Kjell Ola Dahl – Blutfeinde. Ein Fall für Gunnarstranda

Norwegenkrimi: Der Tote unterm Wasserfall

Ein Polizist wird unweit des Polizeipräsidiums von Oslo erschossen aufgefunden. Kommissar Gunnarstranda wird auf den Fall angesetzt. Seine Ermittlungen erweisen sich als schwierig, denn er muss allein arbeiten. Beweise verschwinden aus dem Polizeipräsidium und sogar aus der versiegelten Wohnung des Opfers. Will man sich an Gunnarstranda rächen? Denn nur wenige Wochen vor dessen Tod hatte er den Polizisten wegen unverhältnismäßiger Gewalt im Dienst angezeigt. Ivar Kili war daraufhin vom Dienst suspendiert worden. Der Fall wird Gunnarstranda wegen Erfolglosigkeit entzogen. Er ermittelt heimlich weiter. Bis ein zweiter Mord geschieht und Gunnarstranda selbst in Lebensgefahr gerät…

Der Autor

Kjell Ola Dahl, 1958 in Norwegen geboren, hat mit seinen beiden Romanen „Sommernachtstod“ (dt. 2002) und „Schaufenstermord“ (dt. 2003, beide bei Lübbe) die deutschen Krimifans begeistert. Der ehemalige Gymnasiallehrer für Ökonomie und jetzige Halbtags-Landwirt in der Gegend von Gunnarstranda lässt in „Lügenmeer“ (2004) zum dritten Mal das einmalige Ermittlerduo Gunnarstranda und Frølich auf Verbrecherjagd gehen.

1) Tödliche Investitionen
2) Sommernachtstod
3) Schaufenstermord
4) Lügenmeer
5) Knochengrab
6) Ein letzter Schatten von Zweifel
7) Schwarzes Gold
8) Blutfeinde

Handlung

Nächtlicher Aufruhr auf einem Platz in der Nähe des Osloer Polizeipräsidiums. Drei arabisch aussehende Männer hauen mit Schlagstöcken um sich, Passanten und Gäste der Bar „Asylet“, bringen sich in Sicherheit. In all dem Durcheinander fällt ein Schuss. Erst als alles wieder ruhig ist, bemerkt jemand den Toten, der da auf der Bank sitzt. Es ist der Polizist Ivar Killi. Wie sich herausstellt, wurde er aus nächster Nähe mit einer Sportpistole erschossen, die nur jeweils einen einzigen Schuss erlaubt. Killi war Sportschütze und besaß wohl eine solche Waffe.

Doch der mit dem Fall betraute Kommissar Gunnarstranda kann in Killis Kleiderschrank nur zwei Gewehre finden. Eine Sportpistole fehlt – ungewöhnlich für einen Sportschützen. Was, wenn es die Tatwaffe wäre, die fehlt? Auf dem Tisch im Wohnzimmer steht ein Laptop, mit dem er nichts anfangen kann, aber aus der Digitalkamera nimmt er den Speicherchip mit. Der Herr Kollege hat Fotos von einer jungen Frau in Bondage-Posen gemacht. Den Chip schließt Gunnarstranda in seinen Schreibtisch, in der Annahme, dort sei das Beweisstück, das er bei seiner Behörde nicht hat registrieren lassen, sicher. Falsch gedacht! Als sein Chef Rindal den Chip verlangt, ist das Beweisstück weg. Megapeinlich.

Als ob dies noch nicht reichen würde, wird Gunnarstranda auch noch von allen Kollegen Killis geschnitten. Nicht nur, dass er es war, der für die Dienstsuspendierung Killis verantwortlich war. Sie finden es zudem äußerst irritierend, dass er nicht sofort die auf der Autobahn verhafteten arabisch aussehenden Schläger vernimmt, die ja offensichtlich die Täter für den Polizistenmord gewesen sein müssen. Als sich Gunnarstranda auch gegenüber seinem Chef Rindal gegenüber diesem Generalverdacht verwahrt, wird er von dem Fall abgezogen. Vibeke Starum übernimmt den Fall. Als er mit ihr in Killis Wohnung zurückkehrt, ist der Laptop verschwunden. Etwas ist hier oberfaul, findet Gunnarstranda.

Dynamisches Duo

Rindal hat ihn seinem früheren Kollegen Frank Frölich zugeteilt. Als er den ruhigen Job bei der Vermisstenfahndung antrat, war Frölich, ein Ordnungsliebhaber, froh, dass er den Chaoten und Manipulator Gunnarstranda los war. Nun kriegt er ihn schon wieder vor die Nase gesetzt, und seine Begeisterung hält sich verständlicherweise sehr in Grenzen. Kaum hat Gunnarstranda nämlich die Akte des aktuellen Falls Arne Welhaven, eines verschwundenen Anwalts gelesen, kriegt er einen Anruf, der ihn aufs Land ruft, wo Welhavens Auto gefunden wurde. Ohne Frölich zu fragen oder wenigstens zu informieren, düst Gunnarstranda sofort los. Er ist eben ein Tatmensch.

Im Welhavens Sommerhaus ist niemand, und außer Fotos und Büchern ist nicht zu finden. Der Anwalt hatte in den letzten Jahren nicht nur seine Frau Emma verloren, sondern in Afghanistan auch seinen Sohn Marius. Nur seine Tochter Fride ist ihm noch geblieben. Gunnarstranda erinnert sich sowohl an Welhaven, seinen Klassenkameraden, wie auch an dessen Frau Emma, die einst seine eigene Jugendfreundin war. In einem norwegischen Buch der Lebensweisheiten, der Hávamál, findet Gunnarstranda lediglich einen Zettel in Welhavens Handschrift: „Lügen mit Lügen bekämpfen. Unmöglich.“ Welhavens Therapeutin Maria Hoff, eine 34-jährige Lady, die wie eine Edelnutte aufgetakelt ist, verrät Frölich nichts Wesentliches.

Zufälle?

Da legt sich Gunnarstranda auf die Lauer und wird fündig. Er beschattet Petter Bull, jenen Kollegen Ivar Killis, der am meisten gegen Gunnarstranda opponiert hat und wahrscheinlich für den Diebstahl des Fotochips verantwortlich ist. Bull folgt nachts Maia Hoff, als sie aus einer Therapiestation kommt und nach Hause fährt. Dort stellt er sie zur Rede, und ein heftiger Streit entbrennt. Gunnarstranda, der zuvor nicht wusste, wie die Therapeutin aussieht, liest ihren Namen auf den Klingelschildern an der Haustür. Aufschlussreich, findet er, und Frölich gerät ins Grübeln. Zufälle?

Nicht mehr, als auch noch der Unternehmer, mit dem Welhaven in einem Rechtsstreit lag, erwähnt, dass schon Polizisten bei ihm gewesen wären und Fragen gestellt hätten. Der Mann identifiziert Ivar Killi. Schau an: Killi hat private Ermittlungen angestellt, und sein Kollege Petter Bull streitet sich mit Zeuginnen, die den verschwundenen Welhaven therapierten. Immer noch ein Zufall, wie Frölich meint? Gunnarstranda ist sicher, auf ein Netzwerk innerhalb der Polizeibehörde gestoßen zu sein. Aber welchem Zweck diente es?

Der Fund von Welhavens leblosem Körper am Fuße eines recht idyllischen Wasserfalls auf dem Fjell ist da nur der Abschluss eines Falls. Es war offenbar Selbstmord, aber gewiss kein schöner Tod. Doch jetzt hat Frölich quasi Gunnarstrandas Ex-Fall am Hals. Wie soll er das bloß seinem Chef beibringen?

Mord Nr. 2

Am besten gar nicht, entscheidet er und spaziert mit Killis Kollegen Yttergjerde durch die abendliche Stadt. Da hält der Hauptverdächtige im Mordfall Killi direkt vor ihnen auf der Straße: Darak Fares, gerade aus der U-Haft entlassen. Der Marokkaner flüstert Yttergjerde ins Ohr, er wisse, wer Killi auf dem Gewissen habe – und braust weiter. Yttergjerde kann dieses Geheimnis nicht für sich behalten und petzt an seine Clique. Wenige Stunden später ist Darak Fares tot, erschossen in seinem nagelneuen roten BMW Z4 Roadster. Frölich hat ihn vergebens ausfindig zu machen versucht – und war bei Maria Hoff im Bett gelandet.

Es ist ziemlich klar, dass eine Verbindung zwischen dem Mord an Killi und dem an Fares besteht. Der Mörder muss beide gekannt haben. Aber warum wurden sie zum Schweigen gebracht? Da bringt Gunnarstranda wieder einen seiner klassischen Sprüche: „Follow the money.“ Na, denn, meine Herrn!

Mein Eindruck

„Blutfeinde“ ist ein viel zu blutrünstiger Titel für ein so lustiges Buch. Im O-Titel ist eher die Rede von einem Engel, wenn auch einem schwarzen. Lustig ist das Buch vor allem wegen Gunnarstrandas Possen, denn alle anderen haben herzlich wenig zu lachen. Aber Gunnarstranda ist ein Gemütsmensch, von stämmiger, wenn nicht feister Statur, mit einem gesunden Appetit und einer treuen Geliebten gesegnet. Er weiß, wo er steht, und kaum etwas bringt ihn aus der Ruhe. Allein schon die Abendessenszenne mit seinen zwei ehemaligen Schulkamerade, die als schwules Ehepaar auftreten, ist an schnurriger Skurrilität kaum zu überbieten. Ich könnte mir Otfried Fischer gut als seinen Darsteller vorstellen.

Aber Gunnarstranda hat natürlich auch eine Seele und eine Ehre im Leib. Beides drängt ihn weiterzuermitteln, und sollte der Chef und die Konkurrenz im eigenen Haus ihn massakrieren wollen. Kommt doch und holt mich, scheint er ihnen stets lautlos zuzurufen. Vor Herausforderungen schreckt Gunnarstranda nie zurück. Was ihn zu einem richtigen Problemfall werden lässt, der seinen Chef Rindal schier zum Durchdrehen bringt. Rindal führt sich auf wie Gene Hackman in „French Connection“ und trägt sogar das gleiche dämliche Hütchen, doch wenn es darum geht, sich gegen Gunnarstranda durchzusetzen, zieht er bis zur letzten Zeile stets den Kürzeren.

Doch nun zum Fall. Die Sache ist verzwickt und nicht leicht zu durchschauen, finden Gunnarstranda, Starum und Frölich. Woran arbeiteten Welhaven, Killi & Co. sowie Maria Hoff zusammen? Waren es die Bondage-Bilder der von Psychiaterin Maria Hoff behandelten Sechzehnjährigen, die mit Killi ins Bett ging? Wichtige Daten befinden sich garantiert auf der Festplatte des verschwundenen Laptops. Und als handelte es sich um einen klassischen MacGuffin nach Hitchcockschem Zuschnitt, fahndet die halbe Osloer Polizeitruppe nach diesem Stück Elektronikschrott. Nur Gunnarstranda kann auf die verwegenste Idee kommen: Er folgt Maria Hoff zur Müllhalde – bingo! Doch die Festplatte fehlt in dem aus dem Müll gebuddelten Schatz. Die Jagd geht weiter, doch Hoff erweist sich als gewitzter, als die Polizei erlaubt.

Da hilft es wenig, dass sich Frölich mit der Psychiaterin ins selbe Bett legt und Sex mit ihr hat. Sieht ein bisschen wie Fraternisierung mit verdächtigen Zeugen aus, oder, Herr Kollege? Doch anders als der widerborstige Gunnarstranda kommt Frölich mit dieser Bettgeschichte ohne weiteres durch. Ihn wurmt nur, dass in der gleichen Nacht der wichtige Zeuge Darak Fares ermordet wird. Auf den Gedanken jedoch, dass er vielleicht mit dessen Mörderin geschlafen hat, verfällt Frölich nicht. Er ist eben kein Gunnarstranda.

Bis zur letzten Zeile beißen sich Gunnarstranda und Vibeke Starum, die jede Menge Gemütsruhe von ihm lernt, an den Details der drei Todesfälle Killi, Fares und Welhaven fest. Ja, es kommt sogar soweit, dass sich Gunnarstranda in das Krankenhausbett des von Maria schwer demolierten Polizisten Bull legt, um an seiner Statt den mutmaßlichen Täter auf frischer Tat zu ertappen! Wie nicht anders zu erwarten, werden alle offenen Fragen gelöst. Aber das fand ich dann ziemlich langweilig. Von den 400 Seiten haben mich jedoch mindestens 350 Seiten bestens unterhalten.

Die Übersetzung

…ist ausgezeichnet gelungen. Die zahlreichen englischsprachigen Ausdrücke wurden einfach so belassen, weil dies ja die Eigenart der jeweiligen Figur hervorhebt. Man sollte also wissen, was unter „hard feelings“ (Ärger, Groll) und „Follow the money!“ zu verstehen ist. Nur auf Seite 308 fragte ich mich verwirrt, wie ein Mann „geil wie ein Ochse“ sein kann, wenn Ochsen doch bekanntlich kastriert sind…

Die Hardcover-Ausgabe informiert den Leser mit zwei Landkarten. Auf der Einbandinnenseite ist a) die Innenstadt von Oslo verzeichnet, auf dem hinteren Gegenstück b) die Region Oslo um den bekannten Fjord herum, auf dessen Grund bis zum heutigen Tage deutsche Kriegsschiffe liegen.

Unterm Strich

Ich habe „Blutfeinde“ mit großem Vergnügen gelesen, denn der Krimi ist nicht nur recht spannend, sondern auch ein „mordsmäßiger“ Spaß. Allerdings muss man sich auf die Eigenarten des Herrn Gunnarstranda einlassen, um die ganze Sache mal aus seiner Perspektive zu betrachten. Der Fall, an dem er sich aus Mit- und Ehrgefühl festgebissen hat – es geht immerhin um ein paar Millionen Kronen – ist durchaus verzwickt, denn wer hätte gedacht, dass eine Psychiaterin derart viel kriminelle Energie entwickeln würde?

Wer steckt noch alles in dem zwielichtigen Fall mit drin, fragt sich der Leser, und schon bald fallen eine ganze Reihe von Namen. Das mag ein wenig verwirrend wirken, denn es gibt keine Personenliste im Buch, aber zum Glück hat der Autor die Liste auf ein halbes Dutzend Namen beschränkt, die immer wieder auftauchen. Da kann man durchaus den Überblick behalten.

Land und Leute

Ganz nebenbei erfahren wir jede Menge über die Topographie der Stadt Oslo und ihres mehr oder weniger idyllischen Umlandes. Man muss wohl schon rauf auf die einsamen Fjells fahren, um unter einem Wasserfall eine Leiche zu finden. Des weiteren erfahren wir, dass es in Oslo wie überall in Europa jede Menge „Bürger mit Migrantenhintergrund“ gibt, wie das jetzt neudeutsch heißt. Dazu zählen jede Menge Marokkaner, die zwar arbeitslos sind, sich aber die neuesten Sportwagen leisten können. Kein Wunder also, wenn sich die Cops ein wenig fremdenfeindlich zeigen und Gunnarstranda angiften, weil er nicht sofort Generalverdacht äußert und alle Leute mit anderer Hautfarbe einbuchten lässt.

Das Kernthema

Dass es im Grunde um korrupte Cops geht, sollte nicht vergessen werden. Killi, Bull und wer weiß noch haben Dreck am Stecken, weil sie ihre internen Kenntnisse ausnutzten, um jemanden zu erpressen. Die Frage ist letzten Endes nicht, was sie taten, ob sie büßen und ob ihre Opfer entschädigt werden (Gunnarstranda wird schon dafür sorgen), sondern ob die richtigen Lehren daraus gezogen werden. Ist der Gene-Haclman-Verschnitt Rindal wirklich der richtige Mann auf seinem Chefsessel, fragt sich der Leser – zusammen mit Vibeke Starum und Gunnarstranda. Das dürfte nicht zuletzt auch die norwegische Öffentlichkeit interessieren, die sicher eine Menge Rindals kennt.

Hardcover: 400 Seiten
Originaltitel: Svart Engel, 2007
Aus dem Norwegischen von Kerstin Hartmann.
ISBN-13: 978-3404164271

www.luebbe.de

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