Jack Webb – Alles für Carla

Ein verbitterter Tierhändler verliebt sich auf den ersten Blick in eine junge Frau, die ihn um Hilfe bittet und kurz darauf verschwindet. Die Suche bringt ihn immer wieder in Lebensgefahr, doch der Mann gibt nicht auf, selbst als die erhoffte Rettungsaktion ihn auf die Spur und in die Fänge der Mafia führt … – Lesenswerter Krimi eines hierzulande vergessenen Autors. Ein solider Plot, gut gezeichnete Figuren und angenehm schräge aber beinahe durchweg handlungsintegrierte Einfälle sorgen für zeitlose Unterhaltung.

Das geschieht:

Seit er zumindest körperlich unversehrt aus dem Koreakrieg heimkehrte, führt Richard Jackson ein zurückgezogenes Leben. Er wohnt über der Tierhandlung, die er sich eingerichtet hat; seine wenigen Zimmer teilt er mit jener lebendigen ‚Ware‘, die der weichherzige Mann nicht verkaufen konnte, aber nicht entsorgen will.

Nur selten lässt sich Jackson in der Öffentlichkeit blicken. An einem in der Bar verbrachten Abend trifft er die hübsche, junge, sehr betrunkene Carla. Sie bittet ihn um Hilfe, die ihr Jackson ritterlich gewährt und sie sogar in seine Wohnung einlässt. Nach einigen Stunden hat die Schöne sich erholt und verabschiedet sich.

Für Jackson ist die Sache damit erledigt, doch kurz darauf steht die Polizei in seinem Laden: Die junge Dame war Carla DiMucci, Tochter eines einflussreichen Abgeordneten – und sie ist verschwunden. Der Vater hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Carla zu finden. Dass Jackson nichts über ihren Verbleib weiß, wollen ihm DiMucci senior, die Polizei sowie einige zwielichtige Gestalten, die nach etwas Wertvollem suchen, das Carla angeblich bei sich gehabt haben soll, nicht glauben.

Als eine besonders hartnäckige Verfolgerin ihm beinahe den Schädel mit einer Pistolenkugel spaltet, beschließt Jackson aktiv zu werden. Darin bestärkt ihn die offenkundige Bereitschaft der Polizei, seine labile Psyche zum Status des Hauptverdächtigen zu addieren und ihn in Gewahrsam zu nehmen.

Also macht sich Jackson davon – und hat das Glück, einem exzentrischen Schauspieler zu begegnen, der bereit ist, an jenem Kreuzzug teilzunehmen, der in Carlas Befreiung gipfeln soll. Allerdings steckt hinter ihrem Verschwinden die Mafia, die für heldenhafte Retter überhaupt kein Verständnis hegt …

Verbrecherjagd als Therapie-Ersatz

Der ‚normale‘ Mitmensch als Sündenbock anonymer, skrupelloser, übermächtiger Verbrecher: Gibt es eine Steigerung der daraus resultierenden Furcht? Wie Alfred Hitchcock es uns immer wieder gezeigt hat, muss diese Frage bejaht werden. Richtig schlimm wird es, wenn Justiz und Ordnungsmacht ebenfalls von der Gesetzlosigkeit besagten eines solchen Pechvogels überzeugt sind, deshalb seine Unschuldsbeteuerungen überhören und sich auf ‚Beweise‘ stützen, die kunstvoll gefälscht wurden. Autor Jack Webb setzt noch eins drauf: Sein ‚Held‘ ist per se im Nachteil. Richard Jackson wurde als Kriegsgefangener in Korea durch die Mühlen der kommunistischen Gehirnwäsche gedreht. Im Gegensatz zu vielen Kameraden hat er die körperlichen und geistigen Qualen überlebt – und fühlt sich erst recht feige und schuldig, zumal er seinen Widerstand irgendwann aufgegeben und sich seinen Peinigern gefügt hat, was kein anständiger US-Amerikaner tun dürfte!

Nachdem er freigekommen war, hatten ihn die eigenen Leute mit Wahrheitsdrogen vollgepumpt, weil sie erfahren wollten, was Jackson dem Feind ‚verraten‘ hatte. So ist es kein Wunder, dass sich Jackson quasi in ein Mauseloch verkrochen hat, um ohne Aufsehen ein Leben ohne weiteren Außendruck zu führen. Lange bevor die Diagnose Kriegstrauma gemeinhin bekannt und akzeptiert wurde, zeichnet Webb zwar überspitzt aber glaubhaft das Bild eines beschädigten Mannes, der in Ruhe gelassen werden will.

Selbstverständlich ist genau das ihm nicht vergönnt. Jackson verliert sämtliche Sicherheiten, die er sich mühsam geschaffen hat. Die Ursache ist – zumal in der Trivial-Unterhaltung – klassisch: Eine schöne Frau in Not tritt unverhofft in sein Leben. Dass sich Jackson Knall auf Fall in Carla verliebt, wird entweder vom Verfasser ein wenig zu forciert – dazu gleich mehr -, oder er möchte andeuten, dass Jackson förmlich auf einen Anlass gewartet hat, der ihn endlich aus seiner Lethargie reißt.

Moderne Drachen, alte Übeltaten

Erfreulich lange bleibt völlig offen, was eigentlich vorgeht. Warum hat sich Carla Jackson aufgedrängt? Wohin ist sie verschwunden? Wer steckt dahinter? Was hat sie bei Jackson zurückgelassen? Diese Fragen stellt sich der überforderte Tierhändler gemeinsam mit dem Leser. Als sich dieser Nebel allmählich lichtet, lässt die Freude an einem bisher vergnüglich rätselhaften Kriminalroman nach; ein bekanntes Problem, denn selten kann die Auflösung mit dem Mysterium schritthalten. Natürlich sind es profane Verbrecher, die hinter den Kulissen ihre Ränke schmieden. Aus Webbs Sicht lag die Wahl der Mafia als Drahtzieher nahe. Ab den 1950er Jahren wurde das organisierte Verbrechen in den USA allmählich als massive Bedrohung wahrgenommen. Praktisch war ein Schattenstaat entstanden, der die Regierung, ihre Behörden und Vertreter quasi ersetzte, wobei ‚Regelverstöße‘ mit brutaler Gewalt geahndet wurden.

Wohin hatte die Mafia ihre Krakenarme bereits ausgestreckt? Webb entwirft exemplarisch die scheinbar bürgerliche Fassade einer mafiös unterwanderten Kette von Begräbnisinstituten, was die spurlose Entsorgung von Opfern unter den Augen der – machtlosen oder geschmierten – Polizei erheblich erleichtert. Dieser Schauplatz sorgt außerdem für gruselige Spannungsmomente, wenn sich Jackson und Carla ausgerechnet in einem dieser Institute wiedersehen.

Aus heutiger Sicht wirkt die Mafia so, wie Webb sie hier beschreibt, eher ulkig als bedrohlich. Seltsame Namen, körperliche Defekte, geschmacklose Kleidung: Schon äußerlich strahlen die Profaks und ihre Schergen eine aus damaliger Lesersicht beruhigende, weil oberflächliche Bedrohlichkeit aus, die eher zu Märchenbuch-Schurken als zu unsichtbaren, allgegenwärtigen Verschwörern passt.

Maid in Nöten wartet auf ihren Retter

Generell bleibt der Grundton realitätsfern, was diesen Roman vor einer generellen Alterung bewahrt hat. Autor Webb klebt nicht an der Logik, sondern gibt der Unterhaltung den Vorzug. So kann es geschehen, dass der eigentlich verlorene, flüchtige Jackson ‚zufällig‘ dem abenteuerlustigen Hannibal Benson in die Arme läuft – einem Lebenskünstler, der zwar ohne Unterkunft und Gepäck ist, aber trotzdem alles – Waffen und Sprengstoff inklusive – beschaffen kann, was Jackson benötigt, um seine Carla zu retten.

Auch diese Liebe ist ein wenig zu schön, um wahr zu sein; es wurde weiter oben bereits angedeutet. Was Carla aus der Menge der ‚Mädchen‘ – so durfte man unverheiratete Frauen einst nennen -, mit denen sich Jackson seit seiner Heimkehr erfolglos getroffen hat, eigentlich heraushebt, bleibt unklar. Carla ist Webbs „MacGuffin“: der Auslöser für jene Höllenfahrt, aus der Jackson zwar verletzt, aber siegreich sowie von seinem Trauma erlöst hervorgeht. Unter dieser Prämisse muss Carla keine aktive Figur sein, weshalb wir sie meist gefesselt, barfuß oder verängstigt vorfinden, was Jacksons Entschlossenheit steigern soll.

Das Salz in der Suppe dieses Romans sind diverse schräge Nebenfiguren und krude Einfälle. Jackson teilt sich seine Kleinwohnung mit einem Affen, einem Schäferhund und einem sprachgewaltigen Myna-Vogel („Watson, die Nadel!“). Polizeibeamte, die ihn verhören oder beschatten sollen, spielen mit den Welpen in Jacksons Laden oder kaufen sich Zierfische. Jacksons gefährlichste Verfolger ist nicht die Mafia, sondern eine unberechenbare Glücksritterin, die eine Leichenspur hinter sich lässt. Hinzu kommen lange Romanpassagen, die der entweder traumatisierte oder drogenbenebelte Jackson als Mischung aus Realität und Albtraum erzählt.

Problemlos verstreichen 170 zudem ausgezeichnet übersetzte Seiten. „Alles für Carla“ ist ein alter aber nicht altmodischer Roman. Spannung, Dramatik, Witz: Jongleur Jack Webb hält seine Bälle in der Luft, bis sie ihm im Finale doch beinahe entgleiten. Die letzten zwanzig (!) Seiten vergehen, während dem im Krankenhaus gelandeten Jackson erzählt wird, was ihm bzw. überhaupt zugestoßen ist. Das hätte der Autor besser ins Geschehen integriert, aber es lässt sich verschmerzen, zumal auch wir endlich ins Bild gesetzt werden wollen!

Autor

John Alfred „Jack“ Webb wurde am 13. Januar 1916 in Los Angeles, Kalifornien geboren. Zeit seines Lebens verbrachte er in diesem US-Staat und hier in Playa Del Ray, einer Gemeinde am Westrand von Los Angeles. Der Kriegsdienst in der Marine (1942-1946) unterbrach sein Studium, das er erst später fortsetzen konnte. Webb arbeitete u. a. als Wärter für Vögel in einem Zoo, für die Flugzeugindustrie oder als technischer Zeichner, bevor er in den 1950er Jahren die Schriftstellerei zu seinem Beruf machte.

Noch unter dem Pseudonym „John Farr“ veröffentlichte Webb 1951 den Kriminalroman „Don’t Feed the Animals“, für den er auf seine Zoo-Erfahrungen zurückgreifen konnte. Im folgenden Jahr erschien mit „The Big Sin“ (dt. „Die Sünderin von La Marimba“) der erste Band einer Thriller-Serie mit dem ungleichen Ermittler-Duo Sammy (Elijah) Golden, einem Detektive der Mordkommission, und Father Joseph Shanley, Priester der St Anne’s Church. Bis 1963 setzte Webb diese Serie mit acht weiteren Bänden fort. Parallel dazu erschienen weitere Krimis als „John Parr“ und „Jack Webb“. Als „Tex Grady“ schrieb Webb 1952 außerdem einen Western-Roman. Bis in die 1970er Jahre erschienen Kurzgeschichten in verschiedenen Thriller-Magazinen.

Am 12. Februar 2008 ist Jack Webb kurz nach seinem 92. Geburtstag im kalifornischen Coronado gestorben. Man verwechselt ihn übrigens leicht mit dem Schauspieler und Drehbuchautor Jack Webb (1920-1982), der mit der TV-Serie „Dragnet“ (dt. „Polizeibericht“; Regisseur, Produzent, Autor und Hauptdarsteller) berühmt wurde.

Taschenbuch: 170 Seiten
Originaltitel: One for My Dame (New York : Holt, Rinehart & Winston 1961)
Übersetzung: Rosmarie Kahn-Ackermann

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