau, ein ausgesprochen ordnungsliebender, penibel gekleideter Mensch, der seit zehn Jahren jeden Morgen zur selben Uhrzeit im selben Bistro das gleiche Frühstück zu sich nimmt. Die menschlichen Alltagssprachen empfindet er als ungenau und mehrdeutig, und da Unordnung ihm verhasst ist, hat er es sich zum Ziel gesetzt, eine neue Sprache zu erfinden, die die gesamte Realität absolut präzise abbildet. Seine Kollegen allerdings verweigern ihm die wissenschaftliche Anerkennung, weshalb er die Ergebnisse seiner Arbeit nie veröffentlicht hat. Außer in Fachkreisen ist er völlig unbekannt, und wahrscheinlich wäre er nach seinem Tod einfach in Vergessenheit geraten. Wäre da in Afrika nicht dieses Objekt vom Himmel gefallen!

An diesem Ding sind natürlich die Geheimdienste sämtlicher Staaten, die auch nur einen Hauch von Einfluß haben, brennend interessiert. Binnen Stunden stehen sie alle auf der Matte und belauern sich nun gegenseitig, um sich die brisanten Erkenntnisse, die sie von den Forschern erwarten, unter den Nagel zu reißen und zu ihrem Vorteil auszunutzen. Da die Wissenschaftler aber zu keinen Erkenntnissen kommen, schlägt einer von ihnen vor, Viktor Vau hinzuzuziehen. Dadurch gerät der etwas weltfremde Professor ins Fadenkreuz der Weltpolitik.

Die Geheimdienste sind allerdings nicht als einzige hinter Viktor Vau her. Ein weiterer Handlungsstrang enthält die Logbucheinträge eines sogenannten Protektors, der einen Auftrag zu erfüllen hat, der sich auf Viktor Vau bezieht. Und daneben läuft noch ein weiterer Handlungsstrang, der stellenweise wie ein typischer, amerikanischer Polizeistreifen daherkommt: Ein bodenständiger Polizist jagt einen Serienmörder, mit mäßigem Erfolg, und massiv unter Druck gesetzt von einem schmierigen Regenbogenjournalisten. Wie dieser Kriminalteil mit dem Rest zusammenhängt, eröffnet sich dem Leser erst ganz allmählich.

All diese Aspekte sind von der Person des Viktor Vau abhängig. Dabei verhält der Professor sich fast die ganze Zeit passiv. Angestoßen wurden sämtliche Ereignisse durch eine Gruppe von Personen, die etwas verhindern wollte, das wahrscheinlich nur deshalb eintraf, weil jemand versuchte, es zu verhindern. Ein wohlbekanntes Paradoxon.

Angesiedelt ist der Plot in einer Welt, die vom Entwurf her nicht unbedingt neu ist. Die Diktatur einer Oligarchie und totale Überwachung auf der einen, eine kleine Rebellentruppe, die dagegen aufbegehrt, auf der anderen Seite, das kennt man schon. Dass mich das trotzdem nicht störte, mag zum einen daran liegen, dass der Kriminalteil der Geschichte einen gewissen Bezug zum Jetzt herstellt und das Szenario damit ein wenig aus dem Futuristischen herausholt. Zum anderen bildet der Konflikt zwischen Regierung und Rebellen lediglich eine Randerscheinung der eigentlichen Geschichte, der zudem durch einen fiesen kleinen Kniff am Ende dem Pathos einer Prinzessin Leia und Konsorten entgeht.

Der Kern der Geschichte ist – wie beim eigentlichen Ursprung des SF, der Utopie – ein fast schon philosophischer. Eine Sprache, die die gesamte Realität vollkommen eindeutig beschreibt, ohne jegliche Ungenauigkeiten, ohne Spielraum für Hintersinn, Ironie und was es noch an Facetten innerhalb von Sprache gibt. Wollen wir so etwas überhaupt? Ist das erstrebenswert?

Führt man diese Kontroverse noch einen Schritt weiter, landet man schließlich beim Gegensatz zwischen strenger Logik und ungebändigter Kreativität, oder auch zwischen Ordnung und Chaos. In diesem Roman bildet die von Viktor Vau erfundene Sprache das Instrument der Logik und der Ordnung. Letzten Endes geht es darum, welchen Einfluss Sprache auf unser Denken und damit auch auf unser Handeln hat, und wohin uns solch eine eindeutige Sprache führen könnte.

Der Autor hat sich bei seiner Arbeit an diesem Buch auf diverse Quellen gestützt, deren Themen von der Linguistik bis zur Hirnforschung reichen. Das merkt man an manchen Stellen, tatsächlich musste ich für ein oder zwei Begriffe ein Lexikon bemühen. Andererseits wird die intensive Beschäftigung mit diesen Themen im Roman deutlich spürbar, im positiven Sinne.

_Alles in allem_ kann man dieses Buch nur als gelungen bezeichnen. Totalitäre Systeme mögen eine Standardzutat für SF sein, wie es Elfen und Drachen für Fantasy sind. Gerd Rübenstrunk ist es jedoch gelungen, sie in einen Kontext einzubauen, der zwar logischerweise ein spekulativer ist, aber nicht so völlig abwegig wirkt wie manch anderes, was mir bei SF schon begegnet ist. Die Handlung hat Krimi-, Politthriller- und SF-Aspekte miteinander verbunden, ohne dabei erzwungen zu wirken oder in logisches Stolpern zu geraten. Vor allem aber hat die Geschichte tatsächlich etwas zu erzählen, das über den oft bemühten gerechten Kampf einer Minderheit um Freiheit und Selbstbestimmung hinausgeht. Mag die These, die dem Roman zugrunde liegt, auch umstritten sein, allein das Weiterspinnen des Gedankens, was denn mithilfe von Sprache alles getan werden könnte, wenn die These ein Fakt wäre, ist zugleich erschreckend und faszinierend. Sehr lesenswert.

_Gerd Rübenstrunk_ war nach einem umfangreichen Studium zuerst als Texter und in der Werbung tätig. Auch fürs Fernsehen hat er gearbeitet. Als Schriftsteller hat er bisher vor allem Jugendbücher geschrieben, darunter die |Arthur|-Trilogie, deren dritter Band im Januar dieses Jahres erschienen ist. Er lebt und arbeitet in Duisburg.

|Broschiert: 412 Seiten
ISBN-13: 978-3492702249|
[www.piper-verlag.de]http://www.piper-verlag.de
[www.ruebenstrunk.de]http://www.ruebenstrunk.de

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