Somper, Justin – Vampiraten 1: Der Fluch des Ozeans

Grace und Connor haben gerade ihren Vater und ihr Zuhause verloren. Jetzt haben sie die Wahl zwischen einem trostlosen Waisenhaus und einem reichen, aber verlogenen Bankiersehepaar. Da ihnen keines von beidem behagt, ziehen sie es vor, sich auf dem Boot ihres Vaters davonzumachen. Doch kaum haben sie den schützenden Hafen verlassen, bricht ein Sturm los und zertrümmert das Boot.

Die beiden haben Glück im Unglück: Sie werden gerettet. Allerdings jeweils von einem anderen Schiff.

Connor ist bei den Piraten gelandet und fühlt sich dort bald recht wohl. Grace dagegen findet sich auf einem Schiff voller Vampire wieder. Es dauert nicht lange, da gerät sie in Schwierigkeiten …

_Die Charaktere_

Connors herausragendste Eigenschaft ist seine sportliche Begabung, er ist kräftig und durchtrainiert. Aber segeln kann er offenbar nicht, und vom Wetter hat er auch nicht viel Ahnung. Dafür beweist er eine gewisse Hartnäckigkeit, aufzugeben ist nicht seine Sache. Abgesehen davon scheint er noch eine besondere Begabung zu haben, die sich vorerst am besten mit einem siebten Sinn umschreiben lässt: Er kann die Stimme seines toten Vaters hören und bis zu einem gewissen Grad Grace und ihre Umgebung wahrnehmen. Woher diese Begabung kommt und was genau es damit auf sich hat, bleibt noch unklar.

Grace ist diejenige mit Köpfchen, zumindest wird sie am Anfang als sehr intelligent und kenntnisreich beschrieben. Sie ist bei weitem nicht so sportlich wie ihr Bruder, aber auf ihre Weise genauso zäh. Ihr Angst zu machen, ist keine leichte Sache, und Resignation liegt ihr genauso wenig wie ihrem Bruder. Übernatürliche Fähigkeiten zeigt sie bisher keine. Und segeln kann sie offenbar genauso wenig wie ihr Bruder.

Mehr gibt es über die beiden vorerst nicht zu sagen. Die Charakterzeichnung bleibt ziemlich blass und flach. Die Vergangenheit der beiden fehlt völlig, wahrscheinlich, um der gewissen Aura des Geheimnisvollen willen. Das funktioniert sogar ein wenig. Abgesehen davon aber bleibt auch die Gegenwart recht unpersönlich und fad. Die beiden scheinen – von Connors sportlichen Aktivitäten abgesehen – keine Hobbys zu haben. Sie vermissen zwar ihren Vater, fragen aber nie nach ihrer Mutter. Die Schulden ihres Vaters haben sie zwar ihr Zuhause gekostet, aber offenbar keinerlei Träume oder Zukunftspläne zunichte gemacht. Das Einzige, woraus diese beiden zu bestehen scheinen, sind ihre äußerst enge Bindung zueinander und das alte Shanty über die Vampiraten, das sie von ihrem Vater gelernt haben und ständig zum Besten geben. Das ist nicht gerade viel, womit der Leser sich identifizieren könnte.

_Auch die Handlung_ fand ich nicht unbedingt mitreißend:

Die Piraten auf der |Diablo| sind erstaunlich gemütliche Gesellen. Zwar gibt es Spannungen zwischen dem Kapitän und seinem ersten Offizier, die sind aber vorerst noch recht harmloser Natur. Bösewichter scheint es auf diesem Schiff keine zu geben; eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass man es eigentlich mit Verbrechern zu tun hat. Nicht, dass Justin Somper aus seinen Seeräubern edle Ritter nach dem Vorbild eines Robin Hood gemacht hätte, das nicht. Aber diese Mannschaft, allen voran der Kapitän, wirkt, als ob sie nichts ernst nähme. Keiner von ihnen will reich werden oder etwas rächen oder gar seine Mordlust befriedigen. Das Einzige, worum es zu gehen scheint, ist, möglichst viel Spaß zu haben!

Konfliktstoff bietet da vorerst nur die Tatsache, dass die Piraten der Weltmeere sich dieselben offenbar in Einflusszonen aufgeteilt haben. Der Kapitän der |Diablo| findet das allerdings höchst albern und wildert ohne Rücksicht in fremden Gewässern, was die anderen Kapitäne und ihre Besatzungen ziemlich wütend macht. Das klingt fast ein wenig nach organisiertem Verbrechen, wo die einzelnen Paten ebenfalls ihre Sphären streng gegen Übergriffe von anderen schützen. Leider ist die Ausarbeitung in dieser Hinsicht bisher nicht über Andeutungen hinausgekommen.

Das gilt auch für Cheng Li, den ersten Offizier der |Diablo|. Cheng Li hat an der Piratenakademie studiert und redet ständig von einer neuen Art von Piratentum, das die Welt der Piraterie revolutionieren wird. Wie genau das allerdings aussehen soll, wird nicht genauer erläutert.

Ein wenig mehr zur Sache geht es da auf dem Schiff der Vampire. Wobei diese Mannschaft sich nicht als Vampire bezeichnet, sondern als Vampiraten. Eine nette Wortschöpfung. Ich fragte mich allerdings, warum sie sich so nennen, denn in all der Zeit, die Grace bei ihnen verbringt, haben sie offenbar kein einziges Schiff überfallen. Die Piraten der |Diablo|, die von Connor das Shanty über eben diese Vampiraten gehört haben, wissen nichts von einem solchen Schiff und halten es für eine Legende, was sicher nicht so wäre, wenn die Vampiraten entsprechend aktiv wären.

Genau genommen handelt es sich also doch um ganz gewöhnliche Vampire, die sich auf diesem Schiff vor den Nachstellungen durch den Rest der Welt in Sicherheit gebracht haben. Der Kapitän ist ein sehr kultivierter Mann, so kultiviert, dass er sogar ohne Blutsaugen auskommt. Er hat sehr zivilisierte Regeln aufgestellt, aber natürlich gibt es da einen Quertreiber, der sich nur äußerst ungern daran hält. Der Kapitän verspricht Grace Schutz. Warum er sie aber nicht einfach in der Nähe des nächst besten Hafens an Land setzt, was wahrscheinlich der beste Schutz wäre, wird nicht erklärt.

Um die Sache etwas spannender und geheimnisvoller zu machen, hat der Autor diese Details natürlich zunächst einmal nicht verraten. Stattdessen muss Grace einen Teil davon ihrem Bewacher/Beschützer Lorcan Furey mühsam aus der Nase ziehen und den Rest selbst herausfinden. Trotz des Shantys und der Klugheit, die ihr zu Anfang zugeschrieben wurde, hat sie dafür erstaunlich lange gebraucht. Ein Knacks in der Logik, der eine Steigerung der Spannung oder Dramatik sofort wieder untergräbt.
Erst als der Quertreiber unter den Vampiren, Sidorio, meutert, wird die Sache interessanter …

_Insgesamt betrachtet_, wirkt dieser erste Band der |Vampiraten|-Serie wie eine ellenlange Einleitung. Das versuchte Attentat auf den Kapitän der |Diablo| und der erste Kampfeinsatz Connors, die ein wenig Schwung in die Geschichte brachten, liefen so glatt und waren so schnell erledigt, dass es für den Aufbau eines echten Spannungsbogens nicht gereicht hat. Zwar deuten die vielen vagen Hinweise in der Geschichte – Connors ungewöhnliche Begabung, das seltsame Verhalten des Vampiratenkapitäns in Bezug auf Grace, Cheng Lis Andeutungen – sowie der Unmut der anderen Piratenkapitäne und Sidorios Ankunft an Land die Entstehung von ein paar größeren Verwicklungen an, die Auswirkungen werden allerdings erst dem nächsten Band zugute kommen.

Nun handelt es sich hier um ein Kinderbuch, und natürlich erwartet man in einem solchen Fall weder Ströme von Blutvergießen noch echten Grusel. Immerhin sollen die jungen Leser nach dem Ende des Buches noch einschlafen können. Aber auch davon abgesehen kann die Geschichte mit dem „Fluch der Karibik“, mit dem sie verglichen wird, nicht mithalten. Auch wenn der Kapitän der |Diablo| zugegebenermaßen ein sympatischer Kerl ist, kann er mit Käpt’n Sparrow nicht wirklich konkurrieren. Der Handlung fehlt es – zumindest in diesem ersten Band der |Vampiraten| – an Erzähltempo und turbulenten Wendungen, um dem Vergleich mit dem Filmvorbild standhalten zu können. Bisher zumindest sind die |Vampiraten| kein „Fluch der Karibik“ für Kinder.

Aber das kann sich ja noch ändern. Eigentlich hat Justin Somper genug Konfliktpunkte und Geheimnisse angelegt, um im nächsten Band für einige Bewegung im Handlungsverlauf zu sorgen und den Leser mit unerwarteten Erkenntnissen zu überraschen. Falls es ihm zusätzlich gelingt, seinen Figuren, vor allem den beiden Hauptpersonen, noch etwas mehr persönliches Profil zu geben, könnte sich dieser Zyklus vielleicht noch berappeln.

Justin Somper ist Hobbyschwertkämpfer und war in mehreren Verlagen als Kinderbuchlektor und PR-Manager tätig, ehe er selbst anfing zu schreiben. Die |Vampiraten|-Serie ist inzwischen bis Band vier gediehen. Auf Deutsch erschien Band zwei im Juni dieses Jahres, die Folgebände sollen ab Februar 2008 erhältlich sein.

http://www.cbj-verlag.de

Home

Schreibe einen Kommentar